Verwaltungsgericht Osnabrück
Beschl. v. 13.03.2015, Az.: 6 B 10/15
Obdachlosigkeit; Psychische Erkrankung; Unterbringungsfähigkeit; Unterbringungswilligkeit
Bibliographie
- Gericht
- VG Osnabrück
- Datum
- 13.03.2015
- Aktenzeichen
- 6 B 10/15
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2015, 44812
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 11 SOG ND
Gründe
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn dies zur Vermeidung wesentlicher Nachteile oder drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint; dabei hat der Antragsteller den insoweit erforderlichen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt, weil die Antragstellerin keinen Anspruch darauf hat, dass ihr die Antragsgegnerin - ggf. auf unabsehbare Dauer - eine Obdachlosenunterkunft zuweist.
Allerdings stellt nach der Rechtsprechung der Kammer Obdachlosigkeit jedenfalls dann, wenn sie nicht auf selbstverantwortlicher, rechtlich anzuerkennender freier Willensentscheidung beruht, eine ordnungsrechtlich relevante Gefahrenlage i.S.d. §§ 1 und 11 Nds. SOG dar, weil sie typischerweise Grundrechte und grundrechtlich geschützte Lebensgüter des Obdachlosen, insbesondere dessen Gesundheit und Leben, gefährdet. Diese Rechte und Lebensgüter des Obdachlosen, der sich nicht selbst helfen kann, gehören zugleich zu den Schutzgütern, deren Gefährdung und Verletzung u.a. die Ordnungsbehörden abzuwehren haben. Demgemäß muss die für die Aufgaben der Gefahrenabwehr zuständige Gemeinde im Rahmen ihrer örtlichen Zuständigkeit die erforderlichen Maßnahmen zur Beseitigung dieser Gefahrenlage treffen, die insbesondere darin liegen können, den Obdachlosen in eine Obdachlosenunterkunft einzuweisen. Diese Verpflichtung gilt jedoch nicht uneingeschränkt, sondern nur dann, wenn der Obdachlose - dem es in erster Linie selbst obliegt, sich um entsprechenden Wohnraum zu bemühen - nicht in der Lage ist, mit zumutbaren Anstrengungen eine Wohnung zu finden, um damit die Obdachlosigkeit zu vermeiden bzw. zu beenden.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist im vorliegenden Fall zwar davon auszugehen, dass die Antragstellerin aufgrund der Zwangsräumung ihrer bisherigen Wohnung ab dem 24.02.2015 obdachlos geworden ist und ihre Obdachlosigkeit ungeachtet dessen, dass sie durch ihr andauerndes aggressives Verhalten gegenüber ihren ehemaligen Mitbewohnern selbst die maßgebliche Ursache für die Beendigung des bisherigen Wohnnutzungsverhältnisses gesetzt haben dürfte, nicht auf einer freiwilligen Willensentscheidung dahingehend beruht, künftig „ohne Dach über dem Kopf auf der Straße leben zu wollen“. Zumindest fraglich erscheint dagegen, ob die Antragstellerin in der Vergangenheit von sich aus das Erforderliche getan hat, um eine Wohnung zu finden und dadurch ihre Obdachlosigkeit zu vermeiden. Nach Angaben ihrer Betreuerin verfügt die Antragstellerin derzeit über ein Sparvermögen von ca. 30.000,- € und damit jedenfalls über ausreichende finanzielle Mittel, um auf dem freien Wohnungsmarkt eine Wohnung anzumieten. Soweit in einem an die Antragstellerin gerichteten Schreiben der Antragsgegnerin vom 15.09.2014 von „rückständigen Nutzungsentgeltansprüchen“ in Höhe von über 18.000,- € die Rede ist, sind diese nicht als Verbindlichkeiten gegenzurechnen, weil nach dem ausdrücklichen Vortrag der Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren hinsichtlich der früheren Wohnung der Antragstellerin kein Miet- oder sonstiges entgeltliches Nutzungsverhältnis begründet, sondern lediglich ein Leihvertrag ohne Entgeltabrede geschlossen worden ist, aus dem sich keine Zahlungsansprüche gegen die Antragstellerin herleiten lassen. Daran wird sich die Antragsgegnerin unabhängig davon, inwieweit diese Vorgehensweise mit kommunalwirtschaftlichen Grundsätzen (vgl. §§ 110, 111, 117 NKomVG) vereinbar war, festhalten lassen müssen. Nach Aktenlage ist allerdings nicht erkennbar, dass die Antragstellerin trotz gegebener wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit in der Vergangenheit irgendwelche Bemühungen entfaltet hat, eine anderweitige Wohnung zu finden. Diesbezügliche Aufforderungen der Antragsgegnerin, die nach Aktenlage erstmals bereits im zeitlichen Zusammenhang mit der Überlassung der Wohnung E. -straße F. (Nr. G.) im November 2010 und auch danach bis zur fristlosen Kündigung dieser Wohnung im Oktober 2014 in regelmäßigen Abständen erfolgt sind, hat die Antragstellerin durchgängig unbeachtet gelassen. Auf aktuelle Wohnungsangebote, die ihr mehrfach von ihrer Betreuerin übermittelt worden sind, hat sie sich deren Angaben zufolge ebenfalls in keiner Weise eingelassen, sondern auf ihrem Standpunkt beharrt, in ihrer früheren Wohnung bleiben zu wollen. Ob dieses Verhalten bereits ausreicht, um der Antragstellerin unter Hinweis auf fehlende eigene Bemühungen um eine Unterkunft die Zuweisung einer Obdachlosenunterkunft für die Zukunft zu verweigern oder ob angesichts der bei ihr offenkundig bestehenden psychischen Erkrankung möglicherweise davon ausgegangen werden muss, dass sie tatsächlich gar nicht in der Lage ist, sich um eine eigene Wohnung zu kümmern, bedürfte ggf. weiterer Aufklärung, kann allerdings für das vorliegende Verfahren letztlich dahingestellt bleiben.
Denn eine rechtliche Verpflichtung der Antragsgegnerin, der Antragstellerin eine Obdachlosenunterkunft zur Verfügung zu stellen, besteht jedenfalls deshalb nicht, weil es nach gegenwärtigem Erkenntnisstand an der erforderlichen Unterbringungsfähigkeit und Unterbringungswilligkeit der Antragstellerin fehlt (vgl. hierzu VG München, B. v. 24.10.2002 - M 22 E 02.2459 u.a. -, juris; zust. Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Auflage, Abschnitt E, Rn. 749). Nach den von der Antragsgegnerin getroffenen, in ihren Verwaltungsvorgängen (vgl. zwei darin befindliche undatierte, offenbar in den Jahren 2011 und 2014 gefertigte Vermerke) bzw. dem von ihr ansonsten vorgelegten Schriftverkehr (vgl. u.a. ihre Schreiben an die Antragstellerin vom 05.08., 03.09. und 01.10.2014 sowie an das Amtsgericht H. vom 10.12.2013) dokumentierten und von der Betreuerin der Antragstellerin insgesamt bestätigten Feststellungen hat die Antragstellerin während des Aufenthalts in ihrer früheren Wohnung mindestens seit Herbst 2013 mehrfach und nachhaltig den Hausfrieden innerhalb des Mehrfamilienwohnhauses gestört und strafbewehrte Handlungen (insbesondere wiederholte Beleidigungen und Bedrohungen, daneben auch Sachbeschädigung und Körperverletzung) zulasten ihrer Mitbewohner begangen, wegen derer sie sich demnächst strafrechtlich vor dem Landgericht Osnabrück zu verantworten hat. Im April 2014 hat sie darüber hinaus - im Zusammenhang mit einer neuerlichen Bedrohung einer Nachbarin - durch das Abbrennen von Wunderkerzen auf ihrem Balkon einen Brand in einer angrenzenden Wallhecke verursacht, der durch die Feuerwehr gelöscht werden musste. Aus den in den Verwaltungsvorgängen befindlichen Vermerken ergibt sich ferner, dass die Antragstellerin - beginnend bereits im Jahr 2011 - mehrfach Bedienstete der Antragsgegnerin beleidigt und bedroht und durch ihr Verhalten diverse Polizeieinsätze ausgelöst hat. Angesichts dieses Verhaltens, das mit erheblichen Gefährdungen Dritter und möglicherweise - soweit sich die Antragstellerin nach den Angaben ihrer Betreuerin ihrerseits von ihren früheren Mitbewohnern bedroht gefühlt hat - auch mit einer Eigengefährdung verbunden ist und das die Antragstellerin trotz wiederholter „Abmahnungen“ der Antragsgegnerin sowie der Ankündigung der fristlosen Kündigung ihrer früheren Wohnung nicht abgestellt hat, ist die Annahme gerechtfertigt, dass die Antragstellerin nicht willens bzw. nicht in der Lage ist, die notwendigen Grundregeln im Umgang mit anderen Personen, die auch in einer Obdachlosenunterkunft für ein einigermaßen geordnetes und verträgliches Zusammenleben unerlässlich sind, zu akzeptieren und einzuhalten. Vielmehr wäre im Falle der Zuweisung einer Obdachlosenunterkunft, in der die Antragstellerin notwendigerweise wiederum auf andere Mitbewohner treffen würde, mit einer Fortsetzung ihres bisherigen Verhaltens mit entsprechender Fremd- und ggf. Eigengefährdung zu rechnen, ohne dass die Antragsgegnerin andererseits in der Lage oder rechtlich verpflichtet ist, der Antragstellerin eine Unterkunft zur Verfügung zu stellen, in der diese keinerlei Kontakt zu dritten Personen hat. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die dargelegten Verhaltensweisen ihre maßgebliche Ursache offenkundig in der psychischen Erkrankung der Antragstellerin haben, bei der es sich nach Angaben ihrer Betreuerin um eine paranoid-halluzinatorische Schizophrenie handelt. Aus den Angaben der Betreuerin ergibt sich allerdings zugleich, dass die Antragstellerin insoweit über keinerlei Krankheitseinsicht verfügt und eine entsprechende ärztliche Behandlung nicht für erforderlich hält; auch die ihr nach einem Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik im Oktober/November 2014 verordneten Medikamente nimmt sie nicht mehr ein. Unter diesen Umständen kann der vorliegend bestehenden Problematik nicht mehr mit den Mitteln des allgemeinen Ordnungsrechts begegnet werden. Angesichts des aktuellen Gesundheitszustandes der Antragstellerin sind insoweit vielmehr anderweitige Unterbringungsmöglichkeiten, etwa nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB oder §§ 14 ff. NPsychKG, in Betracht zu ziehen.