Landgericht Braunschweig
Urt. v. 10.01.1969, Az.: 3 O 20/68
Unzureichende Beschilderung einer vorübergehenden Änderung der Verkehrsführung; Schadensersatz wegen Unfalls; Verletzung der Verkehrssicherungspflicht des Landes durch Bedienstete des Straßenbauamtes; Unterlassen des Unkenntlichmachens eines Schildes; Erfordernis der Warnung der Kraftfahrer vor ungewöhnlicher Gefahrenlage; Berücksichtigung von Mitverschulden
Bibliographie
- Gericht
- LG Braunschweig
- Datum
- 10.01.1969
- Aktenzeichen
- 3 O 20/68
- Entscheidungsform
- Grundurteil
- Referenz
- WKRS 1969, 11367
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGBRAUN:1969:0110.3O20.68.0A
Rechtsgrundlagen
- § 823 Abs. 1 BGB
- § 831 BGB
- § 3 Abs. 4 StVO
- § 5a StVG
- § 254 Abs. 1 BGB
- § 839 BGB
Fundstelle
- NJW 1969, 880-881 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Schadensersatz
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Verletzt das Land durch seine Straßenbaubediensteten seine Verkehrssicherungspflicht, weil diese an einer Kreuzung einander widersprechende, die Vorfahrt falsch regelnde Verkehrszeichen aufgestellt haben, so ist es für daraufhin entstandene Unfallschäden schadensersatzpflichtig.
- 2.
Bei plötzlichen und grundlegenden Änderungen der Verkehrsregelung, insbesondere bei Umkehrungen der Vorfahrtsverhältnisse, sind jedenfalls dann besondere genügend auffällige Hinweistafeln erforderlich, wenn eine Durchgangsstrecke von der Änderung betroffen wird, wenn die Änderung nicht bereits durch andere augenfällige Merkmale auffällig angekündigt wird.
Die 3. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig hat
auf die mündliche Verhandlung vom 13. Dezember 1968
unter Mitwirkung des L. sowie
des ... und ... als Beisitzer
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Anspruch des Klägers ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.
Tatbestand
Der Kläger befuhr am 11. Juli 1967 gegen 12.15 Uhr mit einer Zugmaschine Mercedes-Unimog die Bundesstraße 248 innerhalb der Ortschaft Rüningen in Richtung Braunschweig. Dabei stieß er mit einem Lastzug zusammen, der aus der von links einmündenden Broitzemer Straße (Landesstraße 616) kam und die Bundesstraße überqueren wollte. Der Kläger verlangt von dem beklagten Land den Ersatz seines Unfallschadens.
Für gewöhnlich ist die B 248 gegenüber der Broitzemer Straße (L 616) bevorrechtigt: Die B 248 ist mit Zeichen nach Bild 44 der Anlage zur StVO (Bundesstraßennummern-Schild) gekennzeichnet, während die L 616 an der Einmündung in die B 248 mit einem Schild nach Bild 30 a der Anlage zur StVO ("Halt, Vorfahrt achten!") versehen ist. Lediglich am Unfalltage war die Vorfahrtsregelung für etwa 9 Stunden umgekehrt worden. Wegen der planmäßig vorgesehenen Überprüfung einer Brücke mußte nämlich der in Richtung Braunschweig führende Verkehr des benachbarten Autobahnzubringers über die L 616 und die B 248 und damit über die Unfallkreuzung umgeleitet werden. Zu diesem Zweck wurde nach einem von dem zuständigen Straßenbauamt Wolfenbüttel zuvor erstellten Beschilderungsplan der von der L 616 in Richtung Braunschweig in die B 248 einbiegende Verkehr mit dem Zeichen nach Bild 52 ("Vorfahrtsstraße") und Zusatzschild nach Bild 52 a ("Abknickende Vorfahrt") als bevorrechtigt ausgewiesen; die Zeichen nach Bild 30 a wurden unkenntlich gemacht. Auf der B 248 wurden beidseits der Einmündung der L 616 Schilder nach Bild 30 der Anlage zur StVO ("Vorfahrt achten") mit Zusatz nach Bild 52 a aufgestellt.
Die Umschilderung wurde von den Straßenwärtern ... und ... entsprechend dem ihnen am Vorabend von dem Bauoberinspektor Beer erläuterten Beschilderungsplan am 10. Juli 1967 ab etwa 7.15 Uhr vorgenommen. Sie beendeten die Arbeiten gegen 9.00 Uhr an der Unfallkreuzung. Der Bauoberinspektor ... unternahm eine Kontrollfahrt.
Als der Kläger gegen 12.15 Uhr mit seinem Fahrzeug aus Richtung Salzgitter-Thiede kam, fuhr er zunächst mit einer unverminderten Geschwindigkeit von 50 km/h an die Kreuzung in der Annahme heran, sich auf einer vorfahrtsberechtigten Straße zu befinden. Erst im Kreuzungsbereich bemerkte er den von links aus der Broitzemer Straße kommenden LKW mit Anhänger der Firma ..., dessen Fahrer sich gleichfalls für vorfahrtberechtigt hielt. Angesichts des Lastzuges bremste der Kläger sein Fahrzeug ab und steuerte es nach links, um hinter dem Lastzug vorbeizufahren. Gleichwohl kam es zu dem Zusammenstoß, bei dem an beiden Fahrzeugen erheblicher Sachschaden entstand.
Der Kläger behauptet:
Er habe sich auf der bevorrechtigten Bundesstraße befunden und deshalb Vorfahrt vor dem Lastzug der Firma ... gehabt. Am Unfalltage habe er die Unfallstelle schon zweimal passiert und dabei noch die ursprüngliche Verkehrsregelung vorgefunden. Bei seiner dritten Fahrt habe sich zwar ein Schild nach Bild 30 mit Bild 52 a auf der Kreuzung befunden, davor habe aber in seiner Fahrtrichtung daß unverdeckte Bundesstraßennummern-Schild gestanden. Das Schild nach Bild 30 mit Bild 52 a sei nur 3 m vor der Kreuzung, also ca. 7 m hinter dem unverdeckten Schild nach Bild 44 aufgestellt worden. Selbst mit der notwendigen Aufmerksamkeit, die er habe walten lassen, habe er jetzt nicht mehr rechtzeitig bremsen können, um den Zusammenstoß zu vermeiden. Den Lastzug habe er nicht rechtzeitig bemerken können, da dieser durch das Eckgebäude verdeckt gewesen sei. Aus dem gleichen Grunde habe er auch die auf der Broitzemer Straße stehenden Vorfahrtszeichen nicht sehen können.
Der Kläger trägt weiter vor:
Die Beschilderung der Unfallstelle sei irreführend und nicht ordnungsgemäß gewesen. Die einander widersprechenden Zeichen nach Bild 30 mit Bild 52 a und nach Bild 44 hätten sich gegenseitig aufgehoben, so daß die Grundregel "rechts vor links" in Kraft getreten sei. Außerdem hätten vor der Kreuzung besondere Warntafeln aufgestellt werden müssen, um auf die plötzliche Änderung der Vorfahrtsregelung aufmerksam zu machen.
Der Kläger macht die Hälfte des von ihm im einzelnen bezifferten Schadens geltend und beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, an den Kläger 4.165,05 DM nebst 4% Zinsen auf 1.666,02 DM seit dem 2. Februar 1968 und auf 2.999,03 DM seit dem 3. Oktober 1968 zu zahlen.
Das beklagte Land beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Land bestreitet, daß der Beschilderungsplan des Straßenbauamtes Wolfenbüttel nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden sei und trägt vor:
Die beiden Straßenwärter ... und ... hätten die Beschilderungsarbeiten entsprechend dem Beschilderungsplan vorgenommen. Sie hätten auch das in Fahrtrichtung des Klägers an der B 248 aufgestellte Bundesstraßennummern-Schild unkenntlich gemacht, indem sie die Verschraubung der Schelle gelöst und das Blechschild um den Pfosten herum um 90 Grad zum Straßengraben hin gedreht hätten. Das Schild sei im Unfallzeitpunkt also nicht sichtbar gewesen, es sei denn, Unbefugte hätten das Schild zurückgedreht. Das Schild nach Bild 30 mit Bild 52 a ("Vorfahrt achten!") habe etwa 10 m vor der Kreuzung gestanden. Zusätzliche Warntafeln als Hinweis auf die geänderte Vorfahrtsregelung seien überflüssig gewesen. Es bestünden keine Richtlinien oder Vorschriften, nach denen ein geänderter Verkehrsablauf zusätzlich angekündigt werden müsse. Die in Städten gelegentlich aufgestellten Tafeln "Vorfahrt geändert!" seien Hinweise außerhalb der StVO. Zumal in Anbetracht der höchstzulässigen Ortsgeschwindigkeit von 50 km/h habe das mit einer Schenkellänge von 90 cm genügend große Verkehrszeichen nach Bild 30 mit Zusatztafel nach Bild 52 a genügt, um den Verkehr zu sichern. Der Kläger, der die L 616 ausreichend weit habe einsehen können, hätte den Lastzug der Firma Curland rechtzeitig bemerken und ihm die Vorfahrt einräumen müssen. Er habe es aber an der notwendigen Aufmerksamkeit fehlen lassen und müsse daher den Unfall allein sich selbst zuschreiben.
Das beklagte Land bestreitet den geltendgemachten Schaden ferner der Höhe nach. Insoweit wird auf die Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
Das Gericht hat aufgrund des Beweisbeschlusses vom 29. März 1968 (Bl. 24 d.A.) Beweis erhoben. Weges des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Protokolle vom 21. Mai 1968 (Bl. 27 f. d.A.), vom 9. Juli 1968 (Bl. 39 f. d.A.) und vom 12. November 1968 (Bl. 67 ff., 71 f. d.A.) verwiesen. Der von dem beklagten Land vorgelegte Beschilderungsplan, die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Braunschweig 17 Js 1976/67, die Skizze Bl. 73 d.A. und vier Lichtbilder von der Unfallstelle (Hülle Bl. 77 d.A.) waren Gegenstand der Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist ... dem Grunde nach gerechtfertigt.
Der Kläger kann gemäß §§ 823 I, 831 BGB vom Beklagten Land Schadensersatz in der geltendgemachten Höhe von 50 % des Unfallschadens verlangen.
I.
Verantwortlich für die ... infolge der Umleitung erforderlich gewordene Beschilderungsänderung war das Straßenbauamt Wolfenbüttel (§ 3 IV Satz 2 und 3 StVO) als Behörde des beklagten Landes.
Die Bediensteten des Straßenbauamtes haben die Verkehrssicherungspflicht des beklagten Landes verletzt. Zu dieser Pflicht gehört die Herstellung hinreichend klarer Verkehrsregelungen (vgl. Floegel-Hartung, Straßenverkehrsrecht, 17. Aufl., Rdn., 29 und 31 zu § 13 StVO). Insbesondere dürfen sich an Kreuzungen keine einander widersprechenden Verkehrszeichen befinden. Die für den Kläger maßgeblichen Verkehrszeichen waren widersprüchlich. Hierzu hat die Beweisaufnahme ergeben, daß das fragliche Bundesstraßennummern-Schild im Umfallszeitpunkt für aus Richtung Thiede kommende Verkehrsteilnehmer voll sichtbar war.
Auszugeben ist davon, daß in dem Beschilderungsplan ein Unkenntlichmachen des B 248-Schildes nicht vorgesehen war; das Schild war in dem Plan überhaupt nicht verzeichnet. Zwar hat der Bauoberinspektor ... bekundet, das Schild habe umgedreht werden sollen. Mangels einer schriftlichen Festlegung konnte diese Weisung jedoch nur mündlich ergehen - womit alle Möglichkeiten eines Übermittlungsfehlers oder des Vergessens eingeschlossen waren. Bei dieser Sachlage wäre es Sache des beklagten Landes gewesen, den Beweis für das Unkenntlichmachen des B 248-Schildes zu führen. Dies ist dem Land nicht gelungen. Zwar haben die Zeugen ... und ... ausgesagt, sie hätten das Schild um 90 Grad zum Straßengraben fortgedreht, so daß es für den Verkehr nicht mehr sichtbar gewesen sei. Die Aussage des Zeugen ... ist jedoch schon inhaltlich völlig unbrauchbar. Er hat eine von dem tatsächlichen Aufbau des Schildes völlig abweichende Konstruktion geschildert. Die Zweifel an seiner Erinnerungsfähigkeit werden nicht dadurch ausgeräumt, daß sich die Unstimmigkeiten seiner Aussage auch durch eine zwischenzeitliche schwere Gehirnerschütterung des Zeugen erklären lassen. Der Zeuge ... hat sich zwar in keine Widersprüche verwickelt. Er ist aber - ebenso wie ... als Beteiligter nicht unbefangen. Dies mindert den Wert seiner Aussage. Die weitere Aussage des Zeugen ..., auf seiner Kontrollfahrt im Anschluß an die Umschilderung sei ihm nicht aufgefallen, daß das fragliche B 248-Schild nicht umgedreht gewesen sei, ist bereits inhaltlich unergiebig, zumal der Zeuge die Kontrolle vom fahrenden Fahrzeug aus und ohne schriftliche Unterlagen durchgeführt hat.
Der einzige unbeteiligte und unbefangene Beobachter, der die Verkehrssituation zudem aus eigener Sachkunde heraus beurteilen konnte, ist der ... Er konnte die Unfallstelle sofort in Augenschein nehmen, nachdem er Zeuge des Verkehrsunfalles geworden war. PHW Maryniok hat wiederholt bekundet, er habe das fragliche B 248-Schild in der gewöhnlichen, voll sichtbaren Stelle angetroffen. Eben darum habe er daß Schild schließlich selbst um 90 Grad gedreht, was erheblichen Kraftaufwand erfordert hätte. Die Angriffe, die das beklagte Land gegenüber der Glaubwürdigkeit dieses Zeugen vorgetragen hat, vermag die Kammer nicht zu teilen. Der Zeuge ist am Unfall nicht beteiligt und an dem Ausgang des Rechtsstreits nicht interessiert. Seine Aussage hat er ebenso bestimmt wie abwägend vorgetragen. Wenn er in seinen zu den strafrechtlichen Ermittlungsakten gegebenen Vermerken noch nicht erwähnt hat, daß er nach dem Unfall das Schild aus der Sichtrichtung fortgedreht hat, so findet diese Auslassung eine zwanglose Erklärung darin, daß dieser Vorgang den Zeugen aus seiner damaligen Sicht nebensächlich erschienen ist. Die Glaubwürdigkeit des Zeugen wird hierdurch nicht beeinträchtigt. Insoweit braucht nicht einmal die gleichlautende Bekundung des Landwirtschaftsmeisters ... herangezogen werden, der das Wegdrehen des Schildes durch den ... beobachtet hat.
Zudem hat die Aussage des ... bei der durch den Berichterstatter vorgenommenen Ortsbesichtigung eine Bestätigung gefunden. Dabei ist nämlich eine Verankerungskonstruktion des Schilderpfostens festgestellt worden, wonach sich das Schild leicht drehen läßt, sofern es kurz zuvor bewegt worden ist. Der erhebliche Kraftaufwand, den der ... am Unfalltag für das Drehen des Pfosten benötigt hat, spricht somit dagegen, daß der Pfosten bereits wenige Stunden zuvor erst durch die Straßenwärter herumgedreht worden ist. Damit läßt sich auch die ohnehin recht entfernt liegende Möglichkeit eines zwischenzeitlichen Umdrehens des Schildes durch Unbefugte ausschließen. Beachtlich an der diesbezüglichen Behauptung des beklagten Landes erscheint der Kammer lediglich, daß das beklagte Land die Methode, Schilder durch bloßes Umdrehen (anstatt etwa durch Verhängen und Zuschnüren mit einem Sack) unkenntlich zu machen, selbst nicht für genügend zuverlässig hält.
Nach der Aussage des PHW Maryniok ist weiter davon auszugehen, daß im Unfallzeitpunkt das Schild nach Bild 30 nebst Bild 52 a der Anlage zur StVO etwa 10 m vor der Kreuzung und etwa 2 m links davon - neben oder allenfalls etwa 3 m vor dem B 248-Schild - gestanden hat.
Die unterlassene Entfernung des B 248-Schildes war auch mitursächlich für den Unfall. Zwar wurde das Schild nach Bild 30 der Anlage zur StVO durch das stehengebliebene B 248-Schild in seiner Wirksamkeit nicht schlechthin aufgehoben. Auch hat der Kläger nicht näher vorgetragen, ob und welches der beiden Schilder er bewußt wahrgenommen hat. Die entscheidende Bedeutung einer ordnungsmäßigen Beschilderung für einen gefahrlosen Verkehrsablauf liegt jedoch so auf der Hand, daß es für die Ursächlichkeit im einzelnen nicht darauf ankommt, ob der Kläger ohne Beobachtung der Schilder sich angesichts des B 248-Schildes auf das Fortbestehen der früheren Vorfahrtsverhältnisse verlassen hat oder ob er durch die widersprüchliche Beschilderung verwirrt und dadurch in seiner Reaktionsgeschwindigkeit beeinträchtigt worden ist.
II.
Neben der widersprüchlichen Beschilderung hat zu dem Zusammenstoß beigetragen, daß das gemäß § 3 III Satz 3 und 4 StVO verantwortliche Straßenbauamt seiner Verkehrssicherungspflicht insoweit nicht genügt hat, als es auf die Gefahrenlage, wie sie durch die plötzliche Umkehrung der Vorfahrtsverhältnisse geschaffen wurde, nicht durch zusätzliche Warntafeln besondere hingewiesen hat. Abgesehen von dem Zeichen nach Bild 1 der Anlage zur StVO sind derartige Schilder zwar in der Straßenverkehrsordnung nicht ausdrücklich vorgesehen. Für außergewöhnliche Verkehrssituationen sind die Verkehrsbehörden jedoch auf die amtlichen Verkehrszeichen nicht beschränkt.
Die Notwendigkeit, Kraftfahrer vor einer ungewöhnlichen Gefahrenlage zu warnen, folgt aus § 5 a StVG und ist von der Rechtssprechung anerkannt (vgl. z.B. BGH NJW 1962/34; Floegel-Hartung, Straßenverkehrsrecht, Rdn. 4 zu § 3 StVG und Rdn. 2 zu § 5 a StVG). Ebenso wie bei Gefahren der Verkehrssicherheit, wie sie von dem äußeren Straßenzustand ausgehen können, eine besondere Warnpflicht bestehen kann (vgl. § 3 IV StVO), kann sich eine Erhöhung der Verkehrsgefahren aus allgemein verbreiteten Verkehrsgewohnheiten ergeben, die die verantwortlichen Behörden in Rechnung stellen können und müssen. Hierbei kann die von der Verkehrspsychologie bestätigte Erfahrungstatsache nicht übersehen werden, daß das Verkehrsverhalten der überwiegenden Mehrzahl der Verkehrstellnehmer weithin auf eingeschlafenen Gewohnheiten beruht. Dies fährt dazu, daß der einzelne Kraftfahrer auf von ihm regelmäßig befahrenen Strecken die vorhandenen Verkehrszeichen mehr routinemäßig als bewußt beachtet und nicht sogleich jede mögliche Änderung lückenlos registriert. Die Bediensteten der Straßenbauverwaltung haben für diese Erkenntnis selbst eine Bestätigung geliefert, indem sie das stehengebliebene Bundesstraßennummern-Schild übersehen haben. Nicht einmal dem verantwortlichen Beamten des Straßenbauamtes, der die Strecke nach der Umschilderung abgenommen hat, ist die Sichtbarkeit des B 248-Schildes und der gleichzeitige Widerspruch zu dem danebenstehenden Schild nach Bild 30 der Anlage zur StVO aufgefallen - obgleich der einzige Zweck seiner Fahrt in der bewußten Kontrolle der Beschilderung bestand. Es wäre eine Verkennung einer für den Straßenverkehr wesentlichen psychologischen Gegebenheit, wollte man sich in allen Fällen eines plötzlichen geänderten Verkehrsablaufs mit der Verpflichtung der Verkehrsteilnehmer zufrieden geben, auch auf unerwarteten Änderungen der Verkehrsverhältnisse zu achten. Vielmehr muß der Verkehrssicherungspflichtige bei der Entscheidung über besondere Maßnahmen zur Verkehrssicherung auch die Möglichkeit berücksichtigen, daß sich Verkehrsteilnehmer vorschriftswidrig verhalten. Einen Vertrauensgrundsatz, wie er im Verhältnis der Verkehrsteilnehmer untereinander gilt, kann die Behörde insoweit nicht für sich in Anspruch nehmen (vgl. BGH VersR 1963/652; OLG Oldenburg VRS D. Bd. 31, S. 161).
Die Kammer ist daher zu der Auffassung gelangt, daß bei plötzlichen und grundlegenden Änderungen der Verkehrsregelung - insbesondere bei Umkehrungen der Vorfahrtsverhältnisse - jedenfalls dann besondere genügend auffällige Hinweistafeln ("geänderter Verkehrsablauf", "Vorfahrt geändert" oder in Form von Pappsilhouetten eines Polizisten unter Verwendung leuchtkräftiger Farbtöne) erforderlich sind, wenn eine Durchgangsstrecke von der Änderung betroffen wird wenn die Änderung nicht bereits durch andere augenfällige Merkmale (z.B. weithin sichtbare Bauarbeiten) auffällig angekündigt wird.
Das beklagte Land wird von seiner Verantwortlichkeit nicht dadurch freigestellt, daß bislang keine Richtlinien oder sonstige Vorschriften darüber vorliegen, wann ein geänderter Verkehrsablauf besondere angezeigt werden muß. Dabei kann auf sich beruhen, ob die Entscheidung über die Aufstellung besonderer Hinweistafeln dem freien Ermessen der örtlichen Verkehrsbehörden überlassen bleiben kann oder ob nicht bereits in dem fehlenden Erlaß entsprechender Richtlinien durch die zuständige oberste Verkehrsbehörde ein Organisationsmangel i.S. der Rechtssprechung zu §§ 31, 89, 839, 823 BGB au erblicken ist. Denn jedenfalls an der Unfallstelle besteht eine Verkehrslage, bei der es offensichtlich war, daß eine Vielzahl von Verkehrsteilnehmern eine plötzliche Verkehresänderung nicht ohne weiteres rechtzeitig erkennen würde: Die fragliche Ortsdurchfahrt verläuft in beiden Richtungen im Zuge einer viel befahrenen, ... 7 m breit ausgebauten Bundesstraße. Die an der Unfallstelle einmündende Broitzemer Straße ist eine Landstraße, die sich schon äußerlich deutlich als untergeordneter Verkehrsweg abhebt, der unter gewöhnlichers Umständen niemals als bevorrechtigte Straße ausgezeichnet worden wäre. Zudem war die Sicht aus der Broitzemer Straße und umgekehrt durch ein Eckgebäude weitgehend versperrt. Unter diesen Umständen - die die Unfallkreuzung für die Dauer der Umleitung zu einer gefährlichen Stelle i.S. des § 5 a StVG machten - mußte das Straßenbauamt von vornherein in Rechnung stellen, daß zahlreiche Verkehrsteilnehmer durch die für sie unerwartet vorgenommene Umkehrung der Vorfahrtsregelung überfordert wurden. Dem entspricht die glaubhaft bekundete Beobachtung des Zeuges PHW Maryniok, wonach die Verkehrsteilnehmer - darunter selbst Verkehrsbusse - auf der B 248 wie üblich zügig durchfuhren und infolgedessen etwa jeder zweite Kraftfahrer scharf bremsen mußte, offenbar deshalb, weil die meisten Verkehrsteilnehmer das für sie maßgebliche Schild übersehen hatten. Bezeichnenderweise hat PHW Maryniok es als zu gefährlich abgelehnt, sich auf die Kreuzung zu stellen, um den Verkehr zu regeln.
Die Verpflichtung der Verkehrsbehörden zur Aufstellung besonderer Warntafeln bei plötzlichen Vorfahrtsänderungen hält sich auch im Rahmen des Zumutbaren. Denn der erforderliche Mehraufwand steht in einem durchaus tragbaren Verhältnis zu den sonstigen Maßnahmen, wie sie bei Verkehrsänderungen, insbesondere bei Umleitungen, ohnehin getroffen werden müssen. Dies zeigt sich gerade bei der am Unfalltage vorgenommenen Umleitung, bei der etwa 25 Verkehrszeichen neu aufgestellt, 6 Verkehrszeichen unkenntlich gemacht und weitere erhebliche Vorkehrungen getroffen werden mußten.
Der damit festgestellte Sorgfaltsverstoß der verantwortlichen Landesbediensteten ist auch schuldhaft, da sie über das Erfordernis der Aufstellung besonderer Warntafeln keine Erwägungen angestellt und damit fahrlässig gehandelt haben.
...
III.
Der Kläger muß sich jedoch gemäß § 254 I BGB ein eigenes Verschulden an dem Unfall anrechnen lassen. Die Verpflichtung der Verkehrsbehörden, die Verkehrsteilnehmer besondere zu warnen, enthebt diese nicht von ihrer fortbestehenden Pflicht, auch auf plötzliche Änderung der Verkehrsregelung Bedacht zu nehmen. Auf ein Fortbestehen der ursprünglichen Vorfahrtsregelung konnte sich der Kläger nicht verlassen (vgl. hierzu OLG Bremen VRS Bd. 4, S. 622). Als umsichtiger Kraftfahrer hätte er das Achtungsschild nach Bild 30 mit Bild 52 a der Anlage zur StVO in seiner Fahrtrichtung bemerken und sich entsprechend verhalten müssen. Die Verkehrszeichen nach Bild 30 und nach Bild 44 widersprachen einander zwar, gerade dies hätte den Kläger aber stutzig machen müssen. Unter diesen Umständen hätte er nicht mit einer gleichbleibenden Geschwindigkeit von ca. 50 km/h auf die Kreuzung fahren dürfen, da er die Broitzemer Straße nicht einsehen und damit weder den einmündenden Verkehr noch die Art der Beschilderung auf dieser Straße rechtzeitig erkennen konnte. Durch seinen eigenen Sorgfaltsverstoß hat er den ihm entstandenen Schaden somit schuldhaft mitverursacht. Allerdings wiegt ein Verschulden, das darin besteht, daß nach Gewöhnung an lange Zeit bestehende Verkehrsverhältnisse ein neu aufgestelltes Verkehrsschild übersehen wird, nicht besonders schwer (vgl. LG Dortmund DAR 1963/24). Daneben war jedoch die von dem Fahrzeug des Klägers ausgehende Betriebsgefahr zu berücksichtigen. In Abwägung des beiderseitigen Maßes der Verursachung und des Verschuldens schätzt daher die Kammer des Fehlverhalten der Parteien und die zwischen ihnen bestehende Ausgleichfspflicht gleich hoch ein. Damit ist der Schadensersatzanspruch des Klägers - entsprechend dem Klagebegehren - dem Grunde nach zur Hälfte gerechtfertigt.
IV.
Da die Schadensersatzverpflichtung des beklagten Landes dem Grunde nach schon jetzt feststeht, so daß nur noch der Betrag der Klagforderung streitig bleibt, erscheint eine Vorabentscheidung dem Grunde nach geboten.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
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