Amtsgericht Stadthagen
Urt. v. 31.01.2007, Az.: 41 C 519/04 (II)
Aufklärung; Behandlungsfehler; Devitalisierung; Einwilligung; Indikation; Irreversibilität; Komplikation; Notdienst; Persönlichkeitsrecht; Pulpitis; Schadensersatz; Schmerzbehandlung; Schmerzensgeld; Sinusitis; Unvermeidbarkeit; Vermeidbarkeit; Verzögerung; Wurzelkanalbehandlung; Zahnarzt; Zahnschädigung
Bibliographie
- Gericht
- AG Stadthagen
- Datum
- 31.01.2007
- Aktenzeichen
- 41 C 519/04 (II)
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 71689
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 253 Abs 2 BGB
- § 823 Abs 1 BGB
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert wird auf bis zu 5.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die beklagte Zahnärztin auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Anspruch und begehrt die Feststellung, dass die Beklagte zum Ersatz sämtlicher materieller und immaterieller Schäden verpflichtet ist, die der Klägerin aus Anlass der zahnärztlichen Behandlung im Notdienst der Beklagten am 25.10.2003 künftig entstehen.
Wegen subjektiv fast unerträglicher Zahnschmerzen in linken oberen Kieferbereich hatte sich die Klägerin, die außerdem an einer Sinusitis (Nasennebenhöhlen-Entzündung) litt, zunächst am Vormittag und erneut am Nachmittag des 25.10.2003 in die Behandlung der Beklagten begeben. Die Beklagte fertigte zunächst eine Röntgenaufnahme, verschrieb der Klägerin u. a. ein Antibiotikum und entließ sie mit der Bitte, sich gegebenenfalls erneut vorzustellen.
Nachmittags erschien die Klägerin mit fortdauernden Schmerzen erneut in der Praxis der Beklagten, die eine endodontische (Wurzelkanal-) Behandlung an dem Zahn 24 durchführte.
Die Klägerin behauptet, die Beklagte habe den falschen Zahn behandelt. Ursache ihrer Schmerzen sei nicht Zahn 24, sondern der benachbarte Zahn 25 gewesen, den die nachbehandelnde Zahnärztin, die Zeugin K., zwei Tage später gezogen habe. Unnötig gewesen sei die Wurzelkanal-Behandlung an Zahn 24 und überdies nicht kunstgerecht erfolgt, weil der Bohrer seitlich am Zahn ausgetreten sei.
Die Klägerin hat weiter behauptet, die Beklagte habe sie mit keinem Wort über die Folgen und Risiken der Wurzelkanal-Behandlung an Zahn 24 aufgeklärt, „nach (ihrer) Erinnerung“ auch nicht über die Indikation, jedenfalls nicht „umfangreich“. Eine Überlegungszeit sei ihr gar nicht eingeräumt worden.
Die Klägerin ist der Ansicht, sie könne von der Beklagten ein Schmerzensgeld verlangen, weil deren Behandlung zu einer zumindest um zwei Tage verzögerten Schmerzbehandlung (Ziehen des Zahns 25) geführt habe. Außerdem habe die Beklagte den Zahn 24 geschädigt, so dass die Zeugin K. den Zahn 24 habe nachbehandeln, insbesondere eine so genannte Lappen-OP habe durchführen müssen; offen sei, ob noch weitere Behandlungen dieses Zahns erforderlich würden und ob er überhaupt erhalten werden könne.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld (nach ihrer Vorstellung: nicht unter 3.000,00 €) zu zahlen,
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihr aus der ärztlichen Fehlbehandlung vom 25.10.2003 noch entstehen werden, sofern sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, sei habe die Klägerin ordnungsgemäß aufgeklärt und behandelt.
Wegen der übrigen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin K. und durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens nebst Ergänzungsgutachten, die der Sachverständige schließlich mündlich erläutert hat. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Gutachten des Sachverständigen Dr. K. vom 04.11.2005 und 17.09.2006 (Bl. 72 ff. und 166 ff. d. A.) sowie auf die Sitzungsprotokolle vom 15.02.2006 (Bl. 148 ff. d. A.) und 20.12.2006 (Bl. 219 f. d. A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
I. Der Beklagten ist nicht nur kein Behandlungsfehler nachzuweisen, sie hat vielmehr die indizierte zahnärztliche Behandlung kunstgerecht durchgeführt.
Das folgt zur Überzeugung des Gerichts aus den ausführlichen und nachvollziehbaren Gutachten des Sachverständigen Dr. K. und ihrer besonders plausiblen mündlichen Erläuterung durch den Sachverständigen.
Danach war es - bei differentialdiagnostisch schwieriger Unterscheidung zwischen der bei der Klägerin bestehenden Sinusitis einerseits und andererseits auf einer Zahnerkrankung beruhenden Schmerzen - vertretbar, die Klägerin am Vormittag des Behandlungstages zunächst nur medikamentös zu behandeln und sie zu bitten, sich erforderlichenfalls später wieder vorzustellen (S. 22 d. G. v. 04.11.2005, Bl. 97 d. A.).
Die Beklagte hat dann am Nachmittag zutreffend den Zahn 25 als schmerzverursachend identifiziert (S. 23. d. G.), im Notdienst aber richtigerweise davon abgesehen, ihn zu ziehen (S. 24 d. G.). Der Sachverständige zitiert hierzu aus der zahnmedizinischen Literatur, dass vor solchen vermeintlich „einfachen“ Eingriffen nachts und am Wochenende zu warnen sei, weil sie sich „erfahrungsgemäß leicht zu langdauernden Operationen ausweiten“.
Aus zahnärztlich-sachverständiger Sicht korrekt hat sich die Beklagte stattdessen der Behandlung des ebenfalls schmerzverursachenden Zahns 24 zugewandt. Auf der Grundlage von ihr durchgeführter Sensibilitäts- und Perkussionstests hat die Beklagte zurecht eine irreversible Pulpitis diagnostiziert (S. 9/10 d. G. v. 17.09.2006, S. 176 f. d. A.), deren Behandlung im Notdienst am Nachmittag auch erforderlich war, nachdem sich die Befundsymptomatik an diesem Zahn seit dem Vormittag verstärkt hatte (S. 10 d. G.). Hier war die endodontische Behandlung des Zahns indiziert („Wenn die Pulpa irreversibel erkrankt ist, sollte diese komplett [...] entfernt und nachfolgend eine Wurzelkanalbehandlung (WK) durchgeführt werden“, S. 33 d. G. v. 04.11.2005).
Bei dieser Behandlung ist der von der Beklagten geführte Bohrer nicht seitlich am Zahn ausgetreten. Das hat der Sachverständige überzeugend im Termin am 20.12.2006 anhand der Röntgenbildreihe auf S. 21 d. G. v. 17.09.2006 (Bl. 188 d. A.) erläutert; darauf wird Bezug genommen.
Im Übrigen wäre eine solche Perforation eine Komplikation, aber kein Behandlungsfehler.
Diese Komplikation hat sich bei der nachbehandelnden Zahnärztin - nach heutigem Stand der zahnärztlichen Heilkunst: unvermeidbar - ergeben, die sie kunstgerecht behandelt hat.
Die Beklagte schuldet der Klägerin daher mangels Behandlungsfehler kein Schmerzensgeld.
II. Soweit die Klägerin vorgetragen hat, die Beklagte habe sie nicht ordnungsgemäß, „nach ihrer Erinnerung“ nicht über die Indikation zur Behandlung des Zahns 24 - was mit der Dokumentation der Beklagten nicht korrespondiert -, jedenfalls nicht „umfangreich“ - was auch nicht stets erforderlich ist - aufgeklärt, führt auch das nicht zu einem Schmerzensgeldanspruch. Letztlich geht es dabei um die Frage, ob die Klägerin in die zahnärztliche Behandlung durch die Beklagte wirksam eingewilligt hat, oder ob die Beklagte ohne Einwilligung der Klägerin behandelt hat.
Die Frage kann nach Auffassung des Gerichts ungeklärt bleiben, denn Schmerzensgeld hat die Funktion, dem Geschädigten einen Ausgleich für erlittene Schmerzen und Genugtuung für erlittenes Unrecht zu verschaffen.
1. In Streitfall ist allerdings nicht erkennbar, dass die Klägerin für etwa unter der Behandlung erlittene Schmerzen einen Ausgleich erhalten und ihr dafür Genugtuung verschafft werden müsste, denn sie hat - bei nach ihrer Darstellung ohnehin bestehenden, fast unerträglichen Zahnschmerzen - die indizierte zähnärztliche Behandlung kunstgerecht erhalten. Insoweit hat die Beklagte nichts zu entschädigen.
2. Soweit in der Behandlung der Klägerin ohne ihre wirksame Einwilligung eine Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts in seiner Ausprägung als Recht, selbstbestimmt Nutzen und Risiken einer ärztlichen Behandlung abzuwägen, liegen könnte, ist die Klägerin auch dafür nicht zu entschädigen.
Denn es müsste sich - erstens - um eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung handeln, die auch nicht - zweitens - auf andere Art und Weise als durch ein Schmerzensgeld ausgeglichen werden kann (Sprau, in: Palandt, BGB, 66. Aufl. 2007, § 823 Rn. 124 m. w. N.).
Beide Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Eine etwaige Persönlichkeitsrechtsverletzung durch eine nicht oder unzulänglich durchgeführte Aufklärung erscheint nicht schwerwiegend, selbst wenn hierbei in Rechnung gestellt wird, dass die Beklagte den Zahn 24 der Klägerin unumkehrbar devitalisiert hat. Hier kann schon die Zielrichtung der Beklagten nicht außer Betracht bleiben, die der Klägerin gerade nicht schaden, sondern ihr im Gegenteil - notfallmäßig - ihre Schmerzen nehmen wollte. Darüber hinaus waren medikamentöse Behandlungsalternativen erkennbar erschöpft und lag eine irreversible Pulpitis vor, die die durchgeführte Behandlung indizierte.
Selbst wenn aber die Persönlichkeitsrechtsverletzung als schwerwiegend anzusehen wäre, bedürfte sie keines Ausgleichs durch ein Schmerzensgeld, weil die Klägerin von der Behandlung der Beklagten profitiert hat.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils auf den Vorschriften der §§ 708 Nr. 11, 711, 709 S. 2 ZPO und die Streitwertfestsetzung auf §§ 3, 5 ZPO; dabei ist das Gericht von der Schmerzensgeldvorstellung der Klägerin ausgegangen und hat den Wert des Feststellungantrags auf nicht unter 1.500,00 € geschätzt.