Landgericht Braunschweig
Urt. v. 15.10.1968, Az.: 6 S 118/68
Unterhaltsanspruch der volljährigen Tochter gegen den Vater auf Besuch einer höheren Fachschule; Besitz der Anerkennung als Kinderpflegegehilfin und Haushaltsgehilfin; Möglichkeit der Eigensicherung des Lebensunterhalts
Bibliographie
- Gericht
- LG Braunschweig
- Datum
- 15.10.1968
- Aktenzeichen
- 6 S 118/68
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1968, 11063
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGBRAUN:1968:1015.6S118.68.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Braunschweig - 17.04.1968 - AZ: 14 C 148/68
Rechtsgrundlagen
- § 1602 Abs. 1 BGB
- Art. 2 GG
- Art. 6 GG
Verfahrensgegenstand
Unterhaltsforderung
Prozessführer
der Schlossermeister ..., Königslutter, Immanuel-Kant-Straße 27,
Prozessgegner
die ...
Redaktioneller Leitsatz
Eine Volljährige mit Anerkennung als Kinderpflege- und Haushaltsgehilfin, die als solche nach den Bestimmungen des Bundes-Angestellten-Tarifs bezahlt wird, ist im Besitz einer Berufsausbildung, welche ihr den Erwerb ihres Unterhaltes sichert, so dass ein Unterhaltsanspruch gegen ihren Vater für eine weitere Ausbildung für einen besser bezahlten Beruf nicht besteht, wenn keine Notwendigkeit für einen Berufswechsel gegeben ist.
In dem Rechtsstreit
hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig
auf die mündliche Verhandlung vom 1. Oktober 1968
durch
...
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 17. April 1968 aufgehoben.
- 2.
Die Klage wird abgewiesen.
- 3.
Die Klägerin hat die Kosten zu tragen.
Tatbestand
Die Klägerin gewährt der am 14. Mai 1945 geborenen Tochter ... des Beklagten seit dem 15. November 1967 Sozialhilfe in Form von Berufsausbildung aufgrund des Bundessozialgesetzes (BSHG) vom 30. Juni 1961 (BGBl. I S. 815). Die Klägerin hat dazu vorgetragen, ... habe eine Ausbildung als Kinderpflegerin erhalten. Sie besuche seit dem 13. April 1967 die höhere Fachschule für Sozialarbeit des Landes Niedersachsen in Braunschweig. Da der Beklagte Unterhalt für seine Tochter nicht habe zahlen wollen, habe die Klägerin nach "Verbrauch der Eigenersparnisse der ..." seit dem 15. Juli 1967 entsprechend den Bestimmungen des BSHG Berufsausbildungsbeihilfe geleistet, die auch den Lebensunterhalt umfasse, und zwar monatlich insgesamt 219,- DM, seit dem 1. Januar 1968 monatlich 228,- DM. Die Klägerin vertritt die Rechtsansicht, der Beklagte sei als "Vater verpflichtet, im Rahmen des Unterhaltsanspruches seiner Tochter ..." die Kosten dieser Berufsausbildung zu tragen. Er sei bei seinem Einkommen als selbständiger Gewerbetreibender (monatlich etwa 3.000,- DM) dazu auch imstande. Die Klägerin hat gemäß § 90 BSHG am 30. Januar 1968 dem Beklagten angezeigt, daß sie den Unterhaltsanspruch seiner Tochter Marianne mit Wirkung vom 15. November 1967 auf sich überleite, nachdem sie ihm am 18. Dezember 1967 gemäß § 91 BSHG von der Gewährung der Sozialhilfe in Kenntnis gesetzt hatte. Sie hat mit der Klage vom Beklagten die Zahlung von monatlich 219,- DM ab 15. November 1967 und von monatlich 228,- DM ab 1. Januar 1968 nebst 4 v.H. Zinsen seit 1. März 1968 bis zur Beendigung der Sozialhilfe gefordert.
Der Beklagte hat Klagabweisung beantragt. Er hat die Ansicht vertreten, daß ihm eine Unterhaltspflicht im Sinne der Klage gegenüber seiner Tochter ... nicht mehr obliege, da ... volljährig sei und er keinen Einfluß auf ihre Entschlüsse habe. Sie habe eine Ausbildung als Kinderpflegerin erhalten und könne sich in diesem Berufe selbst ernähren. Wenn sie eine weitere Berufsausbildung durchlaufen wolle, könne sie die Kosten nicht auf ihren Vater abwälzen.
Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 14. Juli 1968 den Beklagten gemäß dem Klageantrage verurteilt. Es hat zur Begründung ausgeführt, die Tochter des Beklagten sei zwar als Kinderpflegerin ausgebildet. Es sei ihr aber nicht zuzumuten, die begonnene höhere Ausbildung abzubrechen. Ihre Ersparnisse seien verbraucht. Dem Beklagten sei ohne weiteres zuzumuten, die Kosten zu tragen. Seine älteren Söhne hätten beachtliche Lebensstellungen aus eigener Kraft erreicht. Daher habe er um so mehr Veranlassung, dieses Ziel seiner Tochter zu ermöglichen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Urteilsbegründung und wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in erster Instanz wird auf das Urteil Bezug genommen.
Der Beklagte hat gegen das ihm von der Klägerin am 14. Mai 1968 zugestellte Urteil am 21. Mai 1968 Berufung eingelegt und diese gleichzeitig begründet. Er hat ausgeführt, seine Tochter sei als Kinderpflegerin geprüft und besitze das entsprechende Diplom. Dieser Beruf gewähre eine ausreichende Lebensgrundlage und seelische Erfüllung und Befriedigung. Normalerweise endige die Unterhaltsverpflichtung der Eltern gegenüber ihren Kindern mit dem 16. oder 18. Lebensjahr, jedenfalls mit dem Abschluß der Berufsausbildung. Seine Tochter ... habe sich erst als Volljährige zum Berufswechsel entschlossen. Der Berufswechsel sei nicht erforderlich gewesen. Er habe auch die gehobene Berufsausbildung seiner Söhne nicht finanziert. Das hätten diese teils aus eigener Kraftteils mit Hilfe ihrer Ehefrauen selbst getan. Er sei genötigt, sich in etwa zwei Jahren aus seinem Geschäft zurückzuziehen und werde dann eine Rente von etwa 260,- DM monatlich haben. Er müsse versuchen, noch etwas zurückzulegen. Von der LVA sei ihm nahegelegt worden, durch Nachzahlungen seine Rente etwas aufzubessern. Die von der Klägerin beanspruchten Zahlungen für seine Tochter ... würden seinen eigenen Unterhalt gefährden, zumal er das von der Klägerin behauptete Einkommen nicht habe. Ihm stehe monatlich im Gegensatz zum angefochtenen Urteil nicht 2.700,- DM, sondern noch nicht einmal 1.000,- DM zur Verfügung. Er habe außer für den eigenen auch, für den Unterhalt seiner Ehefrau und eines minderjährigen Sohnes zu sorgen, während seine Tochter ... nicht außerstande sei, sich selbst zu unterhalten. Der Beklagte hat beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils, die Klage abzuweisen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, die Berufsausbildung von ... sei noch nicht abgeschlossen. Die Unterhaltspflicht des Beklagten bestehe daher über ihr 21. Lebensjahr hinaus. Der Beruf einer Kinderpflegerin möge zwar im Augenblick ihren Unterhalt sicherstellen. Erfahrungsgemäß gebe es aber im fortgeschrittenen Alter eine geringere Beschäftigungsmöglichkeit. Vor allem sei ein solcher Abschluß im Hinblick auf die Begabung der Tochter des Beklagten nicht befriedigend, wie sich aus ihrem von der Klägerin im einzelnen geschilderten Werdegang in den verschiedenen Schulen und im Berufe ergebe. ... besuche nach bestandener Aufnahmeprüfung seit dem 13. Juli 1967 die höhere Fachschule für Sozialarbeit des Landes Niedersachsen mit gutem Erfolge. Sie habe überdurchschnittliche Leistungen aufzuweisen und werde voraussichtlich die Ausbildung in März 1970 mit dem Staatsexamen abschließen. Die Behauptungen des Beklagten über seine eigenen finanzielle Lage seien unrichtig. Es komme in erster Linie aber auf Begabung und Anlagen der Kinder, ihre Pflichtauffassung und ihren Fleiß an und erst danach auf die finanziellen Verhältnisse des Unterhaltspflichtigen. ... werde als Kinderpflegerin eine Bezahlung nach "Vergütungsgruppe VIII, im Höchstfalle VII des Bundes-Angestellten-Tarifes erhalten können, während sie nach erfolgreichem Abschluß der höheren Fachschule für Sozialarbeit eine Bezahlung nach der wesentlich höheren Vergütungsgruppe V b) erreichen werde.
Der Beklagte ist den Ausführungen der Klägerin entgegengetreten. Er hat insbesondere Ausführungen aber seine Aufwendungen für die bisherige Ausbildung und den bisherigen beruflichen Werdegang seiner Tochter gemacht, sowie über die Schul- und Berufsausbildung seiner sechs Kinder und sein eigenes Einkommen und die Aussichten seiner Altersversorgung. Er hat den Standpunkt eingenommen, daß der Berufs der Kinderpflegerin seiner Tochter eine angemessene Lebensgrundlage gewährleiste. Er hat auch darauf hingewiesen, daß seine Tochter mit einem Schüler der von ihr besuchten höheren Fachschule für Sozialarbeit verlobt sei.
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist rechtzeitig eingelegt und begründet worden. Sie mußte auch Erfolg haben.
Die Tatsache, daß die Klägerin der Tochter des Beklagten Sozialhilfe durch Berufsausbildung gewährt und damit möglicherweise sogar eine ihr kraft öffentlichen Rechtes obliegende Verpflichtung erfüllt, (§§ 1, 4, 6 27 Abs. 1 Nr. 2, 28, 31 ff BSHG) begründet den mit der/Klage verfolgten Anspruch nicht. Durch die Überleitung gemäß § 90 BSHG wird kein Anspruch geschaffen, sondern nur der aus anderen Gründen bestehende Anspruch des unterstützten Hilfsbedürftigen auf die Klägerin übertragen. Die Frage, ob die Tochter des Beklagten einen entsprechenden Anspruch gegen den Beklagten hat, beantwortet sich nicht nach Sozialrecht, sondern richtet sich ausschließlich nach dem im Bürgerlichen Recht normierten privatrechtlichen Unterhaltsrecht (§ 1601 ff BGB). Die Kammer hatte daher nur zu prüfen, ob der Tochter des Beklagten ein Unterhaltsanspruch im Sinne der Klage, - also auf Besuch der höheren Fachschule für Sozialarbeit- bis zur Abschlußprüfung im Jahre 1970 gegen ihren Vater zusteht.
Das ist nicht der Fall. Ein solcher Anspruch scheitert schon daran, daß die Tochter ... des Beklagten nach dem eigenen Vortrag der Klägerin nicht unterhaltsbedürftig im Sinne der Klage ist. Unterhaltsberechtigt ist nur, wer außerstande ist, sich selbst zu unterhalten (§ 1602 Abs. 1 BGB). Die Klägerin hat selbst vorgetragen, daß die am 14. Mai 1945 geborene, jetzt also 23-jährige Tochter des Beklagten, nach Volksschulabschluß ein Jahr als Hausgehilfin gearbeitet hat, um anschließend die Schule für Frauenberufe in ... Abteilung Schule für Kinderpflege und Haushaltsgehilfinnen zu besuchen, und zwar bis zum 30. September 1961 und daß sie nach Abschluß dieses Schulbesuches und Ableistung eines einjährigen Praktikums die Anerkennung als Kinderpflege- und Haushaltsgehilfin erhalten hat. Nach dem weiteren Vortrag der Klägerin werden Kinderpflegerinnen normalerweise nach den Bestimmungen des Bundes-Angestellten-Tarifs beazahlt, und zwar nach Vergütungsgruppe VIII, im Höchstfalle nach Vergütungsgruppe VII. Daraus ergibt sich, daß die Tochter des Beklagten zu der Zeit, als sie in die von ihr jetzt besuchte höhere Fachschule eintrat, nämlich am 13. April 1967 eine Berufsausbildung besaß, welche ihr den Erwerb ihres Unterhaltes in jedem Falle sicherte. Wenn sie sich unter diesen Umständen 4 1/2 Jahre, nachdem sie diese Stellung erworben hatte, als Volljährige entschloß, durch eine weitere Ausbildung einen noch besser bezahlten Beruf anzustreben, und dabei die Hilfe der Klägerin fand, so kann daraus doch nicht folgen, daß sie nunmehr nicht mehr in der Lage wäre, sich selbst zu unterhalten. Die Möglichkeit, in dem Berufe als Kinderpflegerin zu arbeiten und damit die Mittel zu einem angemessenen Unterhalt zu erwerben, bleibt ihr unbenommen. Anders könnte es nur sein, wenn ihr diese Arbeit nicht zumutbar wäre. Davon kann aber ... keine Rede sein, da sie den ausgeübten Beruf ordnungsmäßig erlernt und längere Zeit ausgeübt hat. Es kann auch nicht gesagt werden, daß dieser Beruf etwa mit Rücksicht auf die Lebensstellung des Beklagten nicht angemessen wäre. Der Beklagte ist als Handwerksmeister aus ... nach 1945 nach ... gekommen. Er hat sechs Kinder, geboren in den Jahren 1932 bis 1951, von welchen der jüngste Sohn die Berufsausbildung noch vor sich hat. Er hat außerdem für sein bevorstehendes altersbedingtes Ausscheiden aus dem Berufsleben vorzusorgen, da er selbständiger Gewerbetreibender ist, Selbst wenn der Beklagte daher im Augenblick wirtschaftlich in der Lage wäre, den Schulbesuch seiner Tochter zu finanzieren, so kann daraus angesichts seiner Gesamtlage nicht der Schluß gezogen werden, daß er ihr gegenüber dazu verpflichtet wäre. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn anerkannt wird, daß Befähigung und Begabung und charakterliche Eignung für einen Beruf für die Wahl des angemessenen Berufes maßgebend sind, ohne daß es auf die soziale Stellung von Eltern und Voreltern ankommt (vgl. ... 10./11. Auflage, Anm. 13 ff und insbesondere 17 zu § 1610 BGB, Palandt 23. Auflage, Anm. 4 zu 1610 BGB, ... Unterhaltsrecht S. 75). Das ... mögen maßgebende Richtlinien sein, wenn es sich darum handelt, einen aus dem öffentlichen Recht folgenden Unterhaltsanspruch seinem Umfange nach zu bestimmen. Im Gebiet des Privatrechts gilt aber, daß verantwortungsbewußten Eltern die Entscheidung vorbehalten bleiben muß, wie sie ihre Mittel zum Unterhalt ihrer Kinder und damit zu deren Berufsausbildung einsetzen wollen. Das allein entspricht sowohl dem Persönlichkeitsrecht, als auch dem natürlichen Elternrecht, die durch das Grundgesetz Art. 2 u. Art. 6 verfassungsrechtlich gewährleistet sind. In diese Rechte könnte bei minderjährigen Kindern nur unter den Voraussetzungen des § 1666 BGB durch das Vormundschaftsgericht eingegriffen werden. Voraussetzung wäre, daß die Eltern ihr Sorgerecht missbrauchten. Abgesehen davon, daß ... volljährig ist, hat die Klägerin ... keine Tatsachen behauptet, die dem Beklagten zum sittlichen Vorwurf gereichen könnten, wenn er in seiner Lage seiner voll jährigen, zu einem Beruf bereits ausgebildeten Tochter eine zweite Berufsausbildung aus seinen Mitteln nicht gewähren will. Ein Fall, in welchem ein Volljähriger nach der Rechtsprechung des Reichsgerichtes (Band 114 S. 54) aus besonderen Gründen eine zweite Berufsausbildung von seinen unterhaltspflichtigen Eltern verlangen kann, liegt nicht vor, weil keine Notwendigkeit für einen Berufswechsel für die Tochter des Beklagten besteht. Vgl. auch OLG E. Band 40 S. 79 - OLG Braunschweig. Auch der von der Klägerin angeführte im Armenrechtsprüfungsverfahren ergangene Beschluß des LG. Ulm. (Z f FamR 1964 S. 634) bedeutet für die Klage keine Stütze. Dieser Beschluß spricht übrigens im Gegensatz zu den Ausführungen der Klägerin über seinen Inhalt aus, daß bei Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten angesichts dessen, daß der Berechtigte volljährig und in der Lage ist, sich selbst zu unterhalten, kein übertrieben strenger Maßstab anzulegen ist und dem Verpflichteten eine besondere Einschränkung seiner Bedürfnisse nicht zugemutet werden kann.
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, daß ... dem Beklagten, ihrem Vater, gegenüber nicht unterhaltsberechtigt im Sinne des erhobenen Anspruches ist. Die Klage mußte daher erfolglos bleiben, während der Berufung stattzugeben war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.