Verwaltungsgericht Osnabrück
Urt. v. 23.01.2012, Az.: 5 A 212/11
Italien; Selbsteintrittsrecht; Überstellung
Bibliographie
- Gericht
- VG Osnabrück
- Datum
- 23.01.2012
- Aktenzeichen
- 5 A 212/11
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2012, 44506
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 3 Abs 2 EGV 343/2003
- Art 16a GG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Keine Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, zu Gunsten eines nicht in besonderem Maße schutzbedürftigem Asylbewerbers, der vor seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland in der Republik Italien aufhältig war, das Selbsteintrittsrecht aus Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO auszuüben
Tatbestand:
Der Kläger, ein im Jahre 1986 geborener afghanischer Staatsangehöriger, begehrt in erster Linie die Verpflichtung der Beklagten, den ein Asylverfahren als unzulässig ablehnenden Bescheid aufzuheben und ein Asylverfahren durchzuführen.
Der Kläger ist eigenen Angaben nach am 20.01.1986 geboren und afghanischer Staatsangehöriger. Mitte Dezember 2010 soll er in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sein. Am 22.12.2010 stellte er einen Asylantrag. Aufgrund eines EURODAC-Treffers vom 23.11.2010 wurde der Beklagten im Rahmen des Asylverfahrens bekannt, dass der Kläger sich bereits zuvor in der Italienischen Republik (im Folgenden: Italien) aufgehalten hatte.
Am 01.03.2011 richtete die Beklagte ein Übernahmeersuchen nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedsstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (im Folgenden: Dublin II VO), an Italien. Mit Schreiben vom 16.03.2011, zugegangen am selben Tag, erklärten sich die italienischen Behörden für zuständig i.S.v. Art. 10 Abs. 1 Dublin II VO.
Mit Bescheid vom 13.07.2011, der dem Kläger am 22.08.2011 ausgehändigt wurde, lehnte die Beklagte den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Italien an. Zur Begründung verwies sie auf § 27a AsylVfG. Die Nichtausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs 2 Dublin II VO begründete die Beklagte damit, dass keine außergewöhnlichen humanitären Gründe ersichtlich wären.
So würde Italien die Mindeststandards gegenüber Ausländern bezüglich eines Asylantrags erfüllen. Da es sich bei Italien um einen Mitgliedstaat der Europäischen Union und somit um einen sicheren Drittstaat handele (Art. 16 a Abs. 2GG bzw. § 26 a AsylVfG), sei aufgrund des zugrundeliegenden normativen Vergewisserungskonzepts davon auszugehen, dass in Italien die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt sei. Für eine Abweichung vom normativen Vergewisserungskonzept bestehe kein Anlass.
Italien habe die Richtlinie 2003/9/EG (Mindestnormen zur Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten) in die Rechtsordnung implementiert, welche u.a. eine bevorzugte Behandlung von besonders schutzbedürftigen Personen vorsehe.
Das sog. SPRAR System reiche zudem aus. Ferner sei die medizinische Versorgung gesichert. Zwar seien vereinzelt Probleme bei der Unterbringung von Schutzsuchenden in Italien zu verzeichnen und die medizinische Versorgung nicht immer optimal, dennoch sei die Situation nicht mit der in Griechenland vergleichbar. Dies begründet die Beklagte mit diversen Entscheidungen von deutschen Gerichten und der Tatsache, dass Organisationen wie UNHCR, IOM und weitere NGOs vor Ort seien und die Lage betrachten würden. Die Debatte um Lampedusa könne zudem nicht auf Italien als Ganzes übertragen werden.
Mit Schreiben vom 15.08.2011 erhielt der Kläger eine Vorladung für die Rücküberstellung. Am 23.08.2011 sollte der Kläger gem. der Dublin II VO nach Italien überstellt werden. Der Kläger kam der Vorladung jedoch nicht nach. Seine Prozessbevollmächtigte erklärte unter dem 26.08.2011, dass es richtig sei, dass der Kläger im Heim nicht anwesend gewesen sei. Es sei auch diesbezüglich eine Nachricht an die Aufnahmebehörde am Montagabend (22.08.2011) geschickt worden, die vermutlich noch nicht bekannt gewesen sei. Aus den Akten ergibt sich, dass die Prozessbevollmächtigte am 22.08.2011 per Fax gebeten hatte, von der geplanten Überstellung vorerst abzusehen.
Ebenfalls am 22.08.2011 hat der Kläger Klage erhoben und zusätzlich beantragt, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Der Kläger begründet seine Klage im Wesentlichen damit, dass es ihm in dem Flüchtlingsheim Crotone nicht möglich war, Asyl zu beantragen. Er sei lediglich nach Namen, Geburtstag, Herkunft und Einreiseweg gefragt worden, nicht jedoch nach den Asylgründen. Nach seiner Ankunft habe er bereits am 26.11.2010 in Kopie drei Schreiben (Az.: aD4/Imm/437/Ord/10) der Einwanderungsbehörde Crotone in Kopie ausgehändigt bekommen. In diesem Merkblatt bzw. der Verfügung soll dem Kläger aufgegeben worden sein, Italien innerhalb von 5 Tagen zu verlassen. Andernfalls sei eine Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren angedroht worden. Dies habe ihm ein Dolmetscher mitgeteilt.
Das Camp selber sei eine Art militärische Kaserne gewesen, die von Polizei rundum gesichert worden sein soll. Übernachtet wurde nur auf dem Boden, wobei 14 bis 15 Personen in einem Zimmer schliefen. Der Kläger schätzte, dass mit ihm ca. 500 Personen in dem Camp waren. Ihnen war es nicht gestattet, dieses zu verlassen. Eine medizinische Versorgung oder Verpflegung sei nicht gewährleistet gewesen. Lediglich kirchliche Organisationen hätten etwas zu Essen gebracht. Nachdem er die Papiere unterschrieben hatte, nutzte der Kläger die Gelegenheit weiter nach Deutschland zu fliehen.
Mit Beschluss vom 07.09.2011 untersagte die erkennende Kammer der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO vorläufig für die Dauer von vier Monaten, die in dem Bescheid vom 13.07.2011 bekannt gegebene Abschiebungsanordnung zu vollziehen (Az.: 5 B 81/11).
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 13.07.2011, dem Kläger ausgehändigt am 22.08.2011, zum dortigen Geschäftszeichen 5 459 731 – 423 aufzuheben
und die Beklagte zu verpflichten, im Wege des Selbsteintrittsrechts nach der ihr in Art. 3 Abs. 2 der Dublin II – VO eingeräumten Möglichkeit Gebrauch zu machen und ein Asylverfahren durchzuführen,
hilfsweise zu 2., die Beklagte zu verpflichten, nach Maßgabe der Vorgaben des Gerichts das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 der Dublin II – VO ermessensfehlerfrei erneut zu prüfen und den Antragsteller erneut zu bescheiden, und – bei erneuter Ablehnung des Selbsteintrittsrechts – sicherzustellen, dass die Abschiebung nicht vor Ablauf einer Frist von einer Woche nach Zustellung des Bescheides durchgeführt werden darf.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verweist auf die Gründe des angefochtenen Bescheides.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Weiter wird verwiesen auf die Erkenntnismittel, die zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden sind.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig (I.) aber nicht begründet (II.).
I. Die Klage ist als Verpflichtungsklage gemäß § 113 Abs. 5 VwGO statthaft.
Die Entscheidung über die Zuständigkeit und die Nichtwahrnehmung des Selbsteintrittsrechts hat gegenüber dem Kläger Regelungswirkung im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG (1.). Der Zulässigkeit der Klage steht § 44 a VwGO nicht entgegen (2.). Letztlich wäre die Kammer - eine Verpflichtung der Beklagten zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts unterstellt - nicht verpflichtet, über das Asylgesuch des Klägers in der Sache zu entscheiden (3.).
1. Die Kammer geht davon aus, dass eine Entscheidung über die Ausübung des Selbsteintrittsrechts gem. Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II VO gegenüber dem von ihr betroffenen Asylbewerber Regelungswirkung im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG entfaltet. Zwar geht die Kammer mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 16. Juli 1965, - BVerwG IV C 82.63 -, BVerwGE 21, 352 [BVerwG 16.07.1965 - BVerwG IV C 82.63] [353]) davon aus, dass die von einer höheren Behörde (heute in dem Rahmen des § 3 Abs. 2 VwVfG) getroffene Auswahl einer von mehreren zuständigen nachgeordneten Behörden für eine gewisse Angelegenheit deswegen nicht als Regelung anzusehen ist, weil sie nicht unmittelbar gegen den Bürger gerichtet ist, sondern sich innerhalb des Behördenaufbaus hält (anderer Ansicht Klappstein, in: Knack, VwVfG, 6. Auflage, § 3 Tz. 4.2) und eine derartige Zuständigkeitsbestimmung deshalb (heute) gemäß § 44 a VwGO weder einer isolierten Anfechtung noch einer isolierten Verpflichtung zugänglich ist. Anders ist dies nach Auffassung der Kammer jedoch dann, wenn in einem transnationalen Verhältnis eine gemeinsame Fachaufsichtsbehörde zu einer Bestimmung der zuständigen Behörde fehlt. In einem solchen Fall folgt die Regelungswirkung im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG für den Kläger aus der selbständigen Bedeutung der Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates der Europäischen Union neben dem eigentlichen Verwaltungsverfahren der Asylanerkennung. Die vorliegend streitige Bestimmung des für das Asylverfahren zuständigen Mitgliedsstaates der Europäischen Union unterwirft den Asylsuchenden der institutionellen- und Verfahrensautonomie des jeweiligen Mitgliedsstaates: Die Bestimmung der zuständigen Gerichte und die Ausgestaltung von Verfahren, die den Schutz der dem Bürger aus der unmittelbaren Wirkung des Unionsrechts - hier der Richtlinie 2004/83/EG des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (vom 29. April 2004, Abl. Nr. L 204, Seite 12; berichtigt ABl. 2005 Nr. L 204 Seite 25) - erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, sind mangels einer unionsrechtlichen Regelung auf diesem Gebiet Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten (EuGH, Urteil vom 14. Dezember 1995, Rs. C-312/93 [Peterbroeck, Van Campenhout & Cie SCS gegen Belgischer Staat], Slg. 1995, I- 4599 [Randnummer 12]; EuGH, Urteil vom 11. September 2003, Rs. C-13/01 [Safalero Srl gegen Prefetto di Genova], Slg. 2003, I-8679, [Randnummer 49]). Unterschiedlich ausgestaltete nationale Verfahrensordnungen vermögen daher auch zu einer unterschiedlichen Rechtsdurchsetzung des Unionsrechts zu führen; dies rechtfertigt es, der Bestimmung eines anderen Mitgliedsstaates der Union gegenüber dem Asylsuchenden auch eine Regelungswirkung zuzuerkennen.
2. Der Statthaftigkeit der Verpflichtungsklage beziehungsweise dem Rechtsschutzbedürfnis des Klägers steht § 44 a VwGO nicht entgegen. § 44 a Satz 2 VwGO lässt selbständige Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen zu, die vollstreckt werden können. Der Begriff der Vollstreckung ist hierbei weit auszulegen (Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 23. Februar 2010, - 5 LB 20/09 -, Juris). Unzweifelhaft ist die Bestimmung Italiens als für das Asylverfahren zuständigem Staat in Verbindung mit der Abschiebungsandrohung einer Vollstreckungshandlung fähig; eine solche war bereits für den 23.08.2010 vorgesehen gewesen.
3. Ein entsprechender Anspruch auf Wahrnehmung des Selbsteintrittsrechts kann vorliegend auch isoliert in dem Wege der Verpflichtungsklage verfolgt werden. Nicht erforderlich ist demgegenüber, dass das Gericht sogleich „durchentscheidet“, also auch über die materiellen Rechtspositionen des Klägers befindet, d.h. insbesondere über einen etwaigen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter oder Flüchtling (vgl. VG Sigmaringen, Urt. v. 26. Oktober 2009, - A 1 K 1757/09 -). Für die Asylanerkennung nach Art. 16a GG und die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie (hilfsweise) von Abschiebungshindernissen gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG ist zwar grundsätzlich die Verpflichtungsklage die richtige Klageart (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1998, - BVerwG 9 C 28.97 -, BVerwGE 106, 171-177). Da sich die begehrte Verpflichtung in einem Asylverfahren auf gebundene Verwaltungsentscheidungen und nicht auf solche in Wahrnehmung eines der Behörde durch den Gesetzgeber eingeräumten Ermessens oder einer Beurteilungsermächtigung richtet, hat das Gericht grundsätzlich die Streitsache gemäß § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO in vollem Umfang selbst spruchreif zu machen (BVerwG, Urteil des Senats vom 10. Februar 1998, - BVerwG 9 C 28.97 -, BVerwGE 106, 171-177). Eine solche Verpflichtung für das Gericht, die Sache selbst spruchreif zu machen, besteht indes nur dann, wenn ein "mit seinem Asylantrag beim Bundesamt erfolglos gebliebener Ausländer" (BVerwG, Urteil vom BVerwG 06. Juli 1998, - BVerwG 9 C 45.97 -, BVerwGE 107, 128-133) den Klageweg beschreitet. Hat hingegen - wie vorliegend - das Bundesamt überhaupt keine Sachentscheidung getroffen und den Asylsuchenden unter Verneinung seiner Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens nicht einmal angehört, so würde dem Kläger in dem Falle des „Durchentscheidens“ die Tatsacheninstanz in einem Verwaltungsverfahren, und zwar die auf inhaltliche Überprüfung seines Asylbegehrens durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gerichtete, genommen (vgl. VG Frankfurt, Urteil vom 08. Juli 2009, - 7 K 4376/07 -).
II. Die Klage hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Durchführung eines Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland, denn ihm kann die Durchführung des Asylverfahrens in Italien zugemutet werden. Er hat keinen Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO.
Es besteht eine Prüfungspflicht des Asylbegehrens des Klägers durch Italien (1.). Der einen Selbsteintritt ablehnende Bescheid der Beklagten vom 13.07.2011 ist rechtsmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten im Sinne von § 113 Abs. 5 VwGO, da das der Beklagten durch Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II VO eröffnete Ermessen nicht zu Gunsten des Klägers auf die Wahrnehmung des Selbsteintrittsrechts als einzig rechtmäßiger Entscheidung reduziert ist (2.). Auch ein Anspruch auf Neubescheidung besteht nicht. (3.).
1. Ursprünglich bestand eine Prüfungspflicht des Asylbegehrens des Klägers durch die Italienische Republik. Durch seine illegale Einreise nach Italien ist dieses für das Asylverfahren des Klägers zuständig geworden (a]). Auch wahrt das Aufnahmeersuchen der Bundesrepublik die Förmlichkeiten der Dublin II VO (b]). Die Beklagte ist auch nicht aufgrund anderer Zuständigkeitsbestimmungen zuständig geworden (c]),
a) Der Kläger hat sich unstreitig zumindest im November 2010 in Italien aufgehalten. Nach Art. 10 Abs. 1 Dublin II VO ist die Italienische Republik für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, weil der Kläger deren Landesgrenze illegal überschritten hat. Nach Art. 5 Abs. 1 Dublin II VO demgegenüber vorrangig zu prüfende Kriterien zu einer Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates sind nicht erfüllt.
b) Das Aufnahmeersuchen vom 01.03.2011 an die Italienische Republik wurde innerhalb von drei Monaten nach Einreichung des Asylantrages (Erstbefragung am 22.12.2010) durch den Kläger im Bundesgebiet gestellt (Art. 17 Abs. 1 Dublin II VO). Innerhalb der Zwei-Monats-Frist des Art. 18 Abs. 1 Dublin II VO erfolgte eine Antwort Italiens am 16.03.2011, dem Aufnahmeersuchen wurde stattgegeben.
c) Die Beklagte ist auch nicht aufgrund anderer Zuständigkeitsbestimmungen zuständig geworden.
Eine Zuständigkeit nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II VO wurde nicht begründet. Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II VO endet die Zuständigkeit zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Bei der Frist kommt es nur auf das tatsächliche Stellen eines Asylantrags innerhalb eines Jahres an, unabhängig davon, wo dies geschieht. Der EURODAC-Treffer des Klägers datiert vom 23.11.2010. Spätestens zu diesem Zeitpunkt stand fest, dass er die Grenze illegal überschritten hatte. Seinen Asylantrag hat er jedoch, wenn nicht in Italien, zumindest in Deutschland innerhalb eines Jahres – nämlich am 22.12.2010 – gestellt. Italien war daher weiter zuständig.
Eine Zuständigkeit der Beklagten nach Art. 19 Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 Dublin II VO ist ebenfalls nicht gegeben.
Nach Art. 19 Abs. 3 Dublin II VO erfolgt die Überstellung des Asylbewerbers von dem Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, an den zuständigen Mitgliedstaat gemäß den nationalen Rechtsvorschriften des ersteren Mitgliedstaats nach Abstimmung zwischen den beteiligten Staaten, sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat.
Dieser Vorschrift lässt sich entnehmen, dass die Überstellungsfrist immer dann, wenn ein gegen die Überstellung eingelegter Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, erst nach der Entscheidung über den Rechtsbehelf zu laufen beginnt.
Art. 19 Abs. 2 S. 4 Dublin II VO, der vorsieht, dass ein gegen die Entscheidung zur Überstellung eingelegter Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung hat, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders, wenn es nach ihrem innerstaatlichen Recht zulässig ist, steht einem Fristenbeginn nach Art. 19 Abs. 3 Dublin II VO nicht entgegen.
Unabhängig von der Frage, ob § 34a AsylG einem vorläufigen Rechtsschutz entgegensteht, was die erkennende Kammer bereits in ihrem Beschluss vom 07.09.2011 - Az. 5 B 81/11 - verneint hat, ist nicht Art. 19 Abs. 2 Dublin II VO, sondern Art. 19 Abs. 3 Dublin II VO maßgeblich für den Fristenbeginn, sodass der Inhalt des Art. 19 Abs. 2 Dublin II VO in diesem Zusammenhang zu vernachlässigen ist. Dem Wortlaut des Art. 19 Abs. 3 Dublin II VO lässt sich lediglich entnehmen, dass tatsächlich eine aufschiebende Wirkung gegeben sein muss.
Die erkennende Kammer hat in ihrem Beschluss vom 07.09.2011 im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO die Vollziehung der Abschiebunganordnung für vier Monate untersagt, was faktisch einer aufschiebenden Wirkung - im Sinne einer Vollzugshinderung - für 4 Monate gleichkommt.
Demnach fängt die Frist zur Überstellung erst ab der Entscheidung über den Rechtsbehelf an zu laufen. Die weitere bei der Anwendung des Art. 19 Abs. 3 Dublin II VO auftretende Frage, was unter dem Zeitpunkt „Entscheidung über den Rechtsbehelf“ gemeint ist, ob der Fristenlauf mit der Entscheidung über den vorläufigen Rechtsschutz oder erst mit der (rechtskräftigen) Entscheidung im Hauptsacheverfahren über den Rechtsbehelf beginnt, ist durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 29. Januar 2009 (Az. C 19/08) geklärt. Der Europäische Gerichtshof hat für die parallele Norm in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin II VO entschieden, dass die Frist nicht bereits ab der vorläufigen gerichtlichen Entscheidung, sondern erst ab der gerichtlichen Entscheidung läuft, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden wird. Diese Rechtsprechung kann ohne Weiteres auf Art. 19 Abs. 3 der Dublin II VO übertragen werden. Die Frist beginnt damit erst mit dem Urteil der Kammer im Hauptsacheverfahren und kann ohne Weiteres gewahrt werden.
Auf die Frage, ob der Kläger i.S.d. Art. 19 Abs. 4 Dublin II VO flüchtig war und deshalb bereits eine 18 Monatsfrist in Gang gesetzt wurde, kommt es daher nicht an. Mit guten Argumenten lässt sich vertreten, dass der Kläger flüchtig war, da er sich vorsätzlich und unentschuldigt der Rücküberstellung entzogen hat. Das Schreiben der Prozessbevollmächtigten enthielt keinen Entschuldigungsgrund, sondern lediglich die Bitte von einer Rücküberstellung abzusehen. Allerdings sind die Voraussetzungen der Durchführungsbestimmungen zur Dublin II Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 1560/2003) nicht eingehalten. Nach Artikel 9 Abs. 2 1560/2003/EG ist der Mitgliedstaat, der die Überstellung aus einem der in Artikel 19 Abs. 4 und Artikel 20 Abs. 2 Dublin II VO genannten Gründe nicht innerhalb der in Artikel 19 Absatz 3 und Artikel 20 Absatz 1 Buchstabe d) der Dublin II VO vorgesehenen regulären Frist von sechs Monaten vornehmen kann, verpflichtet, den zuständigen Mitgliedstaat darüber vor Ablauf dieser Frist zu unterrichten. Ansonsten fallen die Zuständigkeit für die Behandlung des Asylantrags bzw. die sonstigen Verpflichtungen aus der Dublin II Verordnung gemäß Artikel 19 Absatz 4 und Artikel 20 Absatz 2 diesem Mitgliedstaat zu.
Eine Unterrichtung ist ausweislich der Akten nicht durchgeführt worden.
2. Das der Beklagten durch Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II VO eröffnete Ermessen ist nicht zu Gunsten des Klägers auf die Wahrnehmung des Selbsteintrittsrechts als einzig rechtmäßiger Entscheidung reduziert, da die derzeitigen Verfahrensgewährleistungen durch Italien die Durchführung eines den Geboten der Rechtsstaatlichkeit im Sinne von Art. 2 EUV und der Charta der Grundrechte im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EUV in Verbindung mit Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (vom 12. Dezember 2007, ABl. Nr. C 303 Seite 1) genügenden Asylverfahrens hinreichend gewährleisten.
Einer Selbsteintrittsverpflichtung der Beklagten nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO kann zunächst nicht entgegen gehalten werden, dass Italien kraft der bundesdeutschen Verfassung in Art. 16 a Abs. 2 GG zu einem sicheren Drittstaat erklärt wurde. Dies folgt aus einer Anwendung des Prinzips der normativen Vergewisserung und daraus, dass das nationale Recht im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes auszulegen ist.
Nach Art. 16 a Abs. 1 GG genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Absatz 2 des Art. 16 a GG bestimmt, dass sich auf Absatz 1 nicht berufen kann, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.
Zwar gilt Italien als Mitglied der Europäischen Union (Art. 1 Abs. 1 EUV) damit kraft Verfassung als sicherer Drittstaat. Auch bezieht sich der zweite Halbsatz in Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG („... in dem die Anwendung ... sichergestellt ist“) ausschließlich auf „den anderen Drittstaat“, mithin auf Staaten außerhalb der Europäischen Union. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass ein Ausländer in allen Mitgliedstaaten der EU generell Schutz vor politischer Verfolgung und vor Weiterschiebung in einen Staat finden kann, in dem ihm politische Verfolgung oder sonstige menschenrechtswidrige Behandlung oder Bestrafung droht; nur für andere Staaten ist diese Annahme noch von der vorgängigen Prüfung abhängig, ob dort ein Schutz entsprechend der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährt wird (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996, - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, BVerfGE 94, 49 [88]).
Daher gilt Italien – unabhängig davon, ob und in welchem Maße z.B. EU-Richtlinien zur Harmonisierung des Asylrechts dort rechtlich umgesetzt worden sind und tatsächlich beachtet werden – als sicher schon kraft Entscheidung der Verfassung. Art. 16 a Abs. 2 GG sieht dabei nicht vor, dass dies im Einzelfall überprüft werden kann. Entsprechend kann der Ausländer, der in den sicheren (EU-) Drittstaat zurückgewiesen werden soll, den Schutz der Bundesrepublik Deutschland vor einer politischen Verfolgung oder sonstigen schwerwiegenden Beeinträchtigungen in seinem Herkunftsstaat grundsätzlich nicht mit der Begründung einfordern, für ihn bestehe in dem betreffenden Drittstaat keine Sicherheit, weil dort in seinem Einzelfall – trotz normativer Vergewisserung – die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht erfüllt würden. Der Ausländer ist mithin mit einer Behauptung ausgeschlossen, in seinem Fall werde der Drittstaat – entgegen seiner sonstigen Praxis – Schutz verweigern (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996, - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, BVerfGE 94, 49 [98 f.]).
Die Bundesrepublik Deutschland hat allerdings dann Schutz zu gewähren, wenn Abschiebungshindernisse durch solche Umstände begründet werden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg in dem Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden können und die damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzeptes aus sich selbst heraus gesetzt sind. Dabei sind an die Darlegung eines solchen Sonderfalles strenge Anforderungen zu stellen (BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996, - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, BVerfGE 94, 49 [99 f.]).
Nach der Vorschrift des Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II VO kann abweichend von Absatz 1 – wonach der Antrag von dem nach Kapitel III der Verordnung zuständigen Mitgliedsstaat geprüft wird – „jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist“. Dadurch wird er gemäß Satz 2 dieser Vorschrift zu dem „zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen“.
Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 - (im Internet abrufbar unter http://curia.europa.eu/juris/document/document.
jsf?text=&docid=117187&pageIndex=0&doclang=DE&mode=doc&dir=&occ=first&part=1&cid=16576)
auf ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV des Court of Appeal des Vereinigten Königreichs und des High Court (Irland) die Fragen,
ob die Verpflichtung zur Beachtung der Grundrechte, die den Mitgliedstaat trifft, der den Asylbewerber zu überstellen hat, der Geltung einer unwiderlegbaren Vermutung entgegensteht, dass der zuständige Staat die dem Antragsteller vom Unionsrecht verliehenen Grundrechte und/oder die Mindestnormen, die sich aus den vorstehend genannten Richtlinien ergeben, beachtet,
ob der Mitgliedstaat, der den Asylbewerber zu überstellen hat, die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 343/2003 annehmen muss, wenn festgestellt wird, dass der zuständige Mitgliedstaat die Grundrechte nicht beachtet,
und
ob es mit den Rechten nach Art. 47 der Charta vereinbar ist, wenn eine Bestimmung des nationalen Rechts die Gerichte bei der Feststellung, ob eine Person rechtmäßig nach der Verordnung Nr. 343/2003 in einen anderen Mitgliedstaat abgeschoben werden kann, dazu verpflichtet, diesen Mitgliedstaat als „sicheren Staat“ anzusehen,
wie folgt beantwortet (Rnrn. 75 bis 99 der Entscheidung):
"75 Das Gemeinsame Europäische Asylsystem stützt sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und die Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist. Die Beachtung der Genfer Flüchtlingskonvention und des Protokolls von 1967 ist in Art. 18 der Charta und in Art. 78 AEUV geregelt (vgl. Urteile vom 2. März 2010, Salahadin Abdulla u. a., C 175/08, C 176/08, C 178/08 und C 179/08, Slg. 2010, I 1493, Randnr. 53, und vom 17. Juni 2010, Bolbol, C 31/09, Slg. 2010, I 0000, Randnr. 38).
76 Wie oben in Randnr. 15 ausgeführt, heißt es in den einzelnen Verordnungen und Richtlinien, die für die Ausgangsverfahren einschlägig sind, dass sie die Grundrechte und die mit der Charta anerkannten Grundsätze achten.
77 Nach gefestigter Rechtsprechung haben überdies die Mitgliedstaaten nicht nur ihr nationales Recht unionsrechtskonform auszulegen, sondern auch darauf zu achten, dass sie sich nicht auf eine Auslegung einer Vorschrift des abgeleiteten Rechts stützen, die mit den durch die Unionsrechtsordnung geschützten Grundrechten oder den anderen allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts kollidiert (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. November 2003, Lindqvist, C 101/01, Slg. 2003, I 12971, Randnr. 87, und vom 26. Juni 2007, Ordre des barreaux francophones et germanophone u. a., C 305/05, Slg. 2007, I 5305, Randnr. 28).
78 Die Prüfung der Rechtstexte, die das Gemeinsame Europäische Asylsystem bilden, ergibt, dass dieses in einem Kontext entworfen wurde, der die Annahme zulässt, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen.
79 Gerade aufgrund dieses Prinzips des gegenseitigen Vertrauens hat der Unionsgesetzgeber die Verordnung Nr. 343/2003 erlassen und die oben in den Randnrn. 24 bis 26 genannten Übereinkommen und Abkommen geschlossen, um die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrags zuständigen Staates zu erhöhen und damit dem „forum shopping“ zuvorzukommen, wobei all dies hauptsächlich bezweckt, die Bearbeitung der Anträge im Interesse sowohl der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen.
80 Unter diesen Bedingungen muss die Vermutung gelten, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht.
81 Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist.
82 Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtungen der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 343/2003 berühren würde.
83 Auf dem Spiel stehen nämlich der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet.
84 Es wäre auch nicht mit den Zielen und dem System der Verordnung Nr. 343/2003 vereinbar, wenn der geringste Verstoß gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen würde, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Mit der Verordnung Nr. 343/2003 soll nämlich, ausgehend von der Vermutung, dass die Grundrechte des Asylbewerbers in dem normalerweise für die Entscheidung über seinen Antrag zuständigen Mitgliedstaat beachtet werden, wie in den Nrn. 124 und 125 der Schlussanträge in der Rechtssache C 411/10 ausgeführt worden ist, eine klare und praktikable Methode eingerichtet werden, mit der rasch bestimmt werden kann, welcher Mitgliedstaat für die Entscheidung über einen Asylantrag zuständig ist. Zu diesem Zweck sieht die Verordnung Nr. 343/2003 vor, dass für die Entscheidung über in einem Land der Union gestellte Asylanträge nur ein Mitgliedstaat zuständig ist, der auf der Grundlage objektiver Kriterien bestimmt wird.
85 Wenn aber jeder Verstoß des zuständigen Mitgliedstaats gegen einzelne Bestimmungen der Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 zur Folge hätte, dass der Mitgliedstaat, in dem ein Asylantrag eingereicht wurde, daran gehindert wäre, den Antragsteller an den erstgenannten Staat zu überstellen, würde damit den in Kapitel III der Verordnung Nr. 343/2003 genannten Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ein zusätzliches Ausschlusskriterium hinzugefügt, nach dem geringfügige Verstöße gegen die Vorschriften dieser Richtlinien in einem bestimmten Mitgliedstaat dazu führen könnten, dass er von den in dieser Verordnung vorgesehenen Verpflichtungen entbunden wäre. Dies würde die betreffenden Verpflichtungen in ihrem Kern aushöhlen und die Verwirklichung des Ziels gefährden, rasch den Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Entscheidung über einen in der Union gestellten Asylantrag zuständig ist.
86 Falls dagegen ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar.
87 Hinsichtlich der Lage in Griechenland ist zwischen den Beteiligten, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, unstreitig, dass im Jahr 2010 fast 90 % der illegalen Einwanderer über diesen Mitgliedstaat in die Union gelangten, so dass die wegen dieses Zustroms auf ihm liegende Last außer Verhältnis zu der Belastung der anderen Mitgliedstaaten steht und es den griechischen Behörden tatsächlich unmöglich ist, diesen Zustrom zu bewältigen. Die Hellenische Republik hat darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten nicht den Vorschlag der Kommission angenommen hätten, die Anwendung der Verordnung Nr. 343/2003 auszusetzen und diese unter Abschwächung des Kriteriums der ersten Einreise zu ändern.
88 Bei einem Sachverhalt, der denen der Ausgangsverfahren gleicht, nämlich einer Überstellung eines Asylbewerbers an Griechenland, den im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zuständigen Mitgliedstaat, im Juni 2009, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte u. a. entschieden, dass das Königreich Belgien gegen Art. 3 EMRK verstoßen habe, indem es den Beschwerdeführer zum einen den sich aus den Mängeln des Asylverfahrens in Griechenland ergebenden Risiken ausgesetzt habe, da die belgischen Behörden gewusst hätten oder hätten wissen müssen, dass eine gewissenhafte Prüfung seines Asylantrags durch die griechischen Behörden in keiner Weise gewährleistet gewesen sei, und indem es ihn zum anderen wissentlich Haft- und Existenzbedingungen ausgesetzt habe, die eine erniedrigende Behandlung darstellten (Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21. Januar 2011, M.S.S./Belgien und Griechenland, noch nicht im Recueil des arrêts et décisions veröffentlicht, §§ 358, 360 und 367).
89 Das in jenem Urteil beschriebene Ausmaß der Beeinträchtigung der Grundrechte zeugt von einer systemischen Unzulänglichkeit des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Griechenland zur Zeit der Überstellung des Beschwerdeführers M.S.S.
90 Für den Befund, dass die Risiken für den Beschwerdeführer hinreichend erwiesen seien, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die regelmäßigen und übereinstimmenden Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, in denen auf die praktischen Schwierigkeiten bei der Anwendung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems in Griechenland hingewiesen wurde, die an den zuständigen belgischen Minister gesandten Schreiben des UN Flüchtlingskommissariats, aber auch die Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und die Vorschläge zur Überarbeitung der Verordnung Nr. 343/2003 zwecks der Steigerung der Wirksamkeit dieses Systems und der Stärkung des tatsächlichen Grundrechtsschutzes (Urteil M.S.S./Belgien und Griechenland, §§ 347 bis 350) berücksichtigt.
91 Anders als die belgische, die italienische und die polnische Regierung geltend machen, nach deren Ansicht die Mitgliedstaaten nicht über geeignete Instrumente verfügen, um die Beachtung der Grundrechte durch den zuständigen Mitgliedstaat und damit die tatsächlichen Risiken für einen Asylbewerber im Fall seiner Überstellung an diesen Mitgliedstaat zu beurteilen, sind somit Informationen wie die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angeführten geeignet, die Mitgliedstaaten in die Lage zu versetzen, sich ein Bild über das Funktionieren des Asylsystems im zuständigen Mitgliedstaat zu machen, das die Bewertung solcher Risiken ermöglicht.
92 Zu betonen ist die Erheblichkeit der von der Kommission stammenden Berichte und Änderungsvorschläge zur Verordnung Nr. 343/2003, deren Existenz dem Mitgliedstaat, der die Überstellung vorzunehmen hat, in Anbetracht seiner Teilnahme an den Arbeiten des Rates der Europäischen Union, der einer der Adressaten dieser Dokumente ist, nicht unbekannt sein kann.
93 Außerdem gilt nach Art. 80 AEUV für die Asylpolitik und ihre Umsetzung der Grundsatz der Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten unter den Mitgliedstaaten, einschließlich in finanzieller Hinsicht. Die Richtlinie 2001/55 ist ein Beispiel für diese Solidarität, doch sollen ihre Solidaritätsmechanismen, wie in der mündlichen Verhandlung dargelegt worden ist, den ganz außergewöhnlichen Situationen vorbehalten sein, die ihr Anwendungsbereich erfasst, d. h. den Fällen eines Massenzustroms von Vertriebenen.
94 Damit die Union und ihre Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen in Bezug auf den Schutz der Grundrechte der Asylbewerber nachkommen können, obliegt es nach alledem in Situationen wie denen der Ausgangsverfahren den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den „zuständigen Mitgliedstaat“ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden.
95 Zu der Frage, ob der Mitgliedstaat, der die Überstellung des Asylbewerbers an den Mitgliedstaat, der gemäß der Verordnung Nr. 343/2003 als „zuständig“ bestimmt worden ist, nicht durchführen kann, den Antrag selbst prüfen muss, ist darauf hinzuweisen, dass Kapitel III dieser Verordnung eine Reihe von Kriterien aufstellt und diese Kriterien nach Art. 5 Abs. 1 der Verordnung in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung finden.
96 Ist die Überstellung eines Antragstellers an Griechenland, wenn dieser Staat nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung Nr. 343/2003 als zuständiger Mitgliedstaat bestimmt worden ist, nicht möglich, so hat der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, vorbehaltlich der Befugnis, den Antrag im Sinne des Art. 3 Abs. 2 dieser Verordnung selbst zu prüfen, die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob anhand eines der nachrangigen Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann.
97 Lässt sich anhand der Kriterien der Verordnung Nr. 343/2003 nicht bestimmen, welchem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrags obliegt, so ist nach Art. 13 dieser Verordnung der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.
98 Der Mitgliedstaat, in dem sich der Asylbewerber befindet, hat jedoch darauf zu achten, dass eine Situation, in der dessen Grundrechte verletzt werden, nicht durch ein unangemessen langes Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats verschlimmert wird. Erforderlichenfalls muss er den Antrag nach den Modalitäten des Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 343/2003 selbst prüfen.
99 Nach alledem ist, wie von der Generalanwältin in Nr. 131 ihrer Schlussanträge in der Rechtssache C 411/10 ausgeführt, eine Anwendung der Verordnung Nr. 343/2003 auf der Grundlage einer unwiderlegbaren Vermutung, dass die Grundrechte des Asylbewerbers in dem für die Entscheidung über seinen Antrag normalerweise zuständigen Mitgliedstaat beachtet werden, mit der Pflicht der Mitgliedstaaten zu grundrechtskonformer Auslegung und Anwendung der Verordnung Nr. 343/2003 unvereinbar."
Es besteht zur Überzeugung der Kammer daher zunächst eine Vermutung dergestalt, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht. Diese Vermutung kann widerlegt werden, wenn ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren.
Die Vorschrift des Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO hat auch subjektiv-rechtlichen Charakter, so dass sich der Kläger auf diese berufen kann [aa]. Im Übrigen ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG tatsächlichen Verhältnisse in dem italienischen Asylsystem in dem maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung der Kammer abzustellen. Danach besteht zur Überzeugung der Kammer kein Anlass, beim Kläger, der jung, arbeitsfähig und alleinstehend ist, von einer Überstellung nach Italien abzusehen [bb].
[aa] Die Vorschrift des Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO richtet sich zwar nach ihrem Wortlaut an die Mitgliedstaaten. Der Kläger kann sich jedoch gleichwohl auf einen subjektiv-öffentlich-rechtlichen Anspruch auf den Selbsteintritt der Beklagten gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO berufen. Denn diese Bestimmung ist – anders als die Vorgängerregelungen im Schengener Durchführungsabkommen und im völkerrechtlichen Dubliner Übereinkommen (vgl. hierzu Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, § 27a, Rn. 25) – nicht allein in dem öffentlichen Interesse geschaffen worden, sondern verleiht den von ihr Betroffenen ein subjektives Recht. Dies folgt schon aus der ersten Begründungserwägung der Dublin II VO, wonach die Ausarbeitung einer gemeinsamen Asylpolitik auch helfen soll, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts aufzubauen, "der allen offen steht, die wegen besonderer Umstände rechtmäßig in der Gemeinschaft um Schutz nachsuchen", sowie aus der fünfzehnten Begründungserwägung, wonach die Dublin II VO "insbesondere darauf ab[zielt], die uneingeschränkte Wahrung des in Art. 18 [Grundrechte-Charta] verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten". Eine derartige Rechtsgewährleistung setzt zwingend den subjektiv-rechtlichen Charakter auch der Möglichkeit des gerade in dem Interesse dieser Gewährleistung geschaffenen Selbsteintrittsrechts voraus.
[bb] Die nach der Rechtsprechung des EuGH (a.a.O.) bestehende Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in Italien in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht, ist durch die vom Kläger dargelegten und von der Kammer recherchierten Erkenntnismittel nicht widerlegt worden. Es ist nicht ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR Große Kammer , Urteil vom 21.01.2011 - 30696/09 -, NVwZ 2011, 413 ff) hat zur Frage der Zulässigkeit einer Abschiebung nach Griechenland entschieden, dass Art. 3 EMRK die Staaten verpflichtet, sich zu vergewissern, dass die Haftbedingungen mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind und dass Art und Methode des Vollzugs der Maßnahme den Gefangenen nicht Leid oder Härten unterwirft, die das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß an Leiden übersteigen, und dass seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen Erfordernisse der Haft angemessen sichergestellt werden. Das positive Recht - nämlich die Richtlinie 2003/9/EG vom 27.1.2003 - schreibt außerdem zur Festsetzung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten vor, dass bedürftigen Asylbewerbern Unterkunft und angemessene materielle Bedingungen gewährt werden müssen. Außerdem müssen Staaten, die die EG-Asylzuständigkeitsverordnung anwenden, sich vergewissern, dass das Asylverfahren des Zwischenstaats ausreichende Garantien bietet, damit der Asylbewerber nicht direkt oder indirekt in sein Herkunftsland abgeschoben wird, ohne dass die Gefahr, die dadurch für ihn entsteht, unter dem Gesichtspunkt von Art. 3 EMRK geprüft worden ist.
Einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK hat der EGMR in seinem o.a. Urteil angenommen, weil der dortige Beschwerdeführer während seines Aufenthaltes in Griechenland monatelang in extremer Armut gelebt und seine elementaren Bedürfnisse nicht habe befriedigen können. Er habe sich nicht ernähren, nicht waschen können und sei obdachlos gewesen. Dazu sei die ständige Furcht gekommen, angegriffen, oder bestohlen zu werden, und das Fehlen jeglicher Aussicht auf Verbesserung seiner Lage. Dieses Vorbringen des Beschwerdeführers sei auch deshalb glaubhaft, weil ausweislich der Berichte des UNHCR, des Europäischen Kommissars für Menschenrechte sowie von Nichtregierungsorganisationen die vom Beschwerdeführer beschriebene Lage ein weit verbreitetes Phänomen sei.
An diesem Maßstab gemessen besteht zur Überzeugung der Kammer kein Anlass, den Kläger, der jung, arbeitsfähig und alleinstehend ist, nicht nach Italien rückzuüberstellen.
Dabei steht nach dem oben Ausgeführten fest, dass nicht darauf abzustellen ist, welche abstrakte Rechtslage in Italien herrscht („Soll-Zustand“), also ob etwa die vorgenannten Richtlinien in nationales Recht umgesetzt wurden, sondern der „Ist-Zustand“ ist zu betrachten und damit die konkreten Verhältnisse in den Blick zu nehmen Denn trotz der Umsetzung in nationales Recht kann es bei der staatlichen Praxis zur Abweichung von den normativen Vorgaben kommen. Genannt sei hier exemplarisch die vom UNHCR ausdrücklich kritisierte Abschiebung von Bootsflüchtlingen durch Italien nach Libyen ohne Prüfung ihres asylrechtlichen Schutzbedarfs (vgl. Stellungnahme UNHCR vom 07.05.2009).
Ein konkreter Bericht bzw. eine Empfehlung des UNHCR bezüglich der Rücküberstellungen nach Italien liegt nicht vor. Ebenso liegt kein Bericht des Europäischen Kommissars für Menschenrechte vor. Der Bericht über seine Reise nach Italien vom 13. bis zum 15.01.2009 bezieht sich auf die Lage der Roma in Italien.
Das Gericht gewinnt seine Überzeugung hierbei im Wesentlichen aus dem Bericht von Maria Bethke und Dominik Bender „Zur Situation von Flüchtlingen in Italien“ vom 28.02.2011 und dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Mai 2011 „Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien“. Beiden Berichten ist immanent, dass sie auf eigenen neutralen Beobachtungen fußen. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass nicht nur Flüchtlinge, sondern auch Behördenvertreter, Vertreter von Hilfsorganisationen etc. interviewt worden sind (siehe Übersicht der Interview- und Kooperationspartner im Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, S. 2 ff.).
Zum anderen werden die Verhältnisse und die Situation der Asylsuchenden im Einzelnen in den Berichten plastisch und unter Angabe vieler Einzelheiten nachvollziehbar beschrieben. Letztendlich kommen die Berichte auch zu vergleichbaren Ergebnissen. Diese Ergebnisse werden noch durch weitere Berichte, Stellungnahmen etc. gestützt. Die Berichte zeigen die Probleme der Asylsuchenden in Italien auf. Insbesondere werden das Asylsystem und die Problematik der fehlenden Unterkünfte näher betrachtet.
Die Kammer geht von folgender Situation der Asylsuchenden und insbesondere der sog. Dublin II - Rückkehrer aus:
Ein Asylantrag kann nach italienischem Recht in der Polizeidienststelle an der Grenze oder in der Quästur gestellt werden (Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht, Rückschaffung in den „sicheren Drittstaat“ Italien, S.4).
Die Quästur entspricht in etwa einem Migrationsamt (vgl. Schweizerische Beobachtungsstelle, a.a.O.). Bei den vielen Quästuren ist es jedoch problematisch, die Zuständigkeit herauszufinden. Dies wiederum führt dazu, dass Asylanträge nicht angenommen werden (vgl. Schweizerische Beobachtungsstelle, a.a.O.), oder dass Flüchtlinge an den Ort ihres Grenzübertritts zurückschickt werden. Im Ergebnis führt dies dazu, dass viele Flüchtlinge solange von Quästur zu Quästur wandern, bis sich einer für zuständig hält. Hinzu kommt, dass die Quästuren meist überbelastet sind. (Schweizerische Beobachtungsstelle, Nov. 2009, S. 4).
Asylsuchende berichten, dass es schon zu Kommunikationsproblemen beim Stellen von Anträgen kommt, da die Polizisten in größeren Städten meist nur Italienisch sprechen. Zu Abstimmungsproblem kommt es auch innerhalb der Questur: Im Süden wurden Asylsuchende beispielsweise angewiesen, einen Zug nach Norden zu nehmen. An einigen Orten erhielten Asylsuchende ein Papier, auf dem sie aufgefordert wurden, das Land zu verlassen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien, S.10).
Zudem erhalten Ausländer keine Informationen über das Asylverfahren, es fehlt an Anwälten und Richtern vor Ort und damit an effektivem Rechtsbeistand für die Flüchtlinge (Schweizerische Beobachtungsstelle, a.a.O.).
Seit Anfang 2009 betreibt Italien die Asylverfahren in einem beschleunigten Verfahren (vgl. „Migration und Bevölkerung“ Newsletter 05/09, S.2).
Die Dauer der Anhörungen liegt zwischen fünf Minuten und maximal einer halben Stunde (vgl. Schweizerische Beobachtungsstelle, a.a.O.) bzw. im Durchschnitt bei fünf bis zehn Minuten pro Person, wobei meist keine Rechtsanwälte und oftmals keine die Muttersprache des Flüchtlings beherrschenden Dolmetscher anwesend sind, sondern allenfalls englisch- oder französischsprachige Übersetzer (Schweizerische Beobachtungsstelle, a.a.O.).
Allein bei den ersten Schritten des Asylbegehrens zeigen sich mithin Schwierigkeiten. Es wird von einem Asylsuchenden erwartet, dass er dieses Prozedere durchführt, bis er überhaupt als Asylsuchender gilt. Während der Zeit, die für die Registrierung benötigt wird, haben die Asylsuchenden keinerlei finanzielle Unterstützung oder eine Unterkunft, da beides von der Registrierung abhängt. Zwischen dem ersten Kontakt mit den italienischen Behörden und der formellen Registrierung des Asylgesuchs besteht grundsätzlich kein Zugang zu einer Unterbringung. Diese Periode kann wenige Wochen, in den gravierensten Fällen - je nach Kapazität der Behörden - auch mehrere Monate dauern (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien, S. 6).
Asylsuchende sollen normalerweise nach einem kurzen Aufenthalt im Aufnahme- und Registrierungszentrum (CARA: insgesamt sind etwa 2000 Plätze verfügbar) in andere, kleinere Zentren mit besseren Aufnahmebedingungen und Integrationsmöglichkeiten verlegt werden (sog. SPRAR: insgesamt sind etwa 3000 Plätze vorhanden) (Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O. S. 5 und 6). Die Aufenthaltsdauer in einem SPRAR beträgt normalerweise bis zu sechs Monate. Die Dauer der Überprüfung von Verfahren wurde jedoch auf 18 Monate hoch gesetzt (http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Italien/flucht3.html), sodass eine längere Zeit dafür in Anspruch dafür genommen wird, die Situation Asylsuchender zu klären, als häufig die Verweildauer beträgt. Nach den 6 Monaten sind die Asylsuchenden häufig auf sich allein gestellt.
Zur Lage in Lampedusa hat das Europäische Parlament festgestellt: "migrants' centres visited in Lampedusa are inhumane and degrading places which are outside the law and do not conform with European reception and protection standards both in terms of the rights of asylum seekers and the human rights of very human being - not depending on his/her legal status" (European Parliament, GUE-NGL Group Report of the visit to Lampedusa – Italy 13th-14th February 2009, http://www.statewatch.org/news/2009/mar/eu-gue-lampedusa-report.pdf). Dieses Flüchtlingslager wurde im Oktober 2011 geschlossen (Marianne Arens, Italienische Regierung schließt Flüchtlingslager Lampedusa, http://www.wsws.org/de/2011/okt2011/lamp-o05.shtml).
Bei sog. Dublin-Rückkehrern - wie dem Kläger - stellt sich die Lage wie folgt dar:
Dublin-Rückkehrer werden betreffend Aufnahmeplätzen bevorzugt behandelt: Wenn jedoch kein Platz da ist, werden auch sie auf eine Warteliste gesetzt (Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht, „ Rückschaffung in den „sicheren Drittstaat“ Italien, S.1).
Für Dublin-Rückkehrende gibt es verschiedene Szenarien (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O S. 17). Dublin-Rückkehrer können u.a. auch ihren Anspruch auf staatliche Unterkunft verlieren, wenn sie bereits in einem Zentrum waren und ihren Platz durch ihre Abreise verwirkt haben. Mit zunehmenden Kapazitäten in den CARAs gibt es die Möglichkeit, Dublin-Rückkehrende, deren Verfahren noch läuft und die noch nie in einem CARA untergebracht waren, dort unterzubringen. Diese Gruppe stellt allerdings nur eine Minderheit der Personen dar, die unter Dublin zurückgeschickt werden.
Im Ergebnis landen viele nach Auskunft der Asylsuchenden (auch Rückkehrern) in der Obdachlosigkeit (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, S. 38, welche auf den Bericht einer EU-Kommission verweist, die bereits 2007 entsprechende Feststellungen getroffen hat). In gleicher Weise schätzt der Bericht von Bethke und Bender ein, dass 88 % der Dublin-Rückkehrer der Obdachlosigkeit überlassen wurden und verweist insoweit auf Zahlenmaterial italienischer Stellen (Bethke/Bender, a.a.O, S. 23). Auch dieser Bericht verweist auf die bereits aufgezeigten Gefahren der Obdachlosigkeit, wie insbesondere die nächtlichen Überfälle und sexuellen Übergriffe (Bethke/Bender, a.a.O, S. 19).
Die Berichte beschreiben, dass aufgrund der mangelnden Aufnahmemöglichkeiten viele Flüchtlinge in Kartonunterlagen schlafen, weder Toiletten noch Wasser hatten (Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O, S. 38). Die Grundbedürfnisse können damit nicht annähernd zufriedenstellend gedeckt werden. Zudem müssen viele Flüchtlinge ihre Habseligkeiten in Plastiksäcken mit sich tragen und in der ständigen Angst leben, nachts ausgeraubt oder vergewaltigt zu werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O, S. 38). Dies betrifft Dublin-Rückkehrer gleichermaßen.
Ohne offizielle Unterbringung, weil keine vorhanden ist, die Aufenthaltsdauer überschritten wurde oder eine Aufenthaltsbewilligung erteilt wurde, kann auch keine staatliche Unterstützung mehr erbracht werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O S. 7 und 10). Dies gilt allerdings auch für italienische Staatsangehörige (Verwaltungsgericht Regensburg, Beschluss vom 12.05.2011, - RO 7 E 11.30208-, juris).
Nach italienischem Recht erhalten Personen, denen ein Schutzstatus gewährt wurde, nach sechs Monaten zwar eine Arbeitsbewilligung und können theoretisch für ihre Eigenversorgung Sorge tragen. Diese Arbeitsbewilligung ist im Ergebnis jedoch „wertlos“. Zum einen aufgrund der desolaten wirtschaftlichen Lage und zum anderen aufgrund der Tatsache, dass die Asylsuchenden und Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt als letztes berücksichtigt werden und gerade Personen, denen ein Schutzstatus zugesprochen wurde, besonders (Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O S. 6).
Bei Obdachlosigkeit kann kein Wohnsitz angemeldet werden. Dies wiederum ist jedoch für die Zuteilung einer Steuernummer notwendig, letztere wiederum ist notwendig für den Zugang zu einer legalen Beschäftigung (Bethke/Bender, a.a.O. S. 13). Für den Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem ist ein Wohnsitz ebenfalls erforderlich. Ferner kann die Post ohne festen Wohnsitz nicht zugestellt werden (Bethke/Bender, a.a.O. S.7). Letzteres betrifft natürlich auch Bescheide in einem anhängigen Asylverfahren.
Die zu geringen Aufnahmemöglichkeiten werden allerdings zum Teil durch (Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O, S.20) Sozialdienste der Gemeinden, lokale NGO`S oder kirchliche Organisationen mittels Notschlafplätzen kompensiert.
Im Hinblick auf den Zugang zu Gesundheitsversorgung bestehen sowohl während des Asylverfahrens als auch nach der Gewährung eines Schutzstatus schwerwiegende Kommunikations- und Informationslücken (Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O., S.7). Die Behörden klären die Asylsuchenden nicht über ihre Rechte auf. Obwohl diese Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem hätten, nehmen sie dieses aufgrund fehlender Informationen nicht in Anspruch. Dies ist zwar eine unzureichende Umsetzung von Artikel 5 der Aufnahmerichtlinie, wonach Mitgliedsstaaten Asylsuchende innerhalb von 15 Tagen nach Einreichung eines Asylgesuches über ihre Rechte aufklären müssen. Ein so schwerwiegender Verstoß, dass danach auf systemische Mängel im Sinne der o.a. Entscheidung des EuGH geschlossen werden kann, ist darin allerdings zur Überzeugung der Kammer nicht zu sehen.
Integrationshilfen werden in Italien - anders als in der Bundesrepublik - nur während des Asylverfahrens gewährt. Sobald Asylsuchende einen Status erhalten haben und ihre staatliche Unterkunft verlassen müssen, gibt es keine Integrationsprogramme mehr.
Aufgrund der Dezentralisierung haben die lokalen Behörden die Integration in der Hand. Dies verursacht große regionale Unterschiede in den angebotenen Integrationshilfen. Aufgrund der besseren wirtschaftlichen Lage sind die Verhältnisse in Norditalien grundsätzlich besser als im Süden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O, S. 32).
Die Einschätzung der bereits genannten Berichte wird gestützt insbesondere durch eine Stellungnahme der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht vom November 2009 zur „Rückschaffung in den sicheren Drittstaat Italien“. Bereits im Jahr 2009 zeigte sich, dass die Aufnahmekapazitäten der Italienischen Republik viel zu gering und überlastet waren. Die Zahl der Asylsuchenden betrug damals das Zehnfache der Aufnahmekapazität. Dies hatte laut dem Bericht zur Folge, dass Asylsuchende in der Mehrzahl ohne Obdach blieben und Zustellungen im Rahmen des Asylverfahrens nicht dergestalt erfolgen könnten, dass sie den Asylsuchenden erreichten.
An dieser Einschätzung hält die vorgenannte Stelle auch heute noch fest, wie sich ihrem Internetauftritt entnehmen lässt (www.beobachtungsstelle.ch).
Auch die Norwegian Organization for Asylum Seekers (NOAS) macht in ihrem Bericht aus April 2011 deutlich, dass die Asylsuchenden nicht angemessen sicher sind (NOAS -The Italian approach to asylum: System and core problems,, S. 5)
Die Kammer verkennt nach dem oben Ausgeführten nicht, dass Asylbewerber in Italien Gefahr laufen, zumindest vorübergehend obdachlos zu sein. Ihre Lage ist allerdings nicht mit der in den sog. Griechenland - Fällen, wo weder die Möglichkeit bestand, überhaupt einen Asylantrag zu stellen, noch irgendeine Unterbringungsmöglichkeit bestand, zu vergleichen. Vielmehr besteht die Gefahr von Obdachlosigkeit nach den oben dargelegten Erkenntnissen regelmäßig nicht für die Dauer von mehreren Monaten sondern für einige Tage oder Wochen, bis das formale Asylgesuch registriert wurde. Auch haben die Asylsuchenden die Möglichkeit legal erwerbstätig zu sein.
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe empfiehlt daher, vor allem verletzliche Personen, oder Personen, denen ein Flüchtlingsstatus oder ein anderer Status durch die italienischen Behörden zuerkannt wurde, nicht nach Italien rückzuüberstellen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O, S. 44; Medienmitteilung vom 18.07.2011).
Beim EGMR sind mehrere Verfahren anhängig, die in unterschiedlichen Konstellationen (Schwangerschaft, Sorge um medizinische Versorgung, Minderjährigkeit, Unterversorgung mit Lebensmitteln) eine Überstellung im Sinne der Dublin-II-Verfahrensregeln aus Finnland (EGMR Appl. No. 37159/09 sowie 30815/09), Schweden (EGMR Appl. No. 56424/10) und den Niederlanden (EGMR Appl. No. 2303/10) nach Italien zum Gegenstand haben und letztlich möglicherweise zum selben Ergebnis wie im Fall Griechenlands kommen werden (vgl. Timo Tohidipu, in DOSSIER Asyl- und Flüchtlingspolitik in Europa: Grenz- statt Menschenschutz? Justiz als Wächterin der Menschenrechte: Gerichtshöfe in Europa und ihr Verhältnis zur politisch-demokratischen Konstitution, http://www.migration-boell.de/web/migration/46_2960.asp). Auch diese Verfahren betreffen allerdings stets besonders schutzbedürftige Personen.
Beim Kläger kommt hinzu, dass die Kammer sein in der Klagschrift dargelegtes Vorbringen zu den Zuständen in der Aufnahmeeinrichtung in Crotone, wo er sich aufgehalten haben will, für unglaubwürdig hält. Denn im Rahmen seiner Befragung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 22.12.2010 hat er zum Reiseweg erklärt, er sei mit einem Schiff an einen Ort in Italien gelangt, wo viele Flüchtlinge gewesen seien. Dort habe ihn die Polizei aufgegriffen. Er habe Papiere ausfüllen müssen. Er habe aber nach Deutschland gewollt. Die Polizei habe ihm erklärt, wie er nach Rom komme. Er habe daraufhin in Italien seinen Schleuser erneut kontaktieren können. Von Rom aus sei er dann mit verschiedenen Autos nach Deutschland über unbekannte Städte gelangt. Auch aus dieser Schilderung ergibt sich, ebenso wie aus dem Umstand, dass das Rückübernahmeverfahren durch die italienischen Behörde formal mit Abgabe einer Übernahmeerklärung und nicht - wie regelmäßig bei den griechischen Behörden durch Fristablauf - dass in Italien ein Asylverfahren formell und auch tatsächlich durchgeführt wird.
Hinzu kommt, dass der Kläger selbst in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage erklärt hat, nachdem er von der italienischen Polizei aufgegriffen worden sei, sei er "gezwungen" worden, einen Asylantrag zu stellen und in Crotone untergebracht worden. Ihm wurde nach seinen eigenen Angaben auch ein Dolmetscher zur Verfügung gestellt, der sich aber seiner Auffassung nach nicht genügend mit ihm beschäftigt habe. Dies könnte allerdings auch darin begründet gewesen sein, dass der Kläger selbst erklärt hatte, er beabsichtige nicht, in Italien ein Asylverfahren durchzuführen, sondern wolle in der Bundesrepublik Deutschland um Asyl nachsuchen.
Wenn der Kläger es für unzumutbar hält, dass er mit weiteren 19 Personen in einem Container untergebracht worden sei und die Verpflegung seiner Meinung nach nicht schmackhaft gewesen sei, vermag die Kammer darin keine Verletzung seiner Menschenrechte zu erkennen. Der Kläger hätte zudem auch ohne die Unterbringung in Crotone keine Obdachlosigkeit fürchten müssen, da er nach eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung noch über 400 Euro Bargeld verfügte, obwohl er bereits 12.500 US - Dollar im Iran an den Schlepper gezahlt hatte.
Die Kammer geht im Übrigen davon aus, dass es dem Kläger von Anfang an darum gegangen ist, in die Bundesrepublik zu gelangen, wo er offenbar, wie sich aus den in den Verwaltungsvorgängen der Ausländerbehörde befindlichen Einladung vom 19.05.2011 ergibt, Bekannte hat.
3. Nach dem oben Ausgeführten muss auch der Hilfsantrag ohne Erfolg bleiben. Da die Voraussetzungen für eine Ausübung des Selbsteintrittsrechts nicht vorliegen, besteht auch für eine entsprechende Ermessensausübung der Beklagten kein Raum.