Landgericht Aurich
Beschl. v. 05.11.1993, Az.: 3 T 200/93
Bibliographie
- Gericht
- LG Aurich
- Datum
- 05.11.1993
- Aktenzeichen
- 3 T 200/93
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1993, 29498
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Leer - 24.05.1993 - AZ: 2 XVII H 46
In der Betreuungssache
...
hat die 3. Zivilkammer des Landgerichts Aurich durch die unterzeichneten Richter am 05. November 1993 beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde der Betreuerin wird der Beschluß des Amtsgerichts Leer vom 24.05.1993 - 2 XVII H 46 - dahingehend geändert, daß die Vergütung und der Aufwendungsersatz der Betreuerin für die Zeit vom 10.03.1993 bis zum 30.04.1993 auf 312,80 DM gegen die Landeskasse festgesetzt wird.
Gründe
Das Amtsgericht Leer - Vormundschaftsgericht, Rechtspfleger -hat durch Beschluß vom 24.05.1993 die Vergütung und den Aufwendungsersatz der Berufsbetreuerin vom 10.03.1993 bis zum 30.04.1993 auf 262,80 DM festgesetzt. Dabei hat das Amtsgericht für fünf Stunden einen Stundensatz von 50,-- DM zugrundegelegt.
Gegen diesen Beschluß richtet sich die Erinnerung der Betreuerin, die unter Berufung auf die Entscheidung des Amtsgerichts Uelzen vom 12.06.1992 (FamRZ 92, 1349) einen Stundensatz von 60,-- DM begehrt.
Die Landeskasse vertritt dazu unter Berufung auf den Beschluß des Landgerichts Paderborn vom 23.07.92 (5 T 189/92) (siehe auch Landgricht Paderborn 5 T 190/92, Rechtspfleger 93, 19) die Auffassung, daß nach den im vorliegenden Einzelfall objektiv erforderlichen Fachkenntnissen und den mit der Führung der Betreuung verbundenen Schwierigkeiten ein Stundensatz vom 50,-- DM angemessen sei.
Die Erinnerung ist gemäß §§ 11 Abs. 1 S. 1 Rechtspflegergesetz, 19, 20 FGG als Beschwerde zulässig und in der Sache auch begründet. Gem. § 1908 i i.V.m. § 1836 Abs. 2 BGB ist der Berufsbetreuerin eine Vergütung zu bewilligen. Diese Vergütung darf nach § 1836 Abs. 2 S. 2 BGB dem Höchstbetrag dessen entsprechen, was einem Zeugen als Entschädigung für seinen Verdienstausfall gewährt werden kann. Gem. § 2 Abs. 2 ZSEG beträgt der Höchstsatz der Zeugenentschädigung für versäumte Arbeitszeit 20,-- DM/Stunde. Nach § 1836 Abs. 2 S. 3 BGB kann die Vergütung bis zum Dreifachen erhöht werden, soweit die Führung der Betreuung besondere Fachkenntnisse erfordert oder mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist; sie kann bis zum Fünffachen erhöht werden, wenn im Einzelfall Umstände hinzutreten, die die Besorgung bestimmter Angelegenheiten außergewöhnlich erschweren.
Die wortwörtliche Anwendung der Vorschriften der § 1836 Abs, 2 S. 2 und 3 begegnet verfassungsrechtlichen und auch sonstigen Bedenken.
Soweit die Führung der Betreuung weder besondere Fachkenntisse erfordert, noch mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist, wäre sie nach § 1836 Abs. 2 S. 2 BGB mit einem Stundensatz von 20,-- DM abzugelten. Es liegt auf der Hand, daß dieser Stundensatz keine angemessene Vergütung für einen Berufsbetreuer darstellt. Für einen Berufsbetreuer ist die Führung der Betreuung Teil seiner durch Artikel 12 Abs. 1 Grundgesetz geschützten Berufsausübung. Es stellt sich als eine übermäßige, durch keine Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigte Einschränkung der freien Berufsausübung i.S.v. § 12 Abs. 1 GG dar, einem Berufsbetreuer, dessen ordnungsgemäße Aufgabenerledigung auch im öffentlichen Interesse liegt, eine angemessene Entschädigung kraft Gesetzes vorzuenthalten (s. dazu auch Bundesverfassungsgericht NJW 1980, S. 2179, 2180 [BVerfG 01.07.1980 - 1 BvR 349/75]).
Insoweit ist nicht ausschlaggebend, ob der Berufsbetreuer die Übernahme der Betreuung freiwillig oder gezwungenermaßen übernimmt. Maßgebend ist allein die Tatsache der Inanspruchnahme durch den Staat als solche, der der Betreuer nur im Rahmen seiner Berufstätigkeit nachkommen kann. Hierfür ist er angemessen zu entschädigen (s. Bundesverfassungsgericht aaO).
Ebenso ist es für die Abgeltung des einzelnen Betreuungsfalles ohne Belang, ob der Betreuer neben den "einfachen" Betreuungen solche führt, für die die Voraussetzungen des § 1836 Abs. 2 S. 3 BGB vorliegen, er also für die Tätigkeit in diesen Fällen bis zum dreifachen Gebührensatz liquidieren kann. Die Vergütung des Betreuers wird für jeden einzelnen Betreuungsfall gewährt. Sie kann nicht dazu dienen, nicht gedeckte Kosten auszugleichen, die dem Berufsbetreuer in Fällen erwachsen, in denen er nur den einfachen Satz abrechnen kann.
Ferner birgt eine unterschiedliche Vergütung des Berufsbetreuers je nach Schwere des Einzelfalles bis zum dreifachen Satz die Gefahr, daß der "geschäftstüchtige" Berufsbetreuer sich den Angelegenheiten, für die er den dreifachen Satz abrechnen kann, sehr viel zeitintensiver widmet als den. "normalen" Betreuungen, für die er nur den einfachen Satz erhält. Hierin liegt eine Gefahr für die Qualität der Betreuung in Normalfällen, die nicht gerechtfertigt ist. Denn es ist zu berücksichtigen, daß der Betreuer in einfachen Betreuungsfällen auch weniger Zeit aufwenden muß als in schwierigen Fällen. Aus dem unterschiedlichen Zeitaufwand für einfache und schwere Fälle erfolgt schon eine Differenzierung der Entschädigung des Betreuers für einfache und schwere Fälle.
Schließlich dürfte die Prüfung, ob die Führung der Betreuung besondere Fachkenntnisse erfordert oder mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist, in der Praxis bei sorgfältiger Handhabung durch den Rechtspfleger - für den Betreuer ist dies wirtschaftlich von ganz erheblicher Bedeutung -einen beträchtlichen Ermittlungsaufwand bedeuten, bei dem die Frage zu stellen ist, ob dieser im Kostenfestsetzungsverfahren seine Berechtigung hat. Ob die Führung der Betreuung besondere Fachkenntnisse erfordert, dürfte nicht nur von der Person des Betreuten abhängen - der Art und Weise und dem Ausmaß seiner Beeinträchtigung - , derartige Informationen dürften sich noch dem Beschluß entnehmen lassen, durch den die Betreuung eingerichtet wurde; besondere Fachkenntnisse könnten auch die vom Berufsbetreuer zu erledigende Angelegenheit erfordern, z.B. die Abwicklung eines Erbfalles, an der der Betreute beteiligt ist, obwohl nach der Person des Betreuten die Betreuung keine besonderen Fachkenntnisse erfordert. Der Schweregrad der vom Betreuer erledigten Angelegenheit läßt sich in diesen Fällen nur vom Betreuer erfragen und muß gegebenenfalls überprüft werden. Ein Urteil über den Schwierigkeitsgrad von Betreuungen dürfte je nach persönlicher Auffassung des Urteilenden durchaus unterschiedlich ausfallen und Rechtsunsicherheiten und Ungerechtigkeiten in der Vergütung der Berufsbetreuer mit sich bringen.
Nach Abwägung aller Umstände muß deshalb eine verfassungskonforme Auslegung des § 1836 Abs. 2 S. 2 und 3 BGB zu dem Ergebnis führen, daß dem Berufsbetreuer ein angemessener Vergütungssatz zusteht, wobei dieser Vergütungssatz gem. § 1836 Abs. 2 S. 3 BGB bis auf das Dreifache des Satzes des § 2 Abs. 2 ZSEG erhöht werden kann, wenn die Führung der Betreuung besondere Fachkenntnisse erfordert, d.h. Kenntnisse, die über den allgemeinen Wissensstandard von Berufsbetreuern hinausgehen, oder wenn die Führung der Betreuung mit ganz besonderen Schwierigkeiten verbunden ist, die über das Normalmaß hinausgeht. Der dreifache Stundensatz des § 2 Abs. 2 ZSEG bildet die Obergrenze des Vergütungssatzes, was nicht bedeutet, daß er in den vorgenannten Fällen generell auszuschöpfen ist; § 1836 Abs. 2 S. 3 BGB ist insoweit eine Ermessensvorschrift (s. Landgericht Lüneburg, FamRZ 1993, S. 359).
Eine angemessene Entschädigung des Berufsbetreuers muß sich auch an den Leistungsanforderungen orientieren, denen der Berufsbetreuer zu entsprechen hat. Da eine Betreuung aus ganz unterschiedlichen Gründen eingerichtet werden kann, sind bei demjenigen, der diese unterschiedlichen Betreuungen zu führen hat, notwendigerweise auch umfangreiche Kenntnisse auf unterschiedlichen Gebieten erforderlich. Es müssen nicht nur Fähigkeiten im persönlichen Umfang mit Alten, körperlich und psychisch Kranken, geistig Behinderten und Drogensüchtigen vorhanden sein. Auch Kenntnisse der Medizin, des allgemeinen Zivilrechts, des Betreuungs- und Sozialrechts sind von Nöten; ferner Geschick im Umgang mit Behörden und Institutionen. Derart qualifizierte Berufsbetreuer können, wie die Praxis zeigt, fast nur aus einem Personenkreis gewonnen werden, der über eine Fachhochschul- oder Hochschulausbildung verfügt, wie das beispielsweise bei Sozialpädagogen oder Rechtsanwälten der Fall ist.
Das Amtsgericht Uelzen (FamRZ 92, 1349) rechnet auf der Basis der Einstufung eines Sozialarbeiters in die Besoldungsgruppe A 10 überzeugend vor, daß danach ein Stundensatz für einen freiberuflichen Sozialarbeiter mit eigenem Büro von 60,-- DM angemessen ist.
Zu Recht weist auch Weinert, Rechtspfleger 1992, S. 330, darauf hin, daß die Führung von Vormundschaften Aufgabe der staatlichen Wohlfahrtspflege wäre, wenn sie nicht von Privaten erledigt werden würde. Er kommt zu dem Ergebnis, daß die Erledigung der Aufgabe durch den Staat allein an Lohnkosten bei der Einstufung des "Amtsvormundes" in die Besoldungsgruppe A 11 58,58 DM verursachen würde. Hinzu käme der Aufwand für Büro und Schreibkraft, der zu Kosten für eine Betreuerstunde von ca. 75,75 DM führen würde.
Die Kammer ist nach alledem der Auffassung, daß bei einem beruflich qualifizierten Berufsbetreuer - wie im vorliegenden Fall - bei der Vergütungsbemessung von einem Durchschnittsstundensatz von 60,-- DM auszugehen ist.
Die Frage, ob der vorliegende Betreuungsfall eine Erhöhung dieses Stundensatzes nach § 1836 Abs. 2 S. 3 BGB rechtfertigt, stellt sich nicht, da dieser Stundensatz bereits die Höchstgrenze darstellt.
Der Beschwerdewert wird auf 50,-- DM festgesetzt.