Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 15.11.1990, Az.: II 714/89

Berücksichtigung von Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte; Begriff der Betriebsstätte; Abzug der Fahrtkosten als Betriebsausgaben bei Gewerbetreibenden mit mehreren Betriebsstätten

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
15.11.1990
Aktenzeichen
II 714/89
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1990, 15756
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1990:1115.II714.89.0A

Fundstelle

  • EFG 1991, 461-462 (Volltext mit amtl. LS)

Tatbestand

1

Der Kläger ist als selbständiger Bezirksleiter den Niedersächsischen Zahlenlotto GmbH gewerblich tätig. Für diese Tätigkeit unterhält er in einem angemieteten Zweifamilienhaus in S. das er mit seiner Familie bewohnt, ein Büro, bestehend aus zwei Büroräumen und einem Schulungsraum im Erdgeschoß und drei weiteren Räumen im Kellergeschoß, die zu Lagerzwecken und zum Sortieren der Lottoscheine dienen.

2

Neben Einkünften aus Gewerbebetrieb erzielte der Kläger im Streitjahr außerdem als freiberuflicher Mitarbeiter bei "Radio ... Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Er war dort bei Sportsendungen für den "MAZ-Schnitt" und in geringerem Umfang als Redaktionsassistent tätig. Die Vergütung erfolgte nach einem feststehenden Stundensatz. Der Kläger fuhr an zwölf Tagen zu Arbeitseinsätzen nach B., sieben dieser Fahrten begannen erst mittags zwölf Uhr, vier morgens um acht Uhr und eine morgens um neun Uhr. Bei der Ermittlung seines Gewinns aus selbständiger Arbeit setzte der Kläger die Pkw-Kosten für die Fahrten nach B. mit dem Pauschsatz von DM 0,42 je Kilometer an, allerdings nur mit der einfachen Entfernung (200 km). Im Rahmen einer bei ihm durchgeführten Außenprüfung beantragte der Kläger, die Fahrten mit DM 42,- je gefahrenem Kilometer (12 × 400 km× DM 0,42) als Betriebsausgaben bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit zu berücksichtigen. Der Beklagte (das beklagte Finanzamt - FA-) behandelte die Fahrten indes als solche zwischen Wohnung und Betriebsstätte und ließ die Aufwendungen hierfür gemäß § 4 Abs. 5 Nr. 6 i.V. mit § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG nur mit DM 0,36 je Entfernungskilometer (12 × 200 km × DM 0,36) zum Abzug zu, da der Kläger die Fahrten von seiner Wohnung aus angetreten habe. Für die freiberufliche Tätigkeit unterhalte der Kläger keine Betriebsstätte in S. diese befinde sich vielmehr in B.

3

Der Einspruch des Klägers gegen den auch in anderen Punkten geänderten Einkommensteuerbescheid blieb insoweit ohne Erfolg.

4

Der Kläger begehrt mit seiner Klage, die Fahrten als Geschäftsreise anzuerkennen und die Fahrtaufwendungen mit DM 0,42 je gefahrenem Kilometer zu berücksichtigen. Es handele sich nicht um Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte sondern um solche zwischen zwei Betriebsstätten, also um Geschäftsreisen. Er habe die Fahrten nämlich nicht von der Wohnung, sondern von seiner Betriebsstätte als Bezirksleiter der Niedersächsischen Zahlenlotto GmbH aus, angetreten. Er ist der Auffassung, bei Fahrten zwischen Betriebsstätten komme es nicht darauf an, daß diese dem selben Unternehmen oder derselben Einkunftsart zuzuordnen seien.

5

Die Kläger beantragen,

die Einkommensteuer auf DM ... - herabzusetzen.

6

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Das FA ist weiterhin der Auffassung, es lägen Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte vor, die nur eingeschränkt abzugsfähig seien. Ausnahmsweise seien zwar Fahrten zwischen zwei Betriebsstätten uneingeschränkt abziehbar, doch sei Voraussetzung, daß es sich um Betriebsstätten desselben Unternehmens handele; daran fehle es, da der Kläger nicht im Rahmen eines Unternehmens tätig geworden, sondern zwei verschiedenen Tätigkeiten nachgegangen sei. Außerdem habe der Kläger die Fahrten jeweils von seiner Wohnung aus angetreten, jedenfalls nicht von einer Betriebsstätte, in der er Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit erziele, um die es hier gehe.

Entscheidungsgründe

8

Die Klage ist unbegründet.

9

1.

Nach § 4 Abs. 5 Nr. 6 EStG dürfen Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte den Gewinn nicht mindern, soweit sie die Beträge übersteigen, die sich in entsprechender Anwendung des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG ergeben. Das bedeutet, daß bei Fahrten mit dem eigenen Kraftwagen die Aufwendungen für jeden Arbeitstag, an dem das Fahrzeug benutzt wird, nur in einer Höhe von DM 0,36 je Entfernungskilometer als Betriebsausgaben anerkannt werden.

10

Das FA hat die Fahrten des Klägers nach B. zutreffend als solche zwischen Wohnung und Arbeitsstätte gewertet.

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Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger vor Beginn der Fahrten dorthin jeweils in seinem Büro gewesen ist, die Fahrten also vom Büro aus angetreten hat, wofür zumindest in sieben Fällen die Tatsache spricht, daß er, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, in sieben Fällen jeweils erst mittags (zwölf Uhr) losgefahren ist.

12

2.

Hat der Kläger die Fahrten von der Wohnung aus angetreten, sind es ersichtlich solche zwischen Wohnung und Betriebsstätte, denn im Bereich seiner freiberuflichen Tätigkeit befand sich die Betriebsstätte i.S. von § 4 Abs. 5 Nr. 6 EStG in B. Betriebsstätte im Sinne dieser Vorschrift ist nämlich, abweichend von§ 12 Abs. 1 AO, der eine feste Geschäftseinrichtung oder Geschäftsanlage des Steuerpflichtigen verlangt oder zumindest, daß der Steuerpflichtige eine gewisse, nicht nur vorübergehende, Verfügungsmacht über sie besitzt, die Beschäftigungsstätte, an der der Steuerpflichtige die Einkünfte aus selbständiger Arbeit erzielt.

13

Verfügt ein im Wege eines Dienstvertrags beschäftigter Unternehmer nicht über eine eigene Betriebsstätte i.S.d. § 12 Abs. 1 AO, muß der Ort, an dem er die geschuldete Leistung zu erbringen hat, in aller Regel also der Betrieb des Auftraggebers, als Betriebsstätte des Unternehmens angesehen werden. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 13. Juli 1989 IV R 55/88 (BStBl II 1990, 23) mit überzeugender Begründung, insbesondere unter Hinweis auf die beabsichtigte Gleichstellung von Gewerbetreibenden und Freiberuflern mit Arbeitnehmern entschieden.

14

3.

Sollte der Kläger vor Antritt der Fahrten jeweils zunächst noch sein Büro aufgesucht haben, handelt es sich ebenso um Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte und kann die Klage keinen Erfolg haben.

15

Aus dem Wortlaut des § 4 Abs. 5 Nr. 6 EStG ("Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte") hat die Rechtsprechung zwar hergeleitet, daß ein unbeschränkter Betriebsausgabenabzug für Fahrtkosten besteht, die dem Betriebsinhaber bei Fahrten zwischen Betriebsstätten innerhalb des Unternehmens entstehen, daß dies im Regelfall selbst dann gilt, wenn sich eine Betriebsstätte und die Wohnung auf demselben Grundstück befinden (BFH-Urteile vom 31.5.1978 I R 69/76, BStBl II 1978, 564; vom 29.3.1979 IV R 137/77, BStBl II 1979, 700; vom 15.7.1986 VIII R 134/83, BStBl II 1986, 744, vom 11.12.1987 III 183/84, BFH/NV 1988, 357) und daß bei einer Wohnung auf demselben Grundstück nur dann ausnahmsweise Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte nicht vorliegen, wenn sich die Betriebsstätte in der Wohnung des Gewerbetreibenden befindet und dieser Teil der Wohnung von der übrigen Wohnung baulich nicht getrennt ist und keine in sich geschlossene Einheit bildet, so insbesondere, wenn die Betriebsstätte lediglich in einem häuslichen Arbeitszimmer besteht (BFH-Urteil vom 11.12.1987 III R 183/84; vom 15. Juli 1986 VIII R 134/83; vom 7. Dezember 1988 X R 15/87, BStBl II 1989, 421).

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Der uneingeschränkte Abzug der Fahrtkosten als Betriebsausgaben bei Gewerbetreibenden mit mehreren Betriebsstätten für Fahrten von der einen zur anderen Betriebsstätte wird aber mit der Erwägung gerechtfertigt, es lägen Fahrten innerhalb des Unternehmens vor, da sich der Gewerbetreibende ausschließlich im betrieblichen Bereich bewege, sich die Fahrten also als rein innerbetriebliches Ereignis darstellten (BFH-Urteile vom 31.5.1978 I R 69/76, BStBl II 1978, 564; vom 29.3.1979 IV R 137/77, BStBl II 1979, 700; vom 7. Dezember 1988 X R 15/87).

17

Die Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 5 Nr. 6 EStG greift folglich nur dann nicht mehr, wenn der Steuerpflichtige (Unternehmer), von seiner Wohnung kommend, den betrieblichen Bereich erreicht hat und sich anschließend innerhalb desselben bewegt. Hiervon kann aber nicht die Rede sein, wenn der Steuerpflichtige mit der Weiterfahrt den betrieblichen Bereich seiner gewerblichen Tätigkeit verläßt. Der Kläger hätte sich aber, selbst wenn er die Fahrten nach B. von seiner in S. befindlichen und von seiner dortigen Wohnung eindeutig getrennten Betriebsstätte aus angetreten haben sollte, nicht innerhalb seines einen Unternehmens bewegt; er hätte dann mehrere selbständige Betriebe nacheinander aufgesucht, denn die Betriebsstätte in Eingelade gehört ausschließlich zu seinem Gewerbebetrieb als Bezirksleiter der Niedersächsischen Zahlenlotto GmbH, während die Betriebsstätte in Bremen ausschließlich seiner freiberuflichen Tätigkeit, also einem anderen Betrieb, und darüber hinaus sogar einer anderen Einkunftsart diente; es hätten bei von der gewerblichen Betriebsstätte ausgehenden Fahrten nur Aufwendungen anfallen können, die in den Bereich der Einkünfte aus selbständiger Arbeit gehörten und darauf beruht hätten, daß der Kläger nunmehr die Betriebsstätte erreichen wollte, von der aus er seiner Tätigkeit aus selbständiger Arbeit nachging siehe den vergleichbaren Fall, daß ein selbständig Tätiger nach Aufsuchen seiner Betriebsstätte zu einer weiteren Arbeitsstätte fährt, in der er nunmehr Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt (BFH-Urteil vom 25. Februar 1988 IV R 135/85, BStBl II 1988, 767).

18

4.

Für das gewonnene Ergebnis spricht außerdem, daß der Gesetzgeber mit der Einführung des § 4 Abs. 5 Nr. 6 EStG eine Gleichbehandlung der Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte (Arbeitsstätte) bei der Ermittlung der Gewinneinkünfte und der Überschuß-Einkünfte (Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit) sicherstellen wollte (BFH-Urteile v. 15. Juli 1986 VIII R 134/83, BStBl II 1986, 744; v. 13. Juli 1989 IV R 55/88, BStBl II 1990, 23; Bundestagsdrucksache 7/1470 S. 250; s. auch Beschluß des BVerfG v. 2. Okt. 1969 I BvL 12/68, BVerfGE 27, 58, 70). Begibt sich aber ein Arbeitnehmer, der in Erfüllung mehrerer Arbeitsverträge an verschiedenen Orten tätig ist, von der ersten von seiner Wohnung aus angefahrenen Arbeitsstätte zu einer anderen Arbeitsstätte bei einem anderen Arbeitgeber, greift die Beschränkung des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG ein (BFH-Urteil vom 8. November 1974 VI R 69/72, BStBl II 1975, 177; offengelassen unter Bezugnahme auf dieses Urteil im Urteil vom 9.12.1988 VI R 199/84, BStBl II 1989, 276). Dieser Fall mehrerer Arbeitsstätten bei verschiedenen Arbeitgebern ist dem vergleichbar, daß ein Steuerpflichtiger - wie hier der Kläger - sowohl Einkünfte aus Gewerbebetrieb als auch Einkünfte aus selbständiger Arbeit, jeweils in unterschiedlichen Betriebsstätten, erzielt.

19

Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) abzuweisen.