Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 03.09.1999, Az.: 3 B 3239/99

Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis; Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für den ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
03.09.1999
Aktenzeichen
3 B 3239/99
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1999, 32746
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:1999:0903.3B3239.99.0A

Fundstellen

  • NJW 2000, 1284 (amtl. Leitsatz)
  • NVwZ 2000, 348-349 (Volltext mit amtl. LS)
  • Streit 2001, 38-39

Verfahrensgegenstand

Versagung der Aufenthaltserlaubnis und Abschiebungsandrohung
hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

In der Verwaltungsrechtssache
...
die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Göttingen
am 03. September 1999
beschlossen:

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 19.01.1999 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 13.01.1999 wird angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 8.000,- DM festgesetzt.

Gründe

1

Der Antrag des Antragstellers,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 13.01.1999 anzuordnen,

2

hat in der Sache Erfolg.

3

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig. Seine Statthaftigkeit ergibt sich daraus, dass dem Widerspruch des Antragstellers hinsichtlich der Versagung der begehrten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 72 Abs. 1 AuslG bzw. hinsichtlich der verfügten Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung nach § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i.V.m. §§ 70 Abs. 1, NVwVG, 64 Abs. 4 NGefAG keine aufschiebende Wirkung zukommt. Die Belastung, die für den Antragsteller mit der Versagung der beantragten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis verbunden und einer Suspendierung in dem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO zugänglich ist, besteht darin, dass mit der angegriffenen ablehnenden Entscheidung des Antragsgegners die Fiktion des erlaubten Aufenthalts, die dem Antragsteller gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG zugute kam, entfallen ist.

4

In der Sache geht die nach § 80 Abs. 5 VwGO von der Kammer vorzunehmende Abwägung zwischen dem Suspensivinteresse des Antragstellers und dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit der gegen ihn gerichteten, von Gesetzes wegen sofort vollziehbaren Maßnahmen zu Lasten des Antragsgegners aus. Die Ablehnung der beantragten Aufenthaltserlaubnis und die Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung erweisen sich nach der in dem Verfahren des vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung weder als offensichtlich rechtmäßig noch als offensichtlich rechtswidrig. Neben dem Interesse des Antragstellers, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen vorläufig verschont zu bleiben, fällt zu seinen Gunsten - außer den mittelbar betroffenen Interessen seiner ehemaligen Ehefrau - insbesondere das Recht seines am ... geborenen Sohnes ... auf Umgang, Unterhalt und Gewährung von Erziehung durch den Antragsteller als Vater ins Gewicht; dahinter muss das öffentlichen Interesse des Antragsgegners an der sofortigen Durchsetzbarkeit des Bescheides vom 13.01.1999 zurückstehen.

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Als Anspruchsgrundlage des Antragstellers auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis kommt vorliegend allein § 23 Abs. 1 Nr. 3 AuslG in Betracht. Zu Recht hat der Antragsgegner im Bescheid vom 13.01.1999 festgestellt, dass die Voraussetzungen der Aufenthaltserlaubnis nach §§ 25 Abs. 3, 24, 23 Abs. 1 Nr. 1, 23 Abs. 3 und 19 AuslG nicht vorliegen; auf die dortigen Ausführungen nimmt die Kammer Bezug. Zweifelhaft ist allerdings, ob im Hinblick auf das am ... 1996 geborene, die deutsche Staatsangehörigkeit besitzende eheliche Kind des Antragstellers eine Verpflichtung des Antragsgegners besteht, dem Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.

6

Gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 3 AuslG ist die Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe des § 17 Abs. 1 AuslG dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge zu erteilen. Der Antragsteller ist gegenwärtig für sein Kind (mit-)personensorgeberechtigt. Allerdings ist der durch § 23 Abs. 1 Nr. 3 AuslG eröffnete Rechtsanspruch des Ausländers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis durch die ausdrückliche Bezugnahme auf § 17 Abs. 1 AuslG auf die Fälle beschränkt, in denen eine familiäre Lebensgemeinschaft beabsichtigt ist oder besteht. Es sprechen gute Gründe dafür, dass die letztgenannten Voraussetzungen hier bei summarischer Prüfung erfüllt sein können.

7

Nach § 17 Abs. 1 AuslG kann einem ausländischen Familienangehörigen eine Aufenthaltserlaubnis für die Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft mit dem Ausländer im Bundesgebiet zum Zwecke des nach Art. 6 GG gebotenen Schutzes von Ehe und Familie erteilt werden. Die Bestimmung soll in Verbindung mit den nachfolgenden Vorschriften, in denen auf sie Bezug genommen wird, den aus Art. 6 GG folgenden Schutz konkretisieren. Der Schutzbereich des nicht auf Deutsche beschränkten Grundrechts ausArt. 6 GG umfaßt auch die Beziehung des (mit-)sorgeberechtigten Vaters zu seinem ehelichen Kind. Soweit § 23 Abs. 1 Nr. 3 AuslG auf die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 AuslG verweist, bringt er damit jedoch in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zum Ausdruck, dass eine vom Schutzbereich umfasste familiäre Beziehung ein Aufenthaltsrecht nicht schlechthin, sondern erst dann vermitteln soll, wenn diese Beziehung eine Qualität erreicht, die das Ausländergesetz mit dem Begriff der familiären Lebensgemeinschaft umschreibt.

8

Der Begriff der familiären Lebensgemeinschaft fordert nicht unbedingt eine häusliche Gemeinschaft. Sie besteht in der Regel in Form der Beistandsgemeinschaft zwischen erwachsenen Angehörigen bzw. der Erziehungsgemeinschaft zwischen erwachsenen und minderjährigen Angehörigen und besitzt einen Lebensmittelpunkt; zur Entfaltung eines gemeinsamen Lebens gehört im Allgemeinen eine gemeinsame Wohnung. Leben die Familienmitglieder nicht zusammen sondern in getrennten Wohnungen, so bedarf es zusätzlicher Anhaltspunkte, um gleichwohl eine familiäre Lebensgemeinschaft annehmen zu können. Solche Anhaltspunkte können im Verhältnis zwischen einem Vater und seinem ehelichen Kind etwa in intensiven Kontakten, gemeinsam verbrachten Ferien, der Übernahme eines nicht unerheblichen Anteils an der Betreuung und Erziehung des Kindes oder in sonstigen vergleichbaren Beistandsleistungen liegen, die geeignet sind, das Fehlen eines gemeinsamen Lebensmittelpunktes weitgehend auszugleichen. Erschöpft sich der familiäre Kontakt in Besuchen, fehlen also darüber hinausgehende Beistandsleistungen oder andere Formen des familiären Kontakts, handelt es sich um eine bloße Begegnungsgemeinschaft. In diesem Zusammenhang gibt es nach Auffassung der Kammer keinen Grundsatz des Inhalts, dass zwischen einem (mit-)sorgeberechtigten ausländischen Elternteil und seinem nicht mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden minderjährigen Kind gleichsam automatisch eine familiäre Lebensgemeinschaft - d. h. eine vonArt. 6 GG geschützte Lebens- und Erziehungsgemeinschaft in Form der Beistandsgemeinschaft - vorliegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.01.1998 - 1 C 28.96 -, NVwZ 1998, 745/747; VG Göttingen, Beschluss vom 18.03.1999 - 3 B 3050/99 -).

9

Ausgehend von diesen Grundsätzen erscheint es der Kammer bei summarischer Prüfung nach dem Inhalt der Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners wahrscheinlich, dass gegenwärtig zwischen dem Antragsteller und seinem etwa 3 1/2 -jährigen Sohn ... eine familiäre Lebensgemeinschaft in dem dargelegten Sinne besteht. Der Antragsteller übt sein ihm (gemeinsam mit seiner von ihm geschiedenen und getrennt lebenden Ehefrau) zustehendes Personensorgerecht in der Weise aus, dass er das Kind regelmäßig jedes zweite Wochenende von Freitagmittag bis Sonntagabend zu sich holt; schon die räumliche Entfernung zwischen dem Wohnort ... der Kindesmutter und seinem Wohnort in ... bei ... bedingt, dass der Antragsteller in diesen regelmäßig wiederkehrenden zweieinhalb Tagen im Verhältnis zur Mutter des Kindes die alleinige Personensorge und Erziehung von Johannes ... übernimmt; in diesen beschränkten Zeiträumen, die zusammengezählt immerhin über ein Sechstel des Jahres ausmachen, besteht zwischen Vater und Sohn unzweifelhaft eine familiäre Lebensgemeinschaft. Darüber hinaus verbringt der Antragsteller gemeinsam mit seinem Sohn mehrere Wochen Urlaub sowie jeweils einen weiteren Nachmittag in den Wochen, in denen er ihn nicht über das Wochenende zu sich holt, so dass er ... mindestens ein Viertel des Jahres allein versorgt und betreut und dadurch die zeitliche Kontinuität der Kontakte wahren kann.

10

Hinzu kommt, dass er nach der schriftlichen Äußerung seiner geschiedenen Ehefrau vom 20.07.1999 auch zur Verfügung steht, um das Kind in Notfällen zu betreuen; sie hat außerdem am 27.08.1999 an Eides Statt versichert, dass der Antragsteller von diesen Umgangsrechten zuverlässig Gebrauch macht und dass die gemeinsame Personensorge für das Kind und sein regelmäßiger Umgang mit beiden Elternteilen wichtiger konzeptioneller Bestandteil der Erziehung ist. Auch die Art und Weise der Abwicklung der Kontakte durch die Mutter erlaubt die Annahme, dass die geschiedenen Eltern gemeinsam ihrer Verantwortung gegenüber dem Sohn gerecht werden. Es ist nach Aktenlage davon auszugehen, dass sie die regelmäßigen Kontakte zwischen Vater und Sohn fördert und unterstützt. Durch die regelmäßigen Kontakte nimmt der Antragsteller nicht unmaßgeblichen Einfluß auf die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes. Er ist damit eine wichtige Bezugsperson seines Sohnes, der deshalb auch mit Blick auf die Förderung des Kindeswohls als oberster Richtschnur elterlicher Pflege und Erziehung auf den Antragsteller angewiesen ist. Damit besteht zwischen dem Antragsteller und seinem Sohn wohl eine dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG unterfallende familiäre Verbundenheit, die die Voraussetzungen einer familiären Lebensgemeinschaft im Sinne des§ 17 Abs. 1 AuslG erfüllen dürfte; die Widerspruchsbehörde wird deshalb im Widerspruchsverfahren diese Sachlage zu berücksichtigen und ggf. weiter aufzuklären haben (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 23.05.1996 - 18 B 339/95 -).

11

Derzeit erscheint der Kammer nach dem Vorstehenden plausibel, dass ... auf die dauernde Anwesenheit des Antragstellers angewiesen sein dürfte und von ihm über die Besuche und die - selbstverständliche - Leistung des Unterhalts hinaus eine keinesfalls unwesentliche persönliche Lebenshilfe, namentlich in Gestalt von regelmäßigen Beiträgen zur Betreuung und altersgemäßen Erziehung erhält. Zumindest solange der Antragsteller in dem bisherigen, eher überdurchschnittlichen Maße Verantwortung für die Betreuung und Erziehung seines Sohnesübernimmt, bestehen genügend konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine familiäre Lebensgemeinschaft besteht, deren gegenwärtigen Umfang der Antragsteller nicht vom Ausland aus durch Besuchs-, Brief- und Telefonkontakte aufrecht erhalten kann. Hierbei ist zu beachten, dass es nach§ 70 Abs. 1 AuslG auch künftig dem Antragsteller obliegen wird, seine Belange und für ihn günstigen Umstände, soweit sie nicht offenkundig oder bekannt sind, unter Angabe nachprüfbarer Umstände gegenüber dem Antragsgegner geltend zu machen und soweit möglich, erforderliche Nachweise beizubringen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.01.1998 - 1 C 28.96 -, NVwZ 1998, 745/747; VG Göttingen, aaO.).

12

Die bei der gegenwärtigen Sachlage von der Kammer vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Interessen geht zu Gunsten des Antragstellers aus. Er lebt offenbar in geordneten Verhältnissen und verfügt über ein regelmäßiges Einkommen. Mit Ausnahme eines Strafbefehls über 25 Tagessätze zu je 30,- DM wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis im August 1996 liegen keine Erkenntnisse über ein strafrechtlich relevantes Verhalten vor. Mit seiner ehemaligen Ehefrau ist er sich augenscheinlich über die gemeinsame Erziehung von ... einig; sie scheint dem Wohl des Kindes zu entsprechen. Aus derzeitiger Sicht sprechen damit erhebliche Gesichtspunkte für ein Aufenthaltsrecht des Antragstellers aus §§ 23 Abs. 1 Nr. 3, 17 Abs. 1 AuslG. Mit Blick insbesondere auf die Interessen des Kindes ... ist deshalb zur Vermeidung nachhaltiger Störungen des Vater-Kind-Verhältnisses von einem überwiegenden Aussetzungsinteresse auszugehen.

13

Mangels vollziehbarer Ausreisepflicht (§ 42 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 AuslG) erstreckt sich die Aussetzung der sofortigen Vollziehung auch auf die Abschiebungsandrohung.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG und entspricht der ständigen Rechtsprechung der Kammer. Hiernach ist im Falle der Versagung der Aufenthaltserlaubnis und der damit verbundenen Abschiebungsandrohung auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes insgesamt der Auffangwert in Höhe von 8.000,00 DM in Ansatz zu bringen.