Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 06.07.1966, Az.: IV OVG A 33/65
Rechtmäßigkeit des Widerrufs der Gleichstellung mit einem Schwerbeschädigten; Bestehen eines berechtigten Interesses an der Aufrechterhaltung der Gleichstellung mit einem Schwerbeschädigten
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 06.07.1966
- Aktenzeichen
- IV OVG A 33/65
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1966, 14428
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1966:0706.IV.OVG.A33.65.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Schleswig-Holstein - 18.02.1965 - AZ: 8 A 196/63
- nachfolgend
- BVerwG - 11.01.1967 - AZ: BVerwG V B 162.66
Rechtsgrundlagen
- § 1 SchwBeschG
- § 2 Abs. 1 S. 1 SchwBeschG
Verfahrensgegenstand
Widerruf der Gleichstellung mit den Schwerbeschädigten
In der Personalvertretungssache
hat der IV. Senat des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein in Lüneburg
auf die mündliche Verhandlung vom 6. Juli 1966
durch
die Oberverwaltungsgerichtsräte Dr. Färber,
Dr. Wroblewski und Poetsch sowie
die ehrenamtlichen Verwaltungsrichter Ruprecht und Rösel
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Achte Kammer - vom 18. Februar 1965 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten der Berufung; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
I.
Der im Jahre 1903 geborene Kläger hat das Schlosserhandwerk erlernt, war aber von 1929 bis 1939 arbeitslos. Wegen verschiedener Leiden wurde er im Jahre 1938 den Schwerbeschädigten gleichgestellt und nunmehr im Jahre 1939 von der Reichspost als Facharbeiter eingestellt und als Ladewärter mit leichten Arbeiten beschäftigt. Er stieg zum Postoberwart auf und befand sich seit dem Jahre 1951 im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit. Die Gleichstellung war zuletzt im Januar 1945 bis auf Widerruf verlängert worden.
Infolge Automatisierung des Fernsprechwesens fiel der Arbeitsplatz des Klägers im Jahre 1958 weg und mangels einer anderen geeigneten Beschäftigung die Erwerbsfähigkeit des Klägers war nach amtsärztlichem Gutachten vom 23. November 1953 dauernd um etwa 80 v.H. gemindert - hat der Kläger seitdem nach eigenem Vortrag "praktisch nicht mehr gearbeitet". Zum 1. Juli 1960 wurde er wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt, nachdem außer ihm selbst der Vertrauensmann der Schwerbeschädigten beim Fernmeldeamt ... und die Hauptfürsorgestelle für Schwerbeschädigte bei der Sozialbehörde der ... gehört worden waren. Die Klage, mit der sich der Kläger gegen die Versetzung in den Ruhestand wandte, blieb in drei Rechtszügen ohne Erfolg (Urteile des Verwaltungsgerichts vom 28. März 1961, des Oberverwaltungsgerichts vom 16. August 1962 und des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. November 1964). Im Laufe jenes Prozesses erfuhr der Beklagte, daß der Kläger schon seit langem Beamter auf Lebenszeit war. Mit Bescheid vom 20. März 1963 widerrief er die Gleichstellung mit den Schwerbeschädigten, da diese erfolgt sei, um dem Kläger den Arbeitsplatz bei der Post zu erhalten, der Kläger aber dieses Schutzes nicht mehr bedürfe, nachdem er in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit berufen worden sei; die Voraussetzungen für die Gleichstellung seien entfallen. Den Widerspruch des Klägers wies der Widerspruchsausschuß durch Bescheid vom 30. September 1963 zurück.
Gegen diese Bescheide hat sich der Kläger mit der Klage gewandt und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Der Widerruf seiner Gleichstellung mit den Schwerbeschädigten sei rechtswidrig, das Gesetz enthalte keine Bestimmung, nach der die Gleichstellung von Beamten auf Lebenszeit zu widerrufen sei. § 36 Schwerbeschädigtengesetz - SchwBeschG - spreche vielmehr gegen diese Auffassung der Beklagten. Nur durch Gleichstellung sei gesichert, daß er bei der Bundespost, wenn er nach einem Wiederaufnahmeverfahren wieder eingestellt werden würde, lediglich mit leichten Arbeiten befaßt werde. Durch seine Gleichstellung habe er keinem Schwerbeschädigten den Arbeitsplatz genommen, vielmehr sei es der Bundespost schon seit Jahren nicht mehr möglich, die Pflichtsätze für die Beschäftigung von Schwerbeschädigten zu erfüllen, da nicht mehr genügend Schwerbeschädigte vorhanden seien. Er hat beantragt,
die Bescheide vom 20. März und 30. September 1963 aufzuheben und seine Gleichstellung mit den Schwerbeschädigten zu bestätigen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, daß nach Sinn und Zweck der Gleichstellung, wie er sich aus §2 SchwBeschG eindeutig ergebe, der Widerruf gerechtfertigt sei, nachdem, der Kläger in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit berufen, worden war. Sollte der Kläger aber nach erfolgloser Klage gegen seine Versetzung in den Ruhestand eine andere Beschäftigung aufnehmen wollen, könne er jederzeit erneut die Gleichstellung beantragen.
Die Beigeladene hat den Vortrag des Beklagten unterstützt und noch vorgetragen, der Pflichtplatz des Klägers sei inzwischen mit einem Schwerbeschädigten (MdE 70 v.H.) besetzt worden.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Der Widerruf sei berechtigt, nachdem in den für die Gleichstellung maßgeblichen Verhältnissen eine wesentliche Änderung eingetreten gewesen sei und weil ein schutzwürdiges Interesse des Klägers an der Aufrechterhaltung seiner Gleichstellung nicht bestehe.
Mit der Berufung gegen das Urteil verfolgt der Kläger den Antrag aus dem ersten Rechtszuge weiter.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Parteien wird auf den, Inhalt ihrer Schriftsätze verwiesen. Die Verwaltungsvorgänge des Beklagten (K 2428) waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
II.
Die Berufung bleibt erfolglos.
Personen, die nicht nur vorübergehend um wenigstens 50 v.H. in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert, aber nicht Schwerbeschädigte im Sinne des § 1 SchwBeschG sind, sollen gleichgestellt werden, wenn sie infolge der gesundheitlichen Schädigung ohne diese Hilfe einen geeigneten Arbeitsplatz, nicht erlangen oder nicht behalten können und im Einzelfall hierdurch die Unterbringung von Schwerbeschädigten nicht beeinträchtigt wird (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SchwBeschG). Die im Jahre 1938 verfügte Gleichstellung des Klägers hat diesem dazu verholten, im Jahre 1939 nach fast zehnjähriger Arbeitslosigkeit einen Arbeitsplatz bei der Reichspost zu erhalten und schließlich im Jahre 1951 in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit berufen zu werden. Entgegen der Auffassung des Klägers war es nicht rechtswidrig, wenn der Beklagte die Gleichstellung widerrief, nachdem sich des Dienstverhältnis in dieser Weise verfestigt hatte.
Das Gesetz befaßt sich nicht abschliessend mit den Gründen, aus denen der Widerruf zulässig wird. Es bestimmt nur, daß die Gleichstellung frühestens nach Ablauf von zwei Jahren widerrufen werden kann und daß bereits vor Ablauf dieser Frist zu widerrufen ist, wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht mehr die im Gesetz bestimmten Vomhundertsätze erreicht (§ 2 Abs. 2 Sätze 2 und 3 SchwBeschG). Im übrigen steht der Widerruf der Gleichstellung mithin im pflichtgemäßen Ermessen der Hauptfürsorgestelle (Gröninger, Anm. 11, Wilrodt-Neumann, RdN 41, Sellmann, RdN 19, jeweils zu § 2 SchwBeschG). Dieses Ermessen hat der Beklagte jedenfalls nicht fehlerhaft ausgeübt, wenn er sich auf den Standpunkt gestellt hat, der mit der Gleichstellung des Klägers verfolgte Zweck sei inzwischen dadurch erreicht worden, daß dieser nach längener Dienstzeit bei der Post Beamter auf Lebenszeit geworden war. Daß der Beklagte sich dessen bewußt war, eine Ermessensentscheidung zu treffen und nicht etwa kraft Gesetzes zum Widerruf verpflichtet zu sein, lassen die angefochtenen Bescheide wie auch der Schriftsatz vom 23. Dezember 1963 hinreichend erkennen. Dem der Kläger kann zutreffend darauf hinweisen, daß im Gesetz eine Vorschrift fehlt, nach der die Gleichstellung eines Beamten auf Lebenszeit (stets) zu widerrufen ist, vielmehr ergibt sich aus § 36 SchwBeschG, daß auch einem schwerbeschädigten oder Gleichgestellten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 SchwBeschG Beamten an Lebenszeit ein - allerdings durch die Rechtsnatur des Beamtenverhältnisses beschränkter - Schutz zugute kommen soll, mag es auch als nicht im Sinne des Gesetzes liegend anzusehen seine, schwer erwerbsbeschränkte Personen, die sich bereits in einem Beamtenverhältnis auf Lebenszeit befinden, noch gleichzustellen (Becker, RdN 7 zu § 2 SchwBeschG). In dem besonderen Falle des Klägers kam noch hinzu, daß dieser in dem Verfahren wegen zwangsweiser Versetzung in den Ruhestand -in dem ihm noch der volle Schutz eines Gleichgestellten zuteil geworden war- bereits in, zwei Instanzen unterlegen war und daß ein berechtigtes Interesse an der Aufrechterhaltung der Gleichstellung entfallen mußte, wenn, wie es dann auch geschah, die Revision erfolglos blieb. Als rechtswidrig erweist sich der Widerruf auch nicht etwa deshalb, weil die Aufrechterhaltung der Gleichstellung die Unterbringung von Schwerbeschädigten sicherlich nicht beeinträchtigt haben würde. Denn da der Arbeitsplatz des Klägers überhaupt fortgefallen war, hätte ein Schwerbeschädigter mithin nur auf einem anderen Arbeitsplatz, den auszufüllen der Kläger außerstande gewesen wäre, verwendet werden können. Die nicht auf das Dienstverhältnis bei der Post beschränkte Gleichstellung des Klägers aufrechtzuerhalten, wäre nur dann sinnvoll gewesen, wenn der Kläger ihrer zur Erlangung eines anderen geeigneten Arbeitsplatzes bedürfen würde. Der Kläger ist aber, nicht willens und auch nach seinem Gesundheitszustand wohl nicht in der Lage, ein neues Dienstverhältnis einzugehen. Sein Vortrag, mit dem er sich trotz inzwischen rechtskräftig gewordener Entlassung aus dem Beamtenverhältnis immer noch gegen den Widerruf der Gleichstellung wendet, ist weitgehend rechtstheoretischer Art, aber nicht geeignet darzutun, daß er durch den Widerruf rechtswidrig in seinen Rechten verletzt worden sei (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Berufung des Klägers gegen das klagabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts war deshalb zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 154 Abs. 2, 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 7 ZPO. Gerichtskosten werden für das Verfahren nicht erhoben (§ 188 VwGO).
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 132 Abs. 2 VwGO), bestehen nicht.
Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Oberverwaltungsgericht in Lüneburg, Uelzener Straße 40, durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule als Bevollmächtigten einzulegen und in der Beschwerdeschrift zu begründen.
Ohne Zulassung ist die Revision statthaft, wenn die in § 133 Nr. 1-5 der Verwaltungsgerichtsordnung vom 21. Januar 1960 (BGBl I, 17) besonders genannten Verfahrensmängel gerügt werden. Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils beim Oberverwaltungsgericht in Lüneburg, Uelzener Straße 40, durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule als Bevollmächtigten einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen.