Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 08.02.2010, Az.: 1 Ws 67/10

Fluchtgefahr bei Begehung von Betäubungsmitteldelikten durch niederländische Staatsangehörige

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
08.02.2010
Aktenzeichen
1 Ws 67/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 10725
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2010:0208.1WS67.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Oldenburg - 20.01.2010 - AZ: 12 Ns 12/10
AG Wildeshausen - 03.08.2009 - AZ: 3 Gs 128/09

Fundstellen

  • NStZ-RR 2010, 177-178
  • StV 2010, 255-256

Amtlicher Leitsatz

Es ist keine unzulässige Diskriminierung und kein Verstoß gegen Artikel 21 der Charta der Grundrechte der der Europäischen Union, die erheblichen Strafvollstreckungsvorteile, die sich niederländische Beschuldigte durch eine Ausreise in ihr Heimatland vor einer Verurteilung wegen eines Drogendeliktes sichern können, als den Fluchtanreiz erhöhend zu bewerten.

Tenor:

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Oldenburg vom 20. Januar 2010, durch den der Haftbefehl des Amtsgerichts Wildeshausen vom 3. August 2009 aufrecht erhalten worden ist, wird auf seine Kosten verworfen.

Gründe

1

Aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Wildeshausen vom 3. August 2009 befindet sich der Angeklagte seit diesem Tage in Untersuchungshaft. In dem Haftbefehl wird dem Angeschuldigten das unerlaubte Einführen von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur Last gelegt, strafbar nach§ 30 Abs. 1 Nr. 4 Betäubungsmittelgesetz (BtMG). Diese Tat soll er dadurch begangen haben, dass er am 2. August 2009 in G... mit einem Personenkraftwagen aus den Niederlanden kommend BruttoGesamtmengen von 5,2 kg Marihuana und 500 g Kokain nach Deutschland einführte. Dringender Tatverdacht wird im Haftbefehl bejaht, weil die Betäubungsmittel bei einer Polizeikontrolle des PKW festgestellt wurden. Der Haftbefehl ist auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützt. Der Angeklagte habe mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen und verfüge in Deutschlandüber keinen festen Wohnsitz.

2

Der Angeklagte ist wegen der von ihm gestandenen unerlaubten Einfuhr des Marihuanas mit Urteil des Amtsgerichts Wildeshausen vom 7. Dezember 2009 zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt worden. Wegen des von ihm bei der Einfuhrfahrt auch mitgeführten Kokains, von dem er nach seiner Angabe nichts gewusst hatte, ist der Angeklagte nicht verurteilt worden. Das Urteil ist nicht rechtkräftig, weil der Angeklagte hiergegen Berufung eingelegt hat. Die Berufungsverhandlung vor der 12. kleinen Strafkammer des Landgerichts Oldenburg ist auf den 12. Februar 2010 anberaumt.

3

Die Fortdauer der Untersuchungshaft ist zuletzt im Haftprüfungsverfahren mit Beschluss des Landgerichts Oldenburg vom 20.Januar 2010 angeordnet worden, dem als Berufungsgericht die Akten vorgelegt worden waren.

4

Gegen diese Haftfortdauerentscheidung wendet sich der Angeklagte mit einem als weitere Beschwerde bezeichneten Rechtsmittel vom 1. Februar 2010, dem das Landgericht nicht abgeholfen hat.

5

Das Rechtmittel des Angeklagten ist als Beschwerde nach § 304 Abs. 1 StPO zulässig. In der Sache ist es nicht begründet. Das Landgericht hat zu Recht den Haftbefehl aufrechterhalten und den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft angeordnet. Die Beschwerdebegründung rechtfertigt keine andere Beurteilung.

6

Der Angeklagte ist der im Haftbefehl bezeichneten Straftat - soweit es die unerlaubte Einfuhr der rd. 5 kg Marihuana angeht - dringend verdächtig, weil er die Tat gestanden und ihretwegen erstinstanzlich verurteilt worden ist.

7

Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Allerdings sprechen insbesondere die geordneten sozialen und familiären Verhältnisse des Angeklagten, wie sie namentlich im Verteidigerschriftsatz vom 8. Januar 2010 im Einzelnen mitgeteilt werden, gegen eine Fluchtgefahr. Andererseits ist der Angeklagte in erster Instanz zu einer 3jährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Er muss damit rechnen, dass seine Berufung verworfen wird und er die Strafe unter Anrechung der Untersuchungshaft jedenfalls zu 2/3 verbüßen muss. Diese Straferwartung begründet für den Angeklagten einen so starken Anreiz, sich dem weiteren Verfahren zu entziehen, dass dem - auch unter Berücksichtigung der oben angeführten gegen eine Flucht sprechenden Umstände - nur durch die Fortsetzung der Untersuchungshaft hinreichend sicher begegnet werden kann. Weniger einschneidende Maßnahmen als der Vollzug der Untersuchungshaft im Sinne von § 116 Abs. 1 StPO reichen nicht aus. Das gilt auch für die vom Angeklagten angebotene Sicherheitsleistung.

8

Der Umstand, dass der niederländische Angeklagte einen festen Wohnsitz in seinem Heimatland hat, in dem er wegen der innereuropäisch durchgeführten Rechtshilfe in Strafsachen dem Zugriff der deutschen Justiz letztlich nicht vollends entzogen wäre, rechtfertigt keine andere Beurteilung der Fluchtgefahr. Diese ist hierdurch vielmehr in verstärktem Maße gegeben, weil der Angeklagte nach einemÜberwechseln in die Niederlande von dort nur mit der Maßgabe nach Deutschland ausgeliefert werden würde, dass eine Freiheitsstrafe in den Niederlanden vollstreckt werden kann, wobei diese - speziell bei der Verurteilung wegen eines sogenannten Weichdrogendeliktes wie hier - drastisch reduziert wird. Dadurch erhöht sich nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsbeschluss vom 4.11.2009, NdsRpfl 2010, 34) in solchen Fällen der Fluchtanreiz für niederländische Beschuldigte beträchtlich. Durch eine Flucht des Angeklagten in die Niederlande würde die schnelle Urteilsfällung gefährdet, die sicherzustellen Aufgabe der Untersuchungshaft ist, vgl. MeyerGoßner, StPO, 52. Aufl., Rdn 4 vor § 112 m. w. Nachw..

9

Den Einwendungen des Verteidigers gegen diese Rechtsprechung des Senats kann nicht beigepflichtet werden. In ihr liegt vor allem keine unzulässige Ungleichbehandlung niederländischer Beschuldigter von Betäubungsmitteldelikten. Der bei diesen regelmäßig anzunehmende verstärkte Fluchtanreiz wird nicht willkürlich, sondern aus einem sachlichen Grund bejaht.

10

Darin liegt - entgegen der Beschwerdebegründung - auch keine Beanstandung oder Missbilligung der niederländischen Art und Weise, Drogendelikte zu ahnden. Auch wird damit die Geltung und Umsetzung der Regelung der internationalen Strafvollstreckung durch das von Deutschland ratifizierte EuAlÜbk nicht beeinträchtigt oder auch nur in Frage gestellt.

11

Auch soweit die Verteidigung meint, der Senat vermenge Fragen der Strafvollstreckung mit solchen des strafrechtlichen Erkenntnisverfahrens, kann ihr nicht gefolgt werden. Es geht bei der in Rede stehenden Frage nicht um die Durchsetzung eines dem deutschen Strafrecht entsprechenden sachlichrechtlichen Strafanspruchs, sondern allein um die Sicherung des Strafverfahrens.

12

Für die von der Verteidigung vorsorglich beantragte Vorlegung der Sache an den Europäischen Gerichtshof besteht keine Veranlassung. Der von der Verteidigung gesehene Verstoß gegen Art. 21 der Charta der Grundrechte der der Europäischen Union liegt nicht vor. Namentlich werden durch die Senatsrechtsprechung niederländische Staatsangehörige nicht aus Gründen ihrer Staatsangehörigkeit diskriminiert.

13

Schließlich führt der Hinweis der Verteidigung darauf, die angeführten Vergünstigungen für niederländische Beschuldigte kämen diesen unabhängig davon zu Gute, ob sie nach einer Auslieferung oder nach freiwilliger Wiedereinreise in Deutschland verurteilt würden, für die Beurteilung der Frage, ob diese Vergünstigungen einen erhöhten Fluchtanreiz darstellen, nicht weiter.

14

Die Fortführung der bislang seit 6 Monaten vollzogenen Untersuchungshaft ist angesichts der Schwere der Tat, deren der Angeklagte dringend verdächtig ist, und in Hinblick auf seine danach wahrscheinliche Bestrafung auch nicht unverhältnismäßig im Sinne von § 120 Abs. 1 Satz 1 StPO, zumal die Berufungsverhandlung unmittelbar bevorsteht.

15

Nach alledem war die Beschwerde - gemäß § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO auf Kosten des Angeklagten - als unbegründet zu verwerfen.