Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 15.02.2010, Az.: HEs 3/10
Fortdauer der Untersuchungshaft bei Abschlussreife des Ermittlungsverfahrens hinsichtlich eines von mehreren Beschuldigten
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 15.02.2010
- Aktenzeichen
- HEs 3/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 11213
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2010:0215.HES3.10.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Oldenburg - AZ: 4 KLs 3/10
Rechtsgrundlage
- § 121 Abs. 1 StPO
Fundstellen
- StRR 2010, 163 (red. Leitsatz)
- StraFo 2010, 198
Amtlicher Leitsatz
Eine Untersuchungshaftfortdauer über 6 Monate hinaus kann jedenfalls dann nicht mit dem Umfang des gegen zahlreiche weitere Personen geführten Ermittlungsverfahrens rechtfertigt werden, wenn das Verfahren gegen den in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten schon Monate vor der Anklageerhebung abschlussreif war und abgetrennt werden konnte.
Tenor:
Der Haftbefehl des Amtsgerichts Oldenburg vom 6. Juli 2009 (Aktz.: 28 Gs 2339/09) wird aufgehoben.
Gründe
Der Angeschuldigte wurde am 13. August 2009 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Oldenburg vom 6. Juli 2009 festgenommen und befindet sich seit diesem Tage in Untersuchungshaft. Er wird im Haftbefehl beschuldigt, in der Zeit vom 7. Februar 2009 bis zum 11. März 2009 in D... und O... in 7 Fällen unerlaubt mit Betäubungsmitteln, nämlich mit Marihuana in kgMengen, Handel getrieben zu haben. Als Haftgrund ist in dem Haftbefehl, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, Fluchtgefahr angegeben.
Nach Abschluss der polizeilichen Ermittlungen sind die Akten am 14. Dezember 2009 der Staatsanwaltschaft vorgelegt worden. Diese hat unter dem 7. Januar 2010 u. a. wegen der im Haftbefehl bezeichneten Taten Anklage zur Großen Strafkammer des Landgerichts Oldenburg erhoben. Für den Fall der Eröffnung des Hauptverfahrens soll die Hauptverhandlung am 17. März 2010 beginnen.
Das Landgericht hält die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich und hat die Akten dem Oberlandesgericht zur Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO vorlegen lassen. Die Staatsanwaltschaft hat beantragt, die Fortdauer der Untersuchungshaft anzuordnen. Der Angeschuldigte und sein Verteidiger haben Gelegenheit zur Äußerung erhalten. Letzterer hat hiervon mit Schriftsatz vom 5. Februar 2010 Gebrauch gemacht und beantragt, den Haftbefehl aufzuheben, hilfsweise ihn außer Vollzug zu setzen.
Die Haftprüfung des Senats nach §§ 121, 122 StPO führt zu dem Ergebnis, dass der Haftbefehl aufzuheben ist.
Zwar liegen die allgemeinen Voraussetzungen der Untersuchungshaft gemäß § 112 StPO vor. Der Angeschuldigte ist der ihm im Haftbefehl zur Last gelegten Taten dringend verdächtig. Gegen ihn besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Der Zweck der Untersuchungshaft kann auch nicht mit weniger einschneidenden Mitteln (§ 116 StPO) erreicht werden. Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wäre durch eine Haftfortdauer nicht berührt.
Es fehlen jedoch die besonderen gesetzlichen Voraussetzungen, die eine Fortdauer der Untersuchungshaft zuließen. Nach § 121 Abs. 1 StPO darf der Vollzug von Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus nur dann aufrechterhalten werden, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund ein Urteil noch nicht zugelassen haben. Das ist hier nicht der Fall.
Der Überprüfung des Senats zu Grunde zu legen waren dabei nur die im Haftbefehl bezeichneten Taten. Ein Haftbefehl rechtfertigt eine Freiheitsentziehung allein zur Sicherung des Strafverfahrens hinsichtlich derjenigen Taten, die in ihm bezeichnet sind, vgl. BVerfG NStZ 2002, 100. Ob ein Untersuchungsgefangener auch weiterer Straftaten verdächtig oder angeklagt ist, die nicht im Haftbefehl bezeichnet sind, ist bei Prüfung der Frage, ob ein Grund im Sinne von § 121 Abs. 1 StPO für eine 6 Monate überschreitende Untersuchungshaft gegeben ist, unerheblich. Insoweit ebenfalls unerheblich ist es, ob das Verfahren auch gegen weitere Verdächtige geführt wird und nur deshalb insgesamt besonders schwierig oder umfangreich ist. Untersuchungshaft darf nicht aufrechterhalten werden, um weitere Straftaten zu ermitteln und aufzuklären, die selbst nicht Gegenstand des Haftbefehls sind, vgl. Senatsbeschluss vom 13. Juni 2002, NdsRpfl 2002, 334. Die Staatsanwaltschaft, die insoweit nicht bis zu Vorlage des polizeilichen Abschlussberichts untätig bleiben darf, hat hierauf aktiv hinzuwirken, vgl. Senatsbeschluss vom 22. März 2006, NJW 2006, 2646 [OLG Oldenburg 22.03.2006 - 1 Ws 170/06].
An diesen rechtlichen Maßstäben gemessen ist eine 6 Monate überschreitende Untersuchungshaft des Angeschuldigten R... nicht zulässig. Wegen der im Haftbefehl bezeichneten Taten hätte, nachdem der Angeschuldigte am 13. August 2009 festgenommen worden war, spätestens bis Ende September 2009 Anklage erhoben werden können und müssen. Die Ermittlungen waren insoweit bereits im April 2009 abgeschlossen. Die zugrundeliegenden Sachverhalte waren übersichtlich. Die Beweismittel lagen vor und waren ausgewertet. Das ergibt sich aus den zu den einzelnen Fällen geführten Fallakten. Auch der unter dem 7. Januar 2010 verfassten Anklageschrift sind in Bezug auf die im Haftbefehl gegen den Angeschuldigten R... bezeichneten Taten keine weiteren, erst später bekannt gewordenen erheblichen Beweismittel zu entnehmen. Ob die Staatsanwaltschaft zu einer Erhebung der öffentlichen Klage gegen den angeschuldigten R... - worauf der Vorlagebericht der Staatsanwaltschaft Oldenburg vom 1. Februar 2010 hindeutet - wegen Überlastung des zuständigen Staatsanwalts nicht in der Lage war, ist für die Frage einer Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft unerheblich. Unzureichende staatliche Mittel rechtfertigen als solche nicht die weitere Inhafthaltung eines vermutet Unschuldigen, vgl. BVerfG NJW 2003, 2895 [BVerfG 06.05.2003 - 2 BvR 530/03].
Dass das Verfahren gegen den Angeschuldigten zugleich gegen zahlreiche andere Personen geführt wurde und deshalb - insgesamt - besonders umfangreich war, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Dies gilt umso mehr, als der Angeschuldigte R... keiner bandenmäßigen Begehung beschuldigt wird. Falls eine den gesamten Ermittlungskomplex umfassende Anklageerhebung nicht beizeiten möglich war, hätte das Verfahren gegen den Angeschuldigten R... abgetrennt werden müssen. Da er mit demübrigen Ermittlungskomplex durch die im Haftbefehl bezeichneten Taten nur am Rande, nämlich als einer der Abnehmer der von anderen Angeschuldigten nach Deutschland verbrachten Drogen, in Beziehung stand, hätte eine abgetrennte Anklage den Fortgang des Verfahrens gegen die übrigen Angeschuldigten auch nicht oder jedenfalls nicht erheblich beeinträchtigt.