Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 14.11.2001, Az.: 2 A 2189/00

Einkommensberechnung; Kostenbeitrag; Unterhaltsbetrag

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
14.11.2001
Aktenzeichen
2 A 2189/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 39356
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zur Errechnung der Einkommensgrenze bei der Erhebung eines Kostenbeitrages unter Berücksichtigung von sozialhilferechtlich unangemessen hohen Unterkunftskosten

Tatbestand:

1

Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung eines Unterhaltsbetrages nach § 94 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII sowie gegen einen aufgrund § 93 Abs. 1 SBG VIII erlassenen Kostenbeitragsbescheid des Beklagten.

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Der Kläger ist der leibliche Vater der am 21.11.1983 geborenen S., die vom Jugendamt des Beklagten in der Zeit vom 13.07. bis 31.10.1998 gemäß § 42 Abs. 1 Nr. 2 in Obhut genommen und in der Jugendhilfeeinrichtung "K" in R. untergebracht worden war. Hierfür fielen Kosten in Höhe von 13.653,- DM (111 Tage x 123,- DM) an. Bereits mit Schreiben vom 16.11.1998 hatte der Beklagte den Kläger unter anderem darauf hingewiesen, dass auf ihn eine Kostenbeitragsverpflichtung nach § 93 SGB VIII zukommen werde, und ihn gebeten, seine wirtschaftlichen Verhältnisse darzulegen. Dem kam der Kläger zunächst nicht nach, so dass sich der Beklagte an den Arbeitgeber des Klägers, die Firma S. aus H., wandte und unter anderem Auszüge aus einem Lohnjournal von 1998, dass die Kalendermonate Januar bis September umfasste, erhielt. Hiernach erzielte der Kläger in diesen 9 Monaten ein

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durchschnittliches (um Steuern und Sozialversicherungsbeiträge bereinigtes) Nettoeinkommen in Höhe von 3.382,14 DM je Monat. Nach Anhörung des Klägers setzte der Beklagte auf dieser Grundlage mit Bescheid vom 08.05.2000 einen Kostenbeitrag in Höhe von monatlich 739,07 DM für die Zeit vom 13.07. bis 31.10.1998 fest. Folgende Berechnung stellte der Beklagte dabei an:

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Nettoeinkommen 1998:             3.382,14 DM

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Kindergeld, 2 x            440,00 DM

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abzüglich Freibetrag Vater   -1.036,00 DM

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abzüglich Freibetrag Ehefrau, 2 Kinder

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(3 x 436,00 DM)     -1.308,00 DM

9

            1.478,14 DM

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davon 50 % (§ 84 BSHG)            739,07 DM

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Den hiergegen am 09.06.2000 eingegangenen Widerspruch begründete der Kläger mit seiner wirtschaftlichen Lage. Er legte ein Urteil des Amtsgericht K. - Familiengericht - zum Aktenzeichen  vom 14.04.1997 vor, wonach er u. a. verurteilt wurde, an seine Tochter einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 295,29 DM zu zahlen. Ferner legte der Kläger einen Mietvertrag über das von ihm und seiner Familie in H. bewohnte Haus (Mietzins monatlich 1.200,- DM) sowie einen Kraftfahrzeughaftpflichtversicherungsschein für den von ihm gehaltenen Pkw mit amtlichem Kennzeichen  (1/4 jährlicher Haftpflichtbeitrag 338,00 DM) sowie Bezügeabrechnungen seines Arbeitgebers für das gesamte Jahr 1998, jedoch mit Ausnahme des Monats August, vor. Unter Zugrundelegung der für das gesamte Jahr 1998 vorgelegten Bezügeabrechnungen errechnet sich ein durchschnittliches Nettoeinkommen in Höhe von 3.447,80 DM (41.373,61 DM : 12).

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Mit Schreiben (ebenfalls) vom 08.05.2000 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er ab dem 01.11.1998 für S. Jugendhilfeleistungen in Form von Heimerziehung nach § 34 SGB VIII gewähre, wobei kalendertäglich Kosten in Höhe von 123,00 DM entständen. Nach Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers sei ihm ab dem 01.06.2000 die Zahlung eines Unterhaltsbetrages in Höhe von monatlich 375,00 DM zuzumuten. Für die Zeit vom 01.11.1998 bis zum 31.05.2000 sei bis zum 15.06.2000 ein Betrag in Höhe von 7.125,00 DM nachzuzahlen.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 30.6.2000 reduzierte der Beklagte sodann den vom Kläger geforderten Kostenbeitrag auf monatlich 233,07 DM, wobei er folgende Berechnung anstellte:

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monatliches Nettoeinkommen 1998:             3.382,14 DM

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2 x Kindergeld pro Monat            440,00 DM

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abzüglich Freibetrag Vater:  -1.036,00 DM

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abzüglich Freibetrag Ehefrau, 2 Kinder:            -1.308,00 DM

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abzüglich anerkannte Mietkosten:             -1.012,00 DM

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Summe:            466,14 DM

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- des Betrages als allgemeiner Kostenbeitrag:             233,07 DM

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Der Beklagte ging bei seiner Berechnung somit von dem ursprünglich auf der Basis der Monate Januar bis September 1998 errechneten Nettoeinkommen aus und berücksichtigte als angemessen lediglich Unterkunftskosten in Höhe von 1.012,00 DM. Eine vollständige Anrechnung der Unterkunftsaufwendungen könne nicht hingenommen werden, da sich dann infolge der unangemessen hohen Miete die Zahlungen für seine Tochter reduzieren würden. Aufwendungen für die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung wurden ebenfalls nicht berücksichtigt.

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Der Kläger hat am 07.08.2000 Klage erhoben. Er trägt vor, sich sowohl gegen den Unterhaltsbetrag als auch gegen den Kostenbeitrag wenden zu wollen, und führt zur Begründung im wesentlichen aus, dass er seiner Kostenbeitragsverpflichtung durch Zahlung des monatlichen laufenden Unterhalts in Höhe von 295,29 DM für S. im vollen Umfang genügen würde. Weitere Ansprüche, die darüber hinaus gingen, hätte der Beklagte nicht.

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Der (in der mündlichen Verhandlung weder erschienene noch vertretene) Kläger

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beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 08.05.2000 in Form des Widerspruchsbescheides vom 30.06.2000 aufzuheben und festzustellen, dass der Kläger gegenüber dem Beklagten nicht zur Zahlung von Unterhaltsbeträgen verpflichtet ist.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er weist darauf hin, dass die Festsetzung eines Unterhaltsbetrages mit Schreiben vom 08.05.2000 kein Verwaltungsakt sei und lediglich die Höhe des verlangten Unterhaltes beziffern würde; insoweit sei die Klage unzulässig. Im Übrigen verteidigt er den angefochtenen Kostenbeitragsbescheid und meint, dass die vom Kläger für den streitbefangenen Zeitraum erbrachten Unterhaltsleistungen für S. zu Händen der Kindesmutter nicht bei der Berechnung berücksichtigt werden dürften.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat nur zum Teil Erfolg.

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Soweit sich der Kläger gegen die Festsetzung eines Unterhaltsbetrages nach § 94 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII wendet, ist die Klage unzulässig, denn das Schreiben des Beklagten vom 08.05.2000 stellt keinen Verwaltungsakt dar. Es enthält nämlich keine der Anfechtung zugängliche Regelung eines Sachverhaltes, sondern benennt lediglich (für sich gesehen ohne direkte rechtliche Auswirkungen) denjenigen Teil der Unterhaltsansprüche der Tochter des Klägers, der infolge der Heimunterbringung auf den Jugendhilfeträger von Gesetzes wegen übergeht mit der Folge, dass der Beklagte ihn vor dem Amtsgericht einklagen kann. Dort kann der Kläger alle Einwendungen erheben. Da ihm insoweit ausreichender Rechtsschutz geboten wird, besteht für den (auf dem Verwaltungsgerichtsweg) geltend gemachten Feststellungsanspruch kein Rechtsschutzinteresse.

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Zulässig und begründet ist indessen die Klage gegen den Kostenbeitragsbescheid des Beklagten vom 08.05.2000.

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Rechtsgrundlage für den streitbefangenen Kostenbeitrag sind §§ 91 Abs. 1 Nr. 6, 92 Abs.  3, 93 Abs. 1, 2 und 4 SGB VIII. Hiernach werden die Eltern eines Kindes zu den Kosten der Inobhutnahme herangezogen, wobei sich der Umfang der Heranziehung nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit richtet. Diese ist in Anlehnung an die Vorschriften der § 76 ff BSHG zu berechnen, wobei insbesondere die Vorschrift des § 79 Abs. 1 BSHG (Errechnung der allgemeinen Einkommensgrenze) eine Rolle spielt. Nach dieser Norm errechnet sich die Einkommensgrenze wie folgt:

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Grundfreibetrag des Kostenbeitragspflichtigen in Höhe von (für das Jahr 1998) 1.036,00 DM

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Kosten der Unterkunft, soweit die Aufwendungen hier für den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang nicht übersteigen,

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einen Familienzuschlag in Höhe von (für das Jahr 1998) 436,00 DM pro unterhaltsberechtigter Personen, mithin im Falle des Klägers 1.308,00 DM

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Entgegen der Auffassung des Beklagten ist nicht nur einen Betrag von 1.012,00 DM pro Monat für angemessene Mietaufwendungen, sondern die komplette vom Kläger zu entrichtende Kaltmiete in Höhe von 1.200,00 DM anrechnungsfähig. Für eine 5-köpfige Familie ist dieser Betrag, der für die Anmietung eines Einfamilienhauses aufgewandt wird, nicht unangemessen hoch. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass bei der Auslegung des sozialhilferechtlichen unbestimmten Rechtsbegriffs "angemessener Umfang" der Mietkosten zu bedenken ist, dass Kostenbeitragspflichtige nach Jugendhilferecht eben nicht nur Sozialhilfeempfänger sind, denen Wohnraum nur im bescheidenen Umfange zugestanden wird, sondern gleichfalls Bürger mit höherem Durchschnittseinkommen. Es ist demnach sachgerecht, im Regelfall (und so auch hier) die kompletten Unterkunftskosten anzuerkennen und im Wege der Einzelfallbetrachtung nur dann die vollen Mietkosten nicht anzuerkennen, wenn sie als reine "Luxusausgaben" zu qualifizieren wären. Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend Fall jedoch nicht gegeben.

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Somit sind monatlich 3.544,00 DM vom Einkommen des Klägers in Abzug zu bringen. Hinsichtlich der Berechnung des maßgeblichen Einkommens des Klägers liegen darüber hinaus weitere Rechtsfehler des Beklagten vor. Zum einen sieht die Kammer keinen Grund, der Berechnung lediglich die Einkünfte des Klägers in den Monaten Januar bis September zugrunde zu legen, wo doch bereits im Laufe des Widerspruchsverfahrens auch die Bezüge des Klägers, die er in den Monaten Oktober bis Dezember 1998 hatte, dem Beklagten bekannt geworden sind. Nach richtiger Berechnung errechnet sich ein (bereits oben dargelegtes) monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 3.447,80 DM, das allerdings - und auch hier ist der Beklagte nicht korrekt vorgegangen - zu reduzieren ist um die monatlichen Aufwendungen für die Kfz-Haftpflichtversicherung (§ 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG) in Höhe von monatlich 112,67 DM, so dass sich ein berücksichtigungsfähiges Nettoeinkommen von 3.335,13 DM errechnet. Danach ergibt sich folgende weitere Berechnung:

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monatliches Nettoeinkommen von 1998:             3.335,13 DM

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zuzüglich Kindergeld             440,00 DM

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abzüglich Freibetrag Kläger -1.036,00 DM

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abzüglich Freibetrag für Ehefrau und 2 Kinder -1.308,00 DM

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abzüglich Unterkunftskosten     -1.200,00 DM

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Summe:             191,13 DM

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davon - als allgemeiner Kostenbeitrag:             95,57 DM pro Monat.

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Aber auch in dieser Höhe braucht der Kläger keinen Kostenbeitrag leisten, denn der Beklagte hat es versäumt, die Unterhaltszahlungen des Kläger an seine Tochter S., die zu Händen des Rechtsanwaltes und seiner geschiedenen Ehefrau erfolgen, in Höhe von monatlich 295,29 DM zu seinen Gunsten zu berücksichtigen. S. ist nämlich im Rahmen der Anwendung von § 79 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII eine weitere "überwiegend" vom Kläger unterhaltene Person. Der Kläger als barunterhaltspflichtiger Elternteil deckt exakt 50 % des Unterhaltsanspruchs seiner Tochter ab. Die anderen 50 % des Unterhaltsanspruchs von S. hatte die Kindesmutter durch Naturalunterhalt abzudecken. Unterhaltsgewährung in exakter Höhe von 50% Umfang müssen aber bei der Einkommensberechnung nach § 76 BSHG berücksichtigt werden, andernfalls käme keinem Elternteil der "Familienzuschlag" zugute (vgl. Brühl, LPK-BSHG, § 79 Rn 21f). Dass der Gesetzgeber eine solche Konsequenz gewollt hätte, ist nicht ersichtlich.

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Aber auch dann, wenn man dieser Rechtsauffassung nicht folgen würde, führte dies zu  keinem anderen Ergebnis. Denn dann müsste man bei der Feststellung des Umfangs der Heranziehung nach § 93 SGB VIII die Unterhaltszahlung als einen Fall des Abs. 6 Satz 2 2. Alternative (besondere Härte) ansehen, weil es ansonsten faktisch zu einer "doppelten" Unterhaltszahlung käme.

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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO und berücksichtigt das jeweilige Maß des Obsiegens und Unterliegens der Beteiligten.

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Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO