Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 18.02.2022, Az.: L 14 U 171/18
Feststellung eines Unfallereignisses als Arbeitsunfall; Gefälligkeitshandlungen unter Nachbarn und Bekannten; Keine Beschäftigung im unfallversicherungsrechtlichen Sinn
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 18.02.2022
- Aktenzeichen
- L 14 U 171/18
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2022, 43918
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2022:0218.L14U171.18.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Stade - 21.06.2018 - AZ: S 7 U 147/15
Rechtsgrundlagen
- § 8 Abs. 1 SGB VII
- § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII
Redaktioneller Leitsatz
Nach Art und Umfang geringfügige Gefälligkeitshandlungen unter Nachbarn und Bekannten sind keine Verrichtungen, die wie eine Beschäftigung verrichtet werden, sondern eben Gefälligkeiten, die durch das Verhältnis unter guten Bekannten, Nachbarn und Freunden geprägt sind.
Tenor:
Die Berufungen der Beigeladenen zu 1 bis 4 gegen das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 21. Juni 2018 werden als unzulässig verworfen.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stade vom
- 21.
Juni 2018 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Im Streit steht die Feststellung eines Unfallereignisses als Arbeitsunfall im Sinne des Siebten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII).
Der im Jahre 1951 geborene Kläger war bis 2012 als Betriebsleiter bei der Firma Q. tätig und im Anschluss daran arbeitslos (vgl. Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 6. November 2014). Am 4. April 2014 erlitt der Kläger auf dem Grundstück seiner Nachbarn, der Eheleute R., einen Unfall, als er im Zuge von Baumfällarbeiten von einem Stein am Kopf getroffen und schwer verletzt wurde. Der Kläger trug ein isoliertes Schädel-Hirntrauma, eine Kalottenfraktur, ein epidurales Hämatom hochfrontal links sowie eine traumatische Subarachnoidalblutung davon und befand sich lange Zeit im Koma. Seit dem 18. März 2015 befindet er sich wegen bestehender schwerer kognitiver Störungen im Pflegeheim (vgl. Pflegegutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung S. vom 6. Mai 2015).
Mit Schreiben vom 8. Januar 2015, Eingang bei dem Beklagten am 9. Januar 2015, teilte die gesetzliche Krankenversicherung des Klägers mit, dass der Kläger am 4. April 2014 einen Unfall bei „arbeitnehmerähnlicher“ Tätigkeit erlitten habe und dabei verletzt worden sei. Es werde davon ausgegangen, dass es sich bei dem vorgenannten Unfall um einen Arbeitsunfall handele. Dem vorgenannten Schreiben lag der Vermerk eines Mitarbeiters der gesetzlichen Krankenversicherung des Klägers über ein Telefonat mit dessen Ehefrau am 15. April 2014 bei, wonach der Nachbar T. den Kläger bei Baumfällarbeiten um Hilfe gebeten habe. Der Kläger habe eine Seilsicherung mitführen sollen, an welchem ein Kopfsteinpflaster als Gegengewicht befestigt gewesen sei. Durch die Spannung im Laufe des Baumfallens sei der Stein dem Kläger katapultartig gegen den Kopf geknallt. Im Rahmen des eingeleiteten Feststellungsverfahrens holte der Beklagte die Stellungnahmen des Herrn R. vom 18. November 2014, der Ehefrau des Klägers vom 18. Dezember 2014 und April 2015, des (auch als Helfer an den Baumfällarbeiten beteiligten) Herrn U. vom 26. März 2015 sowie der Eheleute R. vom 8. Juni 2015 ein. Darüber hinaus nahm er Einsicht in die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft (StA) V. (Az. NZS 211 Js 21323/14), welche zu dem vorgenannten Unfall ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung eingeleitet hatte. Nach Auffassung der StA V. trug sich der Unfall am 4. April 2014 wie folgt zu: Um einen Baumwipfel umzureißen, zogen die Eheleute R., Herr W. und der Kläger an einem Seil, an dessen Ende ein Stein befestigt worden war. Dieser war zuvor in den Baumwipfel geworfen worden. Der Stein löste sich während des Ziehens an dem Seil und traf den Kläger am Kopf, wodurch dieser sich schwere Verletzungen zuzog. Die StA V. stellte das gegen die Eheleute R. und Herrn W. geführte Verfahren mit Verfügung vom 2. Juli 2014 gemäß § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) ein. Die dagegen vom Kläger erhobene Beschwerde wies die Generalstaatsanwaltschaft X. mit Schreiben vom 18. November 2014 zurück.
Mit Bescheid vom 30. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. November 2015 lehnte der Beklagte gegenüber dem Kläger die Anerkennung des Unfallereignisses vom 4. April 2014 als Arbeitsunfall ab, weil der Kläger zum Zeitpunkt des Körperschadens nicht unter gesetzlichem Unfallversicherungsschutz gestanden habe. Der Kläger habe keine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit i.S.d. § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII ausgeübt. Nicht arbeitnehmerähnlich in diesem Sinne seien insbesondere Gefälligkeitsleistungen unter Verwandten, Eheleuten, Freunden oder Nachbarn, soweit sie nach Art, Umfang und Dauer typisch, üblich und deshalb zu erwarten seien. Der Kläger habe am Unglückstag bemerkt, wie seine Nachbarn versucht hätten, den auf deren Grundstück befindlichen Baum durch Niederziehen der Baumspitze zu Fall zu bringen. Spontan und ohne ausdrückliche Aufforderung oder Bitte seiner Nachbarn sei der Kläger sodann über den Gartenzaun gestiegen und den Nachbarn zu Hilfe gekommen, indem er mit an dem mittels eines Steins in der Baumspitze befestigten Seil gezogen habe. Hierbei habe sich der Stein vom Seil gelöst und den Kläger mit voller Wucht am Kopf getroffen. Bei dieser Tätigkeit des Klägers habe es sich um einen selbstverständlichen Hilfsdienst gehandelt, der sich aus der konkreten sozialen Beziehung, nämlich der Nachbarschaft, ergeben habe. Diese Bindung habe der gesamten Handlung ihr Gepräge gegeben.
Hiergegen hat der Kläger am 1. Dezember 2015 vor dem Sozialgericht (SG) Stade Klage erhoben und weiterhin die Auffassung vertreten, im Rahmen seiner Tätigkeit am 4. April 2014 auf dem Grundstück seiner Nachbarn Wie-Beschäftigter i.S.d. § 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII gewesen zu sein. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei seine Tätigkeit arbeitnehmerähnlich gewesen.
Der Beklagte ist dem Vorbringen des Klägers entgegengetreten.
Nachdem der Haftpflichtversicherer der Eheleute R., die Y. Versicherung AG, dem SG Stade mitgeteilt hatte, dass er gegen den auch ihm gegenüber ergangenen Bescheid des Beklagten vom 30. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. November 2015 vor dem SG Z. Klage erhoben (Verfahren S 13 U 143/15) und das SG Z. mit Blick auf den vorliegenden Rechtsstreit das eigene Verfahren ruhend gestellt hat, hat das SG Stade die Y. Versicherung AG auf deren Antrag gemäß § 75 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit Beschluss vom 6. Januar 2016 beigeladen (im Folgenden: Beigeladener zu 1).
Nachdem der Haftpflichtversicherer des Herrn U., die AA., welcher von dem Kläger wegen des Unfalls vom 4. April 2014 zivilrechtlich auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird, ebenfalls sein Interesse an dem Rechtsstreit bekundet hatte, hat das SG Stade mit Beschluss vom 11. Januar 2016 sowohl diese Versicherung (im Folgenden: Beigeladene zu 3) als auch Herrn W. (im Folgenden: Beigeladener zu 2) gemäß § 75 Abs. 1 SGG zu diesem Verfahren beigeladen.
Mit Beschluss vom 11. Mai 2016 hat das SG Stade darüber hinaus das Ehepaar R. (im Folgenden: Beigeladene zu 4) gemäß § 75 Abs. 1 SGG beigeladen.
Die Beigeladenen zu 1 bis 4 haben sich dem Vorbringen des Klägers angeschlossen.
Das SG Stade hat die Beigeladenen zu 2 und 4 im Termin am 21. Juni 2018 befragt. Wegen des Ergebnisses der Befragung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen. Mit Urteil vom 21. Juni 2018 hat das SG Stade die Klage abgewiesen: Der Beklagte sei zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger am 4. April 2014 keinen Arbeitsunfall erlitten habe. Die allein in Bezug auf den Kläger in Betracht kommende Vorschrift des § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII (sog. Wie-Beschäftigter) sei vorliegend nicht erfüllt. Die Kammer gehe davon aus, dass der Kläger am Unfalltag mit an dem Seil gezogen habe. Bei diesem Ziehen an dem Seil habe es sich jedoch nur um eine bloße Gefälligkeit gehandelt. Dies ergebe sich schon aus dem Umstand, dass der Kläger selbstverständlich und spontan und ohne dass er um seine Hilfe gebeten worden sei über den Gartenzaun gestiegen und seine Hilfe angeboten habe. Auch habe das Ziehen an dem Seil nur wenige Minuten in Anspruch genommen.
Hiergegen haben der Kläger am 1. Juli 2018, die Beigeladenen zu 2 und 3 am 12. Juli 2018 sowie die Beigeladenen zu 1 und 4 am 26. Juli 2018 (nach Zustellung des Urteils des SG Stade am 28. Juni 2018) Berufung eingelegt und ihre Auffassung bekräftigt. Er, bzw. der Kläger sei entgegen der Auffassung des SG Stade am Unfalltag als Wie-Beschäftigter i. S. des § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII tätig geworden. Die von ihm – dem Kläger – zum Unfallzeitpunkt verrichtete Tätigkeit werde üblicherweise vergütet. Auch habe er – der Kläger – eine nicht unerhebliche Zeit bei den Baumfällarbeiten mitgeholfen, wobei diese Arbeiten besonders gefährlich seien. Die Tatsache, dass seine Hilfe durch den Unfall ein abruptes Ende gefunden habe, könne hinsichtlich des zeitlichen Umfanges seiner Leistung nicht zu seinem Nachteil gereichen. Auch habe er – der Kläger – mit seiner Hilfe ausschließlich in fremden Interesse gehandelt. Dieser Rechtsstreit sei mit dem vom Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen entschiedenen Verfahren L 9 U 113/12 vergleichbar. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass er – der Kläger infolge des Unfalls eine schwere Verletzung erlitten habe und seine dadurch erforderliche Versorgung mit erheblichen Kosten verbunden sei.
Der Kläger und die Beigeladenen zu 1 bis 4 beantragen jeweils,
1. das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 21. Juni 2018 sowie den Bescheid des Beklagten vom 30. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. November 2015 aufzuheben,
2. den Beklagten zu verurteilen, seinen Unfall, bzw. den Unfall des Klägers vom 4. April 2014 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufungen zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil des SG Stade für zutreffend.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, die dem Gericht vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Soweit die Beigeladenen zu 1 bis 4 gegen das Urteil des SG Stade vom 21. Juni 2018 Berufung eingelegt haben, ist die Berufung nicht zulässig. Den Beigeladenen fehlt es bereits an der Prozessführungsbefugnis. Die Beigeladenen können sich in diesem Zusammenhang nicht erfolgreich auf das Vorliegen einer gesetzlichen Prozessstandschaft analog § 109 SGB VII berufen, weil die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht gegeben sind. Denn nach § 109 SGB VII könnten die Beigeladenen zu 1 bis 4 nur statt des Berechtigten (hier des Klägers und Berufungsklägers) handeln. Betreibt der Berechtigte – wie vorliegend – das Verfahren vor dem Unfallversicherungsträger oder dem Sozialgericht selbst, ist die haftungsprivilegierte Person nicht legitimiert (vgl. Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 29. November 2011 – B 2 U 27/10 R -; Landessozialgericht – LSG – Baden-Württemberg, Urteil vom 19. November 2010 – L 8 U 996/09 -, LSG Bayern, Urteil vom 1. Juli 2009 – L 2 U 46/07 - alle in Juris). Darüber hinaus sind die Beigeladenen aus den untenstehenden Gründen nicht in eigenen Rechten verletzt. die Berufungen waren nicht begründet.
Die zulässige Berufung des Klägers und Berufungsklägers ist nicht begründet. Das Urteil des SG Stade vom 21. Juni 2018 ist nicht zu beanstanden. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig und beschweren den Kläger nicht. Der Kläger hat am 4. April 2014 keinen nach den Regeln der Gesetzlichen Unfallversicherung zu entschädigenden Arbeitsunfall im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB VII erlitten.
Ein Arbeitsunfall setzt gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII einen Unfall voraus, den ein Versicherter bei einer der den Versicherungsschutz gemäß §§ 2,3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet. Voraussetzung ist, dass die zum Unfall führende Verrichtung mit der versicherten Tätigkeit sachlich verknüpft ist, der Unfall ursächlich auf der versicherten Tätigkeit beruht und im Sinne der haftungsausfüllenden Kausalität einen Gesundheitsschaden bewirkt hat.
Der Kläger hat vorliegend keinen Arbeitsunfall i.S.v. § 8 Abs. 1 SGB VII erlitten, denn er war zum Unfallzeitpunkt am 4. April 2014 nicht unfallversichert. Der Kläger war unstreitig nicht im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses bei den Beigeladenen zu 4 versichert (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII). Dies würde als wesentliches Merkmal eine unselbstständige Arbeit voraussetzen, wie sie insbesondere in einem Arbeitsverhältnis geleistet wird und eine persönliche Abhängigkeit vom Arbeitgeber, dessen Direktionsrecht der Beschäftigte unterliegt, sei es durch Weisungsgebundenheit oder Eingliederung in den Betrieb (vgl. BSG, SozR 2200 § 539 RVO Nr. 101).
Eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit lag ebenfalls nicht vor. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 SGB VII ist jede Verrichtung versichert, die der Ausübung einer Beschäftigung vergleichbar ist. Die Vorschrift des § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII gewährt nach ihrem Normzweck Versicherungsschutz auch in den Fällen, in denen selbst bei vorübergehenden Tätigkeiten die Grundstruktur eines Beschäftigungsverhältnisses als Versicherungsgrund vorliegt. Die Bestimmung will indessen keine allgemeine Volksversicherung und keine Versicherung allein aus Billigkeitsgründen schaffen. Zur Begründung des Versicherungsschutzes müssen vielmehr folgende Voraussetzungen vorliegen, die die Zurechnung des Haftungsrisikos zum nutznießenden Unternehmen rechtfertigen: Es muss sich um eine mehr oder weniger vorübergehende, ernsthafte, wesentlich dem Unternehmen zu dienende bestimmte Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert handeln, die in innerem Zusammenhang mit dem unterstützten Unternehmen steht. Die Tätigkeit muss dem wirklichen oder dem mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprechen. Sie muss ihrer Art nach von Personen verrichtet werden können, die in einem dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnis stehen und unter solchen Umständen geleistet werden, dass sie einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ähnlich ist. Eine persönliche oder wirtschaftliche Abhängigkeit vom unterstützten Unternehmen muss nicht vorliegen und die Beweggründe des Handelns sind für den Versicherungsschutz nicht erheblich. Grundsätzlich schließen auch Freundschafts- und Gefälligkeitsdienste den Versicherungsschutz nicht aus (vgl. zum Ganzen LSG Hessen, Urteil vom 28. Juni 2011 – L 3 U 134/09 – m.w.N., Juris; BSG SozR 3-2200 § 539 RVO Nr. 25). Die Grenzziehung bei Hilfeleistung unter guten Bekannten, Nachbarn und Freunden gilt als besonders schwierig. In Anlehnung an die Rechtsprechung zu Arbeiten zwischen Personen mit besonders engen persönlichen Bindungen und den Verrichtungen von Vereinsmitgliedern für den Verein sowie unter Vereinsmitgliedern ist davon auszugehen, dass es sich bei reinen, nach Art und Umfang geringfügigen Gefälligkeitshandlungen unter Nachbarn und Bekannten nicht um solche handelt, die wie eine Beschäftigung verrichtet werden, sondern eben um Gefälligkeiten, die durch das Verhältnis unter guten Bekannten, Nachbarn und Freunden geprägt sind. Zur Abgrenzung einer arbeitnehmerähnlichen Mithilfe von einer bloßen Gefälligkeit kommt es auf Stärke und Intensität einer Beziehung an, in der diese laufend praktiziert wird, wobei unter guten Freunden der Umfang von Gefälligkeitsleistungen umso größer ist, je enger das freundschaftliche Verhältnis sich darstellt. Auch Art, Umfang und Zeitdauer der vorgesehenen Tätigkeit sind bedeutsam. Als arbeitnehmerähnlich und versichert können sich auch Tätigkeiten im Rahmen eines Freundschafts- oder Bekanntschaftsverhältnisses darstellen, die länger andauern, besonders anstrengend und gefährlich sind (BSG, Urteil vom 27. März 2012 – B 2 U 5/11 R -, Juris; LSG Hessen, a.a.O., m.w.N.; vgl. zur Prüfung einer sog. Wie-Beschäftigung insgesamt: BSG, Urteil vom 16. März 2021 – B 2 U 3/19 R -, Juris).
Bei Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII geht der Senat aufgrund der Aussagen der Beigeladenen zu 2 und 4 sowie der Ehefrau des Klägers im polizeilichen Ermittlungsverfahren, deren Angaben im Verwaltungsverfahren sowie der Angaben der Beigeladenen zu 2 und 4 im Termin vor dem SG Stade am 21. Juni 2018 von folgendem im Vollbeweis erwiesenen Sachverhalt aus:
Die Beigeladenen zu 4 hatten sich am 4. April 2014 auf ihrem Grundstück mit dem Beigeladenen zu 2 zur Fällung einer auf ihrem Grundstück stehenden, ca. 10 bis 12 Meter hohen Zeder verabredet. Hierzu entfernte der Beigeladene zu 2 zunächst die unteren Äste des Baumes und sägte sodann den Baumstamm in einer Höhe von ca. 6 bis 7 Metern an. Um die Baumkrone zum Einbrechen zu bringen, warf der Beigeladene zu 2 sodann einen an einem Seil befestigten Ziegelstein oberhalb der in den Baum gesägten Kerbe in eine Astgabel und versicherte sich dann durch Ziehen an dem Seil, dass das Seil fest verankert war. Im Anschluss zogen die Beigeladenen zu 2 und 4 mehrfach an dem Seil, um den Baumwipfel zum Fallen zu bringen. Der Kläger, der dieses Unterfangen beobachtet hatte, kam spontan ohne Aufforderung oder Bitte der Beigeladenen zu 2 und 4 hinzu und riet den Beigeladenen, die bereits in dem Baum befindliche Kerbe tiefer zu schneiden, was der Beigeladene zu 2 daraufhin auch machte. Sodann zogen der Kläger und die Beigeladenen zu 4 – der Beigeladene zu 2 war nach der Vergrößerung der Kerbe im Baum noch nicht wieder zurück gemeinsam an dem Seil, woraufhin hin sich der Ziegelstein aus der Astgabel löste und den Kläger mit voller Wucht am Kopf traf. Zum Unfallzeitpunkt hatte der Kläger ca. 15 bis 20 Minuten mitgeholfen. Die Beigeladenen zu 4 trafen sich als direkte Grundstücksnachbarn gelegentlich mit dem Kläger und dessen Ehefrau, auch zu Geburtstagen lud man sich gegenseitig ein. In der Vergangenheit hatte der Kläger den Beigeladenen zu 4 gelegentlich bei Arbeiten in oder an deren Haus oder auf deren Grundstück durch handwerkliche Vorschläge und Ratschläge geholfen.
Der vorgenannte Sachverhalt und die nachbarschaftliche Beziehung werden von dem Kläger, dem Beklagten und den Beigeladenen auch nicht in Abrede gestellt. Umstritten ist vielmehr, ob die von dem Kläger im Rahmen der Baumfällung erbrachte Hilfeleistung in einem Umfang geleistet worden ist, der noch als Gefälligkeitsleistung im Rahmen der nachbarschaftlichen Beziehung angesehen werden kann oder ob die Hilfeleistung über die im konkreten Zusammenhang zu erwartende Gefälligkeit weit hinausging und deshalb als Wie-Beschäftigung im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB VII gewertet werden muss.
Der Senat geht davon aus, dass die vom Kläger am 4. April 2014 ausgeübte unfallbringende Hilfeleistung noch eine im Rahmen einer freundschaftlichen Gefälligkeit übliche Hilfeleistung und damit keine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit i. S. v. § 2 Abs. 2 SGB VII darstellt. Zwar verkennt der Senat nicht, dass die Mithilfe bei Baumfällarbeiten durchaus einen wirtschaftlichen Wert darstellt, Baumfällarbeiten auch von professionellen Unternehmen entgeltlich durchgeführt werden. Darüber hinaus sind Baumfällarbeiten mit Gefahren verbunden. Auch handelte der Kläger zum Unfallzeitpunkt ausschließlich im Interesse der Beigeladenen zu 4. Allerdings ist der Senat dennoch der Auffassung, dass die vorliegend vom Kläger durchgeführte Hilfe bei Baumfällarbeiten lediglich eine nicht unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung fallende Gefälligkeitshandlung unter Nachbarn darstellte. Die Beziehung zwischen dem Kläger und den Beigeladenen zu 4 stellt sich als gutes Nachbarschaftsverhältnis dar, in welchem man durchaus Kontakte miteinander pflegte und es gelegentlich auch zu Hilfeleistungen kam. Für die Einordnung der Hilfestellung des Klägers als bloße (nicht unfallversicherte) Gefälligkeitshandlung ist im Wesentlichen maßgeblich, dass sich die Hilfssituation am streitigen Unfalltag spontan ergab. Der Kläger war für die Baumfällarbeiten von den Beigeladenen zu 4 weder eingeplant worden noch haben sie den Kläger im Verlauf der bereits stattfindenden Arbeiten um Mithilfe gebeten. Der Kläger stellte seine Hilfe von sich aus zur Verfügung, als er sah, dass die Beigeladenen zu 2 und 4 es nicht schafften, den Baumwipfel abzubrechen. Dementsprechend kann der Senat nicht feststellen, dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt einem auf eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit hindeutenden des Direktionsrecht unterlag. Auch spricht die Dauer der Mithilfe gegen eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit. In diesem Zusammenhang teilt der Senat die Auffassung des Klägers und der Beigeladenen, wonach die Dauer der Mithilfe nicht danach bemessen werden kann, wann der Unfall diese Tätigkeit unterbrochen hat. Maßgeblich dürfte insoweit sein, von welcher Dauer der Mithilfe ohne den Unfall auszugehen gewesen wäre. Dies führt vorliegend entgegen der Auffassung der Beigeladenen und des Klägers zur Annahme einer lediglich kurzzeitigen Mithilfe. Denn der Kläger stieg über den Zaun, um den Beigeladenen zu 2 und 4 bei der einzigen Aufgabe „Abbrechen des Baumwipfels durch Ziehen am Seil“ – also nicht für die Baumfällung insgesamt –, zu helfen, so dass nicht davon auszugehen war, dass es sich um eine Hilfe über einen längeren Zeitraum handelte. Entgegen der Auffassung des Klägers ist für die Beurteilung, ob eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit vorlag, ohne Belang, dass er durch den Unfall erhebliche Verletzungen erlitten und dadurch einen hohen wirtschaftlichen Schaden davongetragen hat. Wie bereits oben ausgeführt, sind Billigkeitserwägungen bei der Beurteilung der Frage, ob vorliegend eine arbeitnehmerähnliche Beschäftigung vorliegt, nicht anzustellen.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Entscheidung des 9. Senates des LSG Niedersachsen-Bremen vom 28. Mai 2013 – L 9 U 113/12 – nicht auf den vorliegenden Rechtsstreit übertragbar, weil dieser Entscheidung ein völlig anderer Sachverhalt zugrunde liegt. In dem vorgenannten Verfahren hatte sich der Unfallverletzte zuvor bereit erklärt, einen Baum im Garten seiner Nachbarin (allein) zu fällen, wobei der Verletzte das notwendige Werkzeug zur Fällung mitbrachte, denn das Fällen und Auslichten von Bäumen gehörte auch zu seinen beruflichen Aufgaben.
Letztlich wollte der Kläger spontan und aus Eigeninitiative eine kurzfristig zu erledigende Hilfstätigkeit im Rahmen einer Beziehung zweier gut und langjährig miteinander bekannter benachbarter Familien leisten. Eine derartige Hilfstätigkeit stellt keine arbeitnehmerähnliche Beschäftigung i.S. v. § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII dar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Legen – wie vorliegend – mehrere Beteiligte gegen ein Urteil Rechtsmittel ein, von denen einer – wie vorliegend der Kläger und Berufungskläger – zum kostenrechtlich begünstigten Personenkreis des § 183 SGG gehört und ein anderer – wie vorliegend alle anderen (beigeladenen) Berufungskläger – nicht, so richtet sich die Kostenentscheidung in dem Rechtszug für alle Beteiligten nach § 193 SGG (vgl. BSG, Beschluss vom 29. Mai 2006 – B 2 U 391/05 B -, Juris).
Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision beruht auf § 160 Abs. 2 SGG.