Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 18.06.2013, Az.: 12 U 26/13
Haftung des Lieferanten bei Verdacht der Dioxinbelastung von Futtermitteln
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 18.06.2013
- Aktenzeichen
- 12 U 26/13
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2013, 42191
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2013:0618.12U26.13.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BGH - 22.10.2014 - AZ: VIII ZR 195/13
Rechtsgrundlage
- § 24 LFGB
Fundstellen
- AUR 2013, 383-384
- AUR 2014, 335-336
- LMuR 2013, 168-170
- MDR 2013, 11
Amtlicher Leitsatz
1. Der auf konkreten Tatsachen beruhende Verdacht einer Dioxinbelastung von Futtermitteln begründet eine Mangelhaftigkeit der Kaufsache.
2. § 24 LFBG begründet eine verschuldensunabhängige Haftung.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin und Widerbeklagten gegen das Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg vom 28. Januar 2013 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt vom Beklagten Zahlung des Kaufpreises für Futtermittellieferungen im März/April 2012. Insoweit steht ihr unstreitig ein Anspruch in Höhe von 20.067,68 € zu. Der Beklagte macht gegen die Klägerin Schadenersatzansprüche wegen Umsatzeinbußen infolge früherer Futtermittellieferungen, die seiner Auffassung nach dioxinbelastet waren, in Höhe von 43.438,29 € sowie Erstattung des Kaufpreises für geliefertes Legemehl in Höhe von 6.553,40 € geltend. Insoweit erklärt er die Aufrechnung in Höhe der Klageforderung und macht den überschießenden Betrag von 29.924,01 € im Wege einer Widerklage geltend.
Dem Schadensersatzanspruch des Beklagten liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin belieferte den Beklagten am 23. und 26. November 2010 mit Futtermitteln. Bei einer am 24. November 2010 im Betrieb der Klägerin durchgeführten Untersuchung wurde festgestellt, dass das hergestellte Mischfutter mit Dioxin in einer über dem Grenzwert liegenden Konzentration belastet war. Ursächlich hierfür waren Fette, die die Klägerin von der H .... und J .... GmbH in U .... bezogen hatte. Nach weiteren Untersuchungen wurden am 22. Dezember 2010 im Betrieb des Beklagten zwei Hühnerställe gesperrt. Den durch die Entsorgung der produzierten Eier entstandenen Schaden in Höhe von 54.721,36 € hat die Klägerin dem Beklagten ersetzt. Gegenstand des Rechtsstreits ist ein weiterer Schaden durch Umsatzeinbußen in Höhe von 43.438,29 €.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und die Klägerin auf die Widerklage hin zur Zahlung von 23.370,61 € verurteilt. Im Übrigen hat es die Widerklage abgewiesen. Der (unstreitige) Zahlungsanspruch der Klägerin sei durch Aufrechnung erloschen. Dem Beklagten stehe ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 43.438,29 € wegen dioxinbelasteter Futtermittellieferungen vom 23. und 26. November 2010 zu. Dabei könne es dahingestellt bleiben, ob die Futtermittel tatsächlich dioxinbelastet gewesen seien. Für die Verwertbarkeit der Futtermittel und das Vorliegen eines Sachmangels komme es allein auf den von der Klägerin nicht entkräfteten Verdacht einer Dioxinbelastung an. Im Übrigen habe die Klägerin durch den vorprozessual geleisteten Schadensersatz die Dioxinbelastung zugestanden. Die Klägerin hafte gemäß § 24 LFGB für den adäquat verursachten Schaden verschuldensunabhängig. Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin.
Die Klägerin meint, das Landgericht habe die Mangelhaftigkeit der Futtermittellieferungen zu Unrecht bejaht, weil es sich auf eine Rechtsprechung stütze, die erkennbar für andere Fallkonstellationen entwickelt worden sei. Außerdem seien die Anforderungen an die Bejahung eines Verdachtsmangels nicht erfüllt. Die Rechtsprechung des BGH zur Haftung des Verkäufers bei dem bloßen Verdacht eines Mangels bei Lebensmitteln könne auf Futtermittel allenfalls dann übertragen werden, wenn diese - anders als hier - gesundheitsschädlich seien. Eine Beeinträchtigung der Wiederverkäuflichkeit der betroffenen Ware sei von vornherein nicht zu befürchten gewesen. Schließlich gingen die Entscheidungen von einer verschuldensabhängigen Mängelhaftung aus. Der angebliche Verdacht der Mangelhaftigkeit stütze sich statt auf konkrete Tatsachen auf eine allgemeine Verunsicherung der Öffentlichkeit durch den "Dioxinskandal". Ein Schadensersatzanspruch scheitere in jedem Fall daran, dass die Klägerin eine etwaige Mangelhaftigkeit nicht zu vertreten habe. Der Auffassung des Landgerichts, die Klägerin hafte gemäß § 24 LFGB verschuldensunabhängig, sei unzutreffend und verfassungsrechtlich bedenklich. Das Gutachten des Sachverständigen S .... beziehe sich nicht darauf, ob die in dem Gutachten festgestellten Schäden der Klägerin adäquat kausal zugerechnet werden könnten. Der vom Beklagten geltend gemachte Schaden sei allenfalls mittelbar auf eine Handlung der Klägerin zurückzuführen, weil die Eier unstreitig verkehrsfähig gewesen seien.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts
1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 20.067,68 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11. September 2012 zuzahlen,
2. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 1.379,80 € zu zahlen,
3. die Widerklage abzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verteidigt das Urteil des Landgerichts nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung. Die Klägerin habe die Dioxinbelastung des von ihr gelieferten Futtermittels selbst eingeräumt. Im Übrigen begründe schon der bloße Verdacht einer gesundheitsgefährdenden Verseuchung einen Mangel. § 24 LFBG statuiere eine verschuldensunabhängige Haftung i. S. d. § 443 Abs. 1 BGB. Der der Höhe nach unstreitige Schaden sei von der Klägerin auch adäquat kausal verursacht worden.
Wegen der Einzelheiten des beiderseitigen Parteivortrags wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Der unstreitige Kaufpreisanspruch der Klägerin in Höhe von 20.067,68 € ist durch die Aufrechnung des Beklagten mit dem ihm gemäß §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 BGB zustehenden Schadensersatzanspruch in Höhe von 43.438,29 € nach § 389 BGB erloschen. Wegen des verbleibenden Differenzbetrages in Höhe von 23.370,61 € ist die Widerklage begründet.
Die Futtermittellieferungen der Klägerin im November 2010 waren mangelhaft im Sinne des § 434 Abs. 1 BGB. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin das Vorliegen eines Mangels ausreichend bestritten hat. Vorprozessual ist sie ausweislich ihres Schreibens vom 8. März 2011 und des von ihr an den Privatsachverständigen S .... erteilten Auftrags selbst von einer Belastung des von ihr gelieferten Futtermittels mit überhöhten Dioxinwerten ausgegangen und hat deshalb dem Beklagten Schadensersatz geleistet. Weitergehende Zahlungen hat die Klägerin danach nur abgelehnt, weil sie den zusätzlich geltend gemachten Schaden nicht zu vertreten habe. Welche Erkenntnisse nunmehr ein Bestreiten rechtfertigen, wird aus dem Vortrag der Klägerin nicht deutlich.
Das von der Klägerin gelieferte Futter eignete sich schon deshalb nicht zur gewöhnlichen Verwendung, weil der auf konkreten Tatsachen beruhende Verdacht einer Dioxinbelastung bestand. Ein solcher Verdacht kann seinerseits einen Mangel darstellen, wenn er qualitätsmindernd ist (Palandt/Weidenkaff, BGB, 72. Aufl. § 434 Rn. 58; Bamberger/Roth/Faust, BGB, 3. Aufl. § 434 Rn. 71; MüKo/Wester-mann, BGB, 6. Aufl. § 434 Rn. 76; Staudinger/Matusche-Beckmann, BGB, Bearbeitung 2004, § 434 Rn. 176). Eine Qualitätsminderung in diesem Sinne kann beispielsweise darin liegen, dass der Verdacht fehlender Eignung den Weiterverkauf gelieferter Lebensmittel hindert (vgl. OLG Karlsruhe NJW-RR 2009, 134 [OLG Karlsruhe 25.06.2008 - 7 U 37/07]; BGH MDR 2005, 972 [BGH 02.03.2005 - VIII ZR 67/04]). Nichts anderes gilt bei der Lieferung eines in der Lebensmittelkette verwendeten Futtermittels, wenn auf Grund des Verdachts mittelbar die Vermarktung des produzierten Lebensmittels behindert wird. Denn zur Eignung eines in der Lebensmittelkette verwendeten Futtermittels zum gewöhnlichen Gebrauch gehört auch, dass dieses verwendet werden kann, ohne die Weiterveräußerung des produzierten Lebensmittels zu behindern. Es macht keinen Unterschied, ob der Verdacht unmittelbar zur Unverkäuflichkeit der Kaufsache oder - wie hier lediglich mittelbar - zur Unverkäuflichkeit der mit der Kaufsache produzierten Lebensmittel führt. In diesem Sinne spricht auch der Gesetzgeber im Aktionsplan "Verbraucherschutz in der Futtermittelkette" zusammenfassend von unbedenklichen Futtermitteln und sicheren Lebensmitteln (BT-Drs. 17/5953 S. 1). Insofern ist die Auffassung der Beklagten, die zum Verdachtsmangel bei Lebensmitteln entwickelten Grundsätze ließen sich auf den vorliegenden Fall nicht übertragen, inhaltlich unzutreffend. Sie ist auch sachlich falsch, weil die Rechtsprechung zum Verdachtsmangel nicht nur Lebensmittel, sondern auch andere Gegenstände wie Hausschwamm oder Feuchtigkeit im Hausfundament betrifft (vgl. BGH NJW-RR 2003, 772 [BGH 07.02.2003 - V ZR 25/02][BGH 07.02.2003 - V ZR 25/02]; 87, 1415; NJW 2001, 64 [BGH 20.10.2000 - V ZR 285/99]; LG Bonn NJW 2004, 74). Unerheblich ist auch, inwieweit tatsächlich eine Gefährdung für den Endverbraucher bestand. Bereits der dahingehende konkrete Verdacht begründet die in der schlechteren Verwertbarkeit liegende Mangelhaftigkeit.
Die Haftung der Klägerin entfällt nicht dadurch, dass sie die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB). § 24 LFBG begründet eine verschuldensunabhängige Haftung (Wehlau, LFGB, § 24 Rn. 7; Boch LFGB § 24 Rn. 1; ders. ZLR 2013, 111).
Nach der zur Zeit der Futtermittellieferungen geltenden Fassung des § 24 LFBG übernimmt der Verkäufer die Gewähr für die handelsübliche Reinheit und Unverdorbenheit, wenn er bei der Abgabe von Futtermitteln keine Angaben über deren Beschaffenheit macht. Da die Klägerin derartige Angaben nicht gemacht hat, muss sie sich so behandeln lassen, als hätte sie eine Garantie für die Mangelfreiheit der Futtermittel abgegeben. Bereits für die im Wortlaut identische Regelung des § 6 FMG hat der BGH (BGHZ 57, 292) in solchen Fällen eine Zusicherung im Sinne des § 459 Abs. 2 BGB a. F. angenommen. Der vom Gesetzgeber gewollte Schutz des Tierhalters sei nur dann gegeben, wenn der Verkäufer nicht nur im Rahmen der allgemeinen Mängelhaftung für handelsübliche Reinheit und Unverdorbenheit einzustehen habe. Damit haftete der Verkäufer im Falle der Unreinheit oder Verdorbenheit des Futtermittels verschuldensunabhängig. Mit den nachfolgenden § 7 Abs. 3 FMG und § 24 LFGB a. F. wurde diese, die Rechte eines Futtermittelkäufers "stärkende Regelung" beibehalten (vgl. BT-Drs. 17/5953 S. 18; Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand November 2011 § 24 LFGB Rn. 1). Würde die Regelung ein Verschulden voraussetzen, hätte sie praktisch keinen Anwendungsbereich, da die Gewährleistungsansprüche des Käufers bei der Lieferung von nicht der handelsüblichen Reinheit und Unverdorbenheit entsprechendem und damit mangelhaftem Futter sich bereits aus §§ 434ff BGB ergäben. Es kann nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber lediglich aus deklaratorischen Gründen eine Norm übernimmt, ohne ihr eine (eigenständige) Bedeutung zu geben (Boch ZLR 2013, 111, 117). Das Bedürfnis für eine verschuldensunabhängige Haftung besteht auch nach der Schuldrechtsreform fort. Zwar setzt danach ein Anspruch auf Ersatz von Mangelfolgeschäden keine Zusicherung des Verkäufers mehr voraus. Nach dem Regelungssystem des BGB hängt der Anspruch gleichwohl davon ab, dass der Verkäufer den Mangel gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB zu vertreten hat. Der vom Gesetzgeber von jeher gewollte Schutz des Käufers wird somit nur durch eine Auslegung des § 24 LFGB erreicht, die ein Verschulden nicht voraussetzt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem vom Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vom 4. Juni 2013 in Kopie überreichten und als Anlage zum Protokoll genommenen Antrag des Landes Niedersachsen (BR-Drs. 151/2/13). Dabei kann dahinstehen, ob es in der Bundesratsinitiative letztlich nur um eine Versicherungspflicht für Futtermittelunternehmer und die Verbesserung behördlicher Koordination und Informationsübermittlung geht. Selbst wenn man die Bundesratsinitiative im Sinne der Beklagten als Indiz gegen eine verschuldensunabhängigen Haftung nach § 24 LFGB für Fälle der vorliegenden Art verstünde, handelte es sich doch nur um eine politische Absichtserklärung, die der - wie bereits ausgeführt - klaren historischen Auslegung des § 24 LFGB widerspräche. Nach Auffassung des Senats bedarf es keiner (neuen) gesetzlichen Regelung für Vermarktungsverluste aufgrund von vermeintlichen Verdachtsfällen.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Annahme einer verschuldensunabhängigen Garantiehaftung bestehen nicht. Der erforderliche Schutz des Käufers rechtfertigt die Einstandspflicht des Verkäufers, ohne dass dieser unangemessen benachteiligt wird. Das Risiko der Mangelhaftigkeit des Futtermittels auf Grund von Umständen, die in der Sphäre seines Lieferanten liegen, hat der Verkäufer zu tragen. Es bleibt ihm überlassen, seinerseits Regressansprüche gegen den Lieferanten geltend zu machen. Dessen Insolvenzrisiko muss nicht der Endabnehmer des Futtermittels, sondern der Verkäufer als sein direkter Vertragspartner tragen.
Der vom Beklagten geltend gemachte Schaden ist der Klägerin auch als adäquat verursacht zuzurechnen. Der für die Ersatzpflicht gemäß §§ 249ff BGB erforderliche Zurechnungszusammenhang wird in der Regel nur dadurch unterbrochen, dass der Schaden erst mittelbar durch die Handlung eines Dritten eintritt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn dem Dritten ein absolut ungewöhnliches, in keinster Weise nachvollziehbares Fehlverhalten anzulasten ist (Palandt/Gründeberg aaO. vor § 249 Rn. 47). Davon kann hier nicht ausgegangen werden. Die Nichtabnahme der vom Beklagten produzierten Eier zum ursprünglich vereinbarten Preis durch dessen Kunden liegt auch nach der Aufhebung der Handelssperre nicht außerhalb der Lebenserwartung. Selbst wenn nach aktuellen Untersuchungen die Grenzwerte wieder unterschritten waren, lag ein zögerliches Kaufverhalten der Verbraucher und ein Einbruch von Markt und Preisen nahe.
III.
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.