Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 05.07.2021, Az.: 2 B 147/21

Ausbildungsbetrieb; Prüfungsfragen; Vertraulichkeit

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
05.07.2021
Aktenzeichen
2 B 147/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 70912
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Übernahme von Prüfungsfragen aus frei verkäuflichen Lehrwerken rechtfertigt grundsätzlich nicht den Widerruf oder die Einschränkung der Genehmigung als Ausbildungsbetrieb.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen die Einschränkung ihrer Genehmigung als Ausbildungsbetrieb durch das Luftfahrt-Bundesamt (LBA).

Sie betreibt seit 2004 einen genehmigten Ausbildungsbetrieb für lufttechnisches Instandhaltungspersonal.

Im September 2020 erhielt das LBA einen Hinweis, die Antragstellerin verwende bei Modulprüfungen zum Grundlagenwissen in englischer Sprache Fragen, die mit Fragen aus dem öffentlich frei erwerbbaren Prüfungsvorbereitungsbuch „EASA Part-66 Examination Test Guide First Edition“ übereinstimmten.

Das Bundesamt wies die Antragstellerin mit E-Mail vom 16.09.2021 darauf hin, dass ihre Prüfungsfragen im Grundlagenbereich angeblich öffentlich kursierten, und bat um Übersendung ihrer Prüfungsfragen zu den Modulen 1 und 2 des Grundwissens. Die Antragstellerin übersandte mehrere Fragensätze.

Bei einer Überprüfung am 15.03.2021 stellte das LBA fest, dass 50 von 52 Fragen des Prüfungssatzes „M2 CAT B1 B2 Eng V1_18“ aus dem genannten Buch stammten. Zehn weitere Prüfungssätze wurden überwiegend stichprobenartig kontrolliert und auch dort wurden Übereinstimmungen festgestellt, so etwa in dem Prüfungssatz „M7 CAT B1 V3_18“ bei 34 von 80 Fragen.

Am 07.04.2021 führte das LBA ein Überwachungsaudit bei der Antragstellerin durch und überprüfte dabei auch den Prüfungsfragenpool. Es wies die Antragstellerin auf die Beanstandung hin und nannte ihr den betreffenden Buchtitel inklusive ISBN-Nummer.

Mit Schreiben vom 14.04.2021, zugestellt am 19.04.2021, teilte das LBA der Antragstellerin mit, seine Mitarbeiter hätten zwei Beanstandungen festgestellt.

Zum einen verwende die Antragstellerin für ihre theoretischen Grundlagenprüfungen öffentlich zugängliche, käuflich erwerbbare englische Auswahlfragen (Nr. 9/21). Dies stufte das LBA als einen Verstoß der Stufe 2 ein, weil dadurch die sichere Aufbewahrung aller Prüfungsfragen nicht mehr vollständig gegeben sei. Es setzte als Fälligkeitsdatum der Beanstandung den 20.04.2021 fest.

Zum anderen erfolge die Durchführung der theoretischen Grundlagenprüfung nicht in Übereinstimmung mit dem Handbuch, weil die Identität der Teilnehmer nicht mittels des Ausweises überprüft worden sei und die Teilnehmer nicht zu ihrer Prüfungsbereitschaft befragt worden seien (Nr. 10/21). Dies sei ebenfalls ein Verstoß der Stufe 2. Das LBA setzte als Fälligkeitsdatum insofern den 06.07.2021 fest. Die Antragstellerin solle binnen 14 Kalendertagen, hinsichtlich der beanstandeten Prüfungsfragen bis zum Fälligkeitsdatum, einen Behebungs- und Präventionsmaßnahmenplan erstellen und dem LBA zur Genehmigung vorlegen. Der Plan solle jeweils eine Analyse der Beanstandung beinhalten, Maßnahmen zur unmittelbaren Behebung und Maßnahmen zur dauerhaften Behebung. Bei Nichteinhaltung des festgelegten Terminplans sei die Betriebsgenehmigung ganz oder teilweise auszusetzen.

Mit E-Mail vom 19.04.2021 unterbreitete die Antragstellerin dem LBA Vorschläge, um beiden Beanstandungen abzuhelfen.

Zu der Beanstandung Nr. 9/21 führte sie aus, die Prüfungsfragen befänden sich auf einem Server des Unternehmens, zu dem lediglich drei Personen Zugang hätten und der passwortgeschützt sei. Die fertiggestellten Prüfungsunterlagen würden in einem verschlossenen Metallschrank aufbewahrt (Punkt 1). Ende des Jahres 2018 habe die Antragstellerin dem LBA alle Prüfungsfragen zur Freigabe vorgelegt und auf Anweisungen hin mehrfach überarbeitet, bis es keine Beanstandungen mehr gegeben habe (Punkt 2). Es sei ihr nicht möglich gewesen, das genannte Buch käuflich zu erwerben, deshalb bat sie zur Behebung der Beanstandung um Übersendung der betroffenen Prüfungsfragen oder aber des Fragenbuches (Punkt 3). Die Antragstellerin habe 2018 externe Mitarbeiter mit der Erarbeitung der englischen Prüfungsfragen beauftragt, deren Befragung aber wegen des verstrichenen Zeitraumes ergebnislos geblieben sei (Punkt 4). Zur Vermeidung solcher Situationen werde die Antragstellerin in Zukunft stichprobenartig die von externen Mitarbeitern entworfenen Fragen auf eine mögliche Abbildung im Internet überprüfe (Punkt 5).

In dem Behebungs- und Präventionsmaßnahmenplan zu Nr. 10/21 legte sie dar, sie werde das MTOE (Maintenance Training Organisation Exposition, d. h. Handbuch des Ausbildungsbetriebes für Instandhaltungspersonal) bezüglich der Identitätskontrolle überarbeiten und eine Checkliste zur Abarbeitung in der Prüfung erstellen.

Mit E-Mail vom 20.04.2021 kritisierte das LBA die vorgelegten Vorschläge.

Hinsichtlich der Beanstandung Nr. 9/21 sei eine sichere Aufbewahrung von Prüfungsfragen nicht nur von der momentanen Aufbewahrungsumgebung abhängig, sondern auch von deren Ursprung. Das Buch könne aus urheberrechtlichen Gründen nicht übersandt werden. Es fehle an Sofortmaßnahmen und Behebungsmaßnahmen und die stichprobenartige Überprüfung sei als Präventionsmaßnahme unzureichend.

Hinsichtlich der Beanstandung Nr. 10/21 sei es nicht ausreichend, eine Identitätskontrolle nur vor der ersten Prüfung durchzuführen, sondern eine solche müsse vor jeder Prüfung erfolgen. Auch könnten Prüfungsvorbereitungskurse nicht Bestandteil des MTOE werden.

Die Antragstellerin antwortete darauf mit E-Mail vom 21.04.2021, für sie sei nicht erkennbar, was mit Nr. 9/21 konkret beanstandet werde.

Mit Bescheid vom 21.04.2021 schränkte das LBA die Genehmigung der Antragstellerin als Ausbildungsbetrieb dahingehend ein, dass es dieser die Durchführung von theoretischen Grundlagenprüfungen unter Verwendung ihrer englischen Auswahlfragen bis zur Erfüllung der in Ziffer 2 genannten Auflagen untersagte (Ziffer 1). Die Wiederzulassung wurde mit den Auflagen verbunden, neue englische Auswahlfragen als Ersatz für die öffentlichen bekannten Fragen zu erstellen. Dem LBA sei nachzuweisen, dass die neuen Fragen nicht öffentlich bekannt seien, und die Fragen müssten durch das LBA genehmigt werden (Ziffer 2). Darüber hinaus stellte es die Aufrechterhaltung der Genehmigung als Ausbildungsbetrieb unter die Auflagen, einen geeigneten Präventions- und Maßnahmenplan vorzulegen und die Verfahren zur Durchführung von Prüfungen im MTOE zu ändern (Ziffer 3). Zur Erfüllung der in Ziffer 3 genannten Auflagen setzte das LBA der Antragstellerin eine Frist von sechs Monaten oder bis zur nächsten Genehmigung von neu erstellten Prüfungsfragen (Ziffer 4). Für den Fall der nicht fristgemäßen Erfüllung der in Ziffer 3 genannten Auflagen drohte es der Antragstellerin den Widerruf ihrer Genehmigung als Ausbildungsbetrieb an (Ziffer 5). Schließlich ordnete es die sofortige Vollziehung der unter Ziffern 1 und 3 genannten Maßnahmen an (Ziffer 6).

Es begründete den Bescheid damit, die beanstandeten Fragen seien in dem Buch „EASA Part-66 Examination Test Guide First Edition“ enthalten. Die in der E-Mail vom 19.04.2021 genannten Vorschläge seien unzureichend, um die Beanstandung zu beseitigen. Punkt 1 stelle keine Ursachenanalyse dar, weil er die Frage, wie es zu der beanstandeten Situation gekommen sei, nicht beantworte. Punkt 3 beinhalte keine Sofortmaßnahmen, die sicherstellen könnten, dass die Beanstandung nicht weiterwirken könne, indem etwa weiterhin Prüfungen mit den beanstandeten Fragen vorgenommen würden. In Punkt 5 fehle es an Behebungsmaßnahmen und die genannten Präventionsmaßnahmen seien unzureichend. Insbesondere werde der im Handbuch beschriebene Prozess zur Erstellung und Freigabe von Prüfungsfragen nicht beachtet.

Die Beanstandung Nr. 10/21 fand keine Erwähnung mehr.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung begründete das LBA damit, dass eine rechtskonforme und sichere Prüfungsdurchführung nicht gewährleistet sei, sondern vielmehr die Gefahr von Prüfungsmanipulation bestehe. Dies könne dazu führen, dass Lizenzen für freigabeberechtigtes Personal erteilt würden, ohne dass diese das notwendige Grundwissen bzw. luftfahrzeugbezogene Wissen aufwiesen. Dieses Personal könne dann wiederum Freigabebescheinigungen erteilen, ohne für die entsprechenden Prüfungen fachlich qualifiziert zu sein. Es bestehe mithin die Gefahr, dass nicht lufttüchtiges Luftgerät die Sicherheit des Luftverkehrs beeinträchtige. Das öffentliche Sicherheitsinteresse überwiege daher das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin.

Am 26.04.2021 erhob die Antragstellerin Widerspruch gegen den angefochtenen Bescheid und stellte den Antrag, die Vollziehung des Bescheides bis zur Entscheidung in der Hauptsache vorläufig auszusetzen.

Sie begründete ihren Widerspruch damit, dass der Bescheid nicht hinreichend begründet sei, weil das LBA nicht darlege, welche Auswahlfragen im Einzelnen beanstandet würden. Auch sei die Antragstellerin vor Erlass des Bescheides nicht ordnungsgemäß angehört worden. Die in dem Schreiben vom 14.04.2021 gesetzte zweiwöchige Frist sei zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides noch nicht abgelaufen gewesen. Außerdem habe das Schreiben auch noch nicht über eine Einschränkung des Genehmigungsumfangs als beabsichtigte Maßnahme informiert.

Ferner sei der Bescheid auch materiell rechtswidrig, da ein Verstoß gegen die Verordnung (EU) Nr. 1321/2014 nicht vorliege. Die Prüfungsfragen seien sicher aufbewahrt worden, ohne dass die Auszubildenden sich im Vorfeld der Prüfung hätten Kenntnis davon verschaffen können. Dass diese Fragen auch in Lehrbüchern behandelt würden, stelle keinen Verstoß dar. Auch für die Pilotenausbildung seien PPL-Fragenkataloge vorhanden und frei zugänglich. Außerdem könne das Buch, in dem die Fragen enthalten sein sollten, mittlerweile nicht mehr bezogen werden. Im Hinblick auf die Anordnung der sofortigen Vollziehung fehle es an jeder Ermessensausübung.

Mit Schreiben vom 29.04.2021 lehnte das LBA die Aussetzung der sofortigen Vollziehung ab und wiederholte im Wesentlichen die Argumente des angefochtenen Bescheides.

Die Antragstellerin hat am 14.05.2021 Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung beim Verwaltungsgericht gestellt.

Sie wiederholt ihre Argumente aus dem behördlichen Verfahren und ergänzt, eine Behebung der Beanstandung Nr. 9/21 sei bis zum 20.04.2021 nicht möglich gewesen, denn sie halte insgesamt drei englische Prüfungssätze mit je 1.100 Fragen für die Lernmodule M1 bis M17 der Grundlagenprüfung vor, die in der Kürze der Zeit nicht sämtlich hätten überprüft bzw. ersetzt werden können. Dies gelte umso mehr, als das LBA ihr weder die konkret betroffenen Fragen aufgezeigt noch ihr das Prüfungsvorbereitungsbuch zur Verfügung gestellt habe.

Ihr drohten nicht unerhebliche Einnahmeverluste, da ihr derzeit 49 Prüfungsanfragen in englischer Sprache vorlägen, die sie nicht bearbeiten könne. Ein milderes Mittel als die Einschränkung der Genehmigung sei gewesen, die beanstandeten Fragen zu benennen und die Antragstellerin aufzufordern, diese aus ihrem Fragenpool zu streichen.

Auf gerichtliche Nachfrage teilte sie mit, die Prüfungsteilnehmer CAT B1.1 müssten im Rahmen der theoretischen Prüfung 692 Fragen beantworten, die Prüfungsteilnehmer CAT B2 652 Fragen. In jedes der 12-13 Module, die durchlaufen werden müssten, würden durchschnittlich 45 Fragen aufgenommen.

Die Antragstellerin beantragt,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 26.04.2021 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 21.04.2021, mit dem die Genehmigung als Ausbildungsbetrieb für Instandhaltungspersonal, Genehmigungs-Nr. DE.147.0011, eingeschränkt wurde und die Durchführung von theoretischen Grundlagenprüfungen unter Verwendung der englischen Auswahlfragen des Fragen-Pools nach 147.A.145 bis zur Erfüllung von Auflagen untersagt wurde, wiederherzustellen.

Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,

den Antrag abzulehnen.

Das LBA führt aus, ihm komme im Falle festgestellter Verstöße kein Entschließungsermessen, sondern lediglich ein Auswahlermessen hinsichtlich der Wahl der Mittel zu. Hätte die Antragstellerin im Rahmen der Vorlage des Behebungs- und Präventionsmaßnahmenplans beispielsweise angeboten, die Prüfungen in englischer Sprache vorerst auszusetzen, zu verschieben oder sich vorher mit dem LBA abzustimmen, hätte der Erlass des Bescheides vermieden werden können. Jedenfalls sei keine Überprüfung von 3.300 Prüfungsfragen innerhalb der gesetzten Frist gefordert gewesen.

Das LBA hat zunächst vorgetragen, es sei nicht für notwendig befunden worden, die Antragstellerin auf jede einzelne kopierte Frage hinzuweisen, da die Beanstandung angesichts der hohen Anzahl der übereinstimmenden Fragen ohnehin nur durch Austausch des gesamten Fragenpools an englischen Fragen behoben werden könne. Später im Verfahren hat es hingegen ausgeführt, durch die Auswahl bzw. den Abgleich von 692 Fragen des Prüfungsfragenpools, die für die Durchführung der Grundlagenprüfung der Kategorie B1 notwendig seien, könne ein beanstandungsfreier Fragensatz erstellt werden. So könne die Antragstellerin nach Abstimmung mit der Antragsgegnerin ihren Prüfungsbetrieb aufrechterhalten.

Außerdem sei davon auszugehen, dass angesichts des Sitzes der Antragstellerin in Deutschland auch ihre unternehmerische Tätigkeit sich vor allem im deutschsprachigen Raum abspiele, sodass ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit durch den Ausschluss der Benutzung der englischsprachigen Fragen nicht gefährdet werde. Anhang IV 147.A.135 der Verordnung (EU) Nr. 1321/2014 sei weit auszulegen und gelte nicht nur für die Prüfungssituation. Die Bestimmung erfordere grundsätzlich die sichere, vor Zugriff durch Fremde und vor öffentlichem Bekanntwerden geschützte Aufbewahrung von Prüfungsfragen. Dies ergebe sich auch aus den Regelungen im Handbuch des Ausbildungsbetriebes, das grundlegender Bestandteil der Genehmigung sei. Es bestehe die Gefahr, dass Prüfungsteilnehmer die Prüfungen nur durch Auswendiglernen von Frage-Antwort-Kombinationen bestehen könnten; dies stelle keine Überprüfung von tatsächlich vorhandenem Wissen dar. Für die Gleichbehandlung aller Prüfungskandidaten spiele die Vorschrift hingegen keine Rolle.

Mit E-Mail vom 02.06.2021 hat die Antragstellerin neue Prüfungsfragen für die Module 1-10 der Lizenzkategorie B1 beim LBA eingereicht. Das LBA hat jedoch auch von diesen neuen Fragen wieder einzelne wegen Übereinstimmungen mit dem Prüfungsvorbereitungsbuch beanstandet und die Antragstellerin zur Nachbesserung aufgefordert. Bei Erfüllung der Anforderungen könne die Einschränkung des Ausbildungsbetriebes in Form der Aussetzung der Durchführung von Modulprüfungen in englischer Sprache dahingehend abgeändert werden, dass die Modulprüfungen zum Grundwissen der Lizenzkategorie B1 mit den überarbeiteten, überprüften und durch das LBA freigegebenen Prüfungsfragen wieder durchgeführt werden könnten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist zwar formell ordnungsgemäß erfolgt.

Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen der Anordnung der sofortigen Vollziehung im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Zweck dieses Begründungserfordernisses ist es, die Behörde zu einer sorgfältigen Prüfung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes im Bewusstsein des Ausnahmecharakters der den Wegfall der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs bewirkenden Vollziehungsanordnung anzuhalten, dem Betroffenen die Kenntnis der für die Vollziehungsanordnung maßgeblichen Gründe zu vermitteln und ihm so die Rechtsverteidigung zu ermöglichen und die Grundlage für eine ordnungsgemäße gerichtliche Kontrolle dahin zu bieten, ob das die Vollziehungsanordnung rechtfertigende besondere Interesse auch vorliegt. Aus der Begründung muss mithin nachvollziehbar hervorgehen, dass und aus welchen besonderen Gründen die Behörde im konkreten Fall dem besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes Vorrang vor dem Aufschubinteresse des Betroffenen einräumt. Demgemäß genügen pauschale, nichtssagende und formelhafte Wendungen dem Begründungserfordernis nicht.

Das LBA hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung einzelfallbezogen mit der aktuellen Gefahr begründet, dass infolge von möglicher Prüfungsmanipulation nicht sichergestellt werden könne, dass das geprüfte lufttechnische Personal tatsächlich fachlich qualifiziert sei. Demnach könne es zu fehlerhaften Freigabebescheinigungen und der Teilnahme nicht lufttüchtiger Fluggeräte am Luftverkehr kommen. Aus diesen Ausführungen wird ersichtlich, warum das LBA dem öffentlichen Interesse in diesem Fall den Vorrang einräumt vor den privaten Interessen der Antragstellerin. Ob die Ausführungen des LBA auf einer inhaltlich tragfähigen, materiell ausreichenden Abwägung beruhen, ist für das Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 VwGO, bei dem es sich um eine rein formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung handelt, unerheblich.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist jedoch in materieller Hinsicht nicht rechtmäßig ergangen.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung einer Klage bzw. eines Widerspruchs in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Die Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO orientiert sich dabei an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Dabei überwiegt regelmäßig das öffentliche Interesse an einem Sofortvollzug, wenn sich die Verfügung bei vorläufiger Prüfung als voraussichtlich rechtmäßig erweist. Das Interesse eines Antragstellers daran, von den Folgen des Vollzugs einstweilen verschont zu bleiben, überwiegt hingegen regelmäßig, wenn sich der angefochtene Bescheid bei summarischer Überprüfung als voraussichtlich rechtswidrig erweist. So liegt es hier.

Rechtsgrundlage für die teilweise Einschränkung der Genehmigung als Ausbildungsbetrieb mit der Anordnung in Ziffer 1 des Bescheides ist § 31 Abs. 1 LuftPersV i. V. m. Anhang IV (Teil-147) 147.B.200 und 147.B.130 lit. b der Verordnung (EU) 1321/2014 vom 26.11.2014 über die Aufrechterhaltung der Lufttüchtigkeit von Luftfahrzeugen und luftfahrttechnischen Erzeugnissen, Teilen und Ausrüstungen und die Erteilung von Genehmigungen für Organisationen und Personen, die diese Tätigkeiten ausführen, in der Fassung vom 26.02.2021 i. V. m. § 49 VwVfG.

Nach § 31 Abs. 1 LuftPersV führt die nach § 26 LuftPersV zuständige Stelle die Aufsicht über die Ausbildungsbetriebe. Nach § 26 Nr. 3 LuftPersV ist das Luftfahrt-Bundesamt zuständig für die Erteilung der Ausbildungserlaubnis an alle anderen Ausbildungsbetriebe.

Gemäß Anhang IV 147.B.200 der Verordnung (EU) 1321/2014 muss die zuständige Behörde (nach lit. a) in begründeten Fällen bei einer möglichen Sicherheitsgefahr die Genehmigung aussetzen oder (nach lit. b) eine Genehmigung gemäß Punkt 147.B.130 aussetzen, widerrufen oder einschränken.

Wenn nach 147.B.130 lit. b innerhalb der von der zuständigen Behörde festgesetzten Frist keine Berichtigung einer Beanstandung der Stufe 2 erfolgt, wird die Genehmigung des Ausbildungsbetriebes für Instandhaltungspersonal ganz oder teilweise widerrufen, ausgesetzt oder eingeschränkt.

Gemäß § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG darf ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, wenn die Behörde auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde.

Dabei kann offenbleiben, ob das LBA die formellen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt hat. Zwar hat es die Jahresfrist ab Kenntnisnahme von den den Widerruf rechtfertigenden Tatsachen nach § 49 Abs. 2 Satz 2 VwVfG i. V. m. § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG eingehalten. Zudem hat das LBA der Antragstellerin nach 147.B.130 lit. b mit Schreiben vom 14.04.2021 eine Frist zur Berichtigung der Beanstandung bis zum 20.04.2021 gesetzt. Diese Frist war allerdings angesichts der Zustellung des Schreibens am 19.04.2021 äußerst knapp bemessen, obwohl sie der Antragstellerin zur Vorlage eines Behebungs- und Präventionsmaßnahmenplans genügte. Die Antragstellerin hat die vom LBA vorgebrachte Beanstandung bis zum Ablauf der gesetzten Frist auch nicht behoben und auch nicht formal um eine Fristverlängerung gebeten, jedoch um Übersendung der betroffenen Prüfungsfragen oder aber des Prüfungsvorbereitungsbuches, um die Beanstandung beheben zu können. Demnach erscheint zumindest fraglich, ob der Antragstellerin eine Berichtigung der Beanstandung innerhalb der gesetzten Frist überhaupt faktisch möglich war.

In jedem Fall liegen die materiellen Tatbestandsvoraussetzungen nicht vor.

Zum einen spricht viel dafür, dass Ziffer 1 und Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides gegen das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot des § 37 Abs. 1 VwVfG verstoßen. Hinreichende inhaltliche Bestimmtheit im Sinne dieser Vorschrift setzt voraus, dass der Adressat in die Lage versetzt wird, zu erkennen, was von ihm gefordert wird (BVerwG, Urteil vom 15.02.1990 - 4 C 41/87 -, juris Rn. 29). Die von der Behörde getroffene Regelung muss so vollständig, klar und unzweideutig erkennbar sein, dass er sein Verhalten danach ausrichten kann (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.05.2021 - 8 B 1468/20 -, juris Rn. 10).

Hier war für die Antragstellerin jedenfalls ursprünglich nicht erkennbar, welche bzw. wie viele der „öffentlich bekannten“ englischen Auswahlfragen sie nach Ziffer 2 des Bescheides durch neue Fragen ersetzen soll, um eine Aufhebung der Einschränkung ihrer Genehmigung als Ausbildungsbetrieb nach Ziffer 1 zu erreichen.

Wenn eine Unbestimmtheit eines Verwaltungsaktes nur dessen Rechtswidrigkeit, also Anfechtbarkeit, zur Folge hat, ist die Behörde jedoch befugt, den Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot im gerichtlichen Verfahren durch eine nachträgliche klarstellende Änderung zu heilen (BVerwG, Beschluss vom 21.06.2006 - 4 B 32/06 -, juris Rn. 1; BayVGH, Beschluss vom 18.03.2021 - 1 CS 20.2788 -, juris Rn. 14). Ein Verwaltungsakt ist nur dann nicht bloß rechtswidrig, sondern unheilbar nichtig, soweit er nach § 44 Abs. 1 VwVfG an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Eine Verletzung des Bestimmtheitsgebots hat nur bei völliger Unbestimmtheit oder Unverständlichkeit eines Verwaltungsakts dessen Nichtigkeit zur Folge, also dann, wenn der Betroffene dem Bescheid dessen Regelungsgehalt schlechthin nicht mehr entnehmen kann (BayVGH, Beschluss vom 18.03.2021 - 1 CS 20.2788 -, juris Rn. 14). Dies war hier nicht der Fall. Denn die Antragstellerin konnte davon ausgehen, jedenfalls mit dem Austausch sämtlicher englischer Auswahlfragen die Auflage des LBA zu erfüllen.

Das LBA hat, nachdem es zunächst ausgeführt hat, aufgrund der hohen Anzahl der identischen Fragen sei der Fragenpool mit den englischen Prüfungsfragen vollständig zu erneuern, später korrigiert, die Auswahl bzw. der Abgleich von 692 Fragen sei ausreichend, um wieder Prüfungen der Kategorie B1 in englischer Sprache durchführen zu können. Da immer noch keine konkreten Fragen benannt wurden, erscheint fraglich, ob dies zur Heilung des Bestimmtheitsmangels durch ergänzenden Vortrag ausreicht.

Das Gericht kann die Frage für die Entscheidung im vorliegenden Verfahren jedoch offenlassen. Denn es fehlt jedenfalls an einer Beanstandung.

Nach 147.A.160 lit. b wird als Beanstandung der Stufe 2 jede Nichterfüllung der Anforderungen des Ausbildungsprozesses mit Ausnahme der Beanstandungen der Stufe 1 angesehen.

Nach 147.A.145 lit. a Unterbuchst. iii bis v darf ein Ausbildungsbetrieb für Instandhaltungspersonal in Übereinstimmung mit dem Handbuch des Ausbildungsbetriebs für Instandhaltungspersonal Grundlagenprüfungen und Luftfahrzeugmusterprüfungen von Auszubildenden vornehmen und nach Unterbuchst. vi entsprechende Urkunden ausstellen.

Nach 147.A.135 lit. a hat das Prüfungspersonal für die sichere Aufbewahrung aller Prüfungsfragen zu sorgen.

Die Vorschrift des 147.A.135 lit. a ist hinsichtlich des Merkmals der sicheren Aufbewahrung grundsätzlich weit auszulegen, was sich insbesondere aus der englischen Originalversion der Regelung ergibt, die bestimmt „The examination staff shall ensure the security of all questions“, mithin allgemein die Sicherheit aller Prüfungsfragen fordert. Die französische Version verlangt die Vertraulichkeit („Le personnel examinateur doit préserver la confidentialité de toutes les questions.“), die italienische Version die Geheimhaltung sämtlicher Prüfungsfragen („Gli esaminatori devono garantire la segretezza di tutti i quesiti delle prove d'esame.“). Es ist somit vom Ausbildungsbetrieb allgemein sicherzustellen, dass die konkreten, für die Prüfung bereits ausgewählten Prüfungsfragen geheim gehalten werden und den Prüflingen nicht vor Antritt der Prüfung bekannt werden. Dies betrifft nicht nur die Art und Weise der Aufbewahrung, etwa die Lagerung der Prüfungsbögen oder die Speicherung der Dateien, sondern etwa auch die Verschwiegenheit des Prüfungspersonals. Nicht vom Regelungsbereich umfasst sind hingegen die Auswahl bzw. Zusammenstellung und die Herkunft der Prüfungsfragen. Dies ergibt sich schon aus dem Zweck der Regelung. Diese soll gewährleisten, dass mit der Prüfung das tatsächliche Leistungsvermögen der Prüflinge ermittelt werden kann und Prüflinge nicht dadurch, dass sie vor der Prüfung Kenntnis von den konkret vorgesehenen Prüfungsfragen erlangen, die Leistungsanforderungen umgehen können. Damit sollen Gefahren für die Sicherheit des Luftverkehrs verhindert werden, die durch den Einsatz von fachlich nicht hinreichend qualifiziertem Instandhaltungspersonal entstehen. Für die Beschränkung der Regelung auf die für eine konkrete Prüfung vorgesehenen Prüfungsfragen spricht auch der systematische Zusammenhang, da 147.A.135 lit. b und lit. c Regelungen zu etwaigen Täuschungsversuchen der Prüflinge oder Hilfestellungen der Prüfer während des Ablaufs einer konkreten Prüfung treffen.

Die sichere Aufbewahrung der Prüfungsfragen im engeren Sinne hat das LBA hier nicht beanstandet, sondern die Zugänglichkeit der Fragen in wortgleicher Formulierung über ein frei verkäufliches Prüfungsvorbereitungsbuch. Im vorliegenden Fall bestehen tatsächlich viele Anhaltspunkte dafür, dass die Fragen direkt aus dem Prüfungsbuch übernommen, quasi „herauskopiert“, wurden. Das LBA sieht darin die Gefahr, dass einem Prüfungskandidaten im Rahmen seiner Prüfung auffällt, dass er die Fragen bereits einmal in dieser Form in dem betreffenden Prüfungsbuch gesehen hat, und dass er dieses Wissen entweder nach nicht bestandener Prüfung selbst nutzt oder aber an spätere Prüfungskandidaten weitergibt, sodass diese sich das Buch – obwohl dieses über die üblichen Internetportale wie www.amazon.de derzeit nicht mehr lieferbar ist – besorgen und sich gezielter vorbereiten könnten.

Die Regelung in 147.A.135 lit. a verbietet jedoch nicht die Übernahme von Prüfungsaufgaben aus frei verkäuflichen Lehrwerken. Vom Zweck der Regelung ist gedeckt, dass in der Prüfung Fachwissen abgefragt wird, wobei unerheblich ist, ob die Prüflinge sich dieses Wissen aus öffentlich zugänglicher Ausbildungsliteratur oder aus anderen Quellen, z. B. aus dem vom Ausbildungsbetrieb zur Verfügung gestellten Lernmaterial verschaffen. Dabei dürfte sich nicht ausschließen lassen, dass bei Prüfungen, die als Multiple-Choice-Tests konzipiert sind, anstatt eine freie Formulierung von den Prüfungsteilnehmern zu verlangen, Fragen und Antworten im Wortlaut mit denen aus Vorbereitungsbüchern übereinstimmen können.

Die vom LBA angenommene Gefahr, ein Prüfling könnte in der Prüfung nur blind auswendig gelernte Antworten aus dem Prüfungsvorbereitungsbuch abgeben, anstatt tatsächlich vorhandenes Wissen anzuwenden, wird im Übrigen dadurch reduziert, dass das Prüfungsbuch über 2.809 Seiten verfügt, die jeweils durchschnittlich vier Fragen enthalten, mithin insgesamt über 10.000 Fragen. Die beanstandeten Fragen tauchen darin auch nicht in derselben Reihenfolge auf wie in den Prüfungsbögen der Antragstellerin, sondern sind auf mehrere Dutzend Seiten verteilt. In einzelnen Fällen sind in den betroffenen Fragen zudem die Auswahlmöglichkeiten (A, B, C) vertauscht gegenüber der Vorlage im Prüfungsbuch. Selbst wenn es dennoch faktisch möglich wäre, sämtliche Prüfungsfragen aus dem Vorbereitungsbuch auswendig zu lernen, wäre damit zum einen ein erheblicher Lerneffekt verbunden. Zum anderen könnte der Prüfling so trotzdem nicht sicherstellen, die Prüfung bei der Antragstellerin zu bestehen, da nach den stichprobenartigen Kontrollen des LBA nur ein Teil der Prüfungsfragen aus dem Vorbereitungsbuch übernommen worden ist. So waren etwa in dem komplett kontrollierten Prüfungssatz M7 CAT B1 V3 18 nur 34 von 80, also nicht einmal die Hälfte der Fragen betroffen. Dies ist nicht vergleichbar mit einer Situation, in der die Prüfungsbögen selbst bekannt werden, weil sie nicht sicher aufbewahrt worden sind.

Angesichts des Fehlens einer Beanstandung ist die aufschiebende Wirkung auch wiederherzustellen hinsichtlich der Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides, mit der die Aufrechterhaltung der Genehmigung als Ausbildungsbetrieb daran geknüpft wird, dass die Antragstellerin die Auflagen erfüllt, einen geeigneten Präventions- und Maßnahmenplan vorzulegen und das Verfahren zur Durchführung von Prüfungen im MTOE zu ändern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Festsetzung des Streitwertes erfolgt gemäß § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 2 GKG. Weil sich aus dem Vortrag der Antragstellerin keine konkreten Anhaltspunkte für die Höhe ihres finanziellen Verlusts durch die angefochtene Anordnung ergeben, hat die Kammer den Auffangstreitwert gewählt und diesen im Hinblick auf die Vorläufigkeit des begehrten Rechtsschutzes halbiert (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).