Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 06.06.2019, Az.: 2 AR (Ausl) 43/19

Keine Bedenken gegen Unabhängigkeit der bulgarischen Staatsanwaltschaften bei Erlass von Europäischen Haftbefehlen

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
06.06.2019
Aktenzeichen
2 AR (Ausl) 43/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 25911
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Der rechtliche Status der Generalstaatsanwaltschaft der Republik Bulgarien sowie der nachgeordneten Staatsanwaltschaften bietet keinen Anlass, bei einem von einer bulgarischen Staatsanwaltschaft ausgestellten Europäischen Haftbefehl an der Unabhängigkeit der ausstellenden Justizbehörde zu zweifeln.

Tenor:

Gegen den Verfolgten wird zum Zwecke seiner Auslieferung an die bulgarischen Justizbehörden zur Strafverfolgung der in dem Europäischen Haftbefehl des Specialized Public Prosecutor's Office in Sofia vom 03.08.2018 (Az.: Pr pr. 56/2018) bezeichneten Straftaten die förmliche Auslieferungshaft angeordnet.

Gründe

I.

Die bulgarischen Justizbehörden betreiben auf der Grundlage einer Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung. Dem Ersuchen liegt ein Europäischer Haftbefehl des Specialized Public Prosecutor's Office in Sofia vom 03.08.2018 (Az.: Pr pr. 56/2018) zu Grunde.

Das dem Verfolgten vorgeworfene Tatgeschehen wird in dem Europäischen Haftbefehl vom 03.08.2018 im Wesentlichen wie folgt beschrieben:

Von Oktober 2017 bis zum 16.06.2018 war der Genannte in .../Bulgarien und auf bulgarischem Staatsgebiet der Anführer einer organisierten kriminellen Gruppierung / strukturierten ständigen Vereinigung von drei oder mehr Personen mit dem Ziel, in Bulgarien oder im Ausland Straftaten zu begehen. Mit M.R.H., D.I.I., Dz. Dz. M. wurde diese Gruppierung gebildet mit dem Ziel der Erlangung von Gewinnen und Begehung von Straftaten gemäß § 354a (1) und (2) des Bulgarischen Strafgesetzbuchs (Herstellung, Verarbeitung, Erwerb oder Verwahrung von Betäubungsmitteln oder ähnlichen Substanzen zum Zweck der Weitergabe ohne die erforderliche Erlaubnis oder Weitergabe von Betäubungsmitteln oder ähnlichen Substanzen ohne die erforderliche Erlaubnis; (2) sofern es sich um große Mengen von Betäubungsmitteln oder ähnlichen Substanzen handelt).

Der Verfolgte wurde am 31.05.2019 in der Bundesrepublik Deutschland vorläufig festgenommen. Das Amtsgericht Hildesheim hat am 01.06.2019 gemäß § 22 Abs. 3 Satz 2 IRG angeordnet, dass der Verfolgte bis zur Entscheidung des Oberlandesgerichts festzuhalten ist.

Der Verfolgte hat sich mit einer vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt (§ 41 Abs. 1 IRG).

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, gegen den Verfolgten die förmliche Auslieferungshaft anzuordnen.

II.

Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft ist nach §§ 15, 17 IRG zu entsprechen.

1. Die Auslieferung erscheint nicht von vornherein unzulässig (§ 15 Abs. 2 IRG).

Die bulgarischen Behörden haben die Ausschreibung des Verfolgten zur Festnahme mit dem Ziel von dessen Auslieferung nach dem Beschluss 2007/533/JI des Rates vom 12. Juni 2007 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II) im Schengener Informationssystem veranlasst. Die Ausschreibung enthält die nach § 83a Abs. 1 Nr. 1 bis 6 IRG erforderlichen Angaben.

Danach besteht ein Europäischer Haftbefehl des Specialized Public Prosecutor's Office in Sofia vom 03.08.2018 (Az.: Pr pr. 56/2018). Die Ausschreibung enthält Angaben zur Identität und Staatsangehörigkeit des Verfolgten sowie die Bezeichnung und die Anschrift der ausstellenden Justizbehörde. Zugleich wird mitgeteilt, dass ein nationaler bulgarischer Haftbefehl mit gleicher Rechtswirkung vorliegt, sowie Angaben zu Art und rechtlicher Würdigung der Straftat einschließlich der gesetzlichen Bestimmungen, die Beschreibung der Umstände unter denen die Straftat begangen wurde, einschließlich der Tatzeit, des Tatortes und der Tatbeteiligung der gesuchten Person. Damit gilt die Ausschreibung gemäß § 83a Abs. 2 IRG selbst als Europäischer Haftbefehl.

Die Auslieferungsfähigkeit der Straftat ist gegeben.

Bei dem Tatgeschehen, das dem Haftbefehl zu Grunde liegt, handelt es sich um eine Katalogtat gemäß Art. 2 Abs. 2 des EU-Rahmenbeschlusses vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl (RB-EUHb), (hier: Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung / Handeltreiben mit Betäubungsmitteln), welche nach bulgarischen Recht mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mehr drei Jahren, nämlich von bis zu 15 Jahren, bedroht ist. Das Erfordernis einer beiderseitigen Strafbarkeit entfällt damit (§ 81 Nr. 4 IRG).

Die dem Verfolgten vorgeworfene Tat ist nach bulgarischem Recht mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens zwölf Monaten bedroht (§ 81 Nr. 1 IRG). Anhaltspunkte dafür, dass Verfolgungsverjährung eingetreten sein könnte, sind nicht ersichtlich.

Die Grundsätze der Gegenseitigkeit und der Spezialität werden durch die von EU-Staaten zu vollziehende innerstaatliche Transformation des insoweit bindenden RB-EuHB (vgl. Art. 27 RB-EuHB) gewährleistet. Einer besonderen Zusicherung des ersuchenden Staates bedarf es daher nicht (vgl. Böse, in: Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, § 82 IRG Rn. 2, 18; Hackner, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl. 2012, § 82 IRG Rn. 2, 5).

Durchgreifende Gründe, die der Auslieferung nach den Bestimmungen des IRG entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich.

Der Verfolgte besitzt nicht die deutsche Staatsangehörigkeit. Die dem Verfolgten vorgeworfene Tat weist aufgrund der Tatörtlichkeit allein Bezüge zum bulgarischen Recht auf. Bewilligungshindernisse liegen damit nicht von vornherein auf der Hand.

2. Es besteht auch die Gefahr, dass sich der Verfolgte ohne die Anordnung der Auslieferungshaft dem Auslieferungsverfahren entziehen würde (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG). Fluchthemmende Faktoren, insbesondere festere soziale Bindungen, die dem aus der erheblichen Straferwartung resultierenden hohen Fluchtanreiz hinreichend entgegenwirken könnten, sind nicht ersichtlich.

Weniger einschneidende Maßnahmen als der Vollzug der Auslieferungshaft erscheinen hiernach nicht geeignet, deren Zweck, nämlich das Durchführen der Auslieferung, zu gewährleisten (§ 25 IRG). Die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Maßnahmen steht gleichfalls nicht in Frage.

3. Dem Senat sind - im Lichte der jüngsten Entscheidungen des EuGH vom 27.05.2019 (Urteile v. 27.05.2019, Az. C-508/18, C-82/19, C-509/18) - keine konkreten Anhaltspunkte dafür bekannt, dass bei einem von einer bulgarischen Staatsanwaltschaft ausgestellten Europäischen Haftbefehl Zweifel an der Unabhängigkeit der ausstellenden Justizbehörde bestehen könnten.

Der EuGH hat entschieden, dass die deutschen Staatsanwaltschaften wegen des in §§ 146, 147 GVG normierten Weisungsrechts der Justizminister keine unabhängigen Justizbehörden sind, die nach dem EU-Rahmenbeschlusses vom 13. Juni 2002 einen Europäischen Haftbefehl ausstellen dürfen.

Zu den Strafverfolgungsbehörden in der Republik Bulgarien gehören die Generalstaatsanwaltschaft und die örtlichen Staatsanwaltschaften; die bulgarischen Strafverfolgungsbehörden führen die vorgerichtlichen Ermittlungen durch und leiten sie und verfolgen im Namen des Staates Straftaten. Dies ergibt sich aus Art. 126, 127 der Verfassung der Republik Bulgarien (Verfassung der Republik Bulgarien, englische Übersetzung https://www.parliament.bg/en/const/).

Gemäß Art. 117 Abs. 2 der Bulgarischen Verfassung ist die Justiz unabhängig; alle Richter, Gerichtsassessoren, Staatsanwälte und Ermittlungsrichter sind nur dem Gesetz unterworfen.

Gemäß Art. 126 Abs. 2 der Bulgarischen Verfassung überwacht der Generalstaatsanwalt die Einhaltung der Gesetze und nimmt eine Leitungsfunktion über die übrigen Staatsanwälte wahr. Gemäß Art. 129 Abs. 2 der Bulgarischen Verfassung wird der Generalsstaatsanwalt für sieben Jahre vom Staatspräsidenten ernannt und kann von diesem auf Vorschlag des Obersten Justizrats entlassen werden. Die Befugnisse des Justizministers sind in Art. 130a der Bulgarischen Verfassung geregelt; ein Weisungsrecht des Justizministers in Bezug auf die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft ist dort nicht vorgesehen.

Gemäß Art. 133 der Bulgarischen Verfassung ist die nähere Organisation der Justiz durch ein Gesetz zu regeln. Hiervon ist mit dem Gesetz über das Justizsystem ("Judicial System Act", englische Übersetzung Stand August 2017, Europäische Kommission für Demokratie durch Recht ("Venedig-Kommission"), https://www.venice.coe.int/webforms/documents/default.aspx?pdffile=CDL-REF(2017)034-e) Gebrauch gemacht worden. In Artikel 1a Abs. 2 des Gesetzes über das Justizsystem ist festgelegt, dass die Justiz unabhängig ist. Den Behördenleitern der Staatsanwaltschaften steht ein Weisungsrecht gegenüber den an der jeweiligen Staatsanwaltschaft eingesetzten Staatsanwälten zu (Art. 136 Abs. 3). Die Behördenleiter unterstehen der Leitung der Behördenleiter der jeweils vorgesetzten Staatsanwaltschaft und dem Generalstaatsanwalt (Art. 136 Abs. 4). Die Befugnisse des Justizministers und der Ministerialverwaltung sind in Kapitel 20, Artikel 368-394 des Gesetzes über das Justizsystem geregelt. Ein Weisungsrecht der Exekutive gegenüber dem Generalstaatsanwalt ist darin nicht ersichtlich.

Nach alledem besteht in Ermangelung entgegenstehender Anhaltspunkte für den Senat kein Anlass, Zweifel an der Unabhängigkeit der ausstellenden Justizbehörde zu haben.

III.

Der Senat wird gemäß § 26 Abs. 1 IRG eine Haftprüfung durchführen, wenn sich der Verfolgte zwei Monate in Auslieferungshaft befunden haben wird.