Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 26.05.2009, Az.: 4 A 442/06

Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte für Streitigkeiten um die Rückzahlung von Schulgeld; Verjährung des Anspruchs auf Rückerstattung von Beschulungskosten

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
26.05.2009
Aktenzeichen
4 A 442/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2009, 17901
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2009:0526.4A442.06.0A

Verfahrensgegenstand

Rückforderung Schulgeld 2002

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Lüneburg - 4. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 26. Mai 2009
durch
die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht Lang,
die Richterin am Verwaltungsgericht Preßler-Elsing,
den Richter am Verwaltungsgericht H. Ludolfs sowie
den ehrenamtlichen Richter Cohrs und
die ehrenamtliche Richterin Braun
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleitung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger fordert von dem Beklagten die Rückzahlung von Schulgeld.

2

Der Beklagte betreibt im Gebiet des Klägers eine Förderschule mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung (früher Sonderschule für geistig Behinderte). Es handelt sich um eine staatlich anerkannte Ersatzschule, in der nur Kinder und Jugendliche beschult werden dürfen, die entsprechenden sonderpädagogischen Förderbedarf haben und für die der Schulbesuch aufgrund einer Entscheidung der zuständigen Schulbehörde geregelt ist (siehe Genehmigung der ehemaligen Bezirksregierung Lüneburg vom 12.06.1995). Der Kläger selbst ist nicht Träger einer öffentlichen Förderschule für geistige Entwicklung - GE -. Die Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf GE (früher SoS "G") im Bereich des Klägers erfolgt vielmehr ausschließlich in der von dem Beklagten geführten Schule. Grundlage dafür ist eine zwischen den Beteiligten am 4. August 1995 geschlossene "Vereinbarung über den Betrieb einer Sonderschule für geistig behinderte Kinder".

3

In § 1 dieser Vereinbarung wurde geregelt, dass der Beklagte sich verpflichtet, eine vorhandene (private) Schule in seine Trägerschaft zu übernehmen, als Sonderschule für geistig behinderte Kinder zu betreiben und in ihr alle geistig behinderten Sonderschüler, die ihren Wohnsitz im Bereich des Klägers haben, aufzunehmen und ganztags ordnungsgemäß zu beschulen. Im Gegenzug verpflichtete sich der Kläger in § 2 dieser Vereinbarung für jedes geistig behinderte Kind, wenn es von dem Beklagten beschult wird, seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des Bundessozialhilfegesetzes im Bereich des Klägers hat und in keiner Einrichtung nach den §§ 93, 103 BSHG untergebracht ist, einen monatlichen Schulkostenbeitrag von seinerzeit 315,00 DM an den Schulträger zu zahlen.

4

Im Oktober 2001 wurde von den Beteiligten eine weitere "Vereinbarung über den Schulgeldbeitrag für die E. F." geschlossen. Darin verpflichtete sich der Beklagte geistig behinderte Sonderschüler, die ihren Wohnsitz im Bereich des Klägers haben, aufzunehmen und ganztags zu beschulen (§ 1). Weiter war bestimmt, dass Einweisungen in die E. nach Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs auf der Grundlage schulfachlicher Erfordernisse und auf Wunsch der Eltern durch die Bezirksregierung Lüneburg erfolgen (§ 4). Wegen der Ermittlung des Schulgeldbeitrages wurde auf eine der Vereinbarung beigefügte Anlage verwiesen, wobei für das Jahr 2001 von Schulkosten in Höhe von 965,00 DM pro Monat und Kind ausgegangen wurde.

5

Der Schulbetrieb wurde von dem Beklagten durchgeführt. Die Schule wurde von Schülerinnen und Schülern besucht, die in privaten Haushalten im Kreisgebiet wohnten, die in Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen im Kreisgebiet des Klägers betreut wurden, die in sozialhilferechtlich geförderten Heimeinrichtungen untergebracht waren (der Beklagte betrieb selbst ein solches Heim mit 25 Plätzen) und die im Landkreis Uelzen ansässig waren, der mit dem Beklagten ebenfalls einen Beschulungsvertrag geschlossen hatte.

6

Der Kläger zahlte an den Beklagten monatliche Abschlagsbeträge auf die Beschulungskosten, die jeweils abgerechnet wurden, indem der Beklagte dem Kläger den für die Beschulung zu erstattenden Betrag angab, den der Kläger - ohne eine weitere Aufschlüsselung erhalten zu haben - bezahlte. In den so abgerechneten Beschulungskosten waren u.a. die Kosten für die Beschulung von Kindern enthalten, die in Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen im Kreisgebiet und in sozialhilferechtlich geförderten Einrichtungen im Kreisgebiet untergebracht waren, mit Ausnahme der Kosten für die Beschulung der Kinder aus dem der Schule angegliederten und von dem Beklagten selbst betriebenen Heim. Allerdings wurden Beschulungskosten dem Kläger von dem Beklagten für Kinder aus diesem Heim im Rahmen von Eingliederungshilfe jeweils individuell in Rechnung gestellt, wenn die Kinder aus dem Kreisgebiet stammten.

7

Bei einer näheren Überprüfung der ihm in Rechnung gestellten Beschulungskosten stellte der Kläger fest, dass darin Kosten für die Beschulung von Kindern enthalten waren, die von außerhalb in Heimeinrichtungen im Kreisgebiet untergebracht worden waren. Nach Auffassung des Klägers waren ihm diese Kosten zu Unrecht von dem Beklagten in Rechnung gestellt worden. Er verlangte von dem Beklagten, dass dieser künftig für die Kinder aus den Einrichtungen Beschulungsverträge schließen sollte. Für bereits abgerechnete Beschulungsjahre richtete er Rückzahlungsverlangen unter Fristsetzung bis zum 21. Dezember 2006 an den Beklagten, die dieser nicht bereit war zu erfüllen.

8

Am 27. Dezember 2006 hat der Kläger Klage erhoben, mit der er Schulgeld für 2002 zurückfordert.

9

Zur Begründung macht er geltend: Für die Bezahlung von Beschulungskosten sei § 2 der Vereinbarung vom 4. August 1995 maßgeblich. Danach sei er nicht verpflichtet, für die Beschulung von Kindern zu bezahlen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Kreisgebiet hätten und die in einer Einrichtung untergebracht seien. Die Beschulungskosten für diese Kinder müssten von den "Entsendestellen" getragen werden. Er bezahle die Beschulungskosten für die Kinder, die er selbst in dem von dem Beklagten betriebenen Heim untergebracht habe auch gesondert aus Mitteln der Sozialhilfe. Für die übrigen Kinder aus seinem Heim rechne der Beklagte die Beschulungskosten ebenfalls mit den zuständigen Sozialhilfeträgern ab. Für die Kinder, die in den übrigen Einrichtungen im Kreisgebiet untergebracht seien, müsse der Beklagte jeweils mit den Stellen abrechnen, die die Kinder in die Einrichtungen entsandt hätten. Mit der Vereinbarung vom 4. August 1995 habe eine Vereinfachung der Abrechnung erzielt werden sollen, dargestalt dass der Beklagte die Beschulungskosten direkt mit den Entsendestellen habe abrechnen sollen. Im Sozialhilferecht und im Jugendhilferecht gelte der Schutz der Anstaltsorte (§ 97 BSHG, §§ 89 e, 86 ff SGB VIII). Die Entsendestellen seien verpflichtet, alle im Zusammenhang mit einer Heimunterbringung stehenden Kosten, dazu gehörten die Beschulungskosten, zu tragen.

10

Der Schutz der Anstaltsorte sei nahtlos in allen Rechtsgebieten perpetuiert und gelte über § 105 Abs. 7 NSchG auch im Schulrecht, der bestimme, dass zu den auswärtigen Schülerinnen und Schülern auch die in einem Wohnheim untergebrachten zählten und für diese von den Schulträgern des Wohnsitzes der Erziehungsberechtigten ein Beitrag zu den Kosten der Schule zu leisten sei. Für neun Heimkinder (G. H., I. J., K. L., M. N., O. P., Q. R., S. T., U. V., W. X.), die von auswärtigen Sozial- oder Jugendbehörden und damit von auswärtigen örtlichen Kostenträgern in Heimen des Kreisgebietes untergebracht worden seien, seien ihm zu Unrecht zu erstattende Beschulungskosten von dem Beklagten in Rechnung gestellt worden.

11

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn 30.744,00 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

12

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

13

Er erwidert, dass er die Kinder beschulen müsse, für die entsprechender sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt worden sei und die im Bereich des Klägers ihre Schulpflicht erfüllen müssten. Im Gebiet des Klägers müssten nicht nur Schülerinnen und Schüler ihre Schulpflicht erfüllen, die ihren Wohnsitz dort hätten, sondern auch solche, mit gewöhnlichem Aufenthalt im Kreisgebiet. Unerheblich sei, ob diese Kinder in einer Einrichtung der Sozialhilfe oder Jugendhilfe untergebracht seien. Da er verpflichtet sei, diese schulpflichtigen Kinder mit entsprechendem Förderbedarf aufzunehmen, sei er auch berechtigt, dem Kläger dafür die Beschulungskosten in Rechnung zu stellen. Schulen seien keine Einrichtungen der Sozialhilfe. Würde der Kläger selbst eine entsprechende Förderschule betreiben, könnte er die Beschulungskosten für Heimkinder nicht den Sozialhilfeoder Jugendhilfeträgern in Rechnung stellen. Unabhängig davon seien Kosten der Beschulung nicht Kosten im Zusammenhang mit einer Heimunterbringung, für die ein Sozialhilfeträger aufkommen müsse. Es treffe nicht zu, wenn der Kläger meine, aus § 105 NSchG ableiten zu können, dass er, der Beklagte, gegen einen anderen Schulträger oder eine entsendende Behörde einen Anspruch auf Erstattung der Beschulungskosten habe.

14

Die Heimkinder seien gerade keine auswärtigen Schülerinnen und Schüler im Sinne der Vorschrift, weil sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Kreisgebiet hätten. Die Heime seien zudem keine Wohnheime im Sinne von § 105 Abs. 7 NSchG. Nach dem Wortlaut der Vereinbarung vom 4. August 1995 könne allenfalls die Abrechnung von Beschulungskosten für Kinder ausgeschlossen sein, die in einer Einrichtung nach §§ 93, 103 BSHG untergebracht gewesen seien, nicht aber in einer Jugendhilfeeinrichtung. Es sei lediglich ein Kind (K. L.) beschult worden, das in einer Einrichtung nach §§ 93, 103 BSHG ("Y." in Z.) gelebt habe. Er erhebe außerdem die Einrede der Verjährung.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Klägers verwiesen.

Entscheidungsgründe

16

Die Klage, über die das Gericht zuständig zur Entscheidung ist, hat keinen Erfolg.

17

Soweit der Vertreter des Klägers in der mündlichen Verhandlung die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gerügt hat, weil er den Rechtsweg zum Verwaltungsgericht nicht für gegeben ansieht, trifft dies nicht zu. Es hätte dem Kläger im Übrigen freigestanden, sich mit seiner Klage an das für zuständig gehaltene Sozialgericht zu wenden. Die Klage wäre dann aber aller Voraussicht nach an das erkennende Gericht verwiesen worden. Denn es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art, die nicht durch Bundesgesetz dem Sozialgericht zugewiesen ist (vgl. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Streitigkeit hat ihren Hintergrund im Schulrecht und nicht etwa im Sozialrecht, über das die Sozialgerichte nach § 51 SGG entscheiden.

18

Denn die Beschulung von förderschulbedürftigen Kindern, zu der der Beklagte sich in der von ihm unterhaltenden Schule gegenüber dem Kläger verpflichtet hat, basiert auf der dem Kläger nach dem Niedersächsischen Schulgesetz obliegenden Verpflichtung, als verantwortlicher Schulträger eine entsprechende Förderschule vorzuhalten (§§ 101, 102 Abs. 2 NSchG). Die Abwicklung der damit bei dem Beklagten entstehenden Kosten hat deshalb zwischen den hier Beteiligten eine schulrechtliche Grundlage, so dass der beschrittene Rechtsweg zum Verwaltungsgericht eröffnet ist, wo das Gericht den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten, gegebenenfalls unter Einbeziehung von rechtlichen Aspekten aus dem Bereich der Sozialhilfe, entscheidet (vgl. § 17 Abs. 2 GVG).

19

Die zulässige Klage ist indessen unbegründet.

20

Denn gegenüber dem von dem Kläger geltend gemachten Erstattungsanspruch, für den als Rechtsgrundlage der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch in Betracht zu ziehen ist, hat der Beklagte zu Recht die Einrede der Verjährung erhoben.

21

Der geltend gemachte Erstattungsanspruch unterliegt nach § 195 BGB der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren. Es kommen nicht etwa, wie der Kläger meint, Verjährungsregelungen aus sozialrechtlichen Vorschriften zum Tragen. Denn die Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten haben hier allein eine schulrechtliche Basis. Diese Basis ändert sich zwischen den Beteiligten selbst für den Fall nicht, dass der Beklagte Beschulungskosten für ein Kind berechnet hat, das nach sozialrechtlichen Vorschriften im Kreisgebiet untergebracht ist.

22

Nach § 199 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem 1. der Anspruch entstanden ist, und 2. der Gläubiger von den den Anspruch begründeten Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Der Anspruch auf Rückzahlung entsteht mit Auszahlung eines zu Unrecht in Rechnung gestellten Betrages.

23

Hier sind die Beschulungskosten für das Jahr 2002 noch im selben Jahr von dem Kläger an den Beklagten gezahlt worden. Es hat nicht etwa im Jahr 2003 eine Nachzahlung für das Jahr 2002 erbracht werden müssen.

24

Der Kläger hätte schließlich von den nach seiner Ansicht den geltend gemachten Anspruch begründenden Umständen bei gebührender Sorgfalt spätestens mit Erstellung der Schlussrechnung für 2002 Kenntnis erlangen können. Er hätte eine ausführliche Rechnungslegung von dem Beklagten verlangen können, um die Berechtigung der in Rechnung gestellten Beschulungskosten zu prüfen. Dass er dies offensichtlich nicht getan hat, ist als grob fahrlässig zu qualifizieren.

25

Nach alledem ist die Frist von drei Jahren des § 195 BGB Ende 2005 abgelaufen, ohne dass sie durch vorherige Klageerhebung gehemmt worden wäre.

26

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

27

Rechtsmittelbelehrung

28

Gegen das Urteil ist die Berufung statthaft, wenn sie von dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

29

...

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird gemäß § 52 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 GKG auf 30.744,00 EUR festgesetzt.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht statthaft, wenn sie in diesem Beschluss zugelassen worden ist oder der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt.

...

Lang
Preßler-Elsing
H. Ludolfs