Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 22.09.1994, Az.: 1 A 1018/92
Öffentlich-rechtlicher Abwehranspruch gegen den Betrieb einer Feuerwehrsirene; Zumutbarkeit der Belästigung durch Sirenenlärm zum Zwecke des abwehrenden Brandschutzes; Ausschluss dauerhafter Gesundheitsschäden durch Geräuschimmission; Duldungspflicht trotz erheblicher Lärmbelästigung mangels geeigneter Alternativstandorte
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 22.09.1994
- Aktenzeichen
- 1 A 1018/92
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1994, 17168
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:1994:0922.1A1018.92.0A
Rechtsgrundlagen
- § 40 Abs. 1 VwGO
- Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG
- Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG
- § 906 Abs. 1 BGB
- § 906 Abs. 2 BGB
- § 1004 Abs. 1 BGB
- § 1 Abs. 1 NBrandSchG
- § 1 Abs. 2 NBrandSchG
- § 2 Abs. 1 NBrandSchG
- § 69 Abs. 1 NBauO
- § 3 Abs. 1 BImSchG
- § 3 Abs. 2 BImSchG
- § 3 Abs. 5 Nr. 1 BImSchG
- § 22 Abs. 1 BImSchG
Verfahrensgegenstand
Feuerwehrsirene
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Ein Immissionsabwehranspruch des Nachbarn gegen den Betrieb einer Feuerwehrsirene zum Zweck des abwehrenden Brandschutzes besteht trotz Unzumutbarkeit der damit verbundenen Lärmbelästigung dann nicht, wenn eine Herabsetzung des Ausgangsschallpegels der Sirene ohne eine gleichzeitige Erweiterung des bestehenden Sirenennetzes deren Alarmfunktion beeinträchtigen würde und Alternativstandorte nicht gegeben sind.
- 2.
Vom Vorliegen eines Alternativstandortes für Feuerwehr-Sirenenanlagen kann nur dann ausgegangen werden, wenn zum einen die Verlegung der Sirene keine Beeinträchtigung ihrer Alarmfunktion mit sich bringt und zum anderen der Betrieb der Sirene an dem neuen Standort nicht seinerseits zu erheblichen Belästigungen der Nachbarschaft führt.
Die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Göttingen hat
auf die mündliche Verhandlung vom 22. September 1994
durch
den Präsidenten des Verwaltungsgerichts Dr. van Nieuwland,
den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Richtberg,
den Richter Dr. Möller sowie
die ehrenamtlichen Richterinnen Fricke und Friedrich
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 3.000,00 DM vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen den Betrieb einer Feuerwehrsirene.
Der Kläger ist Miteigentümer des Grundstückes ... in ... (Flurstück ..., Flur ... Gemarkung ...), das mit einem Wohnhaus bebaut ist, in dem der Kläger mit seiner Familie wohnt. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. ... "der Stadt ... aus dem Jahre 1980, der hier ein reines Wohngebiet festsetzt. Südlich an das Grundstück des Klägers grenzt das Grundstück Flurstück ..., Flur ... Gemarkung ... an, das im Eigentum der Stadt ... steht und im Bebauungsplan Nr. ..." der Stadt ... aus dem Jahre 1984 ebenfalls als reines Wohngebiet ausgewiesen ist. Das Wohnhaus ist u.a. mit dem Schlafzimmer im ersten Obergeschoß nach Süden hin ausgerichtet.
Im November 1991 errichtete die Beklagte auf dem ihr von der Stadt ... zur Verfügung gestellten Grundstück Flurstück ... eine freistehende Sirenenanlage mit einer Drehstromeinheitssirene E 57 nach DIN 41096. Die Sirene befindet sich in 12 m Höhe auf einem Telemast. Der Abstand zum Wohnhaus des Klägers beträgt 17 m. Durch die neue Sirene sollte die Beschallung der Baugebiete ... und ... die im Westen jeweils an das Landschaftsschutzgebiet ... angrenzen, sichergestellt werden. Die Luftlinienentfernung des neuen Sirenenstandortes ... zu dem nächstgelegenen der schon bisher in Betrieb befindlichen Sirenen - dem Standort ...-Straße ... - beträgt 550 m.
Die Beklagte verwendet die streitige Sirene zur Alarmierung der Feuerwehr insbesondere bei Mittel- und Großbränden. Bei Einsätzen kleineren Umfanges erfolgt eine sog. stille Alarmierung über Funk. Zusätzlich wird die Sirene zum Zweck des monatlichen Probealarms - jeweils am 2. Samstag um 11.00 Uhr - und im Rahmen bestimmter Feuerwehrübungen in Betrieb gesetzt. Die Betriebsdauer beträgt 12 Sekunden bei dem monatlichen Probealarm und dreimal jeweils 12 Sekunden bei einem Feueralarm. In den Jahren 1992 und 1993 wurde die Sirene - abgesehen von den Probealarmen - insgesamt jeweils viermal in Betrieb genommen: 1992 bei drei Großbränden und einer Übung, 1993 bei zwei Übungen, einem Großbrand und einem Ölunfall.
Der Kläger wandte sich im November und Dezember 1991 an die Beklagte, verwies auf die geringe Entfernung der Sirenenanlage zu seinen Schlafräumen und verlangte, die Maßnahme rückgängig zu machen bzw. ihm einen rechtsmittelfähigen Bescheid zu erteilen. Mit Schreiben vom 13.01.1992 teilte die Beklagte mit, sie habe den Standort der Sirene nach pflichtgemäßem Ermessen festgelegt. Die Errichtung der Sirene habe keiner Baugenehmigung bedurft und stelle keinen Verwaltungsakt dar, so daß kein rechtsmittelfähiger Bescheid erteilt werden könne.
Am 23.01.1992 hat der Kläger Klage erhoben.
Der Kläger trägt vor, das Schlafzimmer seines Wohnhauses liege genau im Schalltrichter der Sirenenanlage. Der bei dem Betrieb der Sirene entstehende, auf seinem Grundstück wahrnehmbare Lärm sei gesundheitsschädlich. Es komme zu einer Erwartungsphobie mit nachhaltigen Schlafstörungen. Zudem habe die Beklagte sein Grundstück in ermessensfehlerhafter Weise den von der Sirene ausgehenden Lärmeinwirkungen ausgesetzt. Die Anlage habe zunächst nahe dem nördlich gelegenen Grundstück ... errichtet werden sollen. Von diesem Vorhaben habe die Beklagte jedoch nach Protesten des Grundstücksnachbarn Abstand genommen. Außerdem seien geeignete "Alternativstandorte" für die Sirenenanlage vorhanden.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, die Sirenenanlage ... in ... zu betätigen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie macht geltend, sie nehme mit dem Betrieb der streitigen Sirene die öffentliche Aufgabe des Brandschutzes wahr. Die Anlage könne ihre Funktion nur dann erfüllen, wenn - auch bei Nacht - im Alarmfall als Lärm empfundene Geräusche erzeugt würden. Die Wahl des Standortes für die Sirene sei in ermessensfehlerfreier Weise getroffen worden. Die Sirene sei deshalb nicht an der zunächst vorgesehenen Stelle (Flurstück ..., Flur ..., Gemarkung ...) neben dem Grundstück ... errichtet worden, weil die Stadt ... als Eigentümerin der Fläche deren Inanspruchnahme untersagt habe. Die Beklagte verweist in diesem Zusammenhang auf ein an sie gerichtetes Schreiben der Stadt ... vom 04.09.1991, in dem es heißt, das Grundstück solle als Wegeparzelle für die weitere Erschließung des dahinterliegenden Geländes freigehalten werden. Die Beklagte trägt weiter vor, der jetzige Standort der Sirene sei auch besser geeignet als der zunächst vorgesehene, da das Neubaugebiet ... "besser beschallt werden könne. Auch die von dem Kläger ins Feld geführten Alternativstandorte seien im Hinblick auf die erforderliche Alarmierung der Baugebiete" ... und "..." - insbesondere wegen der oft auftretenden Westwinde - nicht in gleichem Maße geeignet wie der Standort neben dem Grundstück des Klägers. Schließlich habe der Landkreis Göttingen als Schulträger eine Inanspruchnahme der in Frage kommenden Schulgebäude verweigert. Die Beklagte bezieht sich diesbezüglich auf ein an sie gerichtetes Schreiben des Landkreises Göttingen vom 07.04.1993, in dem ausgeführt wird, daß die Installation einer Sirene auf dem Gebäude der Haupt- und Realschule mit Orientierungsstufe in ... nicht für zweckmäßig gehalten werde, da davon auszugehen sei, daß die Auslösung des Alarms zu einer Störung des Unterrichtsbetriebes führen werde. Im übrigen seien bauliche Schäden an dem Gebäude nicht auszuschließen, so daß bereits dazu übergegangen werde, Sirenen unabhängig von Gebäuden zu installieren.
Durch Beschluß vom 29.09.1992 (Az.: 1 B 1187/92) hat die Kammer einen Antrag des Klägers auf eine Untersagung des Betriebs der streitigen Sirene im Wege einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen. Die gegen diesen Beschluß gerichtete Beschwerde des Klägers ist gleichfalls ohne Erfolg geblieben (Beschl. d. Nds. OVG v. 27.01.1993 - Az.: 7 M 5317/92 -).
Die Kammer hat auf der Grundlage der Beweisbeschlüsse vom 05.11.1993 und 08.09.1994 Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahmen wird auf das durch den Dipl.-Ing. ... erstattete schriftliche Sachverständigengutachten vom 14.07.1994 mitsamt dem schriftlichen Ergänzungsgutachten vom 16.09.1994 sowie auf das Protokoll über die Einnahme des richterlichen Augenscheines vom 13.09.1994 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge (Beiakten A bis E) verwiesen. Sämtliche Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der Kläger macht einen öffentlich-rechtlichen Abwehranspruch geltend, für den der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO gegeben ist. Der Betrieb der streitigen Feuerwehrsirene erfolgt zu öffentlichen Zwecken. Die Vorhaltung von Sirenen zur Alarmierung der Feuerwehr gehört zum abwehrenden Brandschutz i.S.v. § 1 Abs. 1 NBrandSchG und obliegt gemäß §§ 1 Abs. 2, 2 Abs. 1 NBrandSchG den Gemeinden als Aufgabe des eigenen Wirkungskreises, die für Mitgliedsgemeinden einer Samtgemeinde gemäß § 72 Abs. 1 Nr. 4 NGO von der Samtgemeinde erfüllt wird. Der Kläger macht sein Begehren auch in zulässiger Weise in der Form einer allgemeinen Leistungs-(Unterlassungs-)klage geltend. Die Errichtung von Sirenen und deren Masten bedarf gemäß § 69 Abs. 1 NBauO i.V.m. Nr. 4.4 der Anlage zu dieser Vorschrift keiner Baugenehmigung, so daß insoweit ein Verwaltungsakt, den der Kläger mit einer Anfechtungsklage angreifen könnte, nicht gegeben ist. Der Betrieb der Sirene stellt ein sog. schlicht hoheitliches Handeln dar, so daß auch in dieser Hinsicht kein anfechtbarer oder erstrebbarer Verwaltungsakt ersichtlich ist.
Die Klage kann in der Sache keinen Erfolg haben.
Der geltend gemachte Immissionsabwehranspruch steht dem Kläger nicht zu. Dabei kann dahinstehen, welches die Grundlage für ein solches gegen einen Hoheitsträger als Störer gerichtetes Begehren ist: Der grundrechtliche Abwehranspruch aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG oder die analog anzuwendenden §§ 1004, 906 BGB oder ein öffentlich-rechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch. Der Maßstab für die Beurteilung der Zumutbarkeit oder Unzumutbarkeit des Lärms bleibt jeweils der gleiche. Er ergibt sich für die Geräusche, die von dem Betrieb der zu den sonstigen ortsfesten Einrichtungen im Sinne des § 3 Abs. 5 Nr. 1 BImSchG zählenden Feuerwehrsirene verursacht werden, aus § 22 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 und 2 BImSchG. Danach sind schädliche Umwelteinwirkungen, nämlich hier Geräusche, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, erhebliche Belästigungen für die Nachbarschaft herbeizuführen, zu verhindern, soweit sie nach dem Stand der Technik vermeidbar sind und, soweit das nicht der Fall ist, auf ein Mindestmaß zu beschränken. Dieser Maßstab führt im öffentlich-rechtlichen Nachbarschaftsverhältnis zum selben Ergebnis wie derjenige nach §§ 906, 1004 BGB im privatrechtlichen Nachbarschaftsverhältnis. Nach §§ 906 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB kann ein Nachbar Geräusche, die die Benutzung eines Grundstücks nicht nur unwesentlich beeinträchtigen, abwehren. Wesentliche Beeinträchtigungen, die durch eine ortsübliche Benutzung des anderen Grundstücks herbeigeführt werden und nicht durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen verhindert werden können, muß er nach § 906 Abs. 2 BGB nur gegen Geldausgleich dulden. Entsprechend ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, daß ein Geldausgleich für passiven Immissionsschutz in Betracht kommt, wenn erhebliche Geräuschbelastungen durch Benutzung einer hoheitlich betriebenden Anlage nicht vermieden und auch nicht auf das zumutbare Mindestmaß gemindert werden können (vgl. im einzelnen: BVerwG, Urt. vom 29.04.1988 - 7 C 33.87 -, BVerwGE 79, 254, 257 ff [BVerwG 29.04.1988 - 7 C 33/87]; Urt. vom 19.01.1989 - 7 C 77.87 -, BVerwGE 81, 197, 199 f) [BVerwG 19.01.1989 - 7 C 77/87].
Nach diesem Beurteilungsmaßstab kann der Kläger mit seinem auf aktiven Lärmschutz gerichteten Unterlassungsantrag nicht durchdringen. Zwar liegen die von der streitigen Feuerwehrsirene ausgehenden Geräuscheinwirkungen auf das Wohnhaus des Klägers über der maßgeblichen Zumutbarkeitsgrenze. Eine Herabsetzung des Lärms unter diese Grenze bzw. eine Aufstellung der Sirene an einem anderen Standort, an dem keine derart erheblichen Belästigungen zu erwarten sind, ist jedoch ohne Beeinträchtigung der Alarmfunktion der Sirene nicht möglich.
Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit des Sirenenlärms ist auf den Schalldruckpegel von 106 dB(A) abzustellen, den der Sachverständige in einer Entfernung von 0,5 m vor dem geöffneten Fenster des Schlafzimmers im Obergeschoß des Hauses des Klägers ermittelt hat. Der im Innern dieses Raumes bei geschlossenen Fenstern gemessene Pegel von 69 dB(A), der auf der Grundlage der Erläuterungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung noch als zumutbar anzusehen sein dürfte, hat insoweit außer Betracht zu bleiben, weil dem Kläger bzw. dessen Familie nicht verwehrt werden kann, bei geöffnetem Fenster zu schlafen. Ein Verweis auf die sog. Stoßlüftung scheidet im Hinblick auf Schlafräume aus (vgl. Bay. VGH, Urt. vom 16.01.1992 - 4 B 88.1782 -, NVwZ-RR 1992, 233, 235) [VGH Bayern 16.01.1992 - 4 B 1782/88].
Auch unter Berücksichtigung des höheren Außenschallpegels hält es die Kammer allerdings für ausgeschlossen, daß die durch den Sirenenbetrieb verursachte Lärmeinwirkung bei dem Kläger bzw. dessen Familie zu dauerhaften Gesundheitsschäden führen könnte. Der Sachverständige hat in überzeugender Weise ausgeführt, daß Langzeitauswirkungen auf das Wohlbefinden der Hausbewohner nicht zu erwarten sind. Die Grenze der erheblichen und damit unzumutbaren Belästigung liegt jedoch unterhalb der Schwelle der Gesundheitsgefahr. Sie muß in diesem Bereich in jedem Einzelfall konkret festgestellt werden, wobei nicht allein auf die Höhe des jeweiligen Geräuschpegels abgestellt werden darf. Erforderlich ist vielmehr eine Güterabwägung, die die konkreten Gegebenheiten sowohl der immitierenden als auch diejenigen der immissionsbetroffenen Nutzung in Betracht zieht (vgl. dazu und zum Folgenden: BVerwG, Urt. vom 29.04.1988, BVerwGE 79, 254, 259 ff [BVerwG 29.04.1988 - 7 C 33/87] sowie allgemein: Urt. vom 19.01.1989, BVerwGE 81, 197, 200 [BVerwG 19.01.1989 - 7 C 77/87]; Urt. vom 07.10.1983 - 7 C 44.81 -, BVerwGE 68, 62, 67 ff) [BVerwG 07.10.1983 - 7 C 44/81].
In diesem Rahmen ist zu Gunsten der durch die Beklagte vertretenen Belange zu berücksichtigen, daß diese mit dem Betrieb der Feuerwehrsirene die ihr gesetzlich auferlegte Aufgabe des abwehrenden Brandschutzes erfüllt. Daß diese Aufgabenerfülung bei einer ersatzlosen Abschaltung der streitigen Sirene gefährdet wäre, weil eine ausreichende Alarmierung der Wohngebiete "..." und durch das vorhandene Sirenennetz - insbesondere auch durch die nächstgelegene Sirene in der ...-Straße ... - nicht sichergestellt wäre, haben die Messungen des Sachverständigen zur Überzeugung der Kammer ergeben. Auch muß in Rechnung gestellt werden, daß die für die Nachbarschaft unvorhersehbaren Alarmierungen durch Feuerwehrsirenen ausgesprochen selten sind. Im vorliegenden Fall fanden sie in den Jahren 1992 und 1993 jeweils nur viermal statt. Die monatlichen Probealarme weisen keine vergleichbare Lästigkeit auf, weil sich die betroffenen Anwohner auf das Geräusch einstellen können.
Andererseits kann der Beklagten nicht die Befugnis eingeräumt werden. Feueralarmsirenen unabhängig von den Anforderungen des Immissionsschutzes an jedem beliebigen Standort aufzustellen. Insbesondere ist es für die Wohnbevölkerung unzumutbar, einer Lautstärke der Sirene ausgesetzt zu sein, die über die Alarmierung und über das Aufwecken zur Nachtzeit hinaus bei durchschnittlich lärmempfindlichen Menschen ausgeprägte Schreckreaktionen, Schmerz und deutlich spürbare Nachwirkungen wie Einschlafschwierigkeiten auslöst. Eben solchen Auswirkungen sind aber der Kläger und seine Familie nach der Überzeugung der Kammer ausgesetzt. Zum einen überschreitet der festgestellte Außenwert von 106 dB(A) die Werte von 95 bzw. 97 dB(A), die in der Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urt. vom 29.04.1988, BVerwGE 79, 254, 266 [BVerwG 29.04.1988 - 7 C 33/87]; Bay. VGH, Urt. vom 16.01.1992 - 4 B 88.1782 -, NVwZ-RR 1992, 233, 234) [VGH Bayern 16.01.1992 - 4 B 1782/88] als Anhaltspunkt für die Bestimmung der Zumutbarkeitsschwelle des Lärms von Feuerwehr Sirenen angenommen wurden, wobei sich diese Annahmen zudem auf ein Dorf- bzw. Mischgebiet bezogen, während das Wohnhaus des Klägers in einem schutzwürdigeren reinen Wohngebiet liegt. Zum anderen hat der Sachverständige in nachvollziehbarer Weise ausgeführt, daß die Lästigkeit von Impulsgeräuschen bzw. selten auftretenden oder hervortretenden Einzeltönen, wie sie hier gegeben sind, diejenige von breitbandigen Geräuschen gleicher Lautstärke übersteigt. Dementsprechend muß in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen angenommen werden, daß der Sirenenalarm als isoliertes, nächtliches Einzelereignis nicht nur zur Schlafunterbrechung führt, sondern darüber hinaus geeignet ist, o.g. Schreckreaktionen und Nachwirkungen auszulösen.
Trotz der gegebenen erheblichen Lärmbelästigung muß der Kläger den Betrieb der streitigen Sirene dulden.
Eine Herabsetzung des Ausgangsschallpegels der Sirene - andere praktikable technische Vorkehrungen zur Herabsetzung des Geräuschpegels sind von vornherein nicht ersichtlich - kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht, weil dies nach den nachvollziehbaren Darlegungen des Sachverständigen die Reichweite der Sirene vermindern und deshalb ohne eine gleichzeitige Erweiterung des bestehenden Sirenennetzes deren Alarmfunktion beeinträchtigen würde.
Alternativstandorte für die Aufstellung der Sirene sind nach der Überzeugung der Kammer nicht gegeben, so daß auch eine Verlegung der Anlage nicht möglich ist. Vom Vorliegen eines Alternativstandortes kann nur dann ausgegangen werden, wenn zum einen die Verlegung der Sirene keine Beeinträchtigung ihrer Alarmfunktion mit sich bringt und zum anderen der Betrieb der Sirene an dem neuen Standort nicht seinerseits zu erheblichen Belästigungen der Nachbarschaft führt (vgl. BVerwG, Urt. vom 29.04.1988, BVerwGE 79, 254, 261 f) [BVerwG 29.04.1988 - 7 C 33/87]. Dabei sieht die Kammer zwar eine Beeinträchtigung der Alarmfunktion nicht bereits dann als gegeben an, wenn das mit Feueralarm zu versorgende Gebiet im Falle einer Verlegung der Sirene von den jeweiligen absoluten Lärmpegeln her gesehen weniger laut beschallt wird. Andererseits dürfen angesichts des hohen Stellenwertes, der der von den Kommunen wahrzunehmenden Aufgabe des Brandschutzes zukommt, nicht die geringsten Zweifel daran bestehen, daß auch von einem angenommenen Ersatzstandort der Sirene eine ausreichende Beschallung des fraglichen Gebietes sichergestellt ist. Der Sachverständige hat diejenigen Standorte, die hiernach allenfalls als Alternativen zu dem jetzigen Aufstellungsort der Sirene in Betracht kommen konnten, begutachtet. Aus seinen Untersuchungen ergibt sich, daß keiner der ins Auge gefaßten Ersatzstandorte allen genannten Eignungskriterien gerecht wird.
Nach der Begutachtung des Sachverständigen könnte eine Alarmversorgung der Neubaugebiete "..." und ... "ausgehend von den mit den Buchstaben d und e bezeichneten", 220 m bzw. 250 m westlich des jetzigen Aufstellungsortes gelegenen Standorten "Streugutgebäude" bzw. "Wasserhochbehälter" schon rein schalltechnisch nicht in dem erforderlichen Maße erfolgen.
Im Hinblick auf den von dem Sachverständigen angenommenen Standort c unmittelbar westlich der Bebauungsgrenze der genannten Neubaugebiete bestünde zwar keine derartige Problematik in schalltechnischer Hinsicht. Andererseits wären die Belastungen für die Wohnbevölkerung dort in etwa gleich groß wie diejenigen an dem jetzigen Standort. Der Sachverständige hat dazu ausgehend von der Erfahrungstatsache, daß der Schallpegel einer Punktschallquelle bei Verdoppelung des Abstandes um 6 dB (A) abnimmt, in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, daß die Lärmbelastung für die Wohnbebauung in der Nachbarschaft des Standortes c nur um ca. 3 dB (A) unter der derzeitigen Belastung des Wohnhauses des Klägers und damit noch deutlich oberhalb der oben näher definierten Zumutbarkeitsgrenze liegen würde. Gegen diesen Standort spricht insbesondere auch, daß er bauplanungsrechtlich im Außenbereich und weiterhin in einem festgesetzten Landschaftsschutzgebiet liegt. Er dürfte deshalb weder bauaufsichtlich noch naturschutzrechtlich genehmigungsfähig sein.
Hinsichtlich der angenommenen Sirenenstandorte "Turnhalle" und "Grundschule" - vom Sachverständigen durch die Buchstaben a bzw. b bezeichnet - bestehen nach dem schriftlich niedergelegten und mündlich erläuterten Gutachten des Sachverständigen schalltechnisch gesehen bereits gewisse Probleme hinsichtlich des äußersten südlichen Bereiches des Neubaugebietes .... Bei einer Aufstellung der Sirene auf dem Dach der an der Straße ... gelegenen Turnhalle wäre zudem im Hinblick auf die Lärmbelastung der unmittelbar benachbarten Wohnbebauung im Vergleich zu dem jetzigen Sirenenstandort wiederum nur eine letztlich nicht ins Gewicht fallende Verbesserung von ca. 4 dB (A) zu erwarten. Auch eine Anbringung und ein Betrieb der Sirene auf dem Dach der an der ... -straße gelegenen Grundschule der Beklagten würde nicht nur den Schulbetrieb selbst, sondern gleichfalls die benachbarte Wohnbebauung - insbesondere das nördlich gelegene Behindertenwohnheim - lärmmäßig überaus stark belasten. Diese Belastung würde noch dadurch vergrößert werden, daß es infolge der Auswirkungen der nahe gelegenen Sirene ... Straße ... zu Geräuschüberdeckungen und -verstärkungen kommen würde. Außerdem hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt, daß die Beschallungsqualität von Alternativstandorten, die östlich des gegenwärtigen Aufstellungsortes liegen, aufgrund der Topographie und der vorherrschenden Westwinde prinzipiell schlechter ist.
Nach der durchgeführten richterlichen Augenscheinseinnahme, dem daraufhin erstatteten schriftlichen Ergänzungsgutachten des Sachverständigen sowie den durch diesen abgegebenen ergänzenden Erläuterungen im Rahmen der mündlichen Verhandlung kommt als Alternativstandort für die Aufstellung der Sirene am ehesten ein Platz im südlichen Bereich des östlich der Neubaugebiete ... und ... gelegenen Sportplatzgeländes in Frage. Bei einer Errichtung der Sirene in diesem Bereich könnte sowohl zu dem Kindergarten der Beklagten im Osten als auch zu der nächstgelegenen Wohnbebauung im Westen Abstand in einem Umfang gehalten werden, daß eine unzumutbare Lärmbelästigung vermieden würde. Nach der Überzeugung der Kammer kann jedoch im Hinblick auf den Sirenenstandort "südlicher Sportplatz" wiederum eine Beeinträchtigung der Alarmfunktion der Sirene nicht mit der erforderlichen Gewißheit ausgeschlossen werden. Die Ausführungen des Sachverständigen über die Geeignetheit des Ersatzstandortes aus schalltechnischer Sicht lassen sich dahingehend zusammenfassen, daß dieser Standort in der Beschallungsqualität dem jetzigen Aufstellungsort zwar fast gleichzusetzen ist, die Qualität des letzteren aber eben doch nicht vollständig erreicht. Die Problematik des Standortes "südlicher Sportplatz" in schalltechnischer Hinsicht besteht dabei nicht in erster Linie darin, daß einige Baugrundstücke im Nordwesten des Baugebietes "...", die sich außerhalb des direkten Einwirkungsradius der in nördlicher Richtung, an der B 3 gelegenen Feuerwehrsirene befinden, auch aus dem direkten Einwirkungsbereich einer Sirene am Standort "südlicher Sportplatz" herausfallen würden. Abgesehen davon, daß nach den Erläuterungen des Sachverständigen die Unterschiede im Hinblick auf den ankommenden Schall in den Randbereichen innerhalb und außerhalb des von ihm generell auf 400 m bemessenen Einwirkungsradius einer Sirene äußerst gering sind, würde es in dem genannten Bereich des Baugebietes ... zu gegenseitigen Verstärkungen der von den Sirenen "südlicher Sportplatz" und "B 3" ausgehenden Geräuschpegel kommen.
Die entscheidenden Nachteile des östlich des zu beschallenden Gebietes gelegenen Standortes "südlicher Sportplatz", die dazu führen, daß für den Fall einer Verlegung der streitigen Sirene an diesen Standort eine Beeinträchtigung der Alarmfunktion angenommen werden muß, bestehen auch hier darin, daß zum einen das Gelände nach Westen hin ansteigt und zum anderen im ... Raum Winde aus westlichen Richtungen vorherrschen. Von einem Standort "südlicher Sportplatz" aus müßte demnach sowohl "gegen den Berg" als auch in der Regel "gegen den Wind" beschallt werden. Wie der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung erläutert hat, können beide Widerstände je für sich dazu führen, daß der Schall abgelenkt bzw. abgeschirmt wird, und deshalb sog. Schallöcher entstehen.
Nach alledem ist die Kammer mit dem Sachverständigen der Überzeugung, daß der jetzige Aufstellungsort der Sirene von allen überprüften Standorten der beste ist.
Ob dem Kläger, der nach alledem trotz der Unzumutbarkeit des auf sein Wohnhaus einwirkenden Lärms der benachbarten Feuerwehrsirene mit seinem aktiven Lärmschutzanspruch nicht durchdringen kann, im Sinne der Grundsatzrechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (Urt. vom 29.04.1988, BVerwGE 79, 254 ff) ein Geldausgleich für Maßnahmen des passiven Lärmschutzes zusteht, hatte die Kammer in dem anhängigen Verfahren nicht zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
Dr. Richtberg
Dr. Möller