Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 15.11.2017, Az.: 4 UF 135/17

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
15.11.2017
Aktenzeichen
4 UF 135/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 42701
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG Cloppenburg - 25.07.2017

Orientierungssatz

  1. 1.

    Im Rahmen des Ausbildungsunterhalts wird die Finanzierung einer Ausbildung geschuldet, die der Begabung und den Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten Neigungen des Kindes am besten entspricht und sich in den Grenzen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern hält. Vorliegend besteht ein Ausbildungsunterhaltsanspruch, da die Tochter der Antragsgegnerin ihre praktische Ausbildung im Bereich der Lebensmitteltechnik absolviert hat und nachfolgend das Studium der Wirtschaftsingenieurwissenschaft für Lebensmitteltechnik begonnen hat, wobei die Entwicklung ihrer Noten zeigt, dass sie den Willen und die Fähigkeiten hat, den Anforderungen eines Studiums gerecht zu werden.(Rn.13)

  2. 2.

    Auf das antragstellende Land ist der Unterhaltsanspruch erst übergegangen, nachdem es eine Übergangsanzeige nach § 37 BAföG abgegeben hatte.(Rn.15)

Gründe

I.

1

Der Senat beabsichtigt, unter Zurückweisung der weiteren Beschwerde der Antragsgegnerin den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Cloppenburg vom 25.07.2017 im schriftlichen Verfahren teilweise zu ändern und den Beschlusstenor wie folgt neu zu fassen:

2

1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, an die Antragstellerin 2.478,-€ zuzüglich Zinsen in Höhe von 6 % seit dem 01.04.2015 zu zahlen.

3

2. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

4

Den Beteiligten wird eine Frist zur Stellungnahme von zwei Wochen eingeräumt.

II.

5

Der Senat beabsichtigt nach § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG zu verfahren, da von einer erneuten Verhandlung keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.

6

Das antragstellende Land macht nach § 37 BAföG übergegangene Unterhaltsansprüche gegen die Mutter der BAföG-Empfängerin geltend. Im Zeitraum November 2014 bis August 2015 wurden Vorausleistungen nach § 36 BAföG in Höhe von monatlich 413,00 € an die Tochter der Antragsgegnerin gezahlt, mithin insgesamt 4.130,-€. Mit Schreiben vom 02.03.2015 wurde die Antragsgegnerin über die Vorausleistungen und den gesetzlichen Forderungsübergang informiert und zur Zahlung an die Antragstellerin aufgefordert. Die Antragsgegnerin hat daraufhin mit Schreiben vom 10.03.2015 Zahlungen abgelehnt, da sie nicht leistungsfähig und die Tochter über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfüge.

7

Der berufliche Lebensweg der am .... geboren Tochter ... stellt sich wie folgt dar. Im Juli 2010 erlangte sie den erweiterten Realschulabschluss. Es schloss sich von August 2010 bis Juni 2013 eine Ausbildung zur Fachkraft für Lebensmitteltechnik an. Nachfolgend besuchte sie von August 2013 bis Juli 2014 die Fachoberschule, die sie im Juli 2014 mit dem Zeugnis der Fachhochschulreife abschloss. Ab Wintersemester 2014/2015 studiert sie Wirtschaftsingenieurwissenschaft für Lebensmitteltechnik. Mit Beginn des Studiums zog sie von zuhause aus und bewohnt eine eigene Wohnung.

8

Die Antragsgegnerin verfügte im maßgeblichen Unterhaltszeitraum über monatliche Einkünfte in Höhe von 2.124,48 €. Inzwischen hat sie ihre Arbeitszeit bei geringeren Bezügen reduziert. Der Vater der Auszubildenden ist am ....2013 verstorben.

9

Das Amtsgericht -Familiengericht- Cloppenburg hat mit Beschluss vom 25.07.2017 dem Antrag stattgegeben. Es bestehe ein Unterhaltsanspruch der Tochter .... aus §§ 1601, 1610 Abs. 2 BGB gegenüber der Antragsgegnerin, der nach § 37 Abs. 1 S. 1 BAföG auf die Antragstellerin übergegangen sei. Die Antragsgegnerin sei zur Zahlung von Ausbildungsunterhalt verpflichtet. Für den Ausbildungsgang Realschulabschluss-Lehre-Fachoberschule-Fachhochschulstudium sei in Übereinstimmung mit der BGH-Rechtsprechung ausnahmsweise eine Verpflichtung der Eltern zur Zahlung von Ausbildungsunterhalt anzunehmen, wenn bei Beginn der praktischen Ausbildung erkennbar eine Weiterbildung einschließlich des späteren Studium angestrebt wurde oder wenn die Aufnahme des Studiums der Begabung und den Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten Neigungen des Kindes am besten entspricht und sich die Unterhaltsverpflichtung in den Grenzen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern hält (BGH, Urteil vom 17.05.2006, Az.: XII ZR 54/04, zit. Juris). Der letzte Fall liege vor, wobei es ohne Belang sei, dass der Entschluss zu studieren erst kurz vor Beginn des Studiums gefasst worden sei. Die Leistung von Unterhalt sei für die Antragsgegnerin auch nicht unzumutbar. Während der Ausbildung habe die Tochter ihren Unterhalt überwiegend selbst bestritten. Die Tochter habe auch kein Alter erreicht, in dem die Antragsgegnerin nicht mehr damit habe rechnen müssen, noch Unterhalt zahlen zu müssen. Soweit vom Landkreis ... mitgeteilt worden sei, die Antragsgegnerin schulde der Tochter nach Abschluss einer Ausbildung keinen weiteren Unterhalt, so handelt es sich um eine Rechtsansicht, die keinen Verzicht beinhalte. Der Selbstbehalt sei nicht auf 1.800,-€ zu erhöhen, da die Tochter der Antragsgegnerin zu keiner Zeit eine eigene Lebensstellung erlangt habe.

10

Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde, mit der sie die Zurückweisung des Antrages erstrebt. Beim vorliegenden Berufsweg der Tochter der Antragsgegnerin stünden die schutzwürdigen Belange der Antragsgegnerin einem Unterhaltsanspruch entgegen. Ihre Tochter habe noch im Sommer 2012 erklärt, nach der Berufsausbildung arbeiten zu wollen. Es liege auch keine typische Spätentwicklersituation vor. Vielmehr habe die Tochter noch im Oktober 2012 erklärt, in .... zu arbeiten und auf dem zum Hof gehörenden Wohnhaus in ...leben zu wollen. Nach dem Tode ihres früheren Ehemannes habe die Antragsgegnerin in einer besonderen Verantwortungssituation für ihre Kinder gestanden, die sie, nachdem die Tochter geäußert habe, weiterhin auf dem Hof wohnen zu wollen, dazu veranlasst habe, finanzielle Mittel für die Renovierung des Wohnhauses aufzunehmen. Hätte die Tochter seinerzeit geäußert, nicht nach Hause zurückkehren zu wollen, hätte die Antragsgegnerin diese finanziellen Belastungen nicht gehabt. Bei der Tochter sei auch keine typische Spätentwicklerin. Sie habe sich zum Studium entschlossen, weil sie nicht im Schichtdienst einschließlich Nachtarbeit habe arbeiten wollen und die Gefahr von Kündigungen gedroht habe.

11

Im Übrigen müsse die Tochter über vorhandenes Vermögen verfügen. Der Vater des Kindes/geschiedener Ehemann der Antragsgegnerin müsse den beiden Kindern mehr vererbt haben, als die bekannte Photovoltaikanlage. Zu berücksichtigen sei, dass der Bruder inzwischen auch verstorben sei. Auch ein Pflichtteilanspruch sei vorrangig zur eigenen Bedarfsdeckung einzusetzen.

III.

12

Die zulässige Beschwerde hat teilweise Erfolg. Die Antragstellerin kann für die Monate März 2015 bis einschließlich August 2015 auf sie übergegangene Unterhaltsansprüche in Höhe von monatlich 413,00€ geltend machen, mithin insgesamt 2.478,00 €. Ein weitergehender übergegangener Unterhaltsanspruch für die Vergangenheit besteht nicht.

13

Die Antragsgegnerin ist zur Zahlung von Ausbildungsunterhalt an ihre Tochter gemäß §§ 1601, 1610 Absatz 2 BGB verpflichtet. Das Amtsgericht -Familiengericht- hat mit zutreffender Begründung einen Unterhaltsanspruch für die Dauer des Studiums der Tochter .....bejaht, obwohl diese bereits eine Ausbildung abgeschlossen hatte. Geschuldet wird die Finanzierung einer Ausbilddung, die der Begabung und den Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten Neigungen des Kindes am besten entspricht und sich in den Grenzen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern hält. Entschließt sich ein Kind erst nach einer praktischen Ausbildung zum Studium, müssen die einzelnen Ausbildungsabschnitte im engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehen und die praktische Ausbildung und das Studium müssen sich sinnvoll ergänzen. Es reicht dabei aus, dass der Studienentschluss nicht von vornherein, sondern erst nach Beendigung der praktischen Ausbildung gefasst wird (BGH, Beschluss vom 08.03.2017, Az.: XII ZB 192/16 zit. juris). ... hat vorliegend im Bereich der Lebensmitteltechnik ihre praktische Ausbildung absolviert und nachfolgend das Studium der Wirtschaftsingenieurwissenschaft für Lebensmitteltechnik begonnen. Das Studium knüpft damit unmittelbar an die Erfahrungen der praktischen Ausbildung an. Die Entwicklung ihrer Noten zeigt, dass ... den Willen und die Fähigkeiten hat, den sich stellenden Anforderungen eines Studiums gerecht zu werden. Ob das Kind dabei durch die Erfahrungen im Ausbildungsbetrieb (Schichtarbeit, mögliche Entlassungen) zur Aufnahme des Studiums veranlasst worden ist, ist ohne Belang.

14

Die Finanzierung dieser Ausbildung ist der Antragsgegnerin auch zumutbar. Denn für die Zeit der praktischen Ausbildung ist .... für ihren Unterhalt teilweise selbst aufgekommen. Die von der Antragsgegnerin genannten finanziellen Aufwendungen stehen dem nicht entgegen. Die Antragsgegnerin kann von ihrer Tochter nicht verlangen, dass sie eine einmal geäußerte Absicht, zuhause wohnen zu bleiben, auch dauerhaft umsetzen werde. Dem stehen die persönlichen und beruflichen Unwägbarkeiten gerade im Leben eines jungen Menschen entgegen.

15

Der Unterhaltsanspruch des Kindes ist auf die Antragstellerin aber erst übergegangen, nachdem sie unter dem 02.03.2015 eine Übergangsanzeige nach § 37 BAföGabgegeben hatte. Unterhalt für die Vergangenheit kann erst von dem Zeitpunkt an verlangt werden, in dem die Antragsgegnerin in der qualifizierten Art des § 37 Absatz 4 Nr. 2 BAföG über ihre mögliche Inanspruchnahme informiert worden ist. Dies war für den hier maßgeblichen Zeitraum erst mit Schreiben vom 02.03.2015 der Fall. An die Mitwirkung der Stellung des Antrages auf Förderung kann, selbst wenn die nach § 37 Absatz 4 Nr. 2 BAföG vorausgesetzte Belehrung über die Voraussetzung ihrer Inanspruchnahme erfolgt sein sollte, nicht angeknüpft werden. Denn zwar liegt im Schreiben der Klägerin vom 03.12.2013, in dem der Antragsgegnerin mitgeteilt wird, nach Überprüfung habe sie ihrer Tochter bereits eine angemessene Berufsausbildung finanziert und deshalb habe die Tochter ihr gegenüber keinen Unterhaltsanspruch, kein Verzicht auf Unterhaltszahlungen. Die Antragsgegnerin konnte aber darauf vertrauen, sie werde bis auf weiteres nicht zu Unterhaltszahlungen herangezogen. Dieser Vertrauenstatbestand ist erst mit Zugang des Schreibens vom 02.03.2015 entfallen.

16

Die Antragsgegnerin ist im Umfange des geschuldeten Unterhaltes leistungsfähig, was für den maßgeblichen Unterhaltszeitraum mit der Beschwerde nicht angegriffen wird.

17

Über eigene Einkünfte oder eigenes Vermögen zur Deckung des Ausbildungsbedarfs verfügt .... nicht. Dem Hinweis der Antragsgegnerin auf eine etwaige Erbschaft steht die auch von der Antragsgegnerin unterzeichnete Auskunft vom 20.08.2014 zu der Erbschaft einer Photovoltaikanlage entgegen. Danach ist werthaltiges Vermögen nicht vorhanden.

18

Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten sind nicht zu erstatten. Nachdem die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 10.03.2015 Unterhaltszahlungen mit einer klaren Begründung abgelehnt hatte, war die Einschaltung eines Rechtsanwalts weder erforderlich noch geboten. Damit scheidet die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten aus.

19

Der Zinsanspruch folgt § 37 Absatz 6 BAföG, soweit ein Unterhaltsanspruch auf die Antragstellerin übergegangen ist.