Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 14.07.1997, Az.: 19 UF 261/96

Durchsetzung eines Besuchsrechts für Großeltern; Fehlende Procuration; Versuchte Kindesentführung durch die eigene Mutter

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
14.07.1997
Aktenzeichen
19 UF 261/96
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1997, 23182
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1997:0714.19UF261.96.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Verden - 10.12.1996 - AZ: 5 F 205/96

Fundstellen

  • FamRZ 1998, 110-112 (Volltext mit red. LS)
  • IPRspr 1997, 103

Verfahrensgegenstand

Vollstreckbarerklärung nach dem Europäischen Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgerechtsverhältnisses vom 20. Mai 1980 (ESÜ)

Der 19. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle
hat am 14. Juli 1997
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 27. Dezember 1996 gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Verden vom 10. Dezember 1996 wird zurückgewiesen.

    Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Die außergerichtlichen Kosten trägt der Antragsteller.

    Beschwerdewert: 2.000 DM.

  2. 2.

    Die Beschwerde des Antragstellers vom 16. Januar 1997 gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Verden vom 10. Dezember 1996 wird ebenfalls zurückgewiesen.

    Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Die Kosten dieses Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller.

    Beschwerdewert: 2.000 DM.

Gründe

1

I.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig; sachlich führt sie jedoch nicht zum Erfolg. Sie ist vielmehr aus formellen und auch aus materiell-rechtlichen Gründen zurückzuweisen.

2

1.

Formelle Gründe:

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a)

Es liegt ein Verstoß gegen Art. 13 Abs. 1 c ESÜ vor. Der Antragsgegner hat an der mündlichen Verhandlung des Großinstanzgerichts Paris vom 5. Dezember 1995 nicht teilgenommen und sich auch nicht vertreten lassen. In einem solchen Fall ist der für vollstreckbar zu erklärenden Entscheidung, hier also dem Urteil des Großinstanzgerichts Paris vom 16. Januar 1996, ein Schriftstück beizufügen, aus dem sich ergibt, daß das Schriftstück, mit dem das Verfahren eingeleitet wurde, dem Antragsgegner ordnungsgemäß zugestellt worden ist. Ein solches Schriftstück fehlt. In dem Urteil des Großinstanzgerichts Paris vom 16. Januar 1996 ist lediglich vermerkt, daß ... (Vater) ... ordnungsgemäß bei der Staatsanwaltschaft geladen worden ist und keinen Anwalt bestellt hat. Auch bei der Urkunde, die die Überschrift trägt "Zustellung des Schriftstücks an: ... (Vater) ..." kann es sich nicht um die das Verfahren einleitende Zustellung handeln. Denn in dem Text heißt es, daß der Gerichtsvollzieher ein Schriftstück bei der Dienststelle des Herrn Oberstaatsanwalts beim Großinstanzgericht Paris zugestellt hat, wo er (also der Gerichtsvollzieher) mit dem anwesenden Herrn Staatsanwalt gesprochen hat, der den Sichtvermerk auf den Originalen angebracht hat, und eine Abschrift des Schriftstücks den gesetzlichen Bestimmungen entsprechend und innerhalb der gesetzlichen Frist durch Einschreiben mit Rückschein an den Betreffenden abgeschickt hat am 01.03.96 (Unterstreichung vom Verfasser). Es kann mithin nicht festgestellt werden, daß das Verfahren ordnungsgemäß eingeleitet worden ist.

4

b)

Nach Art. 13 Abs. 1 a ESÜ ist dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung ein Schriftstück beizufügen, in dem die zentrale Behörde des ersuchten Staates, hier also der Generalbundesanwalt, ermächtigt wird, für den Antragsteller tätig zu werden.

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Eine solche Vollmacht fehlt. In Hülle Bl. 4 ist zwar eine PROCURATION enthalten, diese ist offenbar auch vom Antragsteller unterschrieben, jedoch schon am 24. Mai 1995. Das Urteil des Großinstanzgerichts Paris ist jedoch erst am 16. Januar 1996 verkündet worden. Die hinter die PROCURATION geheftete Vollmacht vom 27.02.(4.?)1996 trägt keinen Namen und ist nicht unterschrieben. Damit fehlt es auch an einer wirksamen Vollmacht.

6

c)

Darüber hinaus liegt ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 b ESÜ vor. Denn nach dieser Bestimmung kann die Anerkennung und Vollstreckung versagt werden, wenn bei einer Entscheidung, die in Abwesenheit des Antragsgegners ergangen ist, die Zuständigkeit der die Entscheidung erlassenden Behörde nicht gegründet war auf

  1. i)

    den gewöhnlichen Aufenthalt des Antragsgegners;

  2. ii)

    den letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Eltern des Kindes, sofern wenigstens ein Elternteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt noch dort hat, oder

  3. iii

    den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes.

7

Im vorliegenden Verfahren sind alle drei Versagungsgründe gegeben. Der Antragsgegner hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Das gilt auch für die Kinder ... (Kind 1 geb. 1985) ..., (Kind 2 geb. 1987) .... Schließlich hatten der Antragsgegner und seine Ehefrau ihren letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland; sie wohnten in Hamburg.

8

d)

Nach Art. 10 Abs. 1 c ESÜ können Anerkennung und Vollstreckung versagt werden, wenn zur Zeit der Einleitung des Verfahrens im Ursprungsstaat das Kind sowohl Angehöriger des Ursprungsstaats als auch des ersuchten Staates war und seinen gewöhnlichen Aufenthalt im ersuchten Staat hatte. Der Senatgeht davon aus, daß die Kinder ... sowohl deutsche als auch französische Staatsangehörige sind. Sie haben - das ist gerichtsbekannt - seit 1994, also vor Einleitung des hier in Rede stehenden Verfahrens, ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, nämlich im Raum Verden. Sie haben also zu dem ersuchten Staat eine nähere Beziehung als zum Ursprungsstaat, der Republik Frankreich. Hinzu kommt, daß die Kinder vor 1994 ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Frankreich hatten, sondern bei ihrer Mutter in London lebten.

9

Nimmt man all diese Versagungsgründe zusammen, so kann die sofortige Beschwerde schon aus diesen formellen Gründen keinen Erfolg haben.

10

Soweit der Antragsgegner die Auffassung vertritt, die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung des Großinstanzgerichts Paris vom 16. Januar 1996 scheitere auch an Art. 10 Abs. 1 a ESÜ, vermag ihm der Senat nicht zu folgen. Nach dieser Bestimmung ist die Vollstreckung ausgeschlossen, wenn die Wirkungen der Entscheidung mit den Grundwerten des Familien- und Kindschaftsrechts im ersuchten Staat offensichtlich unvereinbar sind. Davon kann hier nicht die Rede sein. Zwar haben Großeltern nach der deutschen Rechtsordnung - im Gegensatz zum französischen Recht - kein (durchsetzbares) Recht, ihre Enkel zu besuchen oder bei sich aufzunehmen. Doch bedeutet dies nicht - wie auch das OLG Köln in seinem Beschluß vom 17. April 1997 (21 UF 36/97) zutreffend entschieden hat (Bl. 147-149 d.A.) -, daß die Vollstreckung des Urteils des Großinstanzgerichts Paris mit den Grundwerten des deutschen Familien- und Kindschaftsrechts offenbar unvereinbar ist. Denn der Antragsteller hat zutreffend darauf hingewiesen, daß auch die Bundesrepublik Deutschland beabsichtigt, unter bestimmten Voraussetzungen Großeltern ein solches Besuchsrecht einzuräumen.

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II.

Materiell-rechtliche Gründe:

12

Dem Begehren des Antragstellers konnte auch deshalb nicht entsprochen werden, weil bei einem Stattgeben seines Antrags die große Gefahr besteht, daß das Wohl der Kinder ... beeinträchtigt wird. Dies muß auf jeden Fall verhindert werden. Allein das Kindeswohl ist für den Senat der entscheidende Gesichtspunkt. Kämen die Kinder nach Frankreich, so bestände die große Gefahr, daß ihre Mutter, ... ebenfalls nach Frankreich käme und sich der Kinder bemächtigte. Bei ihrem bislang gezeigten Verhalten kann nicht davon ausgegangen werden, daß sie dann die Kinder wieder nach Deutschland zurück ließe. Mit größter Wahrscheinlichkeit muß davon ausgegangen werden, daß sie die Kinder - auch gegen deren Willen - mit nach London, ihrem Wohnsitz, nähme. Daß der Antragsgegner die Kinder aus London zurückbekäme, ist nach der dort von der Mutter inszenierten Pressekampagne, die sogar zu einer Antrage im Unterhaus geführt und zu Antragen der britischen Botschaft in Bonn geführt hat, äußerst unwahrscheinlich, zumal der High Court of Justice in seiner Entscheidung vom 30. September 1994 die Herausgabe der Kinder an die Mutter angeordnet hat.

13

Daß die Kindesmutter zu einem entsprechenden Verhalten fähig ist, daran kann kein vernünftiger Zweifel bestehen. So hat sie am 13. Januar 1995 in Begleitung zweier Helfer versucht, die Kinder, die aus der Schule kamen, gewaltsam zu entführen. Diese Entführung ist letzlich nur daran gescheitert, daß sich die Kinder mit Händen und Füßen und lautem Schreien gewehrt haben, so daß andere Passanten darauf aufmerksam wurden. Selbst als (Kind 2) ... bereits im Auto der Zeugin M. saß, hat die Mutter ihn gewaltsam versucht herauszuziehen, was ihr nur deshalb nicht gelang, weil sich der Junge am Lenkrad, Schalthebel und Handbremshebel festhielt und mitFüßen nach ihr trat. Dies hat den Senat veranlaßt, in seinem Beschluß vom 4. Oktober 1995 der Mutter zu untersagen, zu den Besuchszeiten mit dritten Personen zu erscheinen. An diese Anordnungen hat sie sich nicht gehalten. So ist sie einmal in Begleitung eines Mannes erschienen, ein anderes Mal in Begleitung einer angeblichen Freundin; einmal hat sie auch ihre Mutter mitgebracht und sie Fotoaufnahmen machen lassen. Als der aufsiehtsführende Jugendamtsleiter der Mutter dies untersagte und die Fotos herausverlangte, hat sie, die Kindesmutter, den Zeugen L. als KGB-Agenten beschimpft. Zu einem Besuch ist sie mit einem Fernsehteam erschienen und hat anschließend eine sog. "Pressekonferenz" gegeben. In einer Fernsehsendung des Senders "Pro 7" hat sie ihre Eltern, also auch den Antragsteller, auftreten lassen, und diese haben nach einer sehr unsachlichen Darstellung der Vorgänge sich als "Hinterbliebene" bezeichnet. Inzwischen hat sie ein Buch geschrieben, das in England unter dem Titel "TWO CHILDREN BEHIND A WALL" und in Frankreich unter dem Titel "DEUX ENFANTS DERRIERE UN MUR" erschienen ist. Diese Titel sind bereits vielsagend. In einem Interview mit der bekannten französischen Zeitschrift "Paris Match" hat sie erklärt, mit dem Geld der Bücher wolle sie die letzte Schlacht um ihre Kinder führen. Sie hat also ihre bisherige Einstellung nicht geändert und insbesondere die bestehende Situation nicht akzeptiert.

14

Bei den Kindern ..., die von der beispiellosen Pressekampagne und den Fernsehauftritten Kenntnis erlangt haben, ist ihr Verhalten auf eindeutige Ablehnung gestoßen. Sie haben die Liebe zu ihrer Mutter verdrängt und wollen sie nicht mehr sehen. Sie wollen ohne sie leben. Bei ihrem Vater, dem Antragsgegner, fühlen sie sich wohl. Sie bringen in den verschiedenen Fächern gute und sehr gute schulische Leistungen. (Kind 1) hat sich dem Judo-Sport gewidmet und schon an Wettkämpfen teilgenommen. Außerdem spielt er Bratsche, (Kind 2) Klavier. (Kind 2) will nicht mehr mit seinem Großvater väterlicherseits Golf spielen, sondern mit seinem Vater auf dem Tennisplatz das Tennisspiel trainieren.

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Das Wohl der Kinder ist also beim Vater in jeder Beziehung gewahrt. Er hat allerdings (verständliche) Angst, daß die Kindesmutter die Kinder bei einer günstigen Gelegenheit doch noch entführen könnte. Diese konkrete Gefahr besteht. Deshalb kann die Anerkennung und Vollstreckung des Urteils des Großinstanzgerichts Paris nicht angeordnet werden.

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III.

Soweit der Antragsteller hilfsweise beantragt, ihm und seiner Ehefrau ein Besuchsrecht einzuräumen, wird er nicht mehr durch den Generalbundesanwalt, sondern durch Rechtsanwalt B. vertreten.

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Diesem Antrag kann nicht stattgegeben werden, weil die deutsche Rechtsordnung ein Besuchsrecht der Großeltern mit ihren Enkeln nicht vorsieht. Teilweise wird ein solches Recht dann gewährt, wenn der sorgeberechtigte Elternteil oder die sorgeberechtigten Eltern rechtsmißbräuchlich i.S.d. § 1666 BGB Besuche der Enkel bei den Großeltern verbieten. Auf diese Frage braucht indes nicht näher eingegangen zu werden. Wenn der Antragsgegner sich gegen ein Besuchsrecht des Antragstellers und seiner Ehefrau wehrt, ist dies angesichts der oben geschilderten Sachlage jedenfalls nicht rechtsmißbräuchlich, sondern im Interesse der Kinder wohlbegründet. Das gilt um so mehr, als der Antragsteller und seine Ehefrau durchaus mit ihrer Tochter zusammenwirken. Das gilt nicht nur für den oben geschilderten Fernsehauftritt beim Sender "Pro 7", sondern auch für dieses Verfahren. Denn Rechtsanwalt B. hat in erster Instanz vor dem Familiengericht zum Ausdruck gebracht, daß er auch von ... (Mutter) ... beauftragt worden ist.

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Die Kostenentscheidungen beruhen jeweils auf §§ 131 Abs. 3 KostO, 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG.

Streitwertbeschluss:

Beschwerdewert: 2.000 DM.

Den Beschwerdewert hat der Senat jeweils nach § 30 KostO festgesetzt.