Landgericht Verden
Beschl. v. 03.12.2012, Az.: 1 T 163/12

Bibliographie

Gericht
LG Verden
Datum
03.12.2012
Aktenzeichen
1 T 163/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 44345
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG - 28.11.2012 - AZ: 10 XIV 1970 (L)

Tenor:

Auf die Beschwerde der Betroffenen vom 30.11.2012 wird der Beschluss des Amtsgerichts Rotenburg (Wümme) vom 28.11.2012 aufgehoben, soweit darin die Verabreichung von Medikamenten gegen den Willen der Betroffenen genehmigt wurde.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I. Mit Beschluss vom 26.11.2012 hat das Amtsgericht gemäß §§ 1, 14, 16, 17 NPsychKG auf Antrag des Landkreises die Unterbringung der Betroffenen in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses durch einstweilige Anordnung längstens bis zum 07.01.2013 angeordnet. Ferner hat das Amtsgericht auf Antrag des Diakoniekrankenhauses ... mit Beschluss vom 28.11.2012 die zeitweise Fixierung der Betroffenen sowie die Verabreichung der Medikamente Haloperidol (bis zu 20 mg/d) und Diazepam (bis 40 mg/d) nach ausdrücklicher Anordnung des behandelnden Arztes bis längstens zum 07.01.2013 genehmigt.

Die Betroffene hat mit Schreiben vom 30.11.2012 „Widerspruch“ gegen den „Beschluss vom 26.11.2012“ eingelegt.

II. Das Rechtsmittel der Betroffenen ist als Beschwerde sowohl gegen die einstweilige Unterbringung als auch gegen die Genehmigung der Fixierung und der Zwangsmedikation auszulegen.

Die Beschwerde ist zulässig und entscheidungsreif, soweit sie sich gegen die Genehmigung der Zwangsmedikation richtet. Das hiergegen gerichtete Rechtsmittel ist, ohne dass es insoweit auf den Inhalt der im Hinblick auf das weitergehende Rechtsmittel angeforderten fachärztlichen Stellungnahme ankäme, begründet und führt zur Teilaufhebung des angefochtenen Beschlusses.

Es besteht gegenwärtig keine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für eine Zwangsmedikation im Rahmen einer Unterbringung nach dem NPsychKG.

In §§ 16, 17 Abs. 3 NPsychKG ist geregelt, dass das Betreuungsgericht auf Antrag der zuständigen Behörde über die Unterbringung nach dem vorgenannten Gesetz entscheidet und anordnen kann, dass der Betroffene durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig in seiner Freiheit zusätzlich beschränkt werden solle. Nach § 21 Abs. 1 NPsychKG erhält der Untergebrachte während der Unterbringung die nach anerkannter ärztlicher Kunst gebotene Heilbehandlung, wenn der Betroffene oder, wenn dieser insoweit nicht einwilligungsfähig ist, sein Betreuer gemäß Absatz 2 eingewilligt. Ohne eine derart erklärte Einwilligung, hat der Untergebrachte nach Absatz 3 der Vorschrift eine Heilbehandlung - mit Ausnahme der von § 1904 BGB umfassten Fälle - zu dulden, wenn diese notwendig ist, um diejenige Krankheit oder Behinderung, wegen derer die Unterbringung erfolgt ist, zu heilen bzw. zu lindern, oder um die Gesundheit anderer Personen zu schützen.

Diese Vorschriften stellen jedoch nach Auffassung der Kammer vor dem Hintergrund der jüngsten höchstrichterlichen Rechtsprechung keine hinreichende formelle Rechtsgrundlage für eine Zwangsbehandlung dar.

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits im Jahre 2011 für den Bereich des strafrechtlichen Maßregelvollzugs entschieden (vgl. BVerfG - 2 BvR 882/09 - NJW 2011, 2113 ff.; 2 BvR 633/11 - NJW 2011, 3571 [BVerfG 12.10.2011 - 2 BvR 633/11]), dass die Zwangsbehandlung eines Untergebrachten nur auf der Grundlage eines Gesetzes zulässig sei, welches die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Eingriffs selbst bestimme. Das gelte nicht nur für die materiellen, sondern auch für die formellen Eingriffsvoraussetzungen. Es stehe dem Eingriffscharakter der Zwangsbehandlung nicht entgegen, dass diese zum Zwecke der Heilung vorgenommen werde. Auch die krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit des Untergebrachten ändere nichts daran, dass eine gegen seinen natürlichen Willen erfolgende Behandlung, welche ihn in seiner körperlichen Integrität berühre, einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG darstelle, der von dem Betroffenen als besonders bedrohlich erlebt werde. Deshalb müsse die Eingriffsnorm  - der Intensität des Grundrechtseingriffs Rechnung tragend - die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Eingriffs hinreichend klar und genau bestimmen. Der Betroffene müsse die Rechtslage klar erkennen und sein Verhalten danach einrichten können, die gesetzesausführende Verwaltung ihrerseits steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe vorfinden. Die Anforderungen an den Grad der Klarheit und Bestimmtheit sind umso strenger, je intensiver der Grundrechtseingriff ist, den die Norm vorsieht (zu Vorstehendem insgesamt: BVerfG - 2 BvR 882/09 - NJW 2011, 2113 ff. [BVerfG 23.03.2011 - 2 BvR 882/09], Tz. 72 - 74 m.w.N.).

Auf dieser Grundlage hat der Bundesgerichtshof (vgl. Beschlüsse vom 20.06.2012 - XII ZB 99/12 und XII ZB 130/12) jüngst die Zwangsbehandlung im Rahmen einer betreuungsrechtlichen Unterbringung nach § 1906 BGB mangels ausreichender Rechtsgrundlage für unzulässig erklärt.

Nach Auffassung der Kammer sind die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aber in gleicher Weise auf die Unterbringung psychisch kranker Personen mit dem Ziel präventiver Gefahrenabwehr nach dem NPsychKG zu übertragen, weil sich auch der nach diesem Gesetz Untergebrachte in einer Situation außerordentlicher Abhängigkeit befindet, in der er besonderen Schutzes dagegen bedarf, dass seine Grundrechte nicht etwa aufgrund unzureichender Personalausstattung der Unterbringungseinrichtung, eingeschliffener Betriebsroutinen oder aus anderen Gründen unzureichend beachtet werden.

Die Vorschriften des NPsychKG zur Genehmigung einer Zwangsbehandlung entsprechen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht. Weder für den von der Unterbringungsmaßnahme Betroffenen noch für die Mitarbeiter der Unterbringungseinrichtung sind die wesentlichen Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung zur Erreichung des Vollzugsziels aus dem Gesetz hinreichend erkennbar. § 21 NPsychKG regelt nicht, wie vor Beginn einer Zwangsbehandlung im Falle des Abs. 2 Satz 2 das Erfordernis einer krankheitsbedingt fehlenden Einsichtsfähigkeit festgestellt und dokumentiert werden soll. Abs. 3 der Vorschrift ermöglicht Behandlungen gegen den erklärten Willen auch dann, wenn der Betroffene selbst einwilligungsfähig ist. In diesem Fall ist für eine Zwangsbehandlung lediglich Voraussetzung, dass diese zur Erreichung des Vollzugsziels „notwendig“ ist. Damit ist jedoch das verfassungsmäßige Gebot der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme nicht hinreichend beachtet. Das Gesetz enthält selbst keine weitergehenden Anweisungen, wie die Zwangsbehandlung durchzuführen ist, insbesondere nicht zur Auswahl der konkret anzuwendenden Maßnahmen, ihrer Art und Dauer einschließlich der Auswahl und Dosierung der einzusetzenden Medikamente und begleitenden Kontrolluntersuchungen. Es fehlen ferner Regelungen dazu, dass die Zwangsbehandlung nicht mit Belastungen verbunden sein dürfen, welche außer Verhältnis zum erwarteten Nutzen stehen, und dass die Zwangsbehandlung ultima ratio sein muss. Die Vorschrift des § 21 NPsychKG bestimmt nicht, dass die Zwangsbehandlung erst zulässig ist, wenn der ernsthafte Versuch unternommen worden ist, eine Zustimmung des Untergebrachten zu erreichen. Entgegen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts fehlt es auch an einer gesetzlichen Regelung der wesentlichen zur Wahrung der Grundrechte notwendigen verfahrensrechtlichen Voraussetzungen, wie Vorgaben zur Dokumentation, Prüfung der Zwangsbehandlungsvoraussetzungen durch eine von der Unterbringungseinrichtung unabhängige ärztliche Stelle sowie zur Ankündigung der Maßnahme gegenüber dem Betroffenen zur Ermöglichung vorbeugenden Rechtsschutzes. Die Vorschriften des FamFG vermögen diese im NPsychKG fehlenden verfahrensrechtlichen Regelungen nicht zu ersetzen (vgl. BGH - Beschlüsse vom 20.06.2012 - XII ZB 99/12 und XII ZB 130/12; früher bereits ebenso zu § 21 NPsychKGOLG Celle Beschl. v. 10.08.2005 - 17 W 37/05 - zitiert nach juris).

Deshalb war vorliegend die vom Amtsgericht beschlossene Genehmigung der Zwangsbehandlung der Betroffenen aufzuheben.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 128 b KostO, 337 Abs. 1 FamFG.

Die Entscheidung ist unanfechtbar gemäß § 70 Abs. 4 FamFG.