Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 29.04.2015, Az.: L 2 R 485/14

Rücknahme eines Altersrentenbescheids wegen Hinzuverdienst; Prognose des Rentenversicherungsträgers; Ergänzende Begründung einer Widerspruchsentscheidung; Anspruch auf Altersrente; Angabe von Tatsachen hinsichtlich der Erzielung von Einkünften ab Rentenbeginn; Keine Beantwortung prognostischer Fragen; Beantwortung differenzierter Fragen in einem Fragebogen; Bindung des Beteiligten an ein Anerkenntnis im sozialgerichtlichen Verfahren auch bei fehlender Annahme

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
29.04.2015
Aktenzeichen
L 2 R 485/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 22295
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2015:0429.L2R485.14.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Osnabrück - 09.09.2014 - AZ: S 15 R 478/12

Redaktioneller Leitsatz

1. Auch eine an Gesichtspunkten einer betriebsorganisatorischen Optimierung und an Zielen eines sog."lean management" orientierte Ausgestaltung von Verwaltungsabläufen darf selbstverständlich nicht zu einer Vernachlässigung gesetzlicher Vorgaben (oder gar zu einer fehlerhaften Erfassung tatsächlicher Erklärungen der Versicherten) führen.

2. Eine Ergänzung der Begründung der von der Widerspruchsstelle getroffenen Widerspruchsentscheidung ist nur durch diesen Ausschuss selbst und nicht durch sonstige Mitarbeiter möglich; nur die Widerspruchsstelle selbst kann Auskunft in Form der Begründung ihrer Entscheidung darüber geben, von welchen Erwägungen sie sich bei der Bescheidung des Widerspruchs tatsächlich hat leiten lassen.

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück vom 9. September 2014 sowie der Bescheid der Beklagten vom 5. April 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2012 und des Teilanerkenntnisses der Beklagten vom 18. März 2013 aufgehoben.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers aus beiden Instanzen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte den Altersrentenbescheid des Klägers wegen Hinzuverdienst teilweise zurücknehmen und die geleisteten Rentenzahlungen ganz oder teilweise zurückfordern durfte.

Der am 19. September 1948 geborene Kläger besitzt die portugiesische Staatsangehörigkeit. Er war seit dem 1. März 2003 laufend als Vizekonsul (Bl. 95 R VA) beim portugiesischen Generalkonsulat in I. beschäftigt. Aufgrund einer Arbeitsunfähigkeit seit August 2010 wegen der Folgen einer Krebserkrankung erhielt er von seinem Arbeitgeber Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle in Höhe von 5.265,- EUR monatlich.

Am 29. April 2011 beantragte der Kläger die Gewährung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab dem 1. Oktober 2011. Gleichzeitig stellte er bei der Beklagten einen Antrag auf Altersrente aus Frankreich sowie auf eine Altersrente aus Portugal wobei beide Renten ebenfalls ab Oktober 2011 gewährt werden sollten. Der Kläger bat insoweit um Einleitung des Rentenverfahrens. Den Antrag hatte der Mitarbeiter der Beklagten J. K. für den Kläger aufgenommen, als dieser gemeinsam mit seiner Ehefrau die Beratungsstelle L. am 29. April 2011 aufsuchte. Zu den damaligen Angaben des Klägers und dem Ablauf des Gespräches wird auf den Vermerk des Herrn K. vom 18. Februar 2013 (Bl. 49 ff GA) Bezug genommen. In dem Antrag (Bl. 3 ff. VA) war schließlich die Frage "Werden Sie ab Rentenbeginn Arbeitsentgelt, steuerrechtlichen Gewinn oder Bezüge aus einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis erhalten?" mit "nein" beantwortet worden. Aus dem vollständigen vom Kläger auf Bl. 56 zur Gerichtsakte gereichten und von dem Mitarbeiter der Beklagten elektronisch erfassten, Antrag ergibt sich eine Zusammenfassung der Angaben bzw. Sachverhalte die verneint wurden. Darin sind aufgelistet "10.4.1. Angaben zu dem Zeitraum bis zum Rentenbeginn Erzielen sie innerhalb dieses Zeitraumes beitragspflichtige Einnahmen? 10.4.4. Werden Sie ab Rentenbeginn Arbeitsentgelt, steuerrechtlichen Gewinn (.) oder Bezüge aus einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis (z.B. als Minister) erhalten? 11.3 Beziehen oder bezogen Sie Krankengeld von der Krankenkasse oder haben Sie dieses beantragt? 11.13 Beziehen oder bezogen Sie Krankenbezüge/Krankengeldzuschuss von einem Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes oder haben Sie eine dieser Leistungen beantragt?" Unter Ziffer 1.2.1. war aufgeführt, dass der Kläger zur Zeit in einem Beschäftigungsverhältnis als Konsulatsbeamter (Portugal) stand.

In dem Vermerk vom 18. Februar 2013 führte der Mitarbeiter der Beklagten J. K. aus: "Die Frage im Antrag unter Punkt 10.4.4. wurde verneint, weil ich den Versicherten wohl so verstanden habe, dass sein seit August 2010 bezogenes Krankengeld vom portugiesischen Arbeitgeber mit dem Beginn seiner drei Altersrenten enden wird. Über den genauen Wortlaut des Gesprächs kann ich heute leider keine Angaben mehr machen." Aus einem Beratungsvermerk vom 5. Oktober 2010 der Auskunfts- und Beratungsstelle L. durch Frau M. N. ergibt sich: "Versicherte erklärt noch maßgeblichen Hinzuverdienst zu haben, ich habe ihn darauf hingewiesen, dass er eine Altersvollrente beantragt hat. Kürzung der Altersrente etc. Der Versicherte wollte hiervon nichts wissen."

Am 20. und 25. Juli 2011 nahm die Beklagte zunächst mit dem portugiesischen Rentenversicherungsträger O. in Lissabon/Portugal und dem französischen Rentenversicherungsträger Kontakt auf. Einen weiteren Antrag des Klägers auf Altersrente (E 202 DE) übersandte die Beklagte am 28. September 2011 an den portugiesischen Rentenversicherungsträger P. in Lissabon.

Mit Bescheid vom 23. Dezember 2011 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 1. Oktober 2011 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen in Höhe von monatlich 910,62 EUR. In dem Bescheid wurde der Kläger auf die Hinzuverdienstgrenzen hingewiesen und darauf, dass er unverzüglich mitteilen müsse, wenn sein Einkommen über der Hinzuverdienstgrenze liege. Der Kläger teilte mit Schreiben vom 28. Dezember 2011 (Eingang bei der Beklagten am 29. Dezember 2011) mit, dass er auch in Frankreich und Portugal die Gewährung einer Regelaltersrente beantragt habe. Diese seien bislang aber noch nicht bewilligt worden. Da er in Portugal noch nicht berentet sei, erhalte er aufgrund seiner Dauererkrankung von seinem Arbeitgeber (Portugiesisches Außenministerium) Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfalle, die die Höhe der Hinzuverdienstgrenze von 400,- EUR übersteige. Diese werde erst entfallen, wenn die portugiesische Rentenversicherung seine Altersrente bewillige. Einen entsprechenden Bescheid werde er umgehend zur Kenntnis geben.

Aus einem Vermerk der Beklagten vom 06.02.2012 in der Verwaltungsakte Bl. 87 (Q. (SB)) ergibt sich, dass die Ehefrau des Klägers bei der Beklagten anrief und mitteilte, dass die Bescheinigung über die Höhe der Einkünfte vom letzten Arbeitgeber erstellt werden solle. Weiter heißt es in dem Vermerk "Es handele sich wohl um eine Art Lohnfortzahlung, die zwar durch den Arbeitgeber gezahlt werde, aber wohl den Charakter eines Krankengeldes habe. Ich teilte ihr mit, dass wir erst bei Eingang der Bescheinigung vom Arbeitgeber prüfen können, ob es sich um Hinzuverdienst handelt."

Am 23. Januar 2012 bescheinigte das Portugiesische Generalkonsulat I. die Dauer der Tätigkeit des Klägers als Vizekonsul sowie dessen Lohnfortzahlung in Höhe von monatlich 5.265,- EUR. In einem Vermerk Bl. 96 VA wird die Frage, warum die Rente nicht vorläufig eingestellt worden sei aufgeworfen.

Mit Schreiben vom 7. März 2012 hörte die Beklagte den Kläger zu einer Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 23. Dezember 2012 ab 1. Oktober 2011 gemäß § 45 SGB X und Erstattung einer Überzahlung für den Zeitraum vom 1. Oktober 2011 bis 31. März 2011 in Höhe von 5.466,75 EUR gemäß § 50 SGB X an.

Mit Schreiben vom 26. März 2012 teilte der Kläger mit, dass er sich, obwohl er bei dem Rentenbezug finanziell schlechter stehe, sich erheblich bemüht habe, das Rentenverfahren in Portugal zu beschleunigen bzw. einzuleiten. Erst durch sein Bemühen, habe die R. seiner vorgesetzten Dienststelle, dem portugiesischen Außenministerium mitgeteilt, dass sein Antrag am 8. März 2012 angenommen worden sei und bearbeitet werde. Er habe alle Anfragen stets prompt und wahrheitsgemäß beantwortet. Dies gelte auch für die Tatsache, dass er Gehaltszahlungen im Krankheitsfalle erhalte. Seiner Frau sei telefonisch mitgeteilt worden, dass wohl dem deutschen Rentenbezug nichts entgegenstehen würde, da seine Bezüge sicher als Krankengeld eingestuft würden. Da geraume Zeit vergangen sei, gehe er davon aus, dass ihm das Geld zustehe, da bei einer unklaren Fragestellung die Zahlungen zumindest ausgesetzt worden wären. Seine monatlichen Bezüge würden netto ca. 3.100,- EUR betragen. Die Zahlung der Beklagten habe er verbraucht (für die Einzelheiten Bl. 120 VA). Er sei davon ausgegangen, dass ihm die Rente zustehe, sonst hätte er anders disponiert.

Mit Bescheid vom 5. April 2012 nahm die Beklagte den Bescheid vom 23. Dezember 2011 ab Rentenbeginn, d. h. mit Wirkung ab 1. Oktober 2011 nach § 45 SGB X zurück und begehrte die Erstattung der entstandenen Überzahlung in Höhe von 5.466,75 EUR gemäß § 50 SGB X. Wegen der Überschreitung aller Hinzuverdienstgrenzen durch fortlaufende Lohnzahlung wegen Krankheit stünde dem Kläger eine vorzeitige Altersrente für schwerbehinderte Menschen nicht zu. Auch Arbeitsentgelt, das im Rahmen der Entgeltfortzahlung erzielt werde, sei als Hinzuverdienst zu berücksichtigen. Für die Berücksichtigung des Hinzuverdienstes sei allein entscheidend, dass es sich um Arbeitsentgelt aus einem nach Rentenbeginn bestehenden Arbeitsverhältnis handele. Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X seien erfüllt, da der Kläger bei Rentenantragstellung keine Angaben zu seinen fortlaufenden Bezügen als Vizekonsul gemacht habe. Auf Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheides könne er sich daher nicht berufen. Auch im Wege des Ermessens werde die Bescheidrücknahme für gerechtfertigt gehalten.

Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Der Bewilligungsbescheid vom 23. Dezember 2011 sei zwar rechtswidrig gewesen, er habe jedoch nicht schuldhaft falsche Angaben gemacht. Jedenfalls liege grobe Fahrlässigkeit nicht vor. Er habe die Frage nach den Bezügen aus einem öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnis dahingehend verstanden, dass nach Einkünften aus einer noch verrichteten beruflichen Tätigkeit gefragt werde. Nach seiner subjektiven Bewertung habe es sich um Krankengeld gehandelt, das nach seiner Bewertung die Voraussetzung für entsprechende Angaben im Fragebogen nicht erfüllt habe. Darüber hinaus habe er das Einkommen unmittelbar nach Erhalt des Bewilligungsbescheides bekannt geben. Auch habe die Beklagte das Ermessen nicht fehlerfrei ausgeübt. Jedenfalls liege ein Mitverschulden der Widerspruchsbehörde darin vor, dass die beantragte Rente trotz seines Schreibens vom 28. Dezember 2011 bis einschließlich März 2012 weiter gewährt worden sei. Das Mitverschulden berücksichtige die Behörde gar nicht.

Mit Bescheid vom 17. August 2012 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Ausschlaggebend sei, dass er im Rentenantrag keine Angaben zu seinen Einkünften gemacht habe. Aufgrund der Hinweise im Rentenbescheid sei ihm bekannt gewesen, welche Folgen das Überschreiten der Hinzuverdienstgrenzen nach sich ziehe. Insofern liege unzweifelhaft Bösgläubigkeit im Sinne der vorstehenden Vorschriften vor. Der Kläger wäre verpflichtet gewesen eine entsprechende Klärung, ob es sich um Hinzuverdienst handele, durch den Rentenversicherungsträger durchführen zu lassen. Eine Bescheidrücknahme sei im Wege des Ermessens geboten, weil ein öffentliches Interesse an der Rückzahlung der zu Unrecht erbrachten Leistungen bestehe. Schlechte wirtschaftliche Verhältnisse seien erst im Durchsetzungsverfahren gemäß § 76 Abs. 2 SGB IV zu berücksichtigen.

Dagegen hat der Kläger am 28. August 2012 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Osnabrück erhoben. Dass er bei Antragstellung den zutreffenden Sachverhalt mitgeteilt habe, könne seine Ehefrau bezeugen. Grobe Fahrlässigkeit liege jedenfalls nicht vor. Er habe z.B. angegeben, dass er in einem Beschäftigungsverhältnis als Konsulatsbeamter (Portugal) stehe. Darüber hinaus habe er im Beisein seiner Ehefrau bei Antragsaufnahme erläutert, dass er aufgrund seiner schweren Krebserkrankung seit August 2010 von seinem portugiesischen Arbeitgeber Krankengeld beziehe und dazu angemerkt, dass in Portugal nicht die Krankenkassen, sondern die Arbeitgeber Krankengeld zahlen müssten. Der antragaufnehmende Sachbearbeiter habe dies kommentarlos zur Kenntnis genommen. Schließlich sei ja auch die Beklagte durch die S. Ersatzkasse mit Schreiben vom 13. Mai 2011 darüber unterrichtet worden, dass eine Versicherung des Klägers bei der S. erst nach Ende seines Beschäftigungsverhältnisses möglich sei. Schließlich sei bei der Ermessenserwägung auch zu berücksichtigen, dass die Beklagte die Rentenanträge nicht rechtzeitig weitergeleitet habe.

Darüber hinaus hat der Kläger mitgeteilt, dass er seit dem 1. November 2012 von der portugiesischen Rentenkasse Altersrente beziehe und die entsprechende Bekanntmachung in Übersetzung übersandt. Die Beklagte hat dem Kläger daraufhin mit Bescheid vom 21. Dezember 2012 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab dem 1. November 2012 bewilligt.

Mit Schriftsatz vom 18. März 2013 hat die Beklagte nach Hinzuziehung des Vermerkes des J. K. vom 18. Februar 2013 ein teilweises Anerkenntnis dahingehend abgegeben, dass der zurückzufordernde Betrag auf 4.565,13 EUR reduziert werde. Darüber hinaus hat sie ausgeführt: "Für den Fall dass das Gericht einen Ermessensfehler im Bescheid vom 5. April 2012 im Sinne einer fehlenden Begründung annehmen würde, würde dies nunmehr nachgeholt. Eine Begründung kann im Klageverfahren nachgeholt werden (§ 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X)." Durch ein behördeninternes Versehen sei die Zahlungseinstellung nicht bereits zum Februar 2012, sondern erst zum Ende des Monats März 2012 erfolgt. Insofern liege ein Mitverschulden an der Höhe der entstanden Zahlung vor. Unter Abwägung der Gründe, komme die Beklagte zu dem Ergebnis, dass die Gründe für die Rücknahme und Rückforderung soweit überwiegen, dass die Rücknahme des Bescheides vom 23. Dezember 2011 im Vollem Umfange gerechtfertigt erscheine. In Abwägung des öffentlichen Interesses der Rückforderung des gesamten Überzahlungsbetrages und der beschriebenen Mitschuld der Beklagten werde im Rahmen des Ermessens der zurückgeforderte Betrag auf 4.565,13 EUR reduziert. Weiterhin hat die Beklagte den Vermerk des J. K. vom 18. Februar 2013 und der T. vom 5. Oktober 2011 zur Gerichtsakte gereicht.

Das SG Osnabrück hat die Klage, soweit sie über das Teilanerkenntnis der Beklagten vom 18. März 2013 hinaus geht mit Gerichtsbescheid vom 9. September 2014 abgewiesen. Es seien zwar nicht die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X gegeben. Da unter Berücksichtigung der dienstlichen Äußerung des Herrn J. K. davon auszugehen sei, dass der Kläger bei Rentenantragstellung auf das Fortbestehen des Beschäftigungsverhältnisses als Vizekonsul und die hiermit verbundene Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfalle hingewiesen habe. Allerdings lägen die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X vor, da der Kläger insbesondere nach der Beratung von der Frau N. darauf hingewiesen worden sei, dass die vom Arbeitgeber geleisteten Zahlungen auf die Rente anzurechnen seien. Dem Bewilligungsbescheid vom 23. Dezember 2011 dürfte bei der gebotenen Kenntnisnahme auch leicht entnehmbar gewesen sein, dass bislang noch keine Anrechnung von Hinzuverdiensten vorgenommen worden sei. Unter Berücksichtigung der beruflichen Stellung als Vizekonsul sei von einer hinreichenden Einsichts- und Erkenntnisfähigkeit auszugehen. Zumal der Kläger die Höhe seines Hinzuverdienstes nicht mitgeteilt habe, habe dieser davon ausgehen können, dass der Bescheid ohne die erfolgte Anrechnung des Hinzuverdienstes rechtswidrig war.

Die Zahlungen des Arbeitgebers des Klägers seien als Arbeitsentgelt aus einer Beschäftigung im Sinne von § 34 Abs. 2 Satz 1 SGB VI zu qualifizieren und damit als anrechenbarer Hinzuverdienst zu berücksichtigen. Aber auch wenn man die Zahlungen nach portugiesischem Recht als Krankengeld ansehen wolle, wären diese Zahlungen als "vergleichbares Einkommen" im Sinne von § 34 Abs. 2 Satz 1 SGB VI ebenfalls in vollem Umfang als Hinzuverdienst zu berücksichtigen. Die Überschreitung aller Hinzuverdienstgrenzen habe zur Konsequenz, dass der Kläger bei Erlass des Bewilligungsbescheides vom 23. Dezember 2011 keinen Anspruch auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen gehabt habe. Der Bescheid sei bei Erlass rechtswidrig gewesen. Auch die Ermessensausübung sei nicht fehlerhaft gewesen. Die Verwaltung sei grundsätzlich nicht gezwungen ein etwaiges Mitverschulden zu berücksichtigen. Im Übrigen habe die Beklagte dies im Rahmen der nachgeschobenen Ermessenserwägung doch noch vorgenommen.

Gegen den dem Kläger am 10. September 2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat dieser am 29. September 2014 Berufung eingelegt und ausgeführt dass ein Mitverschulden der Beklagten auch darin zu sehen sei, dass diese die Rentenanträge nicht bzw. zu spät weitergeleitet habe. Dieses sei kausal dafür, dass zum Zeitpunkt der Rentenbewilligung ein Hinzuverdienst anzurechnen gewesen sei. Bei gleichzeitiger Bewilligung hätte der Kläger keinen berücksichtigungsfähigen Hinzuverdienst mehr bezogen. Bei Antragstellung sei der Kläger auch davon ausgegangen, dass er die Renten gleichzeitig beziehen werde.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück vom 9. September 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 5. April 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2012 und des Teilanerkenntnisses vom 18. März 2013 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass sie an das vom Kläger nicht angenommene Teilanerkenntnis nicht mehr gebunden sei. Sie gehe nunmehr davon aus, dass der Bescheid vom 5. April 2012 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 17. August 2012 rechtmäßig sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 5. April 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2012 und auch in der Gestalt des Teilanerkenntnisses vom 18. März 2013 erweist sich als rechtswidrig. Auch wenn die Beklagte im Ausgangspunkt zutreffend in dem angefochtenen Bescheid vom 5. April 2012 die Überzahlung der ab November 2011 gewährten Altersrente in Höhe von 5.466,75 EUR aufgrund der Nichtberücksichtigungen der nach § 34 Abs. 2 SGB VI anzurechnenden fortgesetzten Arbeitsentgeltzahlungen im Sinne des § 14 Abs. 1 SGB IV festgestellt hat, fehlten doch die weiteren Voraussetzungen des § 45 SGB X für eine rückwirkende Rücknahme dieses Bescheides.

Die für die Rücknahme in Frage kommende Korrekturvorschrift ist § 45 SGB X. Die Beklagte hat aber die darin enthaltenen Vorgaben nicht rechtmäßig umgesetzt. Sie hat das Ermessen fehlerhaft ausgeübt.

In § 45 SGB X ist Folgendes geregelt: (1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. (2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit den öffentlichen Interessen an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit 1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. (3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Abs. 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung (ZPO) vorliegen. Bis zum Ablauf von 10 Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Abs. 2 zurückgenommen werden, wenn 1. die Voraussetzungen des Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder 2. der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde. In Fällen des Satzes 3 kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von 10 Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. (4) Nur in den Fällen von Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

Vorliegend ist die von der Beklagten erfolgte Rücknahme für die Vergangenheit rechtswidrig.

1. Ob der Tatbestand des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X erfüllt ist, kann letztendlich offen bleiben.

a) § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB X ist offensichtlich nicht gegeben. Der Kläger hat den Verwaltungsakt nicht durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt.

b) Zutreffend hat das SG darauf hingewiesen, dass auch die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X nicht gegeben sind. Der Verwaltungsakt beruht nicht auf Angaben, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Davon dass der Kläger in dem Gespräch bei Antragstellung mit dem Mitarbeiter der Beklagten J. K. sein aktuelles Einkommen mitgeteilt hat, geht auch der Mitarbeiter der Beklagten aus. Insoweit schreibt er in seinem Vermerk vom 18. Februar 2013, den die Beklagte selbst eingeholt hat ". weil ich den Versicherten wohl so verstanden habe, dass sein seit August 2010 bezogenes Krankengeld vom portugiesischen Arbeitgeber mit dem Beginn seiner drei Altersrenten enden wird." D. h. der Beklagten war sowohl der Arbeitgeber des Klägers als auch dessen Zahlungen bekannt. Wenn ein Mitarbeiter der Beklagten diese Angaben nicht in den Antrag aufnimmt, weil er eine entsprechende rentenrechtliche Würdigung vornimmt, kann dies nicht zu Lasten des Klägers gewertet werden.

c) Der Senat lässt hier offen, ob die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X gegeben sind. Denn die Beklagte hat jedenfalls das Ermessen fehlerhaft ausgeübt.

2. Letztlich kommt es auf die Frage, ob eine dem Kläger anzulastende Verkennung der in Betracht kommenden Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides - noch - als grob fahrlässig zu werten ist, gar nicht an, da umgekehrt auf Seiten der Beklagten eine ganze Reihe schwerer und schwerster Fehler zu konstatieren ist, mit denen sie sich im Rahmen der gesetzlichen gebotenen Ermessensabwägung nicht auseinandergesetzt hat (vgl. etwa BSG, Urteil vom 05. November 1997 - 9 RV 20/96 -, SozR 3-1300 § 45 Nr 37, BSGE 81, 156 [BSG 05.11.1997 - 9 RV 20/96]: So ist beispielsweise zugunsten des Klägers in Betracht zu ziehen, dass ... durch grobe Fehler der Verwaltung bei Erlass des rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts das Vertrauen des Begünstigten in die Bestandskraft der Leistungsbewilligung nachhaltig gestärkt wird).

a) Einen erheblichen Verfahrensfehler beinhaltete bereits die Frage an den Kläger im Rentenantragsvordruck, ob er "ab Rentenbeginn Arbeitsentgelt, steuerrechtlichen Gewinn oder Bezüge aus einem öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnis erhalten" werde (vgl. Ziffer 10.4.4 des Vordrucks). Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I hat der Antragsteller lediglich "Tatsachen" anzugeben. Die zitierte Frage, ob ab Rentenbeginn (über den ohnehin erst der Rentenversicherungsträger noch eine Entscheidung zu treffen hat), d.h. zu einem erst künftigen Zeitpunkt (im vorliegenden Fall ausgehend von dem gewünschten Rentenbeginn rund 6,5 Monate nach Antragstellung), Arbeitsentgelt, Gewinn etc. erzielt wird, richtet sich aber gar nicht auf die Angaben von Tatsachen, sondern auf die Erstellung einer Prognose (mit mitunter durchaus spekulativen Elementen).

Soweit der Rentenversicherungsträger entsprechende Prognosen benötigen sollte, hat er diese selbst in eigener Verantwortung zu erstellen; eine Übertragung entsprechender Aufgaben der Behörde auf den Antragsteller scheidet von vorneherein aus (vgl. auch BSG, Urteil vom 09. Oktober 2012 - B 5 R 8/12 R -, BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10).

Gerade da - wenn auch unzulässigerweise - mit der entsprechenden Fragestellung eine Prognose abverlangt worden ist, hätte bereits das Antragsformular eine differenzierende Beantwortung im Sinne der Darlegung der für und ggfs. auch gegen eine entsprechende Entwicklung der tatsächlichen Verhältnisse sprechende Umstände bieten müssen anstatt nur eine Beantwortung mit "ja" bzw. "nein" vorzuschlagen. Damit dürfte zugleich auch gegenüber den entsprechende Anträge aufnehmenden Mitarbeitern - grob unzulässig - suggeriert worden sein, dass diese die tatsächlichen Angaben des Versicherten im Sinne einer Antwort "ja" oder einer Antwort "nein" gewissermaßen "verdichten" sollten.

Auch eine an Gesichtspunkten einer betriebsorganisatorischen Optimierung und an Zielen eines sog. "lean management" orientierte Ausgestaltung von Verwaltungsabläufen darf selbstverständlich nicht zu einer Vernachlässigung gesetzlicher Vorgaben (oder gar zu einer fehlerhaften Erfassung tatsächlicher Erklärungen der Versicherten) führen (vgl. BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 - B 5 R 8/14 R -).

Im vorliegenden Fall hat der Mitarbeiter der Rentenversicherung K. in der vorgelegten dienstlichen Stellungnahme vom 18. Februar 2013 (Bl. 49 GA) selbst dargelegt, dass er den Kläger dahingehend verstanden habe, dass die von diesem dargelegten Zahlungen seines portugiesischen Arbeitgebers "mit dem Beginn seiner drei Altersrenten" enden würden. Dies belegt nicht nur das ausgeprägte Bemühen des Klägers zur differenzierten und detaillierten Darlegung der komplexen Sachlage, sondern macht zugleich auch deutlich, dass es einen groben Fehler auf Seiten dieses Mitarbeiters beinhaltete, wenn dieser diese differenzierten Angaben nicht korrekt in dem Antrag festhielt, sondern dahingehend "umsetzte" (bei Lichte betrachtet: verfälschte), dass er bei der Beantwortung der o.g. prognostischen Frage einfach ein "nein" eintrug.

b) Bei einer erneuten Vorsprache am 5. Oktober 2011 (vgl. ebenfalls den o.g. Vermerk des Mitarbeiters K.) hat der Kläger noch einmal darauf hingewiesen, dass er weiterhin Bezüge seines portugiesischen Arbeitgebers erhalte, wobei die Mitarbeiterin der Rentenversicherung N. zugleich (zutreffend) erkannt hat, dass dieses Entgelt auf die Altersrente anzurechnen ist. Offenbar ist gleichwohl versäumt worden, der für die Rentenbewilligung zuständigen Stelle Mitteilung über diese Angabe des Klägers zu machen. Auch dies beinhaltet einen groben Verwaltungsfehler.

c) Die aufgezeigten Mängel in der Ermessensausübung sind auch nicht durch die Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 18. März 2013 (Bl. 46 GA) nach Maßgabe des § 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X behoben worden.

Eine Ergänzung der Begründung der von der Widerspruchsstelle getroffenen Widerspruchsentscheidung ist nur durch diesen Ausschuss selbst und nicht durch sonstige Mitarbeiter der Beklagten möglich; nur die Widerspruchsstelle selbst kann Auskunft in Form der Begründung ihrer Entscheidung darüber geben, von welchen Erwägungen sie sich bei der Bescheidung des Widerspruchs tatsächlich hat leiten lassen. Darüber hinaus beinhaltet diese - unter Missachtung des dem Kläger gebührenden rechtlichen Gehörs vorgenommene - "Ergänzung" auch eine unzulässige Auswechslung der tragenden Gründe (vgl. BVerwG, U. v. 5. Mai 1998 - 1 C 17/97 - E 106, 351). Im Übrigen setzt sich die ergänzende Begründung im Schriftsatz vom 18. März 2013 nicht in der gebotenen Weise mit dem erheblichen Verschulden auf Seiten des Sozialversicherungsträgers auseinander; vielmehr hat die Beklagte unzutreffender Weise ihr (gravierendes) Mitverschulden an dem Erlass des rechtswidrigen Bescheides in Abrede gestellt.

Schließlich weist der Senat ergänzend darauf hin, dass die Beklagte irrt, wenn sie meint nicht mehr an ihr am 18. März 2013 abgegebenes Anerkenntnis gebunden zu sein. Ein Anerkenntnis ist das im Wege einseitiger Erklärung gegebene uneingeschränkte Zugeständnis, das der mit der Klage geltend gemachte prozessuale Anspruch besteht (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage § 101 Rdnr. 20 m.w.N.). Diese Voraussetzungen erfüllt das teilweise Anerkenntnis, welches die Beklagte mit Schriftsatz vom 18. März 2013 gegenüber dem Gericht erklärt hat (Eingang am 22. März 2013). Die fehlende Annahme führt lediglich dazu, dass der Rechtstreit insoweit noch nicht erledigt ist. Es könnte z.B. ein Anerkenntnisurteil ergehen. Es führt aber nicht dazu, dass die Beklagte sich etwa nicht mehr an das Anerkenntnis gebunden fühlen müsste, weil es sich insoweit um eine einseitige Erklärung handelt.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus der Anwendung des § 193 SGG.

Ein Grund, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), ist nicht gegeben.