Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 22.10.1996, Az.: 5 A 5141/96

Befreiung von Elternbeiträgen für einen Besuch eines in kirchlicher Trägerschaft stehenden Kindergartens; Eröffnung des Rechtswegs zu den Verwaltungsgerichten; Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden; Wirksame Übertragung der kirchengemeindlichen Entscheidungsbefugnis

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
22.10.1996
Aktenzeichen
5 A 5141/96
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 24791
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:1996:1022.5A5141.96.0A

Fundstelle

  • NVwZ-RR 1998, 43-44 (Volltext mit red. LS)

Verfahrensgegenstand

Benutzungsgebührenrecht

Die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Braunschweig hat
auf die mündliche Verhandlung vom 22. Oktober 1996
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Hinselmann,
den Richter am Verwaltungsgericht von Krosigk,
den Richter Dr. Baumgarten sowie
die ehrenamtliche Richterin Maibohm und
den ehrenamtlichen Richter Schwieter
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Bescheide der Beklagten vom 14. August 1995 und 25. März 1996 werden aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des gegen sie festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Tatbestand

1

Die Kläger wenden sich dagegen, daß die Beklagte es abgelehnt hat, sie von der Zahlung von Elternbeiträgen für den Kindergartenbesuch ihrer Söhne zu befreien.

2

Die im Jahre 1990 geborenen Söhne ... und ... der Kläger besuchen seit August 1994 den katholischen Kindergarten St. Hedwig in Salzgitter. Träger des Kindergartens ist die katholische Kirchengemeinde St. Michael. Die Kläger haben außerdem zwei weitere, in den Jahren 1986 und 1988 geborene Kinder.

3

Die Erhebung von Elternbeiträgen für den Besuch von Kindertagesstätten ist im Zuständigkeitsbereich der Beklagten wie folgt geregelt: Die Beklagte gewährt den Trägern von Kindertagesstätten Zuschüsse zum Betrieb der Einrichtungen in Höhe eines Teils des entstehenden Defizites nur unter der Voraussetzung, daß u.a. die Befreiung vom Elternbeitrag zentral von ihrem Jugendamt festgestellt wird und daß stadteinheitliche Elternbeiträge, die vom Rat vorgegeben sind, erhoben werden. In mündlichen Absprachen wurde vereinbart, inwieweit die Beklagte bei der Beitragsfestsetzung und Befreiung von den Elternbeiträgen für den jeweiligen Träger der Tageseinrichtung tätig wird. Schriftliche Verträge sind für die Zukunft vorgesehen, liegen zur Zeit aber noch nicht vor. Zum Verfahren der Befreiung von den Elternbeiträgen heißt es im Beschluß des Rates der Beklagten vom 9. Dezember 1992:

"Bei Überschreiten der Einkommensgrenze nach § 79 BSHG wird nur dann der volle Elternbeitrag erhoben, wenn die Überschreitung mindestens den Elternbeitrag ausmacht. Unter der Höhe des Elternbeitrages liegende Einkommensgrenzüberschreitungen sind nur in dieser Höhe als Elternbeitrag mit folgender Maßgabe zu erheben:

- bei Überschreitungen unter 10,00 DM wird auf eine Einziehung verzichtet,
- bei Überschreitungen von 10,00 DM und mehr bis zur Höhe des jeweiligen Elternbeitrages werden jeweils auf volle DM-Beträge abgerundete Elternbeitragsanteile eingezogen."

4

Nach dem Ratsbeschluß vom 3. Mai 1995 bleibt dieses Befreiungsverfahren bestehen; weiter heißt es in dem Beschluß, das Verfahren sei "die Sozialstaffel nach § 20 KiTaG" (Kindertagesstättengesetz).

5

Die Kirchengemeinde St. Michael erhebt die Elternbeiträge aufgrund einer Kindergartenordnung, in deren Ziffer 7 es u.a. heißt, wer aus wirtschaftlichen Gründen nicht in der Lage sei, den vollen Elternbeitrag zu zahlen, könne "beim örtlichen Jugendamt oder Sozialamt (bei der Kindergartenleitung) einen Antrag auf Übernahme stellen."

6

Mit Schreiben vom 29. Juni 1995 beantragten die Kläger bei der Beklagten, von der Zahlung des Elternbeitrages in Höhe von 260,00 DM pro Monat im Zeitraum August 1995 bis Juli 1996 für ihre Söhne ... und ... befreit zu werden.

7

Mit Schreiben vom 14. August 1995 stellte die Beklagte fest, das zu berücksichtigende Einkommen der Kläger nach § 76 BSHG überschreite die Einkommensgrenze nach § 79 BSHG, deshalb sei eine Befreiung nicht vorzunehmen. Wegen der zugrunde liegenden Berechnung wird auf den Verwaltungsvorgang verwiesen (Bl. 131 ff.). Außerdem heißt es in dem Schreiben, die Nachricht ergehe namens und in Vollmacht der Kindertagesstätte.

8

Hiergegen legten die Kläger mit Schreiben vom 12. September 1995, das am 14. September 1995 bei der Beklagten einging, Widerspruch ein. Zur Begründung machten sie im wesentlichen geltend, die Beklagte hätte bei der Einkommensberechnung von höheren Unterkunftskosten ausgehen, wegen der Schichtarbeit der Kläger einen höheren Freibetrag nach § 76 Abs. 2 a Nr. 2 BSHG annehmen und außerdem anstelle einer Pauschale von 10,00 DM die Kfz-Steuern und die Kfz-Haftpflichtversicherung in voller Höhe anrechnen müssen. Dem ist die Beklagte mit Schreiben vom 25. März 1996 entgegengetreten.

9

Am 15. April 1996 haben die Kläger Klage erhoben und hierzu auf die im Rahmen ihres Widerspruchs angeführten Gründe verwiesen.

10

Die Kläger beantragen,

den Bescheid vom 14.8.1995 und den Bescheid vom 25.3.1996 aufzuheben.

11

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

12

Zur Begründung verweist sie auf ihr Schreiben vom 25. März 1996 und macht geltend, die Befreiung stelle keinen Verwaltungsakt dar.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

14

Die Klage ist zulässig (I.) und begründet (II.).

15

I.

Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten ist nach § 40 Abs. 1 VwGO eröffnet. Die Erhebung der Elternbeiträge und die Befreiung von diesen Beiträgen sind öffentlich-rechtlich geregelt.

16

Die Kirchengemeinde ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und darf ihre Angelegenheiten als solche selbst öffentlich-rechtlich regeln (vgl. Art. 140 Grundgesetz i.V.m. Art. 137 Abs. 3, Abs. 5 Weimarer Reichsverfassung - WRV -). Ob sie die Besuchsentgelte und die Befreiung hiervon privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich (vgl. § 90 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 22 Abs. 2 SGB VIII) geregelt hat, bestimmt sich nach ihrem objektiv erkennbaren Erklärungswillen. Dabei sprechen für ihren Willen zu einer öffentlich-rechtlichen Regelung die im öffentlichen Recht üblichen Begriffe "Elternbeiträge" und "Kindergartenordnung", welche die Kirchengemeinde im Zusammenhang mit dem Besuch ihres Kindergartens und der Entgeltregelung verwendet. Im übrigen hat sich die Kirchengemeinde dadurch, daß in der Kindergartenordnung von der "Beitragsfestsetzung" die Rede ist (Ziff. 7 Abs. 4), von der dem Zivilrecht typischen Vertragsfreiheit gelöst. Schließlich zeigt die Regelung in Ziff. 7 Abs. 5 Kindergartenordnung, wonach bei fehlender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit ein "Antrag auf Übernahme" der Elternbeiträge gestellt werden kann, daß die Beitragsermäßigung nicht der vertraglichen Vereinbarung unterliegt, sondern hoheitlicher Entscheidungsgewalt unterstellt werden soll. Die Regelung über die Beitragsbefreiung steht darüber hinaus mit der Nutzungsregelung und der Beitragsfestsetzung in einem so engen sachlichen Zusammenhang, daß sie - unabhängig davon, wie die Beteiligung der Beklagten in dem Befreiungsverfahrens rechtlich zu werten ist - jedenfalls an deren öffentlich-rechtlichem Charakter teilnimmt.

17

Auch die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen sind erfüllt. Bei der den Befreiungsantrag der Kläger ablehnenden Entscheidung der Beklagten vom 14. August 1995 handelt es sich - entgegen der Auffassung der Beklagten - ebenso wie bei dem auf den Widerspruch der Kläger antwortenden Schreiben vom 25. März 1996 um Verwaltungsakte im Sinne der §§ 42 VwGO und 35 VwVfG, die unmittelbar auf die Feststellung gerichtet waren, ob eine Beitragsbefreiung zu erfolgen hat. Das deshalb vor Erhebung der Klage gemäß § 68 VwGO durchzuführende Widerspruchsverfahren hat stattgefunden. Ob die Beklagte für die mit dem Schreiben vom 25. März 1996 erfolgte Entscheidung über den Widerspruch der Kläger zuständig war, ist für die Zulässigkeit der Klage unerheblich (vgl. BVerwG, Urteil vom 3.1.1964, DVBl. 1964, 357, 358).

18

II.

Die Klage ist auch begründet.

19

Die Verwaltungsakte der Beklagten vom 14. August 1995 und vom 25. März 1996 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten. Für den Erlaß der angegriffenen Verfügungen ist die Beklagte nicht zuständig gewesen.

20

Betreibt eine Kirchengemeinde unter Inanspruchnahme ihres verfassungsmäßigen Rechtes zur Regelung ihrer Angelegenheiten einen Kindergarten, so gehört zu ihren inneren Angelegenheiten, für die sie originär zuständig ist, auch die Beitragsfestsetzung einschließlich der Entscheidung über die Befreiung von den Elternbeiträgen (vgl. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV sowie die §§ 90 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, 22 Abs. 1 SGB VIII).

21

Zwar ist grundsätzlich rechtlich möglich, daß eine Körperschaft des öffentlichen Rechts eine Entscheidungszuständigkeit auf eine andere Körperschaft überträgt, indem etwa ein Mandat - d.h. die Befugnis zur Entscheidung in fremdem Namen - erteilt wird oder eine Delegation - die Übertragung der Befugnis zur Entscheidung im eigenen Namen der anderen Behörde - erfolgt (vgl. dazu Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum VwVfG, 3. Aufl., § 4 RdNr. 30 ff., § 44 RdNr. 93). Eine solche Übertragung der Entscheidungsbefugnisse auf die Beklagte ist hier jedoch nicht wirksam erfolgt.

22

Durch die erfolgten Absprachen zwischen der Beklagten und den Kindergartenträgern zur Beitragserhebung hat sich die Kirchengemeinde ihrer Entscheidungszuständigkeit schon deswegen nicht wirksam begeben, weil sie daran - soweit ersichtlich - nicht durch ihren ordnungsgemäßen Vertreter - den Kirchenvorstand - beteiligt gewesen ist.

23

Auch ein wirksamer Vertrag, der die Beklagte zur Entscheidung ermächtigen würde, ist nicht abgeschlossen worden. Ein von der (ordnungsgemäß vertretenen) Kirchengemeinde und der Beklagten unterzeichnetes Schriftstück liegt jedenfalls nicht vor, so daß die für einen wirksamen öffentlich-rechtlichen Vertrag erforderliche Schriftform nicht eingehalten ist (vgl. die §§ 57 VwVfG, 126 BGB).

24

Schließlich hat die Kirchengemeinde die Entscheidungsbefugnis auch nicht durch ihre Kindergartenordnung (Ziff. 7 Abs. 5) wirksam auf die Beklagte übertragen. Bei der Kindergartenordnung handelt es sich nicht um eine wirksame Satzung, wie sie für die Erhebung von Kindergartenbeiträgen erforderlich ist. Aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit ist eine Gebührensatzung nur dann gültig, wenn sie ausdrücklich als "Satzung" bezeichnet ist (VGH Baden-Württemberg, Beschluß vom 30.11.1988, NVwZ - RR 1989, 267, 269). Nur so kann verhindert werden, daß Unsicherheiten darüber aufkommen, ob die für den Erlaß von Satzungen geltenden besonderen Verfahrenserfordernisse im Einzelfall eingreifen und damit die Beschlüsse der Körperschaftsorgane nach außen verbindlich sind. Eine als "Satzung" bezeichnete Rechtsvorschrift der Kirchengemeinde liegt hingegen nicht vor.

25

Hinzu kommt, daß der in Ziff. 7 Abs. 5 Kindergartenordnung erfolgte Hinweis nicht eindeutig bestimmt, in welcher Art und Weise - im Wege der Mandatserteilung oder der Delegation - die Beklagte für die Kirchengemeinde bei der Entscheidung über den Antrag auf Befreiung von Elternbeiträgen tätig wird und wer damit die für die Entscheidung zuständige Stelle ist. Der beitragspflichtige Bürger ist aufgrund der unklaren Regelung in der Kindergartenordnung nicht in der Lage zu beurteilen, ob in seinem Fall bei der Entscheidung über einen Befreiungsantrag die Kompetenz rechtmäßig ausgeübt wurde. Zur Unklarheit trägt weiter bei, daß nach dem Wortlaut der Ziff. 7 Abs. 5 der Kindergartenordnung der Antrag auf Übernahme der Elternbeiträge auch bei der Kindergartenleitung gestellt werden kann.

26

Weil demnach die Entscheidungszuständigkeit jedenfalls nicht wirksam von der Kirchengemeinde übertragen worden ist, kann die Kammer die Frage offen lassen, ob für eine solche Übertragung eine gesetzliche Grundlage erforderlich ist und dafür das Recht der Kirchengemeinde zur Regelung der inneren Angelegenheiten bzw. die ihr zukommende Anstaltsgewalt genügt.

27

Auch der Gesetzgeber hat durch § 90 Abs. 3 S. 1 SGB VIII nicht etwa die Zuständigkeit zur Entscheidung über die Beitragsermäßigung bei kirchlicher Trägerschaft den Verwaltungsbehörden eingeräumt.

28

Der Verwaltungsakt vom 25. März 1996 ist ebenfalls rechtswidrig. Für die Entscheidung über den Widerspruch der Kläger gegen die Verfügung vom 14. August 1995 war nicht die Beklagte zuständig (vgl. § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO). In Selbstverwaltungsangelegenheiten der Kirchengemeinde - wie hier - erläßt nämlich die Selbstverwaltungsbehörde, also die nach der einschlägigen Kirchenverfassung zuständige kirchliche Stelle, den Widerspruchsbescheid (vgl. § 73 Abs. 1 Nr. 3 VwGO). Daß insoweit der Beklagten wirksam ein Mandat erteilt bzw. die Entscheidungsbefugnis wirksam delegiert worden ist, ist nicht ersichtlich. Jedenfalls fehlt es an einer wirksamen, die Entscheidungsbefugnis insoweit auf die Beklagte übertragenden Willensbekundung einer ordnungsgemäß vertretenen kirchlichen Stelle. Die Kammer läßt daher offen, ob angesichts der Regelung des § 73 Abs. 1 Nr. 3 VwGO die Befugnis zur Entscheidung von Widersprüchen allein aufgrund der Selbstverwaltungskompetenz der kirchlichen Körperschaften ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung übertragen werden kann.

29

Nach allem kommt es für die Entscheidung dieses Verfahrens nicht darauf an, ob die Einkommensberechnungen der Beklagten zutreffend gewesen und die angegriffenen Verwaltungsakte damit inhaltlich rechtmäßig sind.

30

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens folgt aus der Anwendung des § 154 Abs. 1 VwGO.

31

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Hinselmann
von Krosigk
Dr. Baumgarten