Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 22.05.1996, Az.: 3 A 3373/94
Gewährung von Beihilfe für Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung wegen andrologischer Subfertilität des Lebensgefährten; Begriff der Krankheit i.S.d. Beihilfevorschriften
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 22.05.1996
- Aktenzeichen
- 3 A 3373/94
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1996, 25018
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:1996:0522.3A3373.94.0A
Rechtsgrundlagen
- § 5 Abs. 2 BhV
- § 6 Abs. 1 BhV
- § 87 Abs. 3 NBG
Fundstellen
- GesPol 1998, 24
- NJW 1997, 1652-1653 (Volltext mit amtl. LS)
- NVwZ 1997, 824 (amtl. Leitsatz)
Verfahrensgegenstand
Beihilfe für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung
In der Verwaltungsrechtsache
...
hat die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Göttingen
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht ...
die Richter am Verwaltungsgericht ... und ... sowie
die ehrenamtlichen Richter ... und ...
ohne mündliche Verhandlung
am 22. Mai 1996
für R e c h t erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des gegen sie festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.073,02 DM festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Beihilfe für Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung der Klägerin.
Die Klägerin ist niedersächsische Landesbeamtin. Sie bemühte sich über Jahre erfolglos, von ihrem Lebensgefährten, mit dem sie in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammenwohnt, ein Kind zu bekommen. Ärztliche Untersuchungen hatten ergeben, daß bei dem Lebensgefährten der Klägerin eine "andrologische Subfertilität" (männliche Vermehrungsfähigkeitsstörung) vorliegt. Bei der Klägerin wurde daraufhin im Februar 1994 eine Inseminationstherapie nach einer Spermienpräparation in den rechten Eileiter durchgeführt.
Hierfür begehrte sie mit Antrag vom 02.06.1994 Beihilfe im Umfang von 50 % zu den ärztlichen Behandlungen und zu den insoweit verordneten Arzneimitteln. Erstere kosteten 6.640,23 DM, letztere 1.505,81 DM.
Mit Bescheid vom 13.06.1994 lehnte die Beklagte eine Beihilfegewährung ab.
Mit Schreiben vom 08.07.1994 teilte die Klägerin der Beklagten mit, daß sie eine Einschränkung der Beihilfegewährung nicht nachvollziehen könne.
Die Beklagte wertete dieses Schreiben als Widerspruch gegen ihren Beihilfebescheid vom 13.06.1994 und wies ihn mit Widerspruchsbescheid vom 15.08.1994, zugestellt am 17.08.1994, zurück. Beihilfe könne nur für eine "homologe" Befruchtung gewährt werden. Hierzu zähle nur eine Befruchtung mit dem Samen des Ehemannes. Da die Klägerin nicht verheiratet sei, könne sie insoweit keine Beihilfe erhalten.
Hiergegen hat die Klägerin am 07.09.1994 Klage erhoben, die sie im wesentlichen damit begründet, daß ihr Kinderwunsch nur aus gesundheitlichen Gründen nicht habe realisiert werden können. Sowohl sie selbst als auch ihr Lebensgefährte hätten sich nach eingehenden gynäkologischen und urologischen Untersuchungen bei verschiedenen Fachärzten, zuletzt bei Herrn Dr. ... in ... der sich auf Kinderwunschbehandlungen spezialisiert habe, beraten und behandeln lassen. In einem gleichgelagerten Parallelfall habe das Verwaltungsgericht Hannover mit Urteil vom 28.05.1993 (2 A 2384/91) die Bezirksregierung Hannover zur Beihilfegewährung verpflichtet. Da diese Entscheidung nach Rücksprache der Bezirksregierung Hannover bei dem Niedersächsischen Finanzministerium rechtskräftig geworden sei, sei nicht verständlich, warum die Beklagte im vorliegenden Fall einen anderen Rechtsstandpunkt vertrete.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, ihr antragsgemäß Beihilfe in gesetzlicher Höhe zu den Aufwendungen aus der Rechnung des Dr. ... vom 24.05.1994 über 6.640,23 DM und zu den Rezepten vom 14.01.1994, 23.01.1994, 11.02.1994, 20.02.1994 und 22.03.1994 über insgesamt 1.505,81 DM zu gewähren und insoweit den Bescheid der Beklagten vom 13.06.1994 sowie den Widerspruchsbescheid vom 15.08.1994 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie nimmt Bezug auf ihren Widerspruchsbescheid und verteidigt diesen. Der Sachverhalt im vom VG Hannover entschiedenen Fall sei nicht vergleichbar. Das dortige Urteil beziehe sich auf Kosten einer heterologen Insemination, deren Entstehungszeitpunkt vor dem 01.01.1992 gelegen habe. Nach den im Zeitpunkt des Entstehens der von Klägerin durchgeführten Behandlungsmaßnahmen geltenden Beihilfevorschriften sei aber eine Kostenübernahme für eine heterologe Insemination ausgeschlossen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang der Beklagten, der Gegenstand der Beratung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage, über die Kammer im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 VwGO), hat in der Sache keinen Erfolg. Sowohl der Beihilfebescheid der Beklagten vom 13.06.1994 als auch der Widerspruchsbescheid vom 15.08.1994 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Der Klägerin steht - allerdings aus anderen als von der Beklagten im streitbefangenen Bescheid angegebenen Gründen - kein Beihilfeanspruch aus § 87 Abs. 3 Nr. 1 NBG i. V. m. der Beihilfeverordnung zu. Denn die geltend gemachten Aufwendungen sind nicht aus Anlaß einer Krankheit der Klägerin entstanden.
Die Beihilfefähigkeit der hier streitigen, im Zeitraum zwischen dem 10.02. und dem 02.03.1994 entstandenen Behandlungs- und Rezeptkosten richtet sich nach den allgemeinen Verwaltungsvorschriften über die Gewährung von Beihilfe in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen - BhV - vom 19.04.1985 (Nds. MBI. S. 393), i. F. v. 24.06.1993 (Nds. MBI. S. 592), da für die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen das zum Zeitpunkt ihres Entstehens geltende Beihilferecht maßgeblich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.03.1982 - 6 C 95.75-, Buchholz 238.4, § 30 Nr. 6, S. 8/10 f.). Gemäß § 87 Abs. 3 NBG gelten diese Vorschriften auch für niedersächsische Landesbeamtinnen. Gemäß § 6 Abs. 1 BhV sind nur solche Aufwendungen beihilfefähig, die aus Anlaß einer Krankheit entstanden und gemäß § 5 Abs. 1 BhV dem Grunde nach notwendig und in der Höhe nach angemessen sind. Gemäß § 5 Abs. 2 BhV ist unabdingbare Voraussetzung für die Beihilfefähigkeit - und hierauf kommt es im vorliegenden Fall entscheidend an -, daß im Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen eine Beihilfeberechtigung der erkrankten Person besteht bzw. daß im Falle von Aufwendungen für einen Angehörigen dieser berücksichtigungsfähig ist.
Diese Voraussetzungen sind bezüglich der von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen nicht gegeben. Denn ihre Kinderlosigkeit stellt keine (eigene) Krankheit dar.
Da die Beihilfevorschriften den Begriff der Krankheit nicht ausdrücklich regeln, ist es sachgerecht, insoweit sinngemäß den sozialversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriff heranzuziehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.02.1982, Buchholz 238.4 § 30 SG Nr. 5). Danach ist unter Krankheit ein regelwidriger Zustand des Körpers oder des Geistes zu verstehen, der der ärztlichen Behandlung bedarf oder - zugleich oder ausschließlich - Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Als regelwidrig ist ein Körper- oder Geisteszustand anzusehen, der von der durch das Leitbild eines gesunden Menschen geprägten Norm abweicht. Dabei ist der Begriff der Gesundheit mit dem Zustand gleichzusetzen, der dem Einzelnen die Ausübung körperlicher und geistiger Funktionen ermöglicht.
Unzweifelhaft beruht nach der vom Arzt Dr. ... vom 13.06.1994 ausgestellten und von der Klägerin der Beklagten vorgelegten Bescheinigung ihre Kinderlosigkeit auf einer Krankheit ( im oben genannten Sinne ) ihres Lebensgefährten. Denn bei ihm liegt eine andrologische Subfertilität vor. Demgegenüber ist weder vorgetragen noch sonst ansatzweise aus den dem Gericht vorgelegten Unterlagen entnehmbar, daß auch bei der Klägerin eine ihre Fruchtbarkeit beeinträchtigende Erkrankung vorliegt.
Die im Streit stehenden ärztlichen Aufwendungen für die Untersuchung und Behandlung der Klägerin waren daher nicht gemäß § 5 Abs. 1 BhV für ihre eigene Behandlung dem Grunde nach notwendig, sondern wurden durch eine bei ihrem Lebensgefährten bestehende Krankheit verursacht. Es handelt sich bei diesen Aufwendungen somit um Aufwendungen für einen Dritten, denn sie wären dann nicht notwendig gewesen, wenn der Lebensgefährte der Klägerin nicht an einer andrologischen Subfertilität leiden würde. Eine Beihilfefähigkeit scheidet aber deswegen aus, weil der Lebensgefährte der Klägerin nicht gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 BhV beihilfeberechtigt ist.
Die Behilfeberechtigung eines Beamten oder eines Angehörigen ergibt sich aus §§ 2, 3 BhV. Sie ist gegeben, wenn und solange die Zugehörigkeit zu dem in diesen Normen genannten Personenkreis besteht und Ausnahmetatbestände, die hier nicht interessieren, nicht vorliegen. Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 BhV ist aus dem Kreis der möglichen Lebenspartner allein der Ehegatte eines Beihilfeberechtigten berücksichtigungsfähig. Nicht hingegen zählt dazu der Partner eines Beihilfeberechtigten aus dessen nichtehelicher Lebensgemeinschaft. Diese Verknüpfung des Beihilfeanspruchs mit der Eheschließung ist mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar (zu vergleichbaren Bestimmungen des Besoldungsrechts: BVerwG, Urteil vom 28.10.1993 - 2 C 39.91 -, ZBR 1994, 184/185 m. w. N.). Denn dieser gebietet nicht, beihilferechtlich Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft Ehegatten gleichzustellen. Ein "Zwang" zur Gleichstellung widerspräche nicht nur der durch die Verfassung inArt. 6 Abs. 1 GG eingeräumten Vorrangstellung der Ehe, sondern überdies auch dem augenfälligen Sinn der eheähnlichen Gemeinschaft als einer Erscheinungsform des sozialen Lebens, deren Fortbestand allein vom freien Entschluß der Beteiligten abhängig ist. Keiner der Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft ist grundsätzlich verpflichtet, das Zusammenleben und die damit verbundene Unterhalts- und Unterkunftsgewährung - und sei es auch nur vorübergehend - aufrechtzuerhalten (BVerwG, aaO.). Es steht jedem Partner vielmehr frei, jederzeit - unabhängig von der bisherigen Dauer der eheähnlichen Gemeinschaft - und. ohne rechtlich geregelte Verfahren sein bisheriges Verhalten zu ändern und sein Einkommen ausschließlich zur Befriedigung eigener Bedürfnisse oder zur Erfüllung eigener Verpflichtungen zu verwenden. Auch die grundrechtlich durch Art. 2 Abs. 1 GG verbürgte Freiheit, in einer eheähnlichen Gemeinschaft zu leben, ist durch die Versagung von Beihilfegewährung für den Partner in einer solchen Beziehung weder unangemessen erschwert oder noch gar unmöglich gemacht; im übrigen schließt diese Freiheit keinen Anspruch gegen den Staat auf besondere Leistungen ein. Daß die Einkommen der Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft hinsichtlich der Prüfungen der Voraussetzungen des Umfanges der Sozialhilfe, etwa bei der Prüfung der Bedürftigkeit, einer anderen rechtlichen Regelung unterliegen und für dieses Rechtsgebiet durchaus zu einer (belastenden) Gleichstellung von Ehe und eheähnlicher Gemeinschaft kommen, ist beihilferechtlich ohne ausschlaggebender Bedeutung. Die entsprechenden Vorschriften im Bundessozialhilfegesetz verfolgen einen anderen Regelungszweck; sie wollen entsprechend dem verfassungsrechtlichen Gebot desArt. 6 Abs. 1 GG sicherstellen, daß Ehepaare bei der Prüfung der Bedürftigkeit im Rahmen von Fürsorgeleistungen nicht schlechter gestellt werden als nichteheliche Lebensgemeinschaften (BVerwG, aaO.).
Unter Berücksichtigung der oben aufgezeigten rechtlichen Vorgaben wird deutlich, daß sowohl das von der Klägerin in bezug genommene Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 28.05.1993 ( - 2A 2384/91 - ) als auch das von der Beklagten referierte Urteil des VGH München vom 30.03.1993 ( - 3 B 93.2829 -, ZBR 1993, 279 - ) andere Sachverhalte als den vorliegenden betreffen, denn in beiden Fällen war zumindest grundsätzlich ein Beihilfeanspruch der dortigen Klägerinnen gemäß § 5, 6 BhV gegeben. Es ging lediglich um die Auslegung der dann anzuwendenden ergänzenden Hinweise zum Vollzug der Beihilfevorschriften. Von daher ist die Kammer gehindert, zur - zwischen den Beteiligten streitigen - Frage Stellung zu nehmen, ob unter den Begriff der homologen Insemination auch die künstliche Befruchtung einer Beihilfeberechtigten mit dem Samen eines mit ihr in fester, faktisch mit einer Ehe vergleichbaren nichtehelichen Lebensbeziehung lebenden Partners fällt, wie es wohl der Erlaß des Nds. Finanzministeriums vom 04.08.1993 an die Bezirksregierung Hannover für den dortigen Einzelfall in Betracht gezogen hat ( anders VGH München, a.a.O., sowie - für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung - § 27 a Abs. 1 Nr. 3 und 4 SGB V ).
Die Kammer weist - ohne daß es rechtlich entscheidend wäre - abschließend zur Verdeutlichung darauf hin, daß die Klägerin im vorliegenden Fall selbst dann keinen Anspruch auf Beihilfe für die geltend gemachten Aufwendungen hätte, wenn sie mit ihrem jetzigen Lebenspartner zwar verheiratet wäre, er jedoch nicht zu den beihilfeberechtigten Personen zählte, etwa weil er selbst versicherungspflichtig außerhalb des öffentlichen Dienstes beschäftigt wäre und sein Bruttoeinkommen über der Bemessungsgrenze von 35.000,00 DM läge. Denn in solchen Fällen haben auch Ehegatten grundsätzlich keinen Beihilfeanspruch ( vgl. § 5 Abs. 4 Nr. 3 BhV ).
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Streitwertentscheidung gründet sich auf § 13 Abs. 2 GKG.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg statthaft,
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