Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 30.05.2013, Az.: 2 A 533/12

Darlehen; Einkommen; Jahreseinkommen; Wohngeld

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
30.05.2013
Aktenzeichen
2 A 533/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 64473
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Sind Darlehensvereinbarungen zwischen nahen Verwandten nicht eindeutig und klar, können die aus diesen Vereinbarungen folgenden Zahlungen als wohngeldrechtliches Einkommen angesetzt werden.

2. Dasselbe gilt, wenn mit einer Rückzahlung der Verbindlichkeiten realistischer Weise nicht zu rechnen ist.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Bewilligung von höherem Wohngeld.

Der am ... geborene Kläger ist seit dem Wintersemester 1990/91 an der Georg-August-Universität für die Diplomstudiengänge Physik (44. Fachsemester) und Mathematik (38. Fachsemester) eingeschrieben; im Studienfach Physik fehlt ihm nach wie vor der Pflichtschein “Physikalisches Praktikum für Fortgeschrittene“; nach eigener Einschätzung wird er das Diplomstudium nicht abschließen können; neben dem Studium erteilt der Kläger Nachhilfeunterricht und erzielt hieraus monatliche Einkünfte von etwa 200,00 Euro. Der Kläger ist Mieter einer 91,60 qm großen Wohnung im G. in E.. Dabei werden 16 qm der Wohnfläche von ihm für seine berufliche Tätigkeit genutzt, weitere 32 qm sind untervermietet.

Der Kläger hat mit seinen Eltern verschiedene Darlehensverträge abgeschlossen, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung mit ca. 8.600,00 Euro valutieren; daneben hat ihm ein Herr H. weitere ca. 2.050,00 Euro darlehensweise zur Verfügung gestellt; mit einer weiteren Darlehensverpflichtung gegenüber dem Beamtenheimstättenwerk in Höhe von ca. 2.000,00 Euro belaufen sich seine Verbindlichkeiten auf ca. 12.600,00 Euro; wegen der Einzelheiten wird auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Hinzu kommen Zinsen und behauptete weitere Verbindlichkeiten gegenüber seinen Eltern, weil diese ab Oktober 2012 die Miete des Klägers darlehensweise übernehmen.

Am 29. November 2011 beantragte der Kläger bei der Beklagten erstmals Wohngeld ab dem 01. Oktober 2011. Mit Bescheid vom 24. Januar 2012 bewilligte die Beklagte Wohngeld für die Zeit vom 01. Oktober 2011 bis 31. März 2012 ohne Berücksichtigung der von den Eltern darlehensweise gewährten Geldmittel. Am 25. Juni 2012 stellte der Kläger einen Weiterleistungsantrag. Diesmal bezifferte er seine Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit mit monatlich 200,00 €.

Mit Bescheid vom 13. August 2012 bewilligte die Beklagte Wohngeld für die Zeit vom 01. Mai 2012 bis 31. August 2012 in Höhe von 15,00 € monatlich. Dabei berücksichtigte sie Darlehenszahlungen der Eltern des Klägers in Höhe von 600,00 Euro monatlich neben seinen Einkünften aus selbständiger Tätigkeit als dessen Einkommen. Zur Begründung führte sie an, es sei nicht absehbar, wie lange derartige Darlehenszahlungen durch die Eltern noch erfolgen würden und ob der zugewandte Betrag in absehbarer Zeit zurückgeführt werden würde.

Am 7. September 2012 hat der Kläger Klage erhoben.

Mit ihr begehrt er die Bewilligung von Wohngeld ohne die Berücksichtigung der Darlehensleistungen der Eltern als Einkommen. Ferner ist er der Auffassung, dass bei der Berechnung der zu berücksichtigungsfähigen Miete, die beruflich genutzten und untervermieteten Teile der Wohnung nicht lediglich anhand der Wohnfläche herausgerechnet werden dürften. Vielmehr müsse die im Untermietvertrag vereinbarte Kaltmiete als Maßstab mitberücksichtigt werden.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 08. August 2012 zu verpflichten, dem Kläger für den Zeitraum vom 1. April 2012 bis 31. August 2012 Wohngeldleistungen in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, bei den Darlehen seiner Eltern handele es sich um Einkommen des Klägers, weil eine Rückzahlung ungewiss sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 8. August 2012 ist rechtmäßig und der Kläger hat einen Anspruch auf höheres Wohngeld als 15,00 Euro monatlich nicht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Gemäß § 1 WoGG wird Wohngeld zur wirtschaftlichen Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnens als Zuschuss zur Miete oder zur Belastung geleistet. Ob und in welcher Höhe Wohngeld bewilligt wird, hängt gem. § 4 WoGG unter anderem von der berücksichtigungsfähigen Miete (§§ 9 ff. WoGG) und dem Jahreseinkommen des Wohngeldberechtigten (§§ 13 und 14 WoGG) ab; nach §§ 15 Abs. 1 Satz 1, 24 Abs. 2 Satz 1 WoGG werden bei der Ermittlung des Jahreseinkommen die Einnahmen zu Grunde zu legen sind, die zum Zeitpunkt der Antragstellung im Bewilligungszeitraum zu erwarten sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Januar 1990 – 8 C 58.89 –; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. April 2010 – 6 M 39.10 – und 22. April 2010 – 6 M 28.10 –).

Nach § 14 Abs. 1 WoGG ist Jahreseinkommen grundsätzlich die Summe der positiven Einkünfte im Sinne von § 2 Abs. 1 und 2 EStG. Als wiederkehrender Bezug im Sinne von § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG können auch Unterhaltszahlungen bei der Ermittlung des Jahreseinkommens nach dem WoGG zu berücksichtigen sein. Würde hingegen nach §§ 22 Nr. 1 Satz 2 und 3 EStG eine steuerliche Berücksichtigung von Unterhaltszahlungen beim Empfänger nicht erfolgen, erweitert § 14 Abs. 2 Nr. 19 WoGG das Jahreseinkommen um diejenigen Unterhaltsbeträge, die steuerlich nicht beim Empfänger zu berücksichtigen wären. Dabei muss es sich um Bezüge in Geld oder Geldeswert handeln, die in gewissen Zeitabständen wiederkehren und die die Leistungsfähigkeit des Empfängers stärken. Vorliegend hat der Kläger über einen Zeitraum von 11 Monaten regelmäßige Geldleistungen von den Eltern erhalten. Aufgrund seines geringen sonstigen Einkommens, stützten diese Zahlungen auch wesentlich die Bestreitung seines Lebensunterhaltes.

Bei wertender Betrachtung handelt es sich bei den wiederkehrenden Zahlungen der Eltern an den Kläger im Rahmen nicht um Darlehen, sondern um verdeckte Schenkungen bzw. freiwillige Unterhaltsleistungen. Diese sind dem Jahreseinkommen hinzuzurechnen.

Dabei ist zunächst darauf abzustellen, ob zwischen dem Kläger und seinen Eltern ein zivilrechtlich wirksamer Darlehensvertrag abgeschlossen worden ist. Dies ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls sorgsam zu ermitteln und umfassend zu würdigen. Um der Gefahr eines Missbrauchs von Steuermitteln entgegenzuwirken, sind an den Nachweis des Abschlusses eines Darlehensvertrages unter Verwandten strenge Anforderungen zu stellen. Dies setzt voraus, dass sich die Darlehensgewährung auch anhand der tatsächlichen Durchführung klar und eindeutig von einer verschleierten Schenkung oder einer verdeckten, auch freiwilligen Unterhaltsgewährung abgrenzen lässt (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.9.2008, BVerwGE 132,10 zur Ausbildungsförderung und BSG, Urt. v. 17.6.2010, BSGE 106, 185 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende).

Gemessen an diesen Kriterien kann von wirksamen Darlehensvereinbarungen zwischen dem Kläger und seinen Eltern nicht ausgegangen werden; die Vereinbarungen sind nicht klar und eindeutig bzw. werden nicht wie vereinbart durchgeführt.

In den insgesamt drei Darlehensvereinbarungen vom 9. Februar 2011, ergänzt durch die Vereinbarung vom 18. Dezember 2011, vom 25./26. Oktober 2011 und vom 5. April 2012 ist neben der Bereitstellung einer bestimmten Darlehenssumme auch die Verzinsung dieser Summe geregelt; die Zinsen betragen in der Reihenfolge der aufgeführten Darlehen 5 % ab 1. Januar 2012, 8 % ab 1. April 2012 bzw. 8 % ab 1. September 2012. Indes zahlt der Kläger eigenem Bekunden nach keinerlei Zinsen. Die Darlehensvereinbarungen sind daher nicht wie vereinbart umgesetzt. Mit dem Argument, es sei vereinbart, dass die Zinsen erst mit der Rückzahlung des Darlehens selbst fällig werden und erst dann zu zahlen seien, vermag der Kläger nicht durchzudringen. Ein solcher Aufschub der Fälligkeit lässt sich keiner der Vereinbarungen entnehmen. Sollte diese Zinsregelung vom Kläger und seinen Eltern so gewollt gewesen sein, hat sie jedenfalls in den jeweiligen Vertragstext keinen Eingang gefunden. Insoweit muss sich der Kläger entgegenhalten lassen, dass die Regelung entgegen den gesetzlichen Vorgaben eben nicht klar und eindeutig ist.

Soweit der Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung behauptet hat, auch die Übernahme der Mietkosten durch seine Eltern ab Oktober 2012 erfolge lediglich darlehensweise, fehlt es im Übrigen ebenfalls an einer klaren und eindeutigen Regelung.

Unabhängig davon und selbständig die Entscheidung tragend kommt hinzu, worauf die Kammer, bestätigt durch Beschluss des Nds. Oberverwaltungsgerichts vom 9. April 2013, bereits in ihrem Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss vom 4. März 2013 hingewiesen hat, dass davon auszugehen ist, dass dem Kläger die angeblich nur darlehensweise überlassenen Mittel tatsächlich dauerhaft zur eigenen Verfügung verbleiben. Denn mit einer Rückzahlung ist realistischer Weise nicht zu rechnen.

Für den Lebensunterhalt verwendete Zuwendungen können dann als Einkommen im Rahmen des Wohngeldgesetzes gewertet werden, wenn zwar von einem wirksam abgeschlossenen Darlehensvertrages auszugehen ist, aber mit der Rückzahlung des Darlehens – bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise – überhaupt nicht oder nur bei Eintritt eines ungewissen Ereignisses gerechnet werden kann (OVG Münster, Beschlüsse vom 26. Januar 2011 - 14 A 425/10- und vom 10. November 2009 - 12 E 276/09 -; OVG Schleswig, Urteile vom 19. Juni 2008 - 2 LB 43/07 - und vom 23. April 2008 - 2 LB 46/07 -; VGH München, Beschluss vom 23. Dezember 2004 - 9 C 04.2900 -; VG Berlin Urteil vom 21. Juni 2010 - 21 K 186.10 -). Denn Zuwendungen können wohn-geldrechtlich nur dann außer Betracht bleiben, wenn sich deren Zufluss als vorübergehend darstellt. Ist bei einer wertenden Betrachtung jedoch trotz wirksamen Darlehensvertrages davon auszugehen, dass mir einer Rückzahlung nicht ohne weiteres gerechnet werden kann, verbleiben die Zahlungen faktisch endgültig beim Wohngeldberechtigten und müssen entsprechend berücksichtigt werden. Dabei sind u.a. Gesichtspunkte wie die Dauer einer darlehensweisen Finanzierung eines Teils des Lebensunterhalts, die Höhe des entstehenden Gesamtdarlehens, das Bestehen einer Unterhaltspflicht, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Darlehensgebers, die Prognose, das Darlehen in absehbarer Zeit zurückzuzahlen oder die sichere Erwartung, in nächster Zukunft zu Geld zu kommen, zu berücksichtigen. Ferner ist zu beachten, dass auch bei einem Bankkredit das Kreditinstitut nicht sicher sein kann, ob das Darlehen inklusive Zinsen regelmäßig tatsächlich zurückgezahlt wird oder ob ggf. Umschuldungen nötig sein werden. Ist die Rückzahlungsprognose indes zu düster, dürfte die Bank regelmäßig Abstand von einer Darlehensauszahlung nehmen.

Nach den vom Kläger vorgelegten Verträgen hat er Darlehensschulden in Höhe von ca. 12.600,00 Euro; nach seinem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung kommen seit Oktober 2012 weitere monatliche Verbindlichkeiten aus der Übernahme der Miete durch seine Eltern in Höhe von bisher ca. 4.800,00 Euro hinzu; wenn es zutrifft, dass die Zinsen erst ab Rückzahlung fällig werden sollen, so ergibt sich für die drei Darlehen eine weitere Verbindlichkeit in Höhe von ca. 1.000,00 Euro. Mithin belaufen sich die Verbindlichkeiten des Klägers derzeit auf ca. 18.000,00 Euro. Diese Verbindlichkeiten will der Kläger eigenem Vorbringen nach durch monatliche Ratenzahlungen in Höhe von 280,00 Euro tilgen. Selbst wenn man davon ausginge, dass er sofort mit der Tilgung begönne und keine weiteren Zinsverbindlichkeiten aufliefen, dauerte die Tilgung dieser Schulden länger als 60 Jahre. In Anbetracht der Tatsache, dass der Kläger bereits das 45. Lebensjahr vollendet hat, bedeutet dies, dass mit einer vollständigen Tilgung der Schulden zu Lebzeiten des Klägers nicht – mehr – zu rechnen ist. Ob und ggf. wann der Kläger seine Ausbildung beendet ist in Anbetracht dessen rechtlich unerheblich.

Schließlich ergeben sich an der von der Beklagten berücksichtigten Miethöhe keinerlei Zweifel. § 11 Abs. 2 WoGG knüpft für die Frage, welche Mietanteile zur Berechnung des Wohngeldes außer Betracht bleiben, in den hier maßgeblichen Nrn. 1 und 2 jeweils an der Wohnfläche an „Teil des Wohnraumes“. In Fällen der entgeltlichen Überlassung von Wohnraum bleibt die Miete also insoweit außer Betracht, als sie im Verhältnis der Wohnflächen auf den überlassenen Wohnraum entfällt Insofern ist die Berechnung der Beklagten nicht zu beanstanden. Lediglich wenn das Entgelt die auf den überlassenen Wohnraum nach dem Verhältnis der Wohnflächen entfallende Miete übersteigt oder eine flächenbezogene Absetzung nicht möglich ist, wird das Entgelt in voller Höhe von der Miete abgesetzt. Beides ist hier nicht der Fall.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.