Sozialgericht Aurich
Urt. v. 02.09.2020, Az.: S 55 AS 386/18
Bibliographie
- Gericht
- SG Aurich
- Datum
- 02.09.2020
- Aktenzeichen
- S 55 AS 386/18
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2020, 71537
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 34 SGB 2
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ein fehlender Antritt einer Arbeitsstelle ohne wichtigen Grund kann ein sozialwidriges
Fehlverhalten im Sinne des § 34 Abs. 1 SGB II begründen.
Die Dauer der Ursächlichkeit eines solchen sozialwidrigen Fehlverhaltens eines Leistungsempfängers kann im Wege einer parallelen Wertung zu den Sperrzeittatbeständen des SGB III auf den Zeitraum von drei Monaten begrenzt werden.
Tenor:
Der Bescheid vom 05.02.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.04.2018 wird insoweit aufgehoben, als dass Leistungen für die Zeit nach dem 31.05.2017 vom Kläger gefordert werden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 75 %.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Geltendmachung von Ersatzansprüchen durch den Beklagten wegen von ihm angenommenen sozialwidrigen Verhaltens des Klägers und deswegen durchgeführter Zahlung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) in der Zeit von März 2017 bis Februar 2018.
Der Kläger ist am G. geboren und lebt seit dem Jahre 2017 im Bereich der örtlichen Zuständigkeit des Beklagten in H.. Zumindest in der Zeit von März 2017 bis Februar 2019 stand er im laufenden Bezug der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches bei der für den Beklagten handelnden Gemeinde.
Die Bewilligung der laufenden Leistungen nach dem SGB II erfolgte für den oben genannten Zeitraum mit Bescheid vom 27.12.2016 für die Zeit von Dezember 2016 bis August 2017 (Bl. 125 der Verwaltungsakten). Die Höhe erreichte für den Dezember 2016 den Betrag von 751,67 €, in den Monaten Januar bis August 2017 dann 756,67 €. Für die Folgezeit erfolgte die Leistungsbewilligung mit einem Bescheid vom 21.08.2017 in Höhe von 756,67 € für September bis November 2017 und in Höhe von 669,-- € für Dezember 2017 bis Februar 2018. Eine Änderung erfolgte mit einem Bescheid vom 12.12.2017 für Dezember 2017 bis Februar 2018.
Der Kläger stellte sich aufgrund von Vermittlungsbemühungen des Beklagten am 30.1.2017 bei der Gemeinde I., hier insbesondere dem Zeugen J. als Leiter des Bauhofes, für eine Vollzeitstelle als Helfer auf dem Bauhof vor. Die Arbeitszeit sollte 39 Stunden wöchentlich betragen und das Entgelt 2.152,51 € brutto monatlich. Die Anstellung sollte bis zum 28.02.2019 befristet sein. Die Stelle wurde im Rahmen eines besonderen Projektes zur Integration von Langzeitarbeitslosen ins Erwerbsleben gefördert. Sein Fallmanager, der Zeuge K., befasste sich mehrfach mit dieser Einstellungsmöglichkeit für den Kläger. Es fanden zahlreiche telefonische und persönliche Kontakte zwischen dem Kläger und diesem Zeugen statt, infolge dessen der Zeuge den Kläger auch informierte, dass er bei der Gemeinde I. wegen der Bestellung von Arbeitskleidung vorstellig werden solle. Dies im Rahmen eines Telefonates am 22.02.2017. Diesen Termin nahm der Kläger am 23.02.2017 wahr. Weder am 01.03. noch am 02.03.2017 erschien er jedoch zum Arbeitsantritt bei der Gemeinde I.. Infolgedessen verzichtete die Gemeinde auf die Arbeitsaufnahme des Klägers. Telefonische Versuche der Kontaktaufnahme durch die Zeugen „L.“ und „M.“ blieben am 01. und 02.03.2017 erfolglos. Der Kläger meldete sich erst am 07.03.2017 zurück bei seinem Fallmanager.
Mit Schreiben vom 20.11.2017 hörte die für den Beklagten handelnde Gemeinde den Kläger zu einer beabsichtigten Geldendmachung des Ersatzanspruches gemäß § 34 SGB II für den Zeitraum vom 01.03. bis 31.08.2017 an (Bl. 174 Verwaltungsakte).
Mit dem streitigen Bescheid vom 05.02.2018 forderte die für den Beklagten handelnden Gemeinde nach § 34 Abs. 1 SGB II vom Kläger den Ersatz der für den Zeitraum von März 2017 bis Februar 2018 gezahlten SGB II-Leistungen in Höhe eines Betrages von 10.286,57 € (Bl. 156 ff. Verwaltungsakte). Diese streitige Entscheidung begründete der Beklagte damit, dass der Kläger zum 01.03.2017 eine Vollzeitbeschäftigung beim Bauhof der Gemeinde I. hätte antreten können. Zum Dienstbeginn am 01.03.2017 sei er jedoch nicht erschienen. Durch das Arbeitseinkommen dieser Tätigkeit wäre die Hilfebedürftigkeit gänzlich entfallen und es zu keinerlei Leistungsbezug mehr gekommen. Durch sein Nichterscheinen habe der Kläger in sozialwidriger Weise zumindest grob fahrlässig die Gewährung von SGB-Leistungen in der Zeit von März 2017 bis Februar 2018 herbeigeführt. Einen wichtigen Grund für dieses Verhalten habe der Kläger nicht anführen können. Mit dem streitigen Widerspruchsbescheid vom 27.04.2018 bestätigte der Beklagte die angegriffene Entscheidung und führte nochmals den Sachverhalt aus.
Der Kläger legte im Verfahren wie auch bereits im Anhörungsverfahren dar, ihm sei als Dienstantritt das Datum 01.04.2017 genannt worden. Insbesondere beim Vorstellungsgespräch habe der Zeuge „J.“, der Leiter des Bauhofes der Gemeinde I., ihm mitgeteilt, dass er nicht vor dem 01.04.2017 angestellt werden könne. Vorher könnten notwendige Fördergelder nicht bewilligt werden. Außerdem habe er bereits am 07.03.2017 das Missverständnis aufgeklärt, er hätte seinen Dienst zu dieser Zeit antreten können, die Rückforderung der Leistungen für ein Jahr sei nicht sachgerecht. Er sei über einen Dienstantritt zum 01.03.2017 informiert worden. Er habe nicht am 22.02.2017 mit dem Zeugen „K.“, seinem Fallmanager, telefoniert.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 05.02.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.04.2018 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte legt dar, die Darstellung des Klägers träfe nicht zu. Es sei nach dem Vorstellungsgespräch immer der 01.03.2017 als Beginn der Arbeitstätigkeit bestätigt und mitgeteilt worden. Dies sei mehrfach telefonisch erfolgt. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag sei von der Gemeinde entwickelt worden und sei vorlagebereit am ersten Tag des Arbeitsantrittes vorbereitet gewesen. Insbesondere ergeben sich aus der sog. „Compass-Akte“, der „Vermittlungsakte“, mehrfach Nachweise über die Festlegung des Termins zum Beginn auf den 01.03.2017. Des Weiteren habe der Kläger auch schriftlich einen Antrag auf Eingliederungsgeld ab dem 01.03.2017 gestellt und unterzeichnet.
Das Gericht hat am 02.09.2020 eine mündliche Verhandlung in der Angelegenheit durchgeführt. In dieser Verhandlung ist der Kläger informatorisch angehört worden. Außerdem hat die Kammer die Zeugen „K.“ und „J.“ vernommen. Bezüglich des Ergebnisses dieser Beweisaufnahmen wird auf das in den Gerichtsakten befindliche Sitzungsprotokoll Bezug genommen. In gleicher mündlicher Verhandlung wurde parallel das Verfahren des Klägers zum Az.: N. verhandelt und inhaltlich gleich Beweis erhoben.
Weitere Gegenstände der Entscheidungsfindung waren die Vorbringen des Klägers in den Akten der beiden Verfahren sowie die vom Beklagten zu beiden Verfahren überreichten Verwaltungsvorgänge, hier insbesondere die oben genannte „Compass-Akte“.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft erhoben. Dem Begehren des Klägers ist bereits mit der Aufhebung des angegriffenen Bescheides des Beklagten in Gestalt des Widerspruchsbescheides Rechnung getragen.
Die Klage ist im entschiedenen Umfang begründet, denn der angegriffene Bescheid des Beklagten ist insoweit rechtswidrig ergangen und verletzt den Kläger insoweit auch in der Gestalt des angegriffenen Widerspruchsbescheides in seinen Rechten. Der Beklagte kann nicht mit streitigem Bescheid vom 05.02.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.04.2018 über den 31.05.2017 hinaus einen Ersatzanspruch gemäß § 34 SGB II gegenüber dem Kläger geltend machen.
Der Bescheid ist nach Aktenlage bezüglich des Zeitraumes September 2017 bis Februar 2018 bereits formell rechtswidrig wegen eines Verstoßes gegen das Anhörungserfordernis des § 24 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches – Verwaltungsverfahren – (SGB X). Ausweislich des Anhörungsschreibens vom 20.11.2017 wurde hierin zu einer Erstattungspflicht für den Zeitraum März bis August 2017 anhört. Aus den Akten ist damit keine Anhörung für den weiteren Zeitraum von September 2017 bis Februar 2018 ersichtlich. In Anbetracht der Heilungsmöglichkeit nach § 42 SGB X und der ohnehin erforderlichen weitergehenden Betrachtung der Angelegenheit stützt die Kammer ihre Entscheidung jedoch nicht alleine auf diesen Umstand.
Der Bescheid ist im entschiedenen Umfang weitergehend materiell rechtswidrig. Er ist nicht in Übereinstimmung mit der Regelung des § 34 Abs. 1 SGB II ergangen. Diese lautet: Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, ist zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet. Der Ersatzanspruch umfasst auch die geleisteten Beiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung. Von der Geltendmachung des Ersatzanspruches ist abzusehen, soweit sie eine Härte bedeuten würde. [….]
Es ist festzustellen, dass der Anspruch des Beklagten nicht gemäß § 34 Abs. 3 SGB II verjährt ist. Die Voraussetzung der Vollendung des 18. Lebensjahres liegt beim Kläger unschwer vor. Des Weiteren hat der Beklagte auch für den gesamten von ihm vorgenommenen Zeitraum von März 2017 bis Februar 2018 nach den Akten rechtmäßig Leistungen nach dem SGB II gewährt.
Der Kläger hat nach Bewertung der Kammer unter Einbezug der Zeugenaussagen aus der mündlichen Verhandlung vom 02.09.2020 für den Zeitraum März bis Mai 2017 diese Leistungsgewährung durch den Beklagten an sich im Sinne des § 34 Abs. 1 SGB II sozialwidrig herbeigeführt. Bezüglich des weiteren Zeitraumes ab dem 01.06.2017 ist dies jedoch nicht mehr festzustellen.
Die Begrifflichkeit des Herbeiführens im Sinne des § 34 SGB II umfasst zum einen eine Ursächlichkeit eines Verhaltens des Betroffenen für die Gewährung der Leistungen des SGB II. Dieses Verhalten muss sich weitergehend als sozialwidrig im Sinne der Rechtsprechung darstellen.
Der Kostenersatzanspruch des SGB II-Trägers setzt einen spezifischen Bezug zwischen sozialwidrigem Verhalten und der Herbeiführung der Hilfsbedürftigkeit voraus. Ein sozialwidriges Verhalten ist in einem Tun oder Unterlassen zu sehen, das zwar nicht rechtswidrig im Sinne einer gesetzlich verbotenen und gar strafbaren Handlung zu sein braucht, aber aus Sicht der Solidargemeinschaft zu missbilligen ist (vgl. BeckOnline-Kommentar Sozialrecht, Märten SGB II, § 34 Rn. 4, m.w.N., zitiert nach Beck-Online).
Der spezifische Bezug zwischen dem Verhalten und der Hilfebedürftigkeit erfasst nur ein Verhalten mit Zusammenhang zur Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit bzw. Leistungserbringung (Bundessozialgericht – BSG-, Urteil vom 02.11.2012 – B 4 AS 39/12 R, zitiert nach juris). Bei der Prüfung, ob dieser spezifische Bezug konkret vorhanden ist, ist eine einschränkende Auslegung geboten (a.a.O.). Dies ist darin begründet, dass es sich bei der Regelung in § 34 Abs. 1 SGB II um eine Ausnahme von dem allgemein gültigen Grundsatz handelt, dass existenzsichernde Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht, unabhängig von der Ursache der entstandenen Notlage und auf ein eventuell vorwerfbares Verhalten in der Vergangenheit zu leisten sind (vgl. Bundesverfassungsgericht – BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BVR 569/05; BSG a.a.O. m.w.N., zitiert nach juris). Der Grundsatz der verschuldensfreien Deckung eines Existenzminimums darf nicht durch weitreichende und eine nicht nur auf begründete und eng zu bewertende Ausnahmefälle begrenzte Ersatzpflicht der Leistungsberechtigten aufgehoben werden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass zunächst nach gesetzlicher Konzeption der Ersatzanspruch der Höhe nach nicht begrenzt ist. (BSG a.a.O.) Bei der Bewertung eines konkreten Geschehens gilt im Wege der Einzelfallbetrachtung, dass die Hinnahme einer rechtswidrigen Kündigung eines Arbeitgebers grundsätzlich nicht sozialwidrig ist (Bayrisches Landessozialgericht – LSG -, Urteil vom 12.03.2012 – L 16 AS 616/10). Die Aufgabe eines Arbeitsplatzes ohne wichtigen Grund mit der Folge einer durch die Verhängung einer Sperrzeit verursachten Hilfebedürftigkeit ist hingegen als sozialwidrig zu werten, wenn eine Anschlusstätigkeit nicht konkret in Aussicht gestanden hat (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22.04.2013 – L 19 AS 1303/12 – zitiert nach juris). Die Pflicht zum Ersatz entsteht auch dadurch, dass ein Hilfebedürftiger durch ein zurechenbares Verhalten ohne wichtigen Grund die Leistungsvoraussetzungen schafft. So stellt die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber aufgrund von Fernbleiben des Arbeitnehmers vom Arbeitsplatz ein solches Verhalten dar (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Januar 2017 – L 31 AS 1158/16, zitiert nach juris).
Eine der oben angeführten bereits in der Rechtsprechung bewerteten Fallkonstellationen liegt nicht vor. Das vom Beklagten in Bezug genommene Verhalten des Klägers ist das unstreitige Nichtantreten der Stelle in Vollzeit beim Bauhof der Gemeinde I. am 01.03.2017. Dieses Verhalten stellt sich als sozialwidrig im Hinblick auf den spezifischen Bezug (s.o.) dar. Des Weiteren ist es dem Kläger im Sinne einer groben Fahrlässigkeit zuzurechnen. Der Kläger vermochte es nicht, die Kammer davon zu überzeugen, dass er nachvollziehbar und nicht vorwerfbar von einem Dienstantritt erst zum 01.04.2017 ausgegangen ist. Die diesbezüglichen Darlegungen des Klägers stellen sich vor dem Hintergrund der Akteninhalte, die durch die Zeugenaussagen bestätigt werden, als nicht nachgewiesen dar. Das Vorbringen des Klägers, dass niemals die Rede vom 01.03.2017 gewesen sein soll, stellt sich als fernliegend, ja geradezu abwegig dar.
Diese Bewertung stützt die Kammer darauf, dass sich in den „Compass-Akten“ mehrfache Vermerke bezüglich Telefonaten des Zeugen „K.“ mit dem Kläger und dortiger Mitteilungen des Dienstantrittes zum 01.03.2017 finden. Entscheidend findet sich der Vermerk vom 22.02.2017. Hier ist zunächst ausgeführt, dass der Zeuge den Kläger telefonisch über den Anrufbeantworter kontaktierte. Der Zeuge habe zwei Nachrichten auf dem Anrufbeantworter gesprochen, einmal den Dienstbeginn zum 01.03.2017 und zum anderen das Erfordernis der Kontaktaufnahme mit der Gemeinde I. bezüglich der Arbeitskleidung. Die Einlassung des Klägers, dass er diesen Anruf nicht erhalten habe, ist nicht nachvollziehbar. Zum einen findet sich in den „Compass-Akten“ ein weiterer Vermerk des Zeugen „K.“ 20 Minuten später bezüglich eines Rückrufes des Klägers. In diesem Gespräch sei nochmals der 01.03.2017 und das Erfordernis der Vorstellung betreffend der Arbeitskleidung erläutert worden. Dass der Kläger diesen Anruf nach seinem Vorbringen in der Verhandlung nicht getätigt haben will, kann bereits aufgrund der weiteren Handlungen des Klägers nicht zutreffen. Der Kläger hat sich auch nach eigener Einlassung unstreitig am 23.02.2017 bei der Gemeinde bezüglich der Arbeitskleidung vorgestellt. Die Information über dieses Vorstellungserfordernis konnte er nur aus dem Telefonat mit dem Zeugen „K.“ am 20.02.2017 erlangt haben. Das Vorbringen, dass dieses Telefonat nicht stattgefunden hat, ist damit auch nach der eigenen Einlassung des Klägers widerlegt. Ebenso konnte die Kammer keine Überzeugung davon gewinnen, dass nicht das Datum 01.03.2017 genannt worden wäre, sondern das Datum 01.04.2017. Es finden sich in den Akten, wie auch in den Erinnerungen des Zeugen, die dies bestätigen, keine Hinweise auf den 01.04.2017. Der einzige Zeitpunkt an dem wohl vom 01.04.2017 gesprochen wurde, war das Vorstellungsgespräch am 30.01.2017 mit dem weiteren Zeugen. Sämtliche späteren Kontakte zwischen den Zeugen und dem Kläger hatten das Datum des 01.03.2017 zum Thema. Damit musste klar sein, dass die erste Angabe nicht mehr zutreffend war. Die weitere Bestätigung des Antrittsdatums zum 01.03.2017, das dem Kläger auch zur Kenntnis gelangt sein muss, findet sich in seinem schriftlichen Antrag auf Einstiegsgeld. Dieser ist auf die Zeit ab dem 01.03.2017 formuliert. Die Kammer verkennt hierbei nicht, dass alleine der diesbezügliche Antrag keine Kenntnis des Klägers nachweisen kann. Es handelt sich aber um eine indizielle Bestätigung der aus den o.g. Quellen erkennbaren Datums des 01.03.2017.
Es ist zu beachten, dass selbst, wenn der Kläger Zweifel am genauen Antrittsdatum gehabt haben sollte, sich das einfache Nichterscheinen zum 01.03.2017 ohne jedwede Kontaktaufnahme des Klägers mit dem Arbeitgeber, der Gemeinde I., oder seinem Arbeitsvermittler bereits als grob fahrlässig darstellt. Bei eventuellen Zweifeln über das genaue Datum, eventuell wegen fehlender Vorlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages hätte es sich dem Kläger aufdrängen müssen, spätestens am 01.03.2017, dem frühesten möglichen Zeitpunkt, Kontakt mit dem Arbeitgeber aufzunehmen und nachzufragen, wann er denn antreten solle.
In Anbetracht der im Sozialgesetzbuch zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren (SGB X) auffindbaren Definition der groben Fahrlässigkeit in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X „grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat“ stellt sich das kommentarlose Fernbleiben und nicht erreichbar sein zum 01.03.2017 als grob fahrlässig dar. Vor dem Hintergrund der Gespräche zwischen Kläger, Arbeitgeber und Zeugen –Arbeitsvermittler – hat der Kläger einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und nicht beachtet, was jedem Menschen in dieser Konstellation sich hätte aufdrängen müssen.
Aus oben genannten Erwägungen ist für die Kammer gleichermaßen erkennbar, dass der Kläger keinen wichtigen Grund für sein Fernbleiben vom Arbeitsantritt hatte. Neben seinem angeblichen Datumsirrtum bringt der Kläger keine weiteren Aspekte vor, die als sog. wichtiger Grund gelten könnten.
Die Kammer erkennt jedoch entgegen der Bewertung des Beklagten kein über den 31.05.2017 hinaus wirkendes Herbeiführen des Leistungsbezuges nach dem SGB II. Zur Dauerwirkung der Herbeiführung ist eine Prognose vorzunehmen. Diese Prognose im Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Erstattungsentscheidung muss den Umständen des Einzelfalls Genüge tun. Die erkennende Kammer schließt sich in diesem Fall nicht der Bewertung des LSG Berlin-Brandenburg an, welches entschieden hat, dass Begrenzungen der Rückforderungszeit auf eine Probezeit nicht angenommen werden können (vgl. Urteil vom 19.01.2017 – L 31 AS 1858/16, zitiert nach juris). Es ist stets auf die Gegebenheiten des Einzelfalls abzustellen. Die Kammer stellt leitend auf eine parallele Wertung zu der regelmäßigen Dauer der Sperrzeit gemäß § 159 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches – Arbeitsförderung (SGB III) ab. Nur aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung wegen des Monatsprinzips im Rahmen des SGB II stellt die Kammer nicht auf einen Zeitraum von 12 Wochen ab, der dort vorgesehen ist, sondern auf einen gerundeten Zeitraum von drei Monaten. Die Kammer erkennt, dass im konkreten Fall des Klägers bezüglich der Dauer der Kausalität eine Prognose nicht über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten getroffen werden kann. Es ist fernliegend anzunehmen, dass ohne das Hinzutreten weiterer Ereignisse, der Kläger mit Sicherheit zwei weitere Jahre die Arbeitsstelle ab dem 01.03.2017 hätte ausüben können und entsprechendes Entgelt erhalten hätte. Es sind für einen solchermaßen langen Zeitraum viele Gründe denkbar, aus denen das Arbeitsverhältnis beendet worden wäre. Im individuellen Einzelfall des Klägers sind solche Gründe in Anbetracht seiner langjährigen Arbeitslosigkeit dabei im Rahmen der Prognose als wahrscheinlicher anzusehen als bei einem Leistungsempfänger, der langjährig im Erwerbsleben stand.
Es ist für die Kammer im Sinne des Vorbringens des Klägers zwar theoretisch nachvollziehbar, dass die Kausalität bereits mit seiner Meldung am 07.03.2017 entfiele. Dies jedoch stellt sich nicht als überzeugend dar, da bei ordnungsgemäßem Antritt am 01.03.2017 eine Beendigung der Tätigkeit bereits nach einer Woche nicht wahrscheinlich ist. Die bereits erwähnte Zeit von 3 Monaten in Anlehnung an den Sperrzeittatbestand des § 159 Abs. 3 SGB III ist auch aufgrund eines Gleichlaufes zwischen den sozialen Sicherungssystemen überzeugend. Es gibt im Fall des Klägers keinen Grund, bei Fehlverhalten im Bereich des SGB III eine „dreimonatige Sanktionierung“ anzunehmen und im Bereich des SGB II im Falle des Klägers einen signifikant längeren Zeitraum. Wenn er sich im Rahmen eines bestehenden Anspruches auf Leistungen des Arbeitslosengeldes I fehlverhalten hätte, so wäre eine Sperrzeit von 12 Wochen ausgesprochen worden. Dieser Zeitraum wird im Übrigen bei Fallkonstellationen des SGB II Bezugs für die Dauer einer Sperrzeit als kausaler Zeitraum im Rahmen des § 34 SGB II gesehen, was ebenfalls den Gleichlauf der Regelungssysteme aufzeigt. (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22.04.2013 – L 19 AS 1303/12, zitiert nach juris) Aufgrund der individuellen Situation des Klägers erscheint es der Kammer überwiegend wahrscheinlich, dass er jedenfalls ein bis drei Monate die Tätigkeit hätte ausüben können. Aufgrund des persönlichen Eindrucks des Gerichts vom Kläger in der mündlichen Verhandlung und seiner langjährigen Arbeitslosigkeit, unterbrochen nur von kurzen Tätigkeiten, erscheint jedoch ein längerer Zeitraum nicht mehr im Sinne des Herbeiführens als nachweisbar. Dies insbesondere vor dem oben genannten Hintergrund der einschränkenden Auslegung der Regelung des § 34 SGB II.
Der Kläger kann keinen Härtefall im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 3 SGB II nachweisen. Eine Einschränkung des Anspruchs aufgrund einer solchen Konstellation ist nicht gegeben. Eine Härte im Sinne des Gesetzes kann nach Auffassung der juristischen Literatur dann angenommen werden, wenn aufgrund der besonderen persönlichen Situation in der sich der Ersatzpflichtige befindet, für ihn eine dauerhafte wirtschaftliche Situation entsteht, die ihn vom Leben in der Gemeinschaft ausschließt (vgl. Grothe/Seifert, in juris-PK SGB II, 34 Rn. 43). Im Rahmen der vom Gericht noch für rechtmäßig angesehenen Erstattungspflicht für drei Monate kann eine solche schwerwiegende wirtschaftliche Belastung des Klägers nicht erkannt werden. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Kläger nach seinem Bekunden und Angaben des Zeugen aktuell in einem bedarfsdeckenden Erwerbsverhältnis steht. Ohne dass dies noch entscheidungserheblich wäre, ist darauf hinzuweisen, dass eine solche Härte in Bezug auf den im Ausgangsbescheid des Beklagten in Gestalt des Widerspruchsbescheides verlangten Betrages eher in Betracht kommen dürfte. Einer Entscheidung hierüber bedarf es aber nicht.
Die fehlende Sanktionierung im Sinne des § 31 SGB II wegen des Verhaltens des Klägers hat keine Auswirkung auf den hier streitigen Anspruch des Beklagten gemäß § 34 SGB II.
Die Geltendmachung eines Ersatzanspruchs bei sozialwidrigem Verhalten ist nicht ausgeschlossen, wenn eine Sanktion ausgesprochen wird, die an dasselbe Verhalten anknüpft (BSG, Urteil vom 08.02.2017 – B 14 AS 3/16 R, zitiert nach juris). In diesen Fällen würde im Übrigen eine Reduzierpflicht der Rückforderung um den Sanktionsbetrag entstehen. Korrespondierend kann nicht aus der fehlenden Sanktionierung eines Verhaltens die fehlende Sozialwidrigkeit im Sinne des § 34 SGB geschlossen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Kläger ist bezüglich seines ursprünglichen Begehrens der vollständigen Aufhebung der Rückzahlungspflicht von 12 Monaten im Umfang von einem ¼ unterlegen und hat im Umfange von ¾ obsiegt.