Amtsgericht Gifhorn
Urt. v. 17.08.2006, Az.: 13 C 1563/05 (I)

Schadensersatz in Form einer Nutzungsentschädigung aufgrund der Beschädigung eines Motorrollers; Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung für die Zeit der unfallbedingten Unmöglichkeit der Nutzung eines beschädigten Kraftfahrzeugs; Vermutung des erforderlichen Nutzungswillens und einer hypothetischen Nutzungsmöglichkeit; Erstrecken des Anspruchs auf Ersatz des Nutzungsausfallschadens insbesondere auch auf die Dauer der Ersatzteilbeschaffung; Vom Geschädigten zur Feststellung der Schadensursache eingeschaltete Sachverständige sowie zur Mängelbeseitigung von ihm beauftragte Drittunternehmer als seine Erfüllungsgehilfen

Bibliographie

Gericht
AG Gifhorn
Datum
17.08.2006
Aktenzeichen
13 C 1563/05 (I)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 34072
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGGIFHO:2006:0817.13C1563.05I.0A

Fundstellen

  • DAR 2007, 91-92 (Volltext mit red. LS)
  • MDR 2007, 460 (amtl. Leitsatz)
  • NZV 2007, V Heft 1 (Kurzinformation)
  • NZV 2007, 149-150 (Volltext mit amtl. LS)
  • SVR 2007, 181-182

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Ein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung besteht für die Dauer, in der der Unfallgeschädigte sein Fahrzeug unfallbedingt nicht nutzen kann. Der dafür erforderliche Nutzungswille und die hypothetische Nutzungsmöglichkeit werden vermutet.

  2. 2.

    Der Anspruch auf Ersatz des Nutzungsausfallschadens erstreckt sich auch auf die Dauer der Ersatzteilbeschaffung, es sei denn, der Geschädigte verstößt hierdurch gegen seine Schadensminderungspflicht, weil die Lieferschwierigkeiten von Anfang an für ihn absehbar und zunächst eine provisorische Reparatur möglich war. Ein etwaiges Verschulden der Reparaturwerkstatt muss sich aber der Geschädigte nicht zurechnen lassen.

Tenor:

  1. 1.)

    Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 1.047,14 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz für den Zeitraum 18.12.2004 bis 15.03.2006 auf 1.095,14 EUR und auf 1.047,14 EUR ab dem 16.03.2006 zu zahlen.

    Der Rechtsstreit wurde in Höhe von 48,00 EUR für erledigt erklärt.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

  2. 2.)

    Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.

  3. 3.)

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

    Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von den Beklagten im Wege des Schadensersatzes eine Nutzungsentschädigung aufgrund der Beschädigung ihres Motorrollers, amtl. Kennzeichen xxx für die Zeit vom 23.07. bis 23.09.2004.

2

Am 08.07.2004 fuhr der Beklagte zu 1. im öffentlichen Straßenverkehr mit seinem PKW, der bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversichert ist, unter Verletzung des Vorfahrtsrechts in die rechte Seite des Motorrollers der Klägerin. Der Motorroller wurde nach dem Unfall von dem Sachverständigen xxx begutachtet. Die Klägerin ließ das Fahrzeug anschließend bei der xxx in Celle reparieren. Die Reparaturvergabe erfolgte am 15.07.2004. Die Fertigstellung des Fahrzeuges erfolgte am 24.09.2004. Auf die von der Klägerin begehrte Nutzungsentschädigung von 1260,00 EUR (70 Tage a 18,00 EUR) zahlte die Beklagte zu 2. außergerichtlich 240,00 EUR.

3

Die Klägerin behauptet, der Scheinwerfer sei derart beschädigt gewesen, dass eine den Vorschriften der StVO entsprechende Notreparatur nicht möglich gewesen sei. Die Reparatur habe sich aufgrund von Lieferschwierigkeiten des Herstellers für das streitgegenständliche Fahrzeug PIAGGIO Beverly 125 verzögert. Die Fa. xxx habe sich auf ihr Drängen hin bemüht, die notwendigen Ersatzteile zu beschaffen. Der Scheinwerfer habe bei zwei Lieferanten der Firma xxx nicht zur Verfügung gestanden. Des Weiteren sei es zu Falschlieferungen und mehrmaligem Nichteinhalten des Liefertermins durch die Lieferanten gekommen.

4

Die Klägerin begehrte ursprünglich, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie einen Betrag von 1.108,74 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.12.2004 zu zahlen. Nach Klageerhebung zahlte die Beklagte zu 2. am 15.03.2006 einen Teilbetrag in Höhe von 48,00 EUR, mithin die Nutzungsentschädigung für 3 Tage (3 x 16,00 EUR). Nach beidseitiger Erledigungserklärung in Höhe von 48,00 EUR beantragt die Klägerin zuletzt:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 1.060,74 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz für den Zeitraum 18.12.2004 bis 15.03.2006 auf 1.108,74 EUR und auf 1.060,74 EUR ab dem 16.03.2006 zu zahlen und die Kosten bzgl. der erfolgten Teilzahlung in Höhe von 48,00 EUR den Beklagten aufzuerlegen.

5

Die Beklagten beantragten,

die Klage abzuweisen und bzgl. des erledigt erklärten Teils die Kosten der Klägerin aufzuerlegen.

6

Die Beklagten behaupten, die Reparatur des Motorrollers hätte am 23.07.2004 abgeschlossen werden können. Der Scheinwerfer habe nur Kratzer aufgewiesen und hätte deshalb vorläufig bis zum Eintreffen des Originalersatzteiles verwandt werden können. Auch sei die Nutzungsentschädigung unangemessen hoch. Des Weiteren könne es nicht zu ihren Lasten gehen, dass die von der Klägerin beauftragte Reparaturwerkstatt xxx Celle sich nicht bemüht habe, einen "No-Name-Scheinwerfer" für eine vorläufige Reparatur zu bekommen.

7

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der eingereichten Schriftsätze und sonst zu den Gerichtsakten gereichten Schriftstücke Bezug genommen.

8

Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß prozessleitender Verfügung vom 23.06.2006 durch Vernehmung des Sachverständigen xxx Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 27.07.2006 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

9

Die Klage ist bezüglich der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 13,60 EUR unbegründet, im Übrigen aber bzgl. Zahlungs- und Feststellungsantrag begründet.

10

Der Klägerin steht ein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 972,00 EUR gegen die gesamtschuldnerisch haftenden Beklagten zu.

11

Der vom Schädiger gem. § 249 BGB zu ersetzende Schaden erfasst auch die entgangenen Gebrauchsvorteile des beschädigten Kraftfahrzeugs. Der Geschädigte hat grundsätzlich für die Dauer, in der er sein Fahrzeug unfallbedingt nicht nutzen kann, einen Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung. Der dafür erforderliche Nutzungswille und eine hypothetische Nutzungsmöglichkeit wird vermutet. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin nicht beabsichtigte das Fahrzeug zu nutzen, sind nicht ersichtlich. Das unsubstanztiierte Bestreiten der Beklagten hebt vorliegend diese Vermutungswirkung nicht auf.

12

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass sich die Dauer der Reparatur infolge von Umständen verzögerte, die die Klägerin nicht zu vertreten hat. Grundsätzlich hat der Geschädigte so lange einen Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung, wie er unfallbedingt auf sein Fahrzeug verzichten muss. Dies bedeutet, dass sich der Anspruch auf Ersatz des Nutzungsausfallschadens insbesondere auch auf die Dauer der Ersatzteilbeschaffung erstreckt (OLG Köln vom 25.06.1998, MDR 1999, 157 mit weiteren Nachweisen). Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Ersatzteilen sind damit grundsätzlich ein Risiko des Schädigers. Eine Verletzung der Schadensminderungspflicht kann dem Geschädigten bei Verzögerung der Reparatur nur dann vorgehalten werden, wenn bei wirtschaftlicher Betrachtung deren Durchführung unter zusätzlicher Berücksichtigung des Nutzungsausfallschadens erkennbar unvernünftig ist. Die Erteilung des Reparaturauftrages durch die Klägerin war hier nicht ökonomisch unbedacht, da die Lieferschwierigkeiten bezüglich des Scheinwerfers nicht von Anfang an - und auch später nicht in ihrem vollen Umfang - absehbar waren.

13

Der Sachverständige xxx hat glaubhaft bekundet, dass er nach der damaligen Untersuchung des streitgegenständlichen Scheinwerfers zu dem Ergebnis gelangt ist, dass eine provisorische Reparatur nicht geeignet gewesen wäre, die Verkehrssicherheit des Fahrzeugs bzgl. dieses sicherheitsrelevanten Bauteils herzustellen. Die Reparaturwerkstatt xxx in Celle bezeichnete er als ein angesehenes und kompetentes Unternehmen. Der Sachverständige teilte ausdrücklich mit, dass eine Beschaffung eines Originalscheinwerfers vor dem 22.09.2004 aufgrund der Lieferschwierigkeiten des Herstellers nicht möglich gewesen sei.

14

Es kann dahin stehen, ob die Reparaturwerkstatt xxx damals versäumte, einen Originalscheinwerfer über andere Lieferanten oder aber einen "No-Name-Scheinwerfer" für die Durchführung einer vorläufigen Reparatur zu beschaffen. Die Klägerin muss sich ein solches etwaiges Verschulden der Reparaturwerkstatt nicht zurechnen lassen. Die vom Geschädigten zur Feststellung der Schadensursache eingeschalteten Sachverständigen sowie die zur Mängelbeseitigung von ihm beauftragten Drittunternehmer sind regelmäßig nicht seine Erfüllungsgehilfen im Verhältnis zum Schädiger. (OLG München vom 07.07.2006, Az.: 10 U 2270/06, eingestellt in Juris; OLG Hamm NZV 1995, 442 f.; OLG Karlsruhe MDR 1973, 580 f. [OLG Karlsruhe 07.12.1972 - 4 U 156/71]). Ein Auswahlverschulden der Klägerin ist vorliegend weder bei der Beauftragung des Sachverständigen xxx noch bei der Reparaturvergabe an die Werkstatt xxx ersichtlich. Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass den Kenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten des Geschädigten bei der Schadensregulierung regelmäßig Grenzen gesetzt sind, vor allem, sobald er einen Reparaturauftrag erteilt und das zu reparierende Objekt in die Hände von Fachleuten gibt. Es würde den Sinn und Zweck des Schadensersatzrechts widersprechen, wenn der Geschädigte bei der Ausübung der Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zu dem ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen sind und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht mehr kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss. Es ist deshalb nicht Sache der geschädigten Klägerin, sich nach der Beauftragung einer kompetenten Werkstatt mit deren Vorgehensweise bei der Beschaffung der erforderlichen Ersatzteile auseinander zusetzen.

15

Die zur Darlegung des Mitverschuldeneinwandes gem. § 254 Abs. 2 Satz 2 BGB verpflichteten Beklagten haben auch nichts dazu vorgetragen, dass in der fraglichen Zeit der zur Wiederherstellung des Motorrollers benötigte Originalscheinwerfer bei einem anderen Händler in Deutschland vorrätig war und alsbald geliefert werden konnte. Auch diesbezüglich kann dahin stehen, ob die Werkstatt xxx in kürzerer Zeit einen "No-Name-Scheinwerfer" hätte beschaffen können. Wie bereits ausgeführt, braucht sich die Klägerin ein etwaiges Fehlverhalten der Werkstatt nicht zurechnen lassen.

16

Schließlich kann der Klägerin durch die Beklagten nicht entgegengehalten werden, dass das Fahrzeug nicht mittels einer Notreparatur instandgesetzt werden konnte. Der Sachverständige Schmidt hat die Möglichkeit einer Notreparatur, die den Anforderungen der StVO entsprechen würde, verneint. Die von der Beklagtenseite in der mündlichen Verhandlung demonstrierten Reparaturversuche waren nach seiner Ansicht nicht fachgerecht. Für das Gericht - welches über einen Gesellenbrief im Kraftfahrzeug-Handwerk verfügt - glichen diese demonstrierten Reparaturmöglichkeiten den Methoden einer im Fachjargon als "Urwaldschmiede" bezeichneten Werkstatt und nicht denen einer kompetenten Fachwerkstatt.

17

Von den begehrten außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 88,74 EUR hält das Gericht nur eine 0,65-Gebühr nebst Auslagen pauschale und MwSt. für erstattungsfähig. Deshalb war die Klage in Höhe von 13,60 EUR abzuweisen.

18

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.

19

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 a Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Kosten bzgl. des erledigt erklärten Teils der Hauptsache in Höhe von 48,00 EUR waren der Beklagten aufzuerlegen. Diese wäre bei Nichtvornahme der Zahlung auch bzgl. dieser 48,00 EUR verurteilt worden. Hier wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.

20

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.