Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 04.04.2017, Az.: 4 A 383/16
Entführung; Lösegeld; Passgesetz
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 04.04.2017
- Aktenzeichen
- 4 A 383/16
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2017, 53883
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 7 PaßG 1986
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Das Passgesetz bietet nicht für alle Fälle unerwünschten Verhaltens deutscher Staatsangehöriger eine Handhabe dies Verhalten zu unterbinden. Insbesondere sieht das Passgesetz nicht die Möglichkeit die Ausreise bei Entführungsgefahr zu untersagen.
Tenor:
Der Bescheid vom 12.09.2016 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die gegen sie gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht zuvor die Klägerin Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen eine Beschränkung ihres Reisepasses.
Die Klägerin ist Vorsitzende des Vereins E., dessen satzungsgemäßer Zweck die humanitäre Hilfe für Menschen in Afghanistan, insbesondere Opfer von Krieg und Verfolgung, ist. Für ihre Tätigkeit, in deren Rahmen sie mehrfach nach Afghanistan reiste, wurden ihr verschiedene Ehrungen zuteil, unter anderem wurde ihr im Jahr 2003 das Bundesverdienstkreuz verliehen. Für die Bundeswehr war sie im Jahr 2006 als lokale Beraterin tätig (Quelle www…..info…).
Mit E-Mail vom 22.04.2016 teilte das Polizeikommissariat 4 der Polizeiinspektion A-Stadt der Beklagten mit, dass dem deutschen Generalkonsulat in Masar-e-Scharif Informationen vorlägen, nach denen die Klägerin beabsichtige, nach Kunduz auszureisen. Die Klägerin habe im Jahr 2015 von dort evakuiert werden müssen, als Kräfte der Taliban die Stadt kurzfristig überrannt und besetzt hätten. Für deutsche Staatsangehörige bestehe ein besonders hohes Entführungsrisiko. In der Nähe von Kunduz sei im April 2015 ein deutscher Staatsbürger, in Kabul im Juni 2015 eine niederländische Staatsbürgerin und im August 2015 ebenfalls in Kabul eine deutsche Staatsbürgerin entführt worden. Der Bundesregierung lägen Informationen vor, nach denen regierungsfeindliche Kräfte eine weitere Einnahme von Kunduz vorbereiteten. In Kunduz bestehe derzeit ein herausragend hohes Anschlags-und Entführungsrisiko. Eine Autofahrt von Masar-e-Scharif nach Kunduz werde als besonders gefahrenträchtig eingeschätzt. Die Strecke zwischen Aybak und Pul-e-Khumri sei immer wieder Ziel von Anschlägen und illegalen Checkpoints, aus denen heraus gerade Ausländer entführt werden könnten.
Am 20.04.2016 führten Vertreter des Landeskriminalamtes Niedersachsen sowie des Fachkommissariats 4 der Polizeiinspektion A-Stadt und die Bürgermeisterin der Beklagten ein Sensibilisierungsgespräch mit der Klägerin. Der Klägerin wurde die behördliche Einschätzung der Gefahrenlage erläutert. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass sie für alle Kosten gegebenenfalls notwendiger Rettungs- bzw. Evakuierungsmaßnahmen in Regress genommen werden könnte. Die Klägerin erklärte daraufhin, von der geplanten Reise zunächst Abstand zu nehmen und erst zu einem späteren Zeitpunkt zu reisen, wenn die Sicherheitslage in Afghanistan als stabil erachtet werde. Sie stehe ständig in Kontakt mit ihren Mitarbeitern in Kunduz und werde tagesaktuell über die Situation informiert. Derzeit werde auch nach den ihr vorliegenden Informationen die Sicherheitslage als extrem gefährlich eingestuft.
Am 02.09.2016 teilte das Bundeskriminalamt dem Landeskriminalamt Niedersachsen mit der Bitte um Veranlassung einer Steuerung an das Passamt der Samtgemeinde B-Stadt mit, dass die Klägerin beabsichtige nach Kunduz zu reisen. Sie habe in diesem Zusammenhang um militärische Luftverlastung innerhalb Afghanistans gebeten. Die Krisenbeauftragte der Bundesregierung habe am Wochenende des 27./28.08.2016 der Klägerin in einem persönlichen Gespräch die für sie bestehende abstrakte und konkrete Bedrohungslage erläutert. Die Klägerin habe sich uneinsichtig gezeigt und habe geäußert, an ihren Reisepläne festhalten zu wollen. Zur allgemeinen Lage in Afghanistan führte das Bundeskriminalamt aus, dass die Sicherheitslage kritisch, instabil und geprägt durch Aktivitäten der Taliban sei. Ziele seien vorrangig militärisches und polizeiliches europäisches Personal, aber auch zivile und humanitäre Missionen. Im Hinblick auf die Klägerin hätten den Sicherheitsbehörden glaubhafte Erkenntnisse mit Stand Ende Juli bzw. Anfang August 2016 vorgelegen, wonach Entführungspläne im Raum Kunduz bestünden.
Am 13.09.2016 wurde der Klägerin der angefochtene Bescheid vom 12.09.2016 persönlich ausgehändigt. Im Bescheid vom 12.09.2016 wurde der Geltungsbereich des Reisepasses der Klägerin dergestalt eingeschränkt, dass eine Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland nach Afghanistan unmittelbar oder über ein Drittland ab Bekanntgabe dieses Bescheides nicht gestattet sei. Die Maßnahme wurde bis zum 01.09.2017 befristet. Ferner wurde die sofortige Vollziehung angeordnet. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass die Klägerin eine Reise nach Afghanistan beabsichtige. Sie habe nach einer militärischen Luftverlastung innerhalb Afghanistans durch die Bundeswehr gefragt. Es bestehe eine konkrete und erhebliche Entführungsgefahr. Dies rechtfertige die Annahme im Sinne von § 8 PassG, dass erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet seien. Dies wiederum ergebe sich daraus, dass im Falle von Entführungen ausländischer Staatsbürger in Afghanistan auch Lösegeldforderungen an die Herkunftsstaaten der Entführten gerichtet würden. Die Ermessensabwägung zwischen den gefährdeten Rechtsgütern als Interesse der Bundesrepublik Deutschland einerseits und dem Recht der Klägerin auf Reisefreiheit andererseits ergebe, dass das öffentliche Interesse wesentlich höher einzustufen sei. Die auf ein Jahr befristete Maßnahme sei auch verhältnismäßig.
Die Klägerin übergab daraufhin ihren Reisepass, in dem sich bereits ein für die Zeit vom 15.08. bis 15.11.2016 gültiges Visum für Afghanistan befand. Die Klägerin gab an, dass sie mit einer Beschränkung des Passes für die Dauer von einem Jahr nicht einverstanden sei. Sie müssen nach Afghanistan reisen, um erforderliche Kontrollen und Abrechnungen für ihr Projekt und den Verein vornehmen zu können. Sie beabsichtige ab November nach Afghanistan zu reisen. Im Sommer sei eine Reise zu gefährlich. Der Pass der Klägerin wurde am 15.09.2016 mit den angefochtenen Beschränkungen (Eintrag „Der Geltungsbereich dieses Passes ist wie folgt beschränkt: Der Pass berechtigt nicht zur Ausreise nach Afghanistan unmittelbar oder über ein Drittland“) versehen und ihr am 17.09.2016 wieder ausgehändigt.
Die Klägerin hat am 11.10.2016 Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, dass der angefochtene Bescheid nicht ausreichend begründet sei. Ihr lägen keine Hinweise auf Einführungsabsichten vor, die Beklagte habe ihre Hinweise nicht offen gelegt. Konkrete Tatsachen seien nicht benannt worden. Darüber hinaus gehe von ihr selbst keine Gefährdung erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland aus. Eine etwaige Entführung könne nicht mit den Mitteln des Passgesetzes verhindert werden. Sie sei auch „nicht lebensmüde“ und habe sehr genaue Kenntnisse darüber, wie sie in ihr Büro in Kunduz gelangen könne. Nach Kunduz könne sie auf dem Luftwege reisen. Ihr Büro liege nur 2 km vom Flughafen entfernt. Der Gouverneur der Provinz Kunduz habe für ihre Sicherheit garantiert. Ihr würde eine bewaffnete Eskorte zur Verfügung gestellt, wie es in der Vergangenheit bereits mehrfach geschehen sei. Sie sei seit 25 Jahren regelmäßig in Afghanistan. Sie habe sich in dieser Zeit in Afghanistan bewegt ohne entführt zu werden. Sie verfüge über hervorragende Landeskenntnisse sowie sehr gute persönliche Kontakte, die es ihr ermöglichten, etwaige Gefahrensituationen rechtzeitig zu erkennen und zu vermeiden. Zum Beleg ihres Vortrages legt sie die durch einen allgemein beeidigten Dolmetscher erfolgte deutsche Übersetzung eines Schreibens des Gouverneurs der Provinz Kunduz an die deutsche Botschaft in Kunduz vor, wonach sich die Sicherheitslage in Masar-e-Scharif relativ gebessert habe. Das Schreiben datiert vom 14.10.2016. Sie plane ihre Reise so, dass sie mit einem Passagierflugzeug nach Masar-e-Scharif oder Kabul fliege. Von dort werde sie mit einem weiteren Transport in einer Militärmaschine nach Kunduz gelangen. Von dort bis zum Haus des Vereins seien es lediglich 5 km auf einer befestigten Straße. Es handelt sich um eine Hauptverbindungsstraße, die entsprechend gesichert sei. Den Flug mit der Militärmaschine und eine Militäreskorte auf den letzten 5 km habe ihr der Gouverneur der Provinz Kunduz zugesagt. Sie sei nicht gezwungen nach Kata Khel zu reisen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 12.09.2016 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erwidert, ausweislich der Behördenerklärung des Bundeskriminalamtes vom 09.09.2016 sei festzustellen, dass sich die Sicherheitslage in der Provinz Kunduz seit Ende des Ramadan am 07.07.2016 weiter verschlechtert habe. Der Raum um die Ortschaft Katachel liege im Einzugsbereich der Hauptverbindungsstraße Kunduz-Khanabad. Dort sei es im Spätsommer zu Gefechten gekommen. Es sei davon auszugehen, dass Aufständische sich in diesem Gebiet neben der Straße aufhielten. Am 27.07.2016 habe es einen konkreten Hinweis auf Einführungsabsichten gegen eine deutsche Staatsangehörige gegeben. Danach solle eine Gruppe, die aus mindestens vier Personen bestehe, planen, eine deutsche Staatsangehörige zu entführen, die im Raum Katachel bei Kunduz für eine Nichtregierungsorganisation Frauenprojekte betreibe. Das Bundeskriminalamt habe den Schluss gezogen, dass es sich bei dem möglichen Opfer um die Klägerin handele. Für die Verantwortlichkeit der Klägerin werde auf den Beschluss des VG Stuttgart vom 08.03.2010 - 11 K 67/10 - Bezug genommen. Die Klägerin sei als Handlungsstörerin anzusehen. Darüber hinaus genüge nach den Passverwaltungsvorschriften das Vorliegen einer objektiven Gefahr.
Zum Beleg für diesen Vortrag legt die Beklagte ein Behördenzeugnis des Bundesnachrichtendienstes vom 09.09.2016 vor. Danach unterliegen Ausländer in Afghanistan grundsätzlich einem hohen Entführungsrisiko. Dies ergebe sich daraus, dass Ausländer leicht von der einheimischen Bevölkerung zu unterscheiden seien und deshalb in den Fokus potentieller Täter rückten. Ausländern fehle die tiefgreifende Vernetzung in lokale Sozialstrukturen. Sie seien nicht durch lokale Abkommen geschützt und häufig nicht in der Lage Gefahrenpotenziale korrekt einzuordnen. Ausländern fehlten auch Orts-und Sprachkenntnisse, um Aussicht auf eine erfolgreiche Flucht zu haben. Der Unmut in der lokalen Bevölkerung bei Entführungen, sei bei ausländischen Geiseln geringer. Das afghanische Gastrecht gewähre grundsätzlich Schutz, könne aber aufgrund monetärer Interessen der Beteiligten oder durch Sachzwänge aufgehoben werden. Im Jahr 2015 sei in der Stadt Kunduz ein deutscher Staatsbürger medienwirksam durch die lokale Militanz entführt worden, im August 2015 sei eine deutsche Staatsbürgerin in Kabul entführt worden. Im März 2016 habe es einen Hinweis auf weitere Entführungsabsichten gegen einen deutschen Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit gegeben. Am 27.07.2016 habe der Bundesnachrichtendienst Kenntnis von möglichen konkreten Entführungsabsichten gegen eine deutsche Staatsangehörige erhalten. Der Bundesnachrichtendienst gehe davon aus, dass sich um die Klägerin handele. Zwar verfüge die Klägerin über Kenntnisse der lokalen Machtstrukturen und Personenschutz, was einen gewissen Schutz darstellen könne, es sei jedoch nicht auszuschließen und bereits vorgekommen, dass aus unterschiedlichen Gründen derartige Loyalitäten aufgekündigt würden.
Im Erörterungstermin vom 02.03.2017 hat die Klägerin angegeben, etwa 10 Tage in Afghanistan bleiben zu wollen. Sie verfüge bei einer Gefährdung über Rückzugsmöglichkeiten und könne durch die Wahl entsprechender Kleidung unerkennbar innerhalb der einheimischen Bevölkerung untertauchen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugen F., G., H. und I.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 04.04.2017 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten und die Gerichtsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung waren.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage der angefochtene Verfügung ist § 7 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 PassG. Danach ist von der Passversagung abzusehen, wenn sie unverhältnismäßig ist, insbesondere wenn es genügt, den Geltungsbereich oder die Gültigkeitsdauer des Passes zu beschränken. Der Pass ist unter anderem zu versagen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, dass der Passbewerber die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland können unter besonderen Umständen auch durch Handlungen gefährdet sein, die geeignet sind, dem internationalen Ansehen Deutschlands zu schaden. Sprechen beispielsweise bestimmte Tatsachen dafür, dass von einem Deutschen bei seinem Aufenthalt im Ausland derartige Handlungen zu befürchten sind, kann dies ein Ausreiseverbot als Vorsorgemaßnahme rechtfertigen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 07.12.2004 - 1 S 2218/03 -, juris Rn. 21). Zu solchen, erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdenden, Handlungen zählt zur Überzeugung der Kammer auch die Erpressung von Lösegeld für einen deutschen Staatsangehörigen nach dessen Entführung.
Die Kammer ist jedoch der Auffassung, dass die Passversagung bzw. -beschränkung angesichts des hohen Ranges der grundgesetzlich garantierten Handlungsfreiheit nicht für alle Fälle nicht erwünschten Verhaltens Deutscher im Ausland heranzuziehen ist. Anerkannt ist, dass die Passversagung nicht als Disziplinierungsmittel für nicht wünschenswertes Auftreten Deutscher im Ausland wie Betteln, den Aufenthalt von Personen, die aus Abenteuerlust ins Ausland gehen und nicht über genügende Existenzmittel zum Unterhalt im Ausland verfügen, oder im Ausland trampende Jugendliche etc. heranzuziehen ist. Ähnliches wird auch für den Fall zu gelten haben, dass ein Passbewerber in ein Land reisen will, von dem bekannt ist, dass dort bereits häufiger Deutsche mit dem Ziel der Nötigung von Verfassungsorganen des Bundes oder der Länder entführt worden sind (Koch/Süßmuth, Pass- und Personalausweisrecht, Stand 7. Lieferung 2016, § 7 Rn. 14; ebenso Hornung/Möller, PassG, § 7 Rn. 13; anderer Ansicht VG Stuttgart, Beschluss vom 08.03.2010 - 11 K 67/10 -, juris Rn. 27).
Entscheidend ist, dass die der angefochtenen Verfügung zu Grunde liegende Norm erfordert, dass der Passbewerber sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass nicht die Reise der Klägerin nach Afghanistan erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar gefährdet. Erst durch das Hinzutreten der befürchteten Entführung der Klägerin und der sich daran eventuell anschließenden befürchteten Lösegeldforderungen an die Bundesrepublik Deutschland könnten erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet sein. Im Ergebnis ist dies die Frage nach der Verantwortlichkeit der Klägerin für eine etwaige Entführung und sich eventuell daraus ergebende Lösegeldforderungen an die Bundesrepublik Deutschland. Eine solche Verantwortlichkeit der Klägerin vermag die Kammer nicht zu erkennen. Nach der im Polizei- und Ordnungsrecht anerkannten Theorie der unmittelbaren Verursachung einer Gefahr oder Störung ist nur derjenige, dessen Verhalten die Gefahr unmittelbar verursacht, verantwortlicher Störer. Dies ist die Klägerin erkennbar nicht, da sie ihre Entführung nicht selbst ins Werk setzt oder Forderungen an die Bundesrepublik Deutschland stellt.
Die Kammer hat auch erwogen, ob die als Ausnahme vom oben genannten Grundsatz der unmittelbaren Verursachung anerkannten Grundsätze des sogenannten Zweckveranlassers im vorliegenden Fall heranzuziehen sein könnten. Zweckveranlasser ist derjenige, der durch sein Verhalten andere gerade dazu veranlasst, die Gefahrenschwelle zu überschreiten. Dabei genügt es, dass bei objektiver Betrachtung der Gefahreneintritt durch Folgehandlungen anderer Personen dem typischen erfahrungsgemäßen Geschehensablauf entspricht. Nicht erforderlich ist, dass der Handelnde die Folgen seines Handelns „gewollt“ hat. Es genügt hingegen nicht, dass der Betreffende durch ein zurechenbares Tun lediglich einen Kausalbeitrag zu dem schädigenden Ereignis gesetzt hat. Hinzu treten muss vielmehr ein besonderer Zurechnungsgrund. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 12.04.2006 - 7 B 30/06 -, juris Rn. 4) wird die Problematik wie folgt zusammengefasst: Als Verursacher im allgemeinen Polizei-und - Ordnungsrecht wird derjenige beschrieben, dessen Verhalten die Gefahr unmittelbar herbeigeführt, also bei einer wertenden Zurechnung die polizeirechtliche Gefahrenschwelle überschritten hat. Personen, die entferntere, nur mittelbare Ursachen für den eingetretenen Erfolg gesetzt, also nur den Anlass für die unmittelbare Verursachung durch andere gegeben haben, sind in diesem Sinne keine Verursacher. Nach der gebotenen wertenden Betrachtungsweise kann allerdings auch ein als “Zweckveranlasser“ auftretender Hintermann (mit) verantwortlich sein, wenn dessen Handlung zwar nicht die polizeirechtliche Gefahrenschwelle überschritten hat, aber mit der durch den Verursacher unmittelbar herbeigeführten Gefahr oder Störung eine natürliche Einheit bildet, die die Einbeziehung des Hintermanns in die Polizeipflicht rechtfertigt. Eine solche innere Einheit vermag die Kammer hier nicht zu erkennen. Weder zielt die Tätigkeit der Klägerin als Entwicklungshelferin in Afghanistan objektiv auf ihre Entführung hin, noch vermag die Kammer festzustellen, dass diese Tätigkeit bei wertender Betrachtung eine solche Nähe zu einer Entführung in sich birgt, dass diese Entführung quasi zwangsläufig eintritt und deshalb nunmehr der Klägerin zuzurechnen wäre.
Letztlich können auch die Grundsätze der sogenannten „Anscheinsgefahr“ keine Anwendung finden. Das Verwaltungsgericht Stuttgart (aaO. Rn. 23) beruft sich für seine Auffassung - der Verantwortlichkeit der damaligen Klägerin - auf die Anwendung dieser Grundsätze und das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Urteil vom 07.12.2004 -1 S 2218/03 -, juris). Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat diese Frage jedoch ausdrücklich unentschieden gelassen (aaO. Rn. 23). Der VGH Baden-Württemberg hat vielmehr festgestellt, dass die streitgegenständliche Verfügung selbst bei Anwendung der Grundsätze der Anscheinsgefahr nicht rechtmäßig war. Nach den Grundsätzen der Anscheinsgefahr ist es entscheidend, ob der handelnde Beamte aus der ex-ante-Sicht mit Blick auf die ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Informationen aufgrund hinreichender Anhaltspunkte vom Vorliegen einer Gefährdung ausgehen konnte und diese Prognose dem Urteil eines fähigen, besonnenen und sachkundigen Amtswalters entspricht (aaO. Rn. 24). Diese Grundsätze sind schon deshalb nicht auf den hier zu entscheidenden Fall zu übertragen, weil es nicht auf die ex-ante Sicht ankommt. Vielmehr ist nach der Rechtsprechung der Kammer (Urteil vom 28.11.2016 - 4 A 337/16 -), die sich insoweit zum rechtlichen Maßstab der Prüfung der Auffassung des OVG Nordrhein-Westfalen angeschlossen hat (Urteil vom 04.05.2015 - 19 A 2097/14 -, juris Rn. 23 ff.), auf die aktuelle Gefährdungseinschätzung, mithin den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, abzustellen.
Letztlich führt auch der Hinweis der Beklagten auf die Passverwaltungsvorschriften nicht weiter. Zwar stellen diese unter Ziffer 7.1.1.1 fest, dass sonstige erhebliche Belange nur objektiv gefährdet sein müssen, doch handelt es sich einerseits um Verwaltungsvorschriften, die das Gericht nicht binden, andererseits wird für diese Auffassung keinerlei Begründung gegeben.
Lediglich ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass sie nach der erfolgten Beweisaufnahme durchaus davon ausgeht, dass eine erhebliche Gefährdung der Klägerin durch Entführung von regierungsfeindlichen Kräften bei einer Ausreise nach Afghanistan besteht. Die Kammer hat auch durchgreifende Zweifel daran, dass die von der Klägerin benannten Schutzmaßnahmen ihre Sicherheit gewährleisten können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 Abs. 1 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung ist nach §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Es liegt keine ober- oder höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Frage vor, ob wegen einer etwaigen Entführung deutscher Staatsangehöriger im Ausland passbeschränkende Maßnahmen nach dem Passgesetz erfolgen dürfen.