Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 03.09.2018, Az.: 2 Ws 329/18

Absehen von der mündlichen Anhörung des Verurteilten wegen bereits kurz zuvor erfolgter Anhörung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
03.09.2018
Aktenzeichen
2 Ws 329/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 57717
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 23.07.2018 - AZ: 79 StVK 51/18
LG Hannover - 23.07.2018 - AZ: 79 StVK 52/18

Amtlicher Leitsatz

1. Von der mündlichen Anhörung kann über die im Gesetz genannten Ausnahmen hinaus abgesehen werden, wenn sich das entscheidende Gericht von dem Verurteilten in nahem zeitlichen Zusammenhang bereits einen persönlichen Eindruck hat bilden können, der bis zur erneuten Entscheidung über die Frage der Aussetzung der Restfreiheitsstrafe fortwirkt und keine Umstände gegeben sind, die seine Ergänzung oder Auffrischung notwendig machen könnten, so dass eine Beeinflussung der Entscheidung durch eine erneute mündliche Anhörung von vornherein ausgeschlossen erscheint und ihre Durchführung daher zur inhaltslosen Formalie würde.

2. In Anlehnung an § 57 Abs. 7 StGB kann von einer erneuten mündlichen Anhörung nur innerhalb eines maximalen Zeitraums von 6 Monaten nach der letzten mündlichen Anhörung abgesehen werden, wenn neue Gesichtspunkte für die Entscheidung nicht ersichtlich sind und der gewonnene persönliche Eindruck aus der früheren Anhörung fortdauert.

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der 3. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover vom 23. Juli 2018 wird als unbegründet verworfen.

2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer ist durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Clausthal-Zellerfeld vom 26. Januar 2016 (Az. 3 Ds 910 Js 39542/15) i.V.m. dem Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 09. Juni 2016 wegen Bedrohung in 2 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung und wegen Hausfriedensbruchs unter Einbeziehung der durch Urteil des Amtsgerichts Clausthal-Zellerfeld vom 02.06.2015 (Az.: 3 Ls 112 Js 3864/14) verhängten Strafen und unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und wegen Bedrohung in zwei weiteren Fällen zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Monaten verurteilt worden. Das Urteil ist seit dem 17. Juni 2016 rechtskräftig.

Zwei Drittel der beiden Freiheitsstrafen waren bereits am 24. März 2018 vollstreckt. Das Strafende ist auf den 24. Dezember 2018 notiert.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 23. Juli 2018 hat es die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover abgelehnt, die Vollstreckung der Reste der beiden Freiheitsstrafen zur Bewährung auszusetzen. Dabei hat die Strafvollstreckungskammer von einer mündlichen Anhörung des Verurteilten unter Hinweis auf eine bereits zuvor erfolgte mündliche Anhörung vom 15. Februar 2018 abgesehen. In dieser war ausweislich des Vermerks der Strafvollstreckungskammer vom selben Tage die Notwendigkeit des Vorliegens einer Kostenzusage für eine stationäre Therapie zur Bekämpfung der langjährigen Alkoholabhängigkeit des Verurteilten ausführlich erörtert worden und der Verurteilte ausdrücklich auf die Rechtsauffassung der Strafvollstreckungskammer hingewiesen worden, dass eine vorzeitige Entlassung gem. § 57 StGB ohne Vorliegen einer derartigen Kostenzusage nicht erfolgen könne. Vor diesem Hintergrund nahm der Verurteilte seinen Antrag auf vorzeitige Entlassung durch Schreiben vom 4. April 2018 zurück und wandte sich mit Schreiben vom 11. Juni 2018 mit einem erneuten Gesuch auf Aussetzung der restlichen Freiheitsstrafen an die Strafvollstreckungskammer, in dem er darlegte, zwar keine Kostenzusage für eine stationäre Therapie erhalten zu haben, nunmehr aber gleichwohl eine Strafaussetzung zur Bewährung anzustreben.

Gegen die Versagung der Reststrafenaussetzung richtet sich die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 30. Juli 2018.

Die Generalstaatsanwaltschaft Celle hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

1. Die Strafvollstreckungskammer hat das durch § 454 StPO vorgeschrieben Verfahren bei der Prüfung der Aussetzung der Strafreste gem. § 57 StGB eingehalten.

Die Strafvollstreckungskammer durfte vorliegend ausnahmsweise eine Sachentscheidung ohne erneute mündliche Anhörung des Verurteilten treffen. Zwar ist gem. § 454 Abs. 1 S. 3 StPO ein Verurteilter vor der Entscheidung, ob die Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden soll, mündlich zu hören. Zudem liegt keiner der in § 454 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 bis 3 StPO geregelten Ausnahmefälle von dieser Anhörungspflicht vor.

Allerdings ist in der Rechtsprechung allgemein anerkannt, dass es in entsprechender Anwendung von § 454 Abs. 1 S. 4 StPO dem Sinn dieser Ausnahmevorschrift gemäß zulässig sein kann, auch in anderen als den im Gesetz genannten Fällen von einer mündlichen Anhörung des Verurteilten abzusehen, wobei insoweit jedoch Zurückhaltung bei der Zulassung weiterer Ausnahmen außerhalb der gesetzlichen Fälle geboten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 05. Mai 1995 - StB 15/95 -, juris). Von der mündlichen Anhörung wird über die im Gesetz genannten Ausnahmen hinaus nach der Rechtsprechung dann abgesehen werden können, wenn sich das entscheidende Gericht von dem Verurteilten bereits zuvor in nahem zeitlichen Zusammenhang einen persönlichen Eindruck hat bilden können, der bis zur erneuten Entscheidung über die Frage der Aussetzung der Restfreiheitsstrafe fortwirkt und keine Umstände gegeben sind, die seine Ergänzung oder Auffrischung notwendig machen könnten, so dass eine Beeinflussung der Entscheidung durch eine erneute mündliche Anhörung von vornherein ausgeschlossen erscheint und ihre Durchführung daher zur inhaltslosen Formalie würde (vgl. BGH, a. a. O.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11.12.2012 - 2 Ws 451/12, 2 Ws 453/12, BeckRS 2012, 25373, beck-online; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08. Juni 1995 - 1 Ws 455/95 -, juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22. Juni 1982 - 1 Ws 412/82 -, juris; KK-StPO/Appl, 7. Aufl. 2013, StPO § 454 Rn. 29).

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe war vorliegend die mündliche Anhörung des Verurteilten ausnahmsweise entbehrlich.

Die Strafvollstreckungskammer hatte sich durch die mündliche Anhörung vom 15. Februar 2018, über deren Inhalt sie einen ausführlichen Vermerk niedergelegt hat, bereits einen persönlichen Eindruck von dem Verurteilten verschafft. Es waren zudem vorliegend keine neuen Umstände ersichtlich, die eine Ergänzung oder Auffrischung des gewonnenen Eindrucks erforderlich gemacht haben könnten. So verwies beispielsweise die Justizvollzugsanstalt ... bzgl. der von der Staatsanwaltschaft Hannover durch Schreiben vom 20. Juni 2018 erforderten Stellungnahme allein auf die ausführliche Stellungnahme vom 12.12.2017, deren Inhalt bereits Grundlage und Gegenstand der mündlichen Anhörung vom 15. Februar 2018 war. Soweit der Verurteilte in seinem erneuten Antrag geltend macht, die Kostenzusage sei nunmehr vom Rentenversicherungsträger endgültig abgelehnt worden, stellt auch diese Tatsache keinen neuen Umstand dar, der eine erneute mündliche Anhörung des Verurteilten erforderlich gemacht hätte, denn diese Tatsache war der Strafvollstreckungskammer ausweislich des Schreibens vom 27. März 2018 (vgl. Bl. 119 d. VH) bekannt.

Eine Beeinflussung der Entscheidung durch eine erneute mündliche Anhörung war im Übrigen bereits deshalb von vornherein ausgeschlossen, so dass ihre Durchführung eine inhaltslose Formalie darstellen würde, weil die Strafvollstreckungskammer den Verurteilten in dem bereits erwähnten Schreiben vom 27. März 2018 ergänzend zur mündlichen Anhörung noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, dass eine vorzeitige Entlassung ohne Kostenzusage für eine stationäre Therapie "in jedem Fall abgelehnt werde."

Schließlich liegt der von der Strafvollstreckungskammer gewonnene persönliche Eindruck aus der mündlichen Anhörung vom 15. Februar 2018 noch nicht lange zurück. Insoweit werden in der Rechtsprechung unterschiedliche Zeitspannen vertreten, nach deren Ablauf eine erneute mündliche Anhörung auch ohne Eintreten neuer Umstände in jedem Fall unerlässlich ist (bereits nach 3 Monaten: OLG Stuttgart, Beschluss vom 17.07.1986 - 1 Ws 209/86, NStZ 1986, 574, beck-online; nach mehr als 6 Monaten: OLG Zweibrücken, Beschluss vom 24. August 1989 - 1 Ws 439/89 -, juris).

Vorliegend lag die letzte mündliche Anhörung im Zeitpunkt der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer etwas über fünf Monate zurück und damit noch im Rahmen der zulässigen Zeitspanne, denn der Senat erachtet in Anlehnung an die Vorschrift des § 57 Abs. 7 StGB einen Zeitraum von maximal einem halben Jahr zwischen der letzten mündlichen Anhörung und dem Entscheidungszeitpunkt für zulässig.

Nach § 57 Abs. 7 StGB kann das Gericht Fristen von maximal sechs Monaten setzen, vor deren Ablauf ein Antrag der verurteilten Person, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist. Die Gerichte werden somit ermächtigt, für einen Zeitraum von maximal einem halben Jahr zu prognostizieren, dass eine günstige Veränderung der Prognose i.S.v. § 57 StGB ausgeschlossen erscheint. Der Strafvollstreckungskammer soll damit die Möglichkeit gegeben werden, aussichtslose Wiederholungsanträge zu verhindern, um auch den ungestörten und kontinuierlichen Strafvollzug zu gewähren (LK-Hubrach, 12. Aufl., § 57 Rn 65; OLG Hamm NStZ-RR 1999, 285 [OLG Hamm 27.04.1999 - 2 Ws 118/99]).

Vor diesem Hintergrund erscheint es dem Senat angezeigt, der Strafvollstreckungskammer auch bei der Frage, wie lange ein einmal gewonnener persönlicher Eindruck von einem Verurteilten bei unveränderter Sachlage fortbestehen kann, eine maximale Zeitspanne von einem halben Jahr zuzubilligen.

2. Zutreffend hat die Strafvollstreckungskammer im Übrigen dargelegt, dass eine Aussetzung der Reste der beiden Freiheitsstrafen zur Bewährung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht verantwortet werden kann.

Die Gründe des angefochtenen Beschlusses treffen zu. Das Beschwerdevorbringen greift ihnen gegenüber nicht durch.

Der Verurteilte ist Bewährungsversager, unter Alkoholeinfluss immer wieder strafrechtlich in Erscheinung getreten und hat die langjährige Abhängigkeit vom Alkoholkonsum auch im Rahmen einer Unterbringung nach § 64 StGB, die mangels Erfolgsaussicht für erledigt erklärt wurde, nicht überwinden können. Vor diesem Hintergrund kann ihm keine positive Sozialprognose i.S.v. § 57 StGB gestellt werden.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.