Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 05.09.2024, Az.: 2 ORbs 96/24 (1100 Js 67114/23)

Bußgeld wegen Entfernung von natur- und waldnahen Büschen

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
05.09.2024
Aktenzeichen
2 ORbs 96/24 (1100 Js 67114/23)
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 21991
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG Meppen - 19.03.2024

Amtlicher Leitsatz

Kein Bußgeld wegen eines Verstoßes gegen eine Landschaftsschutzverordnung bei unrichtiger Verweisung auf die gesetzliche Bußgeldvorschrift

In der Bußgeldsache
gegen
AA,
geboren am TT.MM.1956,
wohnhaft Ort1,
Staatsangehörigkeit: deutsch,
Verteidiger:
(...)
wegen Ordnungswidrigkeit
hat das Oberlandesgericht Oldenburg (Oldenburg) durch den Richter am Oberlandesgericht (...) am 5.09.2024 beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Meppen vom 19.03.2024 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Ausgenommen von der Aufhebung werden die Feststellungen zum objektiven Tatbestand. Insoweit wird Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe

Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht den Betroffenen wegen einer vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit, nämlich "entgegen § 3 Abs. 1 Nr. 13 und 14 LSG-VO naturnahe Gebüsche sowie naturnahe Waldränder beseitigt zu haben", zu einer Geldbuße von 2000 € verurteilt.

Das Amtsgericht hat unter anderem festgestellt, dass bei einer Ortsbegehung am 21.03.2023 festgestellt worden sei, dass entgegen der Verordnung zu einem nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkt in nicht rechtsverjährter Zeit diverse Bäume und Sträucher sowie Gehölze beseitigt worden sein und das Stammholz abgefahren worden sei, wodurch das angrenzende Grünland beeinträchtigt und teilweise zerstört worden sei. Dies habe der Betroffene zumindest billigend in Kauf genommen.

Mit der genannten Verordnung war die Verordnung über das Naturschutzgebiet "Natura 2000 Naturschutzgebiet in der unteren Haseniederung" und über das Landschaftsschutzgebiet "Natura 2000-Untere Haseniederung" im Landkreis Emsland in den Städten Meppen und Haselünne, veröffentlicht im Amtsblatt für den Landkreis Emsland Nummer 36 vom 21.12.2017, gemeint.

Nach § 3 dieser Verordnung sind u.a. folgende Handlungen untersagt:

13. die Beseitigung oder Beeinträchtigung von Landschaftselementen wie z. B. Hecken, Feldgehölze, Einzelbäume, Baumreihen, Alleen oder naturnahe Gebüsche sowie Kleingewässer. Die fachgerechte Pflege der Landschaftselemente ist erlaubt.

14. die Beseitigung oder Beeinträchtigung von naturnah aufgebauten Waldrändern.

Der Ordnungswidrigkeitentatbstand des § 9 der Verordnung lautet:

(1) Ordnungswidrig nach § 26 Abs. 2 BNatSchG i. V. m. § 43 Abs. 3 Nr. 4 NAGBNatSchG handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig gegen die Verbotsregelungen in § 3 dieser VO verstößt, ohne dass eine Zustimmung gem. § 3 Abs. 2, eine Freistellung gem. § 4 bzw. eine Zustimmung gem. § 4 Abs. 6 oder eine Befreiung gem. § 5 dieser VO vorliegt. Die Ordnungswidrigkeit kann nach § 43 Abs. 4 NAGBNatSchG mit einer Geldbuße bis zu 25.000 Euro geahndet werden.

2) Ordnungswidrig handelt darüber hinaus, wer gem. § 69 Abs. 3 Nr. 6 BNatSchG eine Veränderung oder Störung vornimmt, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Natura 2000 Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteile führen kann. Die Ordnungswidrigkeit kann gemäß § 69 Abs. 6 BNatSchG mit einer Geldbuße bis zu 50.000 € geahndet werden.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner gemäß § 79 Abs 1 Satz 1 OWiG statthaften und zulässig begründeten Rechtsbeschwerde.

Diese hat einen vorläufigen Erfolg:

Der Betroffene kann aus Rechtsgründen nicht wegen eine Verstoßes gegen § 9 Abs. 1 der Verordnung mit einer Geldbuße belegt werden.

Der Senat hat die Generalstaatsanwaltschaft wie folgt angeschrieben:

Der Senat teilt die Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft, dass die Beweiswürdigung des Amtsgerichtes nicht zu beanstanden ist.

Gleichwohl könnte aus Rechtsgründen eine Vorwerfbarkeit des festgestellten Sachverhaltes nicht gegeben sein:

Nach dem in der Akte befindlichen Text der LSG-VO "Untere Haseniederung" (S. 35 ff dA) - der auch einer im Internet aufrufbaren Fassung entspricht- verweist § 9 dieser Verordnung auf § 43 Abs. 3 Nummer 4 NAGBNatSchG. Ab 01.01.2021 gab es aber dieses Gesetz nicht mehr; es heißt vielmehr seitdem Niedersächsisches Naturschutzgesetz. Mag das evtl. noch eine unschädliche Umbenennung sein, gab es aber bereits ab dem 04.12.2020 auch den in der Landschaftsschutzgebietsverordnung genannten § 43 Abs. 3 Nummer 4 NAGBNatSchG nicht mehr. Das hatte seinen Grund darin, dass der ursprüngliche Abs. 1 des § 43 gestrichen worden ist.

Sollte die Landschaftsschutzgebietsverordnung nicht angepasst worden sein -wonach nach derzeitigem Erkenntnisstand auszugehen ist- verweist die Verordnung ins Leere, während umgekehrt § 43 Abs. 2 Nummer 4 neue Fassung Niedersächsisches Naturschutzgesetz nicht erfüllt ist, weil die Verordnung eben nicht auf diese (=Abs. 2 Nr 4) Bußgeldvorschrift verweist.

Insofern läge - die Nichtanpassung der Schutzgebietsverordnung unterstellt - eine der Entscheidung des BGH NStZ 92, 535 [BGH 23.07.1992 - 4 StR 194/92] (insb. RN 16 ff, insb.17 aE, bei juris) vergleichbare Ahndungslücke vor, mit dem Unterschied, dass dort die Verordnung später nachgebessert worden ist, was hier nicht der Fall wäre. Der Betroffene dürfte deshalb gegebenenfalls freizusprechen sein.

Es wird angeregt, eine Stellungnahme der zuständigen Verwaltungsbehörde einzuholen.

In der daraufhin von der Generalstaatsanwaltschaft eingeholten Stellungnahme hat der Landkreis Emsland die Auffassung vertreten, eine Anpassung der Verordnung sei nicht erforderlich, denn insoweit greife die Überleitungsvorschrift des § 45 NNatSchG, wonach sogar Ordnungswidrigkeiten nach dem Reichsnaturschutzgesetz über §§ 43 und 44 geahndet werden könnten.

Dem hat sich die Generalstaatsanwaltschaft angeschlossen.

Der Gesetzgeber habe sicherstellen wollen, dass die in bereits erlassenen Verordnungen über Landschaftsschutzgebiete enthaltenen Verweise auf Bußgeldtatbestände in dem jeweils bei Erlass der Verordnung gültigen Landesnaturschutzgesetz auch bei einer Änderung oder Neufassung des zugrundeliegenden Gesetzes ihre Gültigkeit behalten sollten, soweit auch die neu gefasste Gesetzesversion einen entsprechenden Bußgeldtatbestand enthalte. Im Wege der teleologischen Auslegung sei die Überleitungsvorschrift daher so zu verstehen, dass auch dann, wenn sich die Bußgeldtatbestände lediglich aus einem Absatz einer Vorschrift in einen anderen Absatz derselben Vorschrift verschoben haben, der Verweis hierauf seine Gültigkeit bewahre.

Diese Argumentation wird vom Senat nicht geteilt, da die Überleitungsvorschrift nicht auf Verordnungen abstellt, die -wie hier- aufgrund des Niedersächsischen Ausführungsgesetz ausgewiesen worden sind.

§ 45 NNatSchG in der vom 04.12.2020 bis 19.12.2023 geltenden Fassung lautete wie folgt:

(1) 1. Verordnungen und Anordnungen, die aufgrund des Reichsnaturschutzgesetzes vom 26. Juni 1935 (Nds. GVBl. Sb. II S. 908) in der jeweils geltenden Fassung zum Schutz oder zur einstweiligen Sicherstellung von Naturschutzgebieten, Naturdenkmalen, Landschaftsschutzgebieten oder Landschaftsteilen erlassen wurden, bleiben in Kraft, bis sie ausdrücklich geändert oder aufgehoben werden oder ihre Geltungsdauer abläuft. 2. Das Gleiche gilt für Erklärungen zu geschützten Teilen von Natur und Landschaft, die aufgrund des Niedersächsischen Naturschutzgesetzes vom 20. März 1981 (Nds. GVBl. S. 31) in der jeweils geltenden Fassung erlassen worden sind. 3. Für die Änderung oder Aufhebung gelten die Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften dieses Gesetzes, für Befreiungen von Geboten und Verboten für diese geschützten Teile von Natur und Landschaft gelten § 67 Abs. 1 und 3 BNatSchG und § 41 dieses Gesetzes entsprechend. 4. Eine fehlende grobe Beschreibung der Örtlichkeiten in Verordnungen, die vor dem 8. Februar 2003 erlassen worden sind und für die Karten veröffentlicht oder hinterlegt wurden, ist unbeachtlich.

(2) 1. Soweit Verordnungen oder Anordnungen nach Absatz 1 Satz 1 für die Ahndung

1.

von Verstößen auf Strafen nach den §§ 21 und 22 des Reichsnaturschutzgesetzes vom 26. Juni 1935 (Nds. GVBl. Sb. II S. 908) oder

2.

von Ordnungswidrigkeiten auf die §§ 21 a und 22 des Reichsnaturschutzgesetzes vom 26. Juni 1935 (Nds. GVBl. Sb. II S. 908) in der Fassung des Artikels 70 des Ersten Anpassungsgesetzes vom 24. Juni 1970 (Nds. GVBl. S. 237)

verweisen, treten an deren Stelle die §§ 69 und 71 BNatSchG in Verbindung mit den §§ 43 und 44 dieses Gesetzes. 2. Entsprechend gilt dies, soweit Erklärungen nach Absatz 1 Satz 2 auf die Vorschriften des Niedersächsischen Naturschutzgesetzes vom 20. März 1981 (Nds. GVBl. S. 31) in der jeweils geltenden Fassung zu den Ordnungswidrigkeitentatbeständen, zur Höhe der Geldbuße und zur Einziehung verweisen.

Erklärungen im Sinne von § 45 Abs. 1 Satz 2 NNatSchG waren zwar auch solche, in denen Landschaftsschutzgebiete ausgewiesen worden waren.

Hier war das Landschaftsschutzgebiet aber nicht unter Hinweis auf das Niedersächsische Naturschutzgesetz vom 20.03.1981, sondern unter Hinweis auf das Niedersächsische Ausführungsgesetz zum Bundesnaturschutzgesetz vom 19.02.2010 ausgewiesen worden. Nachdem der Bund das Bundesnaturschutzgesetz vom 29.07.2009 erlassen hatte, wodurch sich eine grundlegende Änderung der Landeskompetenz ergeben hatte, hat der niedersächsische Gesetzgeber das Niedersächsische Naturschutzgesetz durch das Niedersächsische Ausführungsgesetz zum Bundesnaturschutzgesetz abgelöst, das er in der Folgezeit wiederum in Niedersächsisches Naturschutzgesetz umbenannt hat -ohne dass damit eine Änderung des Regelungsinhaltes verbunden gewesen wäre- (Blum, Agena, Brüggeshenke - Vorwort, Niedersächsisches Naturschutzrecht, Stand 04.2023). Das bedeutet, dass es sich beim Niedersächsischen Ausführungsgesetz nicht lediglich um eine Umbenennung gehandelt hat, sondern um ein völlig neues Gesetz: "Wegen der ...grundlegenden Änderung der Landeskompetenz hat der niedersächsische Gesetzgeber das Niedersächsische Naturschutzgesetz... durch das Niedersächsische Ausführungsgesetz zum Bundesnaturschutzgesetz...abgelöst, das schon durch seine Bezeichnung den nachgeordneten Charakter des Gesetzes zum Ausdruck bringt" (Blum,Agena, Brüggeshenke-Blum, Niedersächsisches Naturschutzrecht, Stand 01.2022, § 1 NAGBNatSchG, RN 4).

In der Verordnung über die Ausweisung des Landschaftsschutzgebietes war somit nicht auf das Niedersächsische Naturschutzgesetz vom 20.03.1981 in der jeweils geltenden Fassung verwiesen worden, sondern auf ein anderes Gesetz. Dies gilt auch hinsichtlich des Verweises auf die Ordnungswidrigkeitentatbestände.

Wollte man die Bußgeldvorschrift in der Landesschutzgebietsverordnung als ausreichend ansehen, käme man zu diesem Ergebnis somit nicht durch eine teleologische Auslegung, sondern nur durch eine unzulässige Analogie.

Es bleibt somit dabei, dass das festgestellte Verhalten des Betroffenen nicht wegen eines Verstoßes gegen die Verordnung sanktioniert werden kann. Darauf, dass eine Ahndungslücke nicht gewollt war, kommt es nicht an (BGH, .a.a.O.).

Allerdings kommt der vom Senat in der Zuschrift an die Generalstaatsanwaltschaft für möglich gehaltene Freispruch zumindest zum derzeitigen Zeitpunkt nicht in Betracht. Insoweit hat die Verwaltungsbehörde nämlich ergänzend darauf verwiesen, dass auch ein Verstoß gegen § 9 Abs. 2 der Verordnung vorliegen könnte. Ob ein derartiger Verstoß vorliegt, bleibt der Prüfung durch das Amtsgericht vorbehalten. Soweit der Betroffene meint, dieser Gesichtspunkt sei irrelevant, ist dieses unzutreffend, da das Amtsgericht eine umfassende Kognitionspflicht trifft (in § 81 OWiG sogar im Hinblick auf mögliche Straftaten normiert)

Die vom Amtsgericht bisher getroffenen objektiven Feststellungen können dabei aufrechterhalten werden, wobei das Amtsgericht nicht gehindert ist, weitere Feststellungen, die hierzu nicht im Widerspruch stehen, zu treffen.

Im Umfang der Aufhebung war die Sache daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückzuverweisen.