Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 16.01.2024, Az.: 6 B 201/24

"Tümpeltown"; Protestcamp; Rundfunkfreiheit; Rundfunkrechtlicher Anspruch; Rundfunktrechtlicher Anspruch auf Zugang zu abgesperrtem Bereich um Protestcamp

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
16.01.2024
Aktenzeichen
6 B 201/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 10093
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2024:0116.6B201.24.00

Amtlicher Leitsatz

Die durch Rodungsarbeiten entstehende Gefahr für Leib und Leben rechtfertigt es nicht, einem Rundfunkvertreter den Zugang zu damit verbundenen Räumungsaktionen eines Protestcamps nur zeitlich und örtlich beschränkt und nicht ungehindert zu gewähren.

Tenor:

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragssteller Zugang zu den Baumbesetzungen und deren Räumung entlang des Südschnellwegs in den in den Anlagen 1 bis 4 der Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin über die räumliche und zeitliche Beschränkung des Versammlungsrechts aus Art. 8 GG innerhalb des Bereichs der Rodungsarbeiten für den Ausbau der B3/Südschnellweg A-Stadt vom 11.01.2024 bezeichneten Bereichen in A-Stadt zu gewähren. Dies gilt jeweils nicht in einem Sicherheitsbereich um unmittelbar bevorstehende und laufende Rodungsarbeiten, wobei der Sicherheitsbereich der doppelten Baumhöhe des jeweils zu fällenden Baumes entspricht (Ziff. 3.2.6.1 der DGUV Regel 114-018 "Waldarbeiten").

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Antragstellers,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm dauerhaften bzw. länger andauernden Zugang mit entsprechendem Sichtkontakt zu den Baumbesetzungen und deren Räumung entlang des Südschnellwegs in A-Stadt zu gewähren,

hat Erfolg.

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint, § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Gemäß § 123 Abs. 3 in Verbindung mit den §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 der Zivilprozessordnung hat der Antragsteller sowohl das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) als auch die Dringlichkeit der begehrten Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen.

Der Antragsteller beruft sich mit Erfolg auf einen Anordnungsanspruch. Ein Recht auf Zugang ergibt sich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, wodurch die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk geschützt wird. Zu der Rundfunkfreiheit gehört ebenso wie zu der Pressefreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG der Schutz der Berichterstattung von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht und der Meinung (vgl. BVerfGE 10, 118 [BVerfG 06.10.1959 - 1 BvL 118/753] <121>; 91, 125 <134>; stRspr). Erst der prinzipiell ungehinderte Zugang zur Information versetzt die Medien in den Stand, die ihnen in der freiheitlichen Demokratie zukommende Funktion wahrzunehmen. Zu der von dem Grundrecht mit erfassten Berichterstattung durch Rundfunk zählt die Möglichkeit, ein Ereignis den Zuhörern und Zuschauern akustisch und optisch in voller Länge oder in Ausschnitten, zeitgleich oder zeitversetzt zu übertragen. Zu den medienspezifischen Möglichkeiten gehört auch der Einsatz von Aufnahme- und Übertragungsgeräten (vgl. BVerfGE 91, 125 <134>). Der persönliche und sachliche Schutzbereich ist eröffnet. Der Antragsteller ist durch einen Radiosender damit beauftragt, über die Räumungen zu berichten.

In das Recht des Antragstellers aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG greift die Antragsgegnerin ein, indem sie den ungehinderten Zugang zum im Tenor bezeichneten Bereich verhindert und so die Möglichkeit einer umfassenden Berichterstattung über die Vorgänge, die sich in diesem Bereich abspielen, einschränkt. Der Zugang zu den abgesperrten Bereichen ist den Medienvertretern nach dem Zugangskonzept, welches in den Emails der Pressestelle der Antragsgegnerin vom 13. und 14.01.2024 den akkreditierten Medienvertretern mittgeteilt worden ist, nur in von der Antragsgegnerin zur Verfügung gestellten Kleinbussen, nur in Begleitung und nur zu von der Antragsgegnerin bestimmten Zeiten und zeitlichem Umfang möglich. Wie die Ereignisse des 15.01.2024 zeigen, ist damit nicht gewährleistet, dass Medienvertreter allen relevanten Begegnungen von Sicherheitskräften und Aktivisten beiwohnen können, da die Antragsgegnerin selbst vorträgt, dass Medienvertreter die Räumung einer Versammlung am Siebenmeter-Teich lediglich ab ca. der Hälfte der Maßnahme verfolgen konnten. Ein zeitgleicher Zugang für alle der über 50 akkreditierten Medienvertreter ist nach dem Konzept der Antragsgegnerin nicht gewährleistet, so dass dem Antragsteller ein dem Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG entsprechender Zugang nicht sicher gewährt werden kann.

Zur Rechtfertigung dieses Eingriffs beruft sich die Antragsgegnerin nicht mit Erfolg auf die Gefahr für Leib und Leben durch die vorzunehmenden Rodungen. Im im Tenor bezeichnete Gebiet finden nach telefonischer Auskunft des Vertreters der Antragsgegnerin Rodungen mit ca. fünf Harvestern und weiteren Großgeräten statt, in deren unmittelbarem Umfeld Lebensgefahr durch umfallende Bäume sowie herabfallendes Geäst besteht. Angesichts der Größe des genannten Gebietes rechtfertigen diese punktuellen, wenn auch mobilen Gefahrenquellen nicht die Unterbindung des Zugangs zum gesamten Bereich. Vielmehr ist der unstreitig drohenden Gefahr dadurch zu begegnen, dass ein Sicherheitsabstand um die Rodungsarbeiten einzuhalten ist, dessen Umfang sich aus Ziff. 3.2.6.1 der DGUV Regel 114-018 "Waldarbeiten" ergibt und der doppelten Baumhöhe entspricht. Der Sicherheitsabstand im jeweiligen Rodungsbereich ist durch Personal des NLStBV bzw. der Antragsgegnerin festzulegen und zu sichern. In den Bereichen, in denen Räumungen stattfinden, wird voraussichtlich nicht gleichzeitig gerodet, so dass insoweit keine Gefahr für den Antragsteller bestehen dürfte. Angesichts des großen Interesses der Öffentlichkeit an der Besetzung und der Räumung sowie den möglichen Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Aktivisten kommt einer ungehinderten Berichterstattung auch wegen der damit verbundenen Kontrollfunktion der Medien gegenüber staatlichem Handeln ein besonders hoher Stellenwert zu.

Dem Antragsteller steht auch einen Anordnungsgrund zur Seite, da die Räumung der besetzten Flächen unmittelbar bevorsteht bzw. bereits begonnen hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Die Höhe des Streitwertes folgt aus §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG, wobei hier eine Reduzierung des Streitwertes auf die Hälfte des für ein Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts in Höhe von 5.000,00 EUR unterbleiben musste, da der Erlass der begehrten Anordnung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die Hauptsache faktisch vorwegnimmt, vgl. Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NordÖR 2014, 11).