Amtsgericht Stadthagen
Beschl. v. 20.10.2010, Az.: 70 II 1233/10

Bibliographie

Gericht
AG Stadthagen
Datum
20.10.2010
Aktenzeichen
70 II 1233/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 47938
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Umstände, die die Inanspruchnahme einer Schuldnerberatungsstelle im Einzelfall als unzumutbar erscheinen lassen, sind mit dem Antrag auf Bewilligung von Beratungshilfe im Einzelnen darzulegen und glaubhaft zu machen.

Tenor:

Die Erinnerung des Antragstellers vom 30.09.2010 gegen den Beschluss der Rechtspflegerin vom 28.09.2010 wird zurückgewiesen.

Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

Gründe

I. Der Antragsteller, der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bezieht, hat unter dem 09.07.2010 durch seinen Verfahrensbevollmächtigten Beratungshilfe in der Angelegenheit "außergerichtliche Insolvenz" beantragt. Nach seiner Darstellung hat er Verbindlichkeiten gegenüber verschiedenen Gläubigern in Höhe von rund 350.000,00 €.

Die Rechtspflegerin hat den Antrag durch Beschluss vom 28.09.2010 mit der Erwägung zurückgewiesen, dem Antragsteller stehe eine andere Möglichkeit für eine Hilfe zur Verfügung, deren Inanspruchnahme ihm zuzumuten sei (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG).

Der Antragsteller habe sich nämlich an eine Schuldnerberatungsstelle wenden können und müssen, die für die Durchführung des außergerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahrens und die Ausstellung der nach § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO erforderlichen Bescheinigung nicht nur besonders geeignet, sondern regelmäßig auch besonders qualifiziert sei.

Gründe, die die Inanspruchnahme einer Schuldnerberatungsstelle vorliegend als unzumutbar erscheinen lassen könnten, seien nicht ersichtlich.

Die Schuldnerberatungsstellen im hiesigen Gerichtsbezirk seien weder überlastet noch bestünden lange Wartezeiten.

Rechtliche Schwierigkeiten in der Angelegenheit des Antragstellers, die die Schuldnerberatungsstellen nicht bewältigen könnten, seien ebenfalls nicht ersichtlich.

Der gegen diesen Beschluss gerichteten Erinnerung des Antragstellers hat die Rechtspflegerin nicht abgeholfen.

II. Die nach § 6 Abs. 2 BerHG statthafte Erinnerung hat in der Sache keinen Erfolg. Die Rechtspflegerin hat den Antrag des Antragstellers, ihm Beratungshilfe für einen außergerichtlichen Schuldenbereinigungsversuch i. S. v. § 305 Abs: 1 Nr. 1 InsO zu bewilligen, mit Recht zurückgewiesen.

1. Die Frage, ob für einen außergerichtlichen Schuldenbereinigungsversuch i. S. v. § 305 Abs: 1 Nr. 1 InsO Beratungshilfe zu gewähren ist, wird in Rechtsprechung und Literatur uneinheitlich beantwortet.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Nichtannahmebeschluss vom 04.09.2006 - 1 BvR 1911/06 -, NJW-RR 2007, 347-348), ist eine Auslegung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG, derzufolge das Aufsuchen einer Schuldnerberatungsstelle grundsätzlich eine andere Möglichkeit für eine Hilfe darstellt, deren Inanspruchnahme dem Rechtsuchenden zuzumuten ist, einfachrechtlich gut vertretbar. Aus der gesetzlich vorgesehenen Vergütung der Tätigkeit eines Rechtsanwalts im Rahmen des außergerichtlichen Schuldenbereinigungsversuchs folge nicht, dass es unzulässig sei, den Schuldner zunächst an Schuldnerberatungsstellen zu verweisen und Beratungshilfe erst zu gewähren, wenn diese wegen Überlastung keine Hilfe leisten können. So habe der Gesetzgeber angenommen, dass in 70 Prozent der außergerichtlichen Einigungsversuche nach § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO der Schuldner von einer Schuldnerberatungsstelle unterstützt werde (vgl. BTDrucks. 14/5680, S. 18). Generell habe die Beratungshilfe nicht die von anderen, meist über besondere Sachkunde verfügenden Einrichtungen kostenfrei geleistete Beratung ersetzen, sondern diese ergänzen sollen (vgl. BRDrucks. 404/79, S. 14).

Diesem Verständnis des § 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG stehe ebenfalls nicht entgegen, dass gemeinnützige Schuldnerberatungsstellen staatliche Mittel erhalten und diese Art der Hilfeleistung für den Staat mithin nicht zwingend kostengünstiger als die Gewährung von Beratungshilfe sei. Ein derartiges Erfordernis sei der Vorschrift nämlich nicht zu entnehmen. Zudem seien die Schuldnerberatungsstellen wegen ihres umfassenden Ansatzes für die Durchführung des außergerichtlichen Schuldenbereinigungsversuchs nach § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht nur geeignet, sondern regelmäßig auch besonders qualifiziert.

Es sei im Einzelfall Sache des Schuldners, darzulegen und gegebenenfalls glaubhaft zu machen, dass ihm die Inanspruchnahme einer Schuldnerberatungsstelle, beispielsweise wegen zu langer Wartezeiten, nicht zuzumuten sei.

2. Nach diesem Maßstab konnte der Antrag des Antragstellers, ihm Beratungshilfe zu bewilligen, keinen Erfolg haben.

Er hat nämlich auch mit der Erinnerung keine Umstände vorgebracht, aus denen sich ergeben könnte, dass die Inanspruchnahme einer Schuldenberatungsstelle für ihn unzumutbar ist.

Solche Umstände sind auch nicht erkennbar. Längere Wartezeiten bei der Inanspruchnahme einer Schuldenberatungsstelle gibt es im hiesigen Gerichtsbezirk nicht, und das Vorbringen des Antragstellers lässt auf besondere rechtliche Schwierigkeiten seiner Angelegenheit nicht schließen.

Soweit der Antragsteller anführt, bisher sei bei dem hiesigen Amtsgericht Beratungshilfe noch nicht ein einziges Mal verweigert worden, lässt das offen, ob es sich um vergleichbare Sachverhalte gehandelt hat.

Im Übrigen ist das Gericht durch eine bisher ggf. abweichende Bewilligungspraxis nicht gehindert, die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer Schuldnerberatungsstelle künftig in gesetzeskonformer Weise kritischer zu hinterfragen.

Es wird daher künftig erforderlich sein, zu den Umständen, die die Inanspruchnahme einer Schuldnerberatungsstelle im Einzelfall als unzumutbar erscheinen lassen, im Einzelnen Vortrag zu halten und sie glaubhaft zu machen.