Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 24.11.1988, Az.: VI 308/87
Erzielung von Spekulationsgewinnen aus Wertpapierverkäufen als wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb; Körperschaftssteuerbefreiung für als gemeinnützig anzuerkennende Körperschaften
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 24.11.1988
- Aktenzeichen
- VI 308/87
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1988, 15180
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1988:1124.VI308.87.0A
Rechtsgrundlage
- § 5 Nr. 9 KStG
Verfahrensgegenstand
Körperschaftsteuer 1981
In dem Rechtsstreit
hat der VI. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 24. November 1988,
an der mitgewirkt haben:
Vizepräsident des Finanzgerichts als Vorsitzender ...
Richter am Finanzgericht ... Richterin am Finanzgericht ...
ehrenamtliche Richterin ... ehrenamtliche Richterin ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Einspruchsbescheid vom 9. Juni 1987 und der geänderte Körperschaftsteuerbescheid 1981 vom 4. März 1987 werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der an die Klägerin zu erstattenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Erzielung von Spekulationsgewinnen aus Wertpapierverkäufen als wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb anzusehen ist.
Die Klägerin ist eine im Jahr 1970 errichtete rechtsfähige Stiftung. Sie ist zur Förderung der staatlichen Ingenieurschule in O. von dem Kaufmann ... M. dessen Name sie trägt, errichtet worden. Gemäß § 3 ihrer Satzung in der für die Streitjahre geltenden Fassung verfolgt sie ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke im Sinne der Gemeinnützigkeitsverordnung vom 24. Dezember 1953, und zwar insbesondere durch die Förderung von Wissenschaft und Erziehung an der staatlichen Ingenieurschule in O. oder deren Rechtsnachfolgerin, insbesondere Laboratorien und Förderung der Ausbildung von Dozenten und Studierenden.
Das Vermögen der Klägerin setzte sich am 31. Dezember 1981 aus der Beteiligung an der M. KG, Kontenguthaben, Wertpapierbesitz und Anteilen an Investmentfonds zusammen. Der Kurswert des Wertpapierbesitzes betrug lt. einem vorgelegten Depotauszug am 31. Dezember 1981 1.078.827,66 DM abzüglich Kontoguthaben in Höhe von 11.085,28 DM.
Die Verwaltung des Wertpapierbestandes erfolgte durch die Bank AG.
Für den Veranlagungszeitraum 1981 reichte die Klägerin eine Körperschaftsteuererklärung ein, aus der sie Einkünfte aus der Beteiligung an der M. KG in Höhe von 34.230 DM erklärte. Das Finanzamt (FA) erteilte am 2. Februar 1983 einen Körperschaftsteuerbescheid, in dem es diese Einkünfte der Besteuerung unterwarf. Diesen Bescheid änderte das FA am 22. Februar 1985 wegen der Berücksichtigung eines Verlustrücktrags gemäß § 10 d Einkommensteuergesetz (EStG) in Höhe von 9.635 DM.
Im Rahmen der Überprüfung der Steuerbefreiung wegen Verfolgung gemeinnütziger Zwecke legte die Klägerin ihre Einnahmen- und Ausgabenrechnung für die Jahre 1981 bis 1983 vor. Wegen des Inhalts dieser Aufstellung wird auf Bl. 93 bis 99 der Körperschaftsteuerakte Bezug genommen. Der Umfang des An- und Verkaufs von Wertpapieren veranlaßte das FA, mit Schreiben vom 31. Januar 1986 anzufragen, ob und in welcher Höhe Spekulationsgewinne im Sinne des § 23 EStG angefallen seien. Die Klägerin legte daraufhin ein Schreiben der ... Bank ... - Vermögensverwaltung - vom 7. März 1986 vor, aus der folgende Gewinne und Verluste ersichtlich sind:
1981 | |
---|---|
Spekulationsgewinne | 13.239,04 DM |
Spekulationsverluste | 3.672,51 DM |
Saldo | 9.566,00 DM |
1982 | |
Spekulationsgewinne | 1.681,73 DM |
Spekulationsverluste | |
1983 | |
Spekulationsgewinne | 38.303,77 DM |
Spekulationsverluste | 1.391,93 DM |
Saldo | 36.911,84 DM. |
Das FA änderte daraufhin u.a. den Körperschaftsteuerbescheid 1981 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO und erhöhte das zu versteuernde Einkommen um den Spekulationsgewinn in Höhe von 9.566 DM; der Verlustrücktrag aus dem Jahr 1983 entfiel, weil in 1983 wegen des ebenfalls erfolgten Ansatzes von Spekulationsgewinn in Höhe von 36.912 DM ein positives zu versteuerndes Einkommen entstand.
Gegen den Ansatz des Spekulationsgewinns richtet sich nach erfolglosem Einspruchsverfahren die Klage, zu deren Begründung die Klägerin vorträgt: Sie unterhalte keinen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb im Sinne des § 14 AO. Dies schon deshalb nicht, weil sie nicht selbständig tätig geworden sei. Die Verwaltung des Wertpapierbestandes sei der M. Bank ... übertragen gewesen, die den vertraglichen Auftrag gehabt habe, das Vermögen zu verwalten, nicht aber zu spekulieren. Sie, die Klägerin, habe lediglich einen Hinweis zur Aufteilung des zu verwaltenden Vermögens auf festverzinsliche Wertpapiere und Aktien gegeben. Umschichtungen im Depot als Spekulationsgeschäfte habe die ... Bank eigenmächtig vorgenommen.
Abgesehen davon sei auch durch die Spekulationstätigkeit der ... Bank der Bereich der Vermögensverwaltung nicht überschritten. Vermögensverwaltung bedeute Substanzerhaltung und Fruchtziehung. Deshalb stelle bei Wertpapieren die Umschichtung, auch in größerem Umfang, noch eine private Vermögensverwaltung dar. Sie diene gerade der Substanzerhaltung, wenn durch den Verkauf bei Kursverfall Verlusten vorgebeugt werden solle. Ebenso erfordere die Substanzerhaltung die Anlage in rentableren Alternativen.
Im übrigen sei die hier vorgenommene Umschichtung in der Größenordnung von ca. 500.000 DM gemessen am Depotbestand von ca. 1.000.000 DM relativ gering. Denn die Hälfte des Depots sei überhaupt nicht umgeschichtet worden. Von einer intensiven Umschichtung sei allenfalls dann zu sprechen, wenn der gesamte Depotbestand mehrmals im Jahr umgesetzt worden wäre. Im vorliegenden Fall habe immer nur die Erzielung möglichst hoher Dividenden bzw. Zinsen im Vordergrund gestanden, nicht aber die Erzielung von Spekulationsgewinnen.
Als alledem folge, daß der Bereich der Vermögensverwaltung nicht überschritten und ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb im Sinne des § 14 AO nicht gegeben sei.
Die Klägerin beantragt,
den Einspruchsbescheid vom 9. Juni 1987 aufzuheben und den Körperschaftsteuerbescheid 1981 in der Fassung vom 4. März 1987 dahingehend zu ändern, daß von einem zu versteuernden Einkommen von 24.590 DM auszugehen sei.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an seiner Auffassung fest, daß im vorliegenden Fall von einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb im Sinne des § 14 AO auszugehen sei, der den Bereich der privaten Vermögensverwaltung übersteige. Da die Klägerin Spekulationsgeschäfte im Sinne des § 23 EStG vorgenommen habe, sei die Grenze zur Vermögensverwaltung überschritten.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Steuerakte - St.Nr.: ... - Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Das FA hat zu Unrecht die Einkünfte aus Wertpapiergeschäften als solche aus einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb behandelt.
Die Klägerin ist gemäß § 5 Nr. 9 Körperschaftsteuergesetz (KStG) von der Körperschaftsteuer befreit. Denn sie verfolgt nach ihrer Satzung gemeinnützige Zwecke im Sinne des § 52 AO. Sie hat sich die Förderung von Wissenschaft und Forschung als Stiftungszweck gesetzt. Zweifel an der Gemeinnützigkeit der Klägerin, insbesondere an den satzungsmäßigen Voraussetzungen und der tatsächlichen Verwirklichung der satzungsmäßigen Zwecke, bestehen nicht. Das FA hat derartige Zweifel nicht vorgetragen; sie sind auch nicht aus den Akten ersichtlich.
Gemäß § 5 Nr. 9 Satz 2 KStG i.V.m. § 64 AO entfällt die Begünstigung der Körperschaftsteuerbefreiung insoweit, als die als gemeinnützig anzuerkennende Körperschaft einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb im Sinne des § 14 AO unterhält, der nicht als Zweckbetrieb anzusehen ist.
Die Klägerin unterhält einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, der der Körperschaftsteuerpflicht unterliegt, nur insoweit, als sie an der M. KG als Kommanditist in beteiligt ist. Denn die Beteiligung an einer Personengesellschaft als Komplementär oder Kommanditist gilt wegen der Mitunternehmereigenschaft als wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb (Tipke-Kruse, Kommentar zur AO und FGO, § 14 Anm. 8).
Hinsichtlich der Einkünfte aus ihren Wertpapiergeschäften unterliegt sie nicht der Körperschaftsteuerpflicht.
Die Erzielung von Spekulationseinkünften im Sinne des § 23 EStG begründet allein keine Körperschaftsteuerpflicht einer als gemeinnützigen Zwecken dienend anerkannten Körperschaft.
Denn ein solcher Besteuerungstatbestand ist im KStG für solche Körperschaften nicht genannt. Die Körperschaftsteuerbefreiung ist gemäß § 5 Nr. 9 Satz 2 KStG nur insoweit ausgeschlossen, als ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb unterhalten wird.
Einen solchen unterhält die Klägerin hinsichtlich ihres Wertpapierbestandes nicht. Was als wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb anzusehen ist, bestimmt sich wegen der Verweisungsvorschrift des § 64 AO gemäß § 14 AO. Danach ist ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb eine selbständige nachhaltige Tätigkeit, durch die Einnahmen oder andere wirtschaftliche Vorteile erzielt werden und die über den Rahmen einer Vermögensverwaltung hinaus geht.
Im vorliegenden Fall fehlt es an einer selbständigen Tätigkeit der Klägerin. Der Selbständigkeitsbegriff des § 14 Satz 1 AO ist identisch mit den nämlichen Begriffen der §§ 15 Abs. 2, 18 EStG, 1 Abs. 1 Gewerbesteuerdurchführungsverordnung und 2 Abs. 1 Umsatzsteuergesetz (Tipke-Kruse, a.a.O., § 14 Anm. 5). Das Steuer rechtliche Merkmal der Selbständigkeit verlangt nach ständiger Rechtsprechung das Vorliegen von Unternehmerrisiko und Unternehmerinitiative bei eigener Betätigung (Schmidt, Kommentar zum EStG, 7. Aufl., § 15 Anm. 5).
Im vorliegenden Fall fehlt es an dem Merkmal der eigenen Initiative der Klägerin. Im Rahmen der verzinslichen Anlage von Kapitalvermögen wird eine solche nur angenommen, wenn zu diesem Zwecke ein eigenes Büro und eine eigene Organisation unter Einsatz beruflicher Erfahrungen bei der Durchführung derartiger Geschäfte unterhalten wird (Urteil des BFH vom 6. Dezember 1983 VIII R 172/83, BStBl II 1984, 132).
Eine solche Initiative, die zur Begründung eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs führen würde, entfaltete die Klägerin nicht. Sie war dazu mangels des Sachverstandes ihrer Vorstandsmitglieder im Wertpapieranlagebereich auch gar nicht in der Lage. Wie die Beauftragung der Wertpapierabteilung der Commerzbank in Hamburg zeigt, handelt es sich um den typischen Fall einer reinen Vermögensverwaltung. Hierzu gehören auch die bei der ordnungsgemäßen Verwaltung von Wertpapieren entstehenden Vermögensumschichtungen. Diese begründen auch dann nicht das Betreiben eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs, wenn es sich um ein umfängliches Wertpapiervermögen handelt (Tipke-Kruse, a.a.O., § 14 Anm. 8). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß die Klägerin gehalten war und ist, ihr den begünstigten satzungsmäßigen Zwecken dienendes Stiftungsvermögen ordnungsgemäß zu verwalten, um den gesetzlichen Anforderungen an die Gemeinnützigkeit zu genügen. Hierzu gehört bei einem Wertpapierbestand dessen gelegentliche Umschichtung. Mit Ausnahme des Sonderfalls des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs unterliegt eine gemeinnützige Körperschaft nicht der Ertragsbesteuerung nach dem Grundsatz der Leistungsfähigkeit, denn eine solche kann nicht entstehen, weil Mittel sogleich wieder für den begünstigten Zweck zu verausgaben sind. Aus diesem Grunde liegt auch keine Ungleichbehandlung mit natürlichen Personen vor, die im Falle der Erzielung von Spekulationsgewinnen gemäß § 22 Nr. 2, § 23 EStG der Besteuerung unterliegen.
Der Klage war nach alledem mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) stattzugeben. Die Stattgabe erforderte lediglich die Aufhebung des Einspruchsbescheids vom 9. Juni 1987 und des geänderten Körperschaftsteuerbescheids vom 4. März 1987, so daß der ursprüngliche Körperschaftsteuerbescheid vom 22. Februar 1985 ohne Berücksichtigung des Spekulationsgewinns, jedoch mit Berücksichtigung des Verlustrücktrags aus 1983 an die Stelle des angefochtenen Bescheids vom 4. März 1987 tritt.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 151 Abs. 3 und 1 FGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ff. Zivilprozeßordnung.