Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 11.05.2016, Az.: 11 B 2258/16

Asyl; Asylbewerber; Asylverfahrenrichtlinie; offensichtlich unbegründet; subsidiärer Schutz

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
11.05.2016
Aktenzeichen
11 B 2258/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 43544
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine aufschiebende Wirkung der Klage eines Asylbewerbers kann nicht unmittelbar aus Art. 46 Abs. 5 der Richtlinie 2013/32/EU (EURL 32/2013) abgeleitet werden, weil die Norm nicht self executing ist.

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragssteller tragen die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die am 12. April 2016 bei Gericht eingegangenen Anträge der Antragsteller mit dem sinngemäßen Begehren,

festzustellen, dass ihre Klage vom 12. April 2016 (Az. 11 A 2257/16) gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 31. März 2016 aufschiebende Wirkung hat,

hilfsweise,

die aufschiebende Wirkung ihrer Klage vom 12. April 2016 (Az. 11 A 2257/16) gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 31. März 2016 anzuordnen,

haben keinen Erfolg.

Das Feststellungsbegehren im Hauptantrag hat keinen Erfolg.

Die Antragsteller können die aufschiebende Wirkung ihrer am 12. April 2016 erhobenen Klage nicht unmittelbar aus Art. 46 Abs. 5 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. L 180/60 vom 29. Juni 2013) - nachfolgend: Verfahrensrichtlinie (VRL) - ableiten.

Es kann vorliegend dahinstehen, ob das deutsche Asylrecht eine „offensichtlich unbegründete“ Ablehnung auch des subsidiären Schutzes vorsehen muss, um die aufschiebende Wirkung einer Klage ausschließen zu können. Der Bürger kann sich gegenüber dem Staat vor dem nationalen Gericht auf die unmittelbare Anwendbarkeit einer nicht fristgemäß oder unrichtig in nationales Recht umgesetzten Richtlinie nur dann berufen, sofern diese inhaltlich unbedingt und hinreichend genau ist (so grundlegend EuGH, Urteil vom 26. Februar 1986, Rs. 152/84, Tz. 46 f. - zitiert nach juris). Die entsprechende Bestimmung muss „self-executing“, mithin ohne weiteres anwendbar, präzise und frei von Bedingungen sein. Diese Bestimmungen zeichnen sich dadurch aus, dass es mit Ausnahme des innerstaatlichen Transformationsaktes keiner weiteren (nationalen) Umsetzungsakte bedarf, um festzustellen, welche Ansprüche aus der Richtlinie resultieren, weil sich der Regelungsinhalt „rechtlich vollkommen“ der Richtlinie entnehmen lässt. Der Europäische Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang klargestellt, dass ein den Mitgliedstaaten verbleibender gewisser Gestaltungsspielraum den Richtlinienbestimmungen nicht notwendigerweise ihre hinreichende Genauigkeit und Unbedingtheit nimmt. In diesem Fall ist eine unmittelbare Anwendbarkeit gegeben, soweit es möglich ist, einen hinreichend konkreten und unbedingten Mindestschutz zu bestimmen (so EuGH, Urteil vom 14. Juli 1994, Rs. C-91/92, Tz. 17 - zitiert nach juris). In diesem Fall kann sich der Bürger gegenüber dem Staat bei nicht vollständig umgesetzten Richtlinien auf jeden Fall auf den dort festgeschriebenen Mindestschutz berufen.

In diesem Sinne ist Art. 46 Abs. 5 VRL nicht hinreichend bestimmt und unbedingt. Die Vorschrift begründet auch nicht den europarechtlich statuierten Mindestschutz für das Verbleibensrecht der Antragsteller im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten.

Die Reichweite des Verbleibensrechtes der Antragsteller im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten kann Art. 46 Abs. 5 VRL nicht unmittelbar entnommen werden, sondern hängt von der jeweiligen Ausgestaltung der mitgliedstaatlichen Umsetzungsvorschriften ab. Art. 46 VRL will mit seinen Regelungen sicherstellen, dass Antragsteller ihr „Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht“ wahrnehmen können. Die Richtlinie konkretisiert diese Zielsetzung u. a. in Art. 46 Abs. 4 VRL, indem den Mitgliedstaaten aufgegeben wird, angemessene Fristen und sonstige Vorschriften vorzusehen, die erforderlich sind, um das Recht auf einen „wirksamen Rechtsbehelf“ nach Abs. 1 wahrnehmen zu können. Dieser Systematik folgend konkretisieren die Absätze 5 und 6 diese Regelungsverpflichtung der Mitgliedstaaten weiter, indem verschiedene Regelungsalternativen zum Verbleib der Antragsteller im Hoheitsgebiet während eines Rechtsbehelfsverfahrens dargestellt werden. Wie dem Wortlaut des Art. 46 Abs. 5 VRL zu entnehmen ist („…unbeschadet des Absatzes 6…“), stehen beide Absätze in einem engen (wechselseitigen) Zusammenhang. Das Verbleibensrecht nach Absatz 5 steht unter dem Vorbehalt, dass die Mitgliedstaaten den Antrag nicht nach Maßgabe der in Absatz 6 aufgeführten Alternativen bescheiden. Ob und inwieweit die Mitgliedstaaten von Absatz 6 Gebrauch machen, kann der Richtlinie nicht entnommen werden. Wie dem Wortlaut des Absatzes 6 zu entnehmen ist, sind die Mitgliedstaaten frei darin zu bestimmen, ob und inwieweit eine Entscheidung nach diesem Absatz zu einer Aufenthaltsbeendigung vor einer Entscheidung über den (wirksamen) Rechtsbehelf führen muss. Die Entscheidung nach Art. 46 Abs. 6 VRL muss folglich nicht zwingend in Widerspruch zum umfassenden Verbleibensrecht der Antragsteller nach Art. 46 Abs. 5 VRL stehen. Dieser Zusammenhang verdeutlicht, dass die Reichweite des Verbleibensrechtes der Antragsteller maßgeblich durch die nationalen Umsetzungsvorschriften bestimmt wird, weshalb Art. 46 Abs. 5 VRL nicht als „self-executing“ qualifiziert werden kann.

Bezüglich des Verbleibensrechtes der Antragsteller im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten begründet Art. 46 Abs. 5 VRL auch nicht den europarechtlichen Mindestschutz. Dieser findet sich in Art. 46 Abs. 8 VRL, wonach die Mitgliedstaaten dem Antragsteller bis zur Entscheidung in dem Verfahren nach Art. 46 Abs. 6 (und Abs. 7) VRL darüber, ob der Antragsteller im Hoheitsgebiet verbleiben darf, gestatten im Hoheitsgebiet zu verbleiben. Dieser Mindestschutz wird im deutschen Asylverfahrensrecht gewährleistet, weil die Antragsteller vor einer Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht abgeschoben werden.

Der Hilfsantrag hat keinen Erfolg.

Gegen die nach § 34 Abs. 1, § 36 Abs. 1 AsylG angedrohte Abschiebung ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO i. V. m. § 36 Abs. 3 AsylG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht gestellt worden.

Die Antragsteller sind vollziehbar ausreisepflichtig, weil keine ernstlichen Zweifel im Sinne von Art. 16 a Abs. 4 Satz 1 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG an der Richtigkeit der Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) bestehen, ihren Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen und ihnen die Abschiebung nach Albanien anzudrohen.

Das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamtes erweist sich hinsichtlich der Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigte und hinsichtlich der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft schon deshalb als gerechtfertigt, weil Albanien als sicherer Herkunftsstaat gilt. Mit dem am 24. Oktober 2015 in Kraft getretenen Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz (BGBl. I 2015, S. 1722) ist Albanien in die Anlage II zu § 29a AsylG - die Liste der sicheren Herkunftsstaaten - aufgenommen worden.

Gemäß § 29a Abs. 1 AsylG ist der Asylantrag eines Ausländers aus einem sicheren Herkunftsstaat als offensichtlich unbegründet abzulehnen, es sei denn, die von dem Ausländer angegebenen Tatsachen oder Beweismittel begründen die Annahme, dass ihm abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat politische Verfolgung droht. Dementsprechend kann der gesetzlichen Vermutung, dass der Herkunftsstaat Sicherheit vor politischer Verfolgung bietet, nur mit einem Vorbringen entgegengetreten werden, das die Furcht vor politischer Verfolgung auf ein individuelles Verfolgungsschicksal des jeweiligen Ausländers gründet. Die Vermutung ist erst ausgeräumt, wenn der Ausländer die Umstände seiner politischen Verfolgung schlüssig und substantiiert vorträgt (vgl. BVerfG, Urteile vom 14. Mai 1996, 2 BvR 1507/93, 2 BvR 1508/93, jeweils Rnrn. 97 f. - zitiert nach juris).

Das Vorbringen der Antragsteller ist nicht geeignet, die gesetzliche Vermutung, der albanische Staat biete Schutz vor politischer Verfolgung, zu widerlegen. Zur Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf den zutreffenden Inhalt des angefochtenen Bescheides Bezug genommen.

Die Antragsteller haben auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG, denn Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen nicht vor.

Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG sind ebenfalls nicht ersichtlich.

Die Gefahr, dass sich eine vorhandene Krankheit nach Rückkehr des Ausländers in seinen Heimatstaat verschlechtert, weil dort die Behandlungsmöglichkeiten unzureichend sind, kann ein Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Gefahr der Gesundheitsverschlechterung erheblich und konkret ist (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Erheblich ist sie dann, wenn sich im Falle der Rückkehr der Gesundheitszustand wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Konkret ist sie, wenn der Ausländer alsbald nach seiner Rückkehr in eine solche Lage geriete, weil er auf die dortigen unzureichenden Behandlungsmethoden angewiesen wäre und auch anderswo keine wirksame Hilfe erlangen könnte (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November 1997, 9 C 58/96 - zitiert nach juris). Dass die Antragstellerin zu 3. durch die behauptete Deformierung und Fehlbildung des linken Fußes (6. Zehe am linken Fuß) eine solche Gefahr konkret droht, ist für das Gericht schon wegen der unergiebigen medizinischen Unterlagen nicht ersichtlich und wurde von der Antragstellerin zu 3. auch nicht substantiiert vorgetragen. Dem vorgelegten „U-Heft“ ist im Abschnitt U 1 zu entnehmen, dass die Antragstellerin zu 3. keine Fehlbildungen aufweist. Dass die Antragstellerin zu 3. „…gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt im Laufe ihres Lebens Probleme beim Laufen haben könnte…“ (Vortrag der Antragstellerin zu 2. bei der Anhörung am 4. Februar 2016) genügt den Anforderungen an eine erhebliche und konkrete Gefahr für Leib oder Leben nicht. Dem steht die empfohlene Durchführung einer Operation am linken Fuß (Bemerkungsfeld in den Abschnitten U 2 und U 3) nicht entgegen. Der (nachvollziehbare) Wunsch, eine medizinisch indizierte Behandlung in der Bundesrepublik Deutschland durchzuführen, kann ein asylrechtliches Abschiebungsverbot nicht begründen.

Soweit sich aus dem Vortrag eine mögliche Reiseunfähigkeit der Antragstellerin 3. ergibt, handelt es sich nicht um einen zielstaatsbezogenen, im Asylverfahren vor dem Bundesamt zu berücksichtigenden Vortrag.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.