Sozialgericht Aurich
Urt. v. 22.10.2008, Az.: S 6 R 70/06 ZVW
Höhe der nach einem erfolgreichen Widerspruchsverfahren zu erstattenden außergerichtlichen Kosten
Bibliographie
- Gericht
- SG Aurich
- Datum
- 22.10.2008
- Aktenzeichen
- S 6 R 70/06 ZVW
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 29919
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGAURIC:2008:1022.S6R70.06ZVW.0A
Rechtsgrundlage
- § 63 Abs. 1 S. 1 SGB X
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Höhe der nach einem erfolgreichen Widerspruchsverfahren zu erstattenden außergerichtlichen Kosten.
Die Klägerin wurde in einem bei der Beklagten anhängigen Widerspruchsverfahren unter Vorlage einer schriftlichen Vollmacht vom Sozialverband VdK G. e.V. (im Folgenden: VdK) vertreten. Mit Bescheid vom 07.01.2002 half die Beklagte dem Widerspruch ab und erklärte sich bereit, der Klägerin die durch das Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Mit Schreiben vom 11.01.2002 machte die Klägerin unter Hinweis auf § 2 einer am 01.01.2001 in Kraft getretenen "Richtlinie über die Erhebung von Pauschbeträgen", beschlossen vom Landesverbandsvorstand des VdK aufgrund von § 6 Abs. 4 der Satzung, die Erstattung von Kosten in Höhe von 46,02 EUR (= 90,00 DM) geltend. Danach haben Mitglieder für ein vom VdK in ihrem Auftrag durchgeführtes Widerspruchsverfahren zur Deckung der Verwaltungskosten des Verbandes einen Pauschbetrag an den Landesverband in Höhe von 90,00 DM zu entrichten. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 01.02.2002 setzte die Beklagte die der Klägerin zu erstattenden Kosten unter Bezugnahme auf einen Beschluss der 76. Konferenz der Minister und Senatoren für Arbeit und Soziales der Länder vom September 1999 auf 17,90 EUR (= 35,00 DM) fest. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 03.07.2002). Zur Begründung führte die Beklagte aus, sie habe mit den sozialpolitischen Verbänden, zu denen auch der VdK gehöre, eine pauschale Regelung zur Kostenerstattung nach § 63 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) vereinbart. Nach dieser Regelung erstatte sie - die Beklagte - an den VdK für die erfolgreiche Vertretung eines Mitglieds im Widerspruchsverfahren ab dem 01.01.2000 einen Pauschbetrag von 35,00 DM. Eine darüber hinausgehende Zahlung würde dem Gleichbehandlungsgrundsatz widersprechen.
Mit ihrer am 23.07.2002 erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, die von ihr an den VdK zu zahlende Pauschale sei durch die Beklagte in voller Höhe gemäß § 63 SGB X zu erstatten. Bei der im Rahmen der Satzungsautonomie des VdK rechtmäßig festgelegten Kostenpauschale handele es sich um einen zusätzlichen Mitgliedsbeitrag und nicht um ein Entgelt für die von den Mitarbeitern des Verbandes aufgewendete Arbeitszeit. Mit dem Pauschalbetrag beteiligten sich die im Rechtsbehelfsverfahren vertretenen Mitglieder an den Aufwendungen zur Deckung der Generalunkosten und Verwaltungskosten. Die Pauschale betrage auch nur etwa 20% der durchschnittlichen Mittelgebühr nach der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung. Dieser Vergleich mache deutlich, dass Zeit- und Arbeitskosten der Angestellten des Verbandes nicht abgegolten würden. So werde die Pauschale denn auch bei aufwendigen Verfahren nicht erhöht, während ein Rechtsanwalt dann die Höchstgebühr verlangen könne. Da die Grenze der Angemessenheit erst erreicht sei, wenn eine Art Gebührensystem eingeführt werde oder eine auch nur ansatzweise erkennbare Gewinnerzielungsabsicht des Verbandes bestehe, müsse im vorliegenden Falle von einer angemessenen Kostenpauschale ausgegangen werden. Unter den Begriff "Gebühren" im Sinne des § 63 Abs. 2 SGB X seien auch Aufwandspauschalen zu fassen, die der sonstige Bevollmächtigte fordere. Denn in § 63 Abs. 2 SGB X habe der Gesetzgeber den Begriff des sonstigen Bevollmächtigten mit dem des Rechtsanwaltes gleichgestellt und zu dem Begriff der "Gebühren" in Beziehung gesetzt. Sofern tatsächlich nur die "gesetzlichen Gebühren" hätten erfasst sein sollen, wäre auch dieselbe Formulierung wie in § 91 Zivilprozessordnung (ZPO) gewählt worden. Die von der Beklagten erwähnte Vereinbarung über die Kostenerstattung im Vorverfahren und im Verfahren vor den Sozialgerichten habe der VdK in der vorliegenden Form nicht unterschrieben.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 01.02.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.07.2002 zu verurteilen, den Betrag der für das Widerspruchsverfahren zu erstattenden Aufwendungen auf 46,02 EUR (= 90,00 DM) festzusetzen und diese zu verurteilen, einen weiteren Geldbetrag in Höhe von 28,12 EUR (= 55,00 DM) zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide für zutreffend und hält an ihrer Rechtsauffassung auch unter Berücksichtigung der Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29.03.2007 (Az.: B 9a SB 2/05 R, 3/05 R und 6/05 R) fest.
Mit Gerichtsbescheid vom 27.10.2004 ist die Klage abgewiesen worden. Auf die Sprungrevision der Klägerin hat das BSG mit Urteil vom 16.03.2006 (Az.: B 4 RA 59/04 R) den Gerichtsbescheid wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das erkennende Gericht zurückverwiesen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Prozessakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die angefochtenen Bescheide sind im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden. Eine über den von der Beklagten festgesetzten Betrag hinausgehende Kostenerstattung steht der Klägerin nicht zu.
Die Klägerin kann ihren Erstattungsanspruch hinsichtlich des geltend gemachten Pauschbetrags nicht bereits aus der in dem bestandskräftigen Abhilfebescheid vom 07.01.2002 getroffenen Kostenentscheidung herleiten. Denn hierbei handelt es sich ausdrücklich lediglich um eine Kostengrundentscheidung.
Als Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Pauschbetrag kommt danach lediglich § 63 SGB X in Betracht. Unter Aufgabe der im Gerichtsbescheid vom 27.10.2004 vertretenen Rechtsauffassung geht das Gericht nunmehr davon aus, dass die Kosten der Arbeit eines Bevollmächtigten, der - wie hier - nicht aufgrund einer gesetzlichen Gebührenordnung abrechnen kann, nach § 63 Abs. 1 S. 1 SGB X unter den dort genannten Voraussetzungen erstattungsfähig sind. Insoweit folgt das Gericht der Rechtsprechung des 9a. Senats des BSG (a.a.O..).
Nach § 63 Abs. 1 S. 1 SGB X ist die Beklagte verpflichtet, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Voraussetzung für eine Kostenerstattung ist danach die Rechtswirksamkeit der Forderung des VdK gegen die Klägerin in Höhe von 90,00 DM (= 46,02 EUR). Denn wenn die Klägerin selbst nicht verpflichtet wäre bzw. gewesen ist, diesen Betrag an den VdK zu zahlen, scheidet auch ein hierauf gerichteter Kostenerstattungsanspruch von vornherein aus. In diesem Zusammenhang hat der 9a. Senat des BSG in seinen oben genannten Urteilen (a.a.O.., Rn. 58 u. 59) ausgeführt, dass der Anspruch auf Rechtsdienstleistungen und die damit korrelierende Kostenerhebung in einer satzungsrechtlichen Regelung wurzeln müssten. Aus der satzungsrechtlichen Grundlage müsse daher für Vereinsmitglieder wie auch Dritte klar und deutlich erkennbar sein, unter welchen Voraussetzungen sowie in welcher Höhe die Forderung entstehe und ob das Vereinsmitglied sie ggfs. in dieser Höhe auch endgültig trage. Ebenso wie die gesetzlichen Gebührenordnungen eine Grundlage dafür bildeten, dass die Entstehung und Höhe einer Kostenforderung nachvollzogen werden könne und damit gleichzeitig die Notwendigkeit der Kosten nachgewiesen sei, müssten auch die satzungsrechtlichen Regelungen Gewähr für eine solche Nachvollziehbarkeit und Notwendigkeit bieten. Aus diesen Feststellungen folgt zwangsläufig, dass eine Regelung unterhalb der Ebene des Satzungsrechts keine ausreichende Grundlage für einen Kostenerstattungsanspruch nach § 63 Abs. 1 SGB X bildet (so auch Sozialgericht Karlsruhe, Urteil vom 03.09.2008, Az.: S 8 SB 3610/07, veröffentlicht in [...]).
Davon ausgehend kann von einer Rechtswirksamkeit der Forderung des VdK an die Klägerin nicht ausgegangen werden. In dem insoweit einschlägigen § 6 Abs. 4 der Satzung des Sozialverbandes VdK Niedersachsen-Bremen e.V. ist lediglich geregelt, dass die betroffenen Mitglieder zu den durch die Rechtsvertretung entstehenden Kosten einen gesonderten Beitrag leisten. Dieser Beitrag wird durch Pauschbeträge erhoben, deren Höhe vom Landesverbandsvorstand festzusetzen ist. Damit ist in der satzungsrechtlichen Grundlage weder geregelt, unter welchen Voraussetzungen sowie in welcher Höhe die Forderung entsteht noch ob das Vereinsmitglied sie ggfs. in dieser Höhe auch endgültig zu tragen hat. Diesbezügliche Regelungen finden sich vielmehr lediglich in der im Widerspruchsverfahren vorgelegten Richtlinie über die Erhebung von Pauschbeträgen vom 07.11.2000, die offenbar auf einen Beschluss des Landesverbandsvorstandes zurückgeht. Demgemäß hat der VdK in seinem für die Klägerin gestellten Erstattungsantrag vom 11.01.2002 auch ausdrücklich ausgeführt, dass die Klägerin die Kostenpauschale aufgrund dieser Richtlinien (nicht etwa aufgrund des § 6 Abs. 4 der Satzung) zu zahlen habe. Die in der Richtlinie getroffenen Regelungen begründen indes aus den dargestellten Gründen keine rechtswirksame Forderung gegen die Klägerin. Ein hierauf gerichteter Kostenerstattungsanspruch gegen die Beklagte scheidet danach aus. Nur ergänzend ist daher anzumerken, dass es sich nach der in § 6 Abs. 4 der Satzung getroffenen Regelung und dem Klagevorbringen bei dem Pauschbetrag um einen gesonderten Mitgliedsbeitrag handelt und nach § 7 Abs. 1 Satz 2 der Satzung über die Höhe der Mitgliedsbeiträge grundsätzlich der Landesverbandstag oder die Landesverbandskonferenz entscheidet. Nur die Beschlüsse des Landesverbandstags als höchste Instanz des Verbandes sind nach § 15 Abs. 1a) der Satzung für die Mitglieder des Landesverbandes bindend. Auch unter diesem Blickwinkel bestehen gegen die Verbindlichkeit eines Beschlusses des Landesverbandsvorstandes über die Höhe des zu entrichtenden Pauschbetrages für die Klägerin Bedenken.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin hat auch die ihr durch das Revisionsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen, da dieses lediglich im Sinne einer Zurückverweisung Erfolg hatte und die Klägerin letztlich mit ihrem Klagebegehren gescheitert ist.
Bei nicht erreichter Berufungssumme (§ 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG) war die Berufung zuzulassen, da die Sache weiterhin grundsätzliche Bedeutung hat (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG).