Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 23.09.2024, Az.: 1 ORbs 219/24

Vorsätzliches Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
23.09.2024
Aktenzeichen
1 ORbs 219/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 24659
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG Brandenburg - 03.05.2024 - AZ: 25 a OWi 374/23

In dem Bußgeldverfahren gegen
...,
Verteidiger: ...
wegen vorsätzlichen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften
hat das Brandenburgische Oberlandesgericht - 1. Senat für Bußgeldsachen - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Weckbecker als Einzelrichter am 23. September 2024 beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 3. Mai 2024 wird gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO mit der Maßgabe als offensichtlich unbegründet verworfen, dass der Betroffene einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung schuldig ist.

Der Betroffene trägt die Kosten seines Rechtsmittels (§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Gründe

I.

Das Amtsgericht Brandenburg an der Havel hat mit Urteil vom 3. Mai 2024 gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 66 km/h (nach Toleranzabzug), begangen am ... 2023 mit dem Pkw amtliches Kennzeichen ... auf der Bundesautobahn 2 zwischen den Anschlussstellen Wollin und Ziesar auf eine Geldbuße von 800,00 € erkannt sowie ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats unter Einräumung der Gestaltungsmöglichkeit nach § 25 Abs. 2 StVG angeordnet.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die ebenfalls am 3. Mai 2024 bei Gericht angebrachte Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die er nach der am 2. Juli 2024 erfolgten Urteilszustellung mit Anwaltsschriftsatz vom selben Tag begründet hat. Der Betroffene rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts, dabei insbesondere die Ablehnung der Einholung eines Sachverständigengutachtens.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat mit Stellungnahme vom 1. August 2024, eingegangen beim Brandenburgsichen Oberlandesgericht am 13. August 2024, beantragt, die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 3. Mai 2024 mit der Maßgabe als offensichtlich unbegründet zu verwerfen, dass dem Betroffenen eine vorsätzliche Begehungsweise vorzuwerfen ist.

II.

Der Senat folgt dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 OWiG statthaft und gemäß § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. §§ 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden.

2. Die Rechtsbeschwerde hat jedoch keinen Erfolg; sie unbegründet, wobei jedoch der Schuldspruch entsprechend der Urteilsfeststellungen in eine vorsätzliche Begehungsweise abzuändern ist.

a) Die Rechtsbeschwerde erweist sich aus den sehr sorgfältigen und zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrer Stellungnahme vom 1. August 2024 gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet.

b) Der Urteilstenor ist jedoch dahin abzuändern, dass der Betroffene eine vorsätzliche Ordnungswidrigkeit begangen hat.

aa) Das Tatgericht hat festgestellt, dass 500 Meter vor der eingerichteten Messstelle die Geschwindigkeit mittels beidseitig aufgestellter Vorschriftszeichen gemäß § 41 Abs. 1 StVO iVm. Anlage 1 zur StVO, lfd. Nr. 49, Zeichen 274-100 (mit dem Zusatzschild 1010-51) für Personenkraftwagen auf 120 km/h und für Lastkraftwagen auf 60 km/h (mit dem Zusatzschild 1010-51) beschränkt worden war, deren Wahrnehmbarkeit durch mehrere Zusatzschilder erhöht wurde, die auf Straßenschäden hinwiesen (S. 3, 6 UA).

Die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um mindestens 66 km/h, das Befahren der Autobahn mit deutlich über 180 km/h, ist bei beidseitig aufgestellten, die Geschwindigkeit beschränkende Verkehrsschildern, die zudem mit Zusatzschildern versehen sind, die auf Straßenschäden hinweisen, rechtlich als zumindest bedingt "vorsätzlich" zu qualifizieren. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass - wenn es auch keine genauen, durch wissenschaftliche Erhebungen gesicherten Erkenntnisse geben mag - davon ausgegangen werden darf, dass ordnungsgemäß aufgestellte Vorschriftzeichen von Verkehrsteilnehmern in aller Regel wahrgenommen werden (vgl. BGHSt 43, 241). Diesen Regelfall dürfen die Bußgeldstellen und Gerichte ihren Entscheidungen regelmäßig zugrunde legen. Die Möglichkeit, dass der Betroffene das die Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit anordnende Vorschriftzeichen übersehen hat, ist nur dann in Rechnung zu stellen, wenn der Betroffene sich darauf beruft oder sich hierfür sonstige Anhaltspunkte (z. B. nur einseitig aufgestellte Schilder) ergeben (vgl. BGH a.a.O.; OLG Hamm ZfS 2008, 408 [OLG Hamm 22.04.2008 - 3 Ss OWi 582/07]). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor.

Hinsichtlich der voluntativen Seite des Vorsatzes mag sein, dass allein daraus, dass ein Betroffener eine Geschwindigkeitsbeschränkung kennt, noch nicht geschlossen werden kann, dass er die zulässige Höchstgeschwindigkeit auch bewusst und gewollt überschritten hat (vgl. dazu auch OLG Celle ZfS 1996, 76; OLG Stuttgart, Beschluss vom 09. August 2010, 1 Ss 53/10 zit. n. juris). Mangels entsprechender Einlassung des Betroffenen zur voluntativen Seite ist jedoch aus objektiven Umständen, wie beispielsweise aufgrund der besonders erheblichen Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung, auf ein zumindest bedingt vorsätzliches (wenn nicht gar bewusstes und gewolltes) Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu schließen (vgl. auch KG NZV 2004, 598; KG VRS 109, 132; OLG Rostock VRS 108, 376; OLG Bamberg DAR 2006, 464; Thüringer OLG VRS 111, 52). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass für das Tempolimit ein besonderer Grund auf einem Zusatzschild angegeben worden ist, nämlich die vorhandenen und erkennbaren Straßenschäden.

Dass möglicherweise dem Betroffenen der Umfang einer Geschwindigkeitsüberschreitung nicht exakt bekannt war, steht der Annahme von (bedingtem) Vorsatz nicht entgegen. Denn die Differenz zwischen erlaubter und tatsächlich gefahrener Geschwindigkeit (mindestens 66 km/h, mithin eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von über 50%) war so erheblich, dass jeder Kraftfahrer merken musste, dass er im Bereich ausgewiesener Straßenschäden nicht nur zu schnell, sondern erheblich zu schnell fuhr (vgl. OLG Düsseldorf in NZV 1995, 161, 162 [OLG Naumburg 07.12.1994 - 1 Ss (B) 131/94]). Auch ohne ständigen Blick auf den Tachometer seines Fahrzeugs kann im Normalfall davon ausgegangen werden, dass ein geübter Kraftfahrer, der die erlaubten 120 km/h an einer Gefahrenstelle um 66 km/h überschreitet, dies beispielsweise anhand der Motorgeräusche, der sonstigen Fahrgeräusche, der Fahrzeugvibration und anhand der Schnelligkeit, mit der sich die Umgebung um ihn herum ändert, zuverlässig einschätzen und dadurch erkennen kann, dass er die erlaubte Höchstgeschwindigkeit wesentlich überschreitet (vgl. BGH in NJW 1993, 3081, 3084 [BGH 19.08.1993 - 4 StR 627/92] m.w.N.). Selbst wenn der Betroffene nicht auf den Tachometer geschaut hätte, würde dies aus den oben genannten Gründen der Annahme von bedingtem Vorsatz nicht entgegenstehen. Der Betroffene hatte auch ohne ständige Tachometerbeobachtung eine ungefähre Vorstellung von der Größenordnung der gefahrenen Geschwindigkeit. Dass einem Betroffenen der Umfang einer Geschwindigkeitsüberschreitung möglicherweise nicht exakt bekannt ist, steht der Annahme von (bedingtem) Vorsatz nicht entgegen. Vorsätzliches Handeln setzt eine solche Kenntnis nämlich nicht voraus. Vielmehr genügt das Wissen, schneller als erlaubt zu fahren (siehe bereits Senatsbeschluss vom 1. März 2012; (1 B) 53 Ss-Owi 9/12 (3/12); Senatsbeschluss vom 27. April 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 173/20 (104/20); Brandenburgisches Oberlandesgericht, 2. Strafsenat, Beschluss vom 21. Februar 2019, (2 B) 53 Ss-OWi 1/19 (8/19); ebenso statt vieler: KG, Beschluss vom 10.12.2003 - 3 Ws (B) 500/3 - 345 OWi 401/02, zit. n. juris; BayObLG NZV 1999, 97; OLG Koblenz DAR 1999, 227; Thüringer OLG VRS 111, 52). Dem Betroffenen war damit bewusst, dass er die zulässige Höchstgeschwindigkeit jedenfalls erheblich überschritten hat. Wenn er es im Bewusstsein dieses zumindest stark überhöhten Tempos unterließ, seine Geschwindigkeit durch den ihm jederzeit problemlos möglichen Blick auf den Tachometer zu kontrollieren und herabzumindern, brachte er dadurch hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass er eine Geschwindigkeitsüberschreitung auch in dem tatsächlich realisierten Ausmaß von mindestens 66 km/h zumindest billigend in Kauf genommen hatte (vgl. OLG Düsseldorf NZV 1996, 463).

bb) Der Schuldspruchberichtigung steht der Grundsatz des Verschlechterungsverbotes (reformatio in peius) gem. § 358 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 79 Abs. 3 OWiG nicht entgegen (vgl. BGHSt 14, 5, 7; BGHSt 21, 256, 260; BGH NStZ 1986, 20; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2012, 23; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30. August 2010, 1 (8) SsRs 384/09, zit. n. jurist, dort Rdnr. 4; OLG Bamberg DAR 2008, 218; OLG Celle NJW 1990, 589, OLG Düsseldorf VRS 80, 52; siehe auch Göhler/Seitz, OWiG, 19. Aufl., § 79 Rdnr. 37; Senatsbeschluss vom 1. März 2012; (1 B) 53 Ss-Owi 9/12 (3/12); ebenso Senatsbeschluss vom 27. April 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 173/20 (104/20)).

Dr. Weckbecker Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht