Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 05.11.1996, Az.: 3 Ss 140/96
Rechtmäßigkeit der Diensthandlung eines Polizeibeamten; Verhinderung des Hinunterschluckens von Drogenpäckchen durch einen Polizeibeamten; Griff eines Polizeibeamten an den Hals eines Tatverdächtigen zwecks Erzwingung der Öffnung des Mundes wegen Verdachts eines Betäubungsmittelstraftatbestandes
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 05.11.1996
- Aktenzeichen
- 3 Ss 140/96
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1996, 24939
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1996:1105.3SS140.96.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- StA Hannover- 03.04.1996 - AZ: 88 Js 73644/95
Rechtsgrundlagen
- § 102 StPO
- § 105 Abs. 1 StPO
- § 113 Abs. 3 StGB
Fundstellen
- NJW 1997, 2463-2465 (Volltext mit amtl. LS)
- NStZ 1998, 87-88 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte
In der Strafsache
...
hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts - Strafrichter - Hannover vom 3. April 1996
in der Sitzung vom 5. November 1996,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht ... als Vorsitzender,
Richter am Oberlandesgericht ...,
Richter am Oberlandesgericht ... als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt ... als Beamter der Generalstaatsanwaltschaft,
Rechtsanwalt H., H., als Verteidiger,
Justizangestellte ... als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision des Angeklagten wird auf seine Kosten verworfen.
Gründe
I.
Durch das angefochtene Urteil ist der Angeklagte wegen Widerstandes, gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 15,- DM verurteilt worden.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts wurde am Vormittag des 16. September 1995 von Polizeibeamten die von Schwarzafrikanern wesentlich mitbestimmte Drogenszene in der Tivolistraße in Hannover observiert. Gegen 11.20 Uhr führten uniformierte Beamte Personenkontrollen durch. Mehrere Schwarzafrikaner entzogen sich ihrer Überprüfung durch die Flucht. An den am 19. Dezember 1994 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu Geldstrafe verurteilten Angeklagten, einen Schwarzafrikaner, der auf einem Betonpoller im Bereich des "Cafe Connection" saß, trat ein im Einsatz befindlicher, zivil gekleideter Polizeibeamter heran, weil er vermutete, daß der Angeklagte - wie in der dortigen Drogenszene üblich - Kügelchen mit Betäubungsmitteln zu Handelszwecken im Mund aufbewahrte. Er wies sich verbal und durch Vorzeigen der Dienstmarke als Polizeibeamter aus und forderte den Angeklagten auf, den Mund zu öffnen. Dieser kam der Aufforderung nicht nach, sondern machte Schluckbewegungen. Daraufhin faßte der Beamte dem Angeklagten mit einem gezielten Griff seiner rechten Hand an den Hals, um ein Herunterschlucken zu verhindern. Der Angeklagte sprang auf, schlug dem Polizeibeamten mehrfach auf den rechten Arm und versuchte, sich dessen Griff zu entziehen und sich loszureißen, indem er hierzu den ganzen Körper einsetzte. Mit Hilfe eines zweiten, hinzugeeilten Polizeibeamten konnten dem Angeklagten Handfesseln angelegt werden. Eine spätere Durchsuchung des Angeklagten auf der Polizeidienststeile verlief negativ.
Der Einlassung des Angeklagten, der Polizeibeamte habe sich nicht als solcher ausgewiesen, ist das Amtsgericht nicht gefolgt. Es hat vielmehr die Bekundungen des zugreifenden Polizeibeamten insoweit und auch insgesamt mit nachvollziehbarer Begründung für glaubhaft gehalten.
Das Amtsgericht hat die Diensthandlung des Polizeibeamten als rechtmäßig gewertet, weil die Überprüfung des Angeklagten durch den Polizeibeamten wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen dasBetäubungsmittelgesetz erfolgt sei.
Zur Strafzumessung hat das Amtsgericht ausgeführt, daß sich die Widerstandshandlung im unteren Bereich bewegt habe und eine Geldstrafe in Höhe von 15 Tagessätzen ausreichend und angemessen sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts.
Der Angeklagte steht unter Berufung auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7. März 1995 - 1 BvR 1564/92 - (veröffentlicht in StV 1996, 143 ff. <145>) auf dem Standpunkt, die Diensthandlung des Polizeibeamten seimateriell nicht rechtmäßig gewesen, weil kein Tatverdacht gegen ihn bestanden habe, als der Polizeibeamte an ihn herangetreten sei und ihn zum Öffnen des Mundes aufgefordert habe, sondern nur eine bloße Vermutung. Aber selbst, wenn man einen Tatverdacht unterstellte, hätte ihn der im Rahmen der §§ 102, 105 StPO zur Auffindung von Beweismitteln handelnde Beamte nicht an den Hals fassen dürfen, um Schluckbewegungen zu unterbinden; in diesem Rahmen wäre nur die Besichtigung seines Mundes zulässig gewesen, diese hätte er dulden müssen, wäre aber nicht zu aktivem Tun verpflichtet gewesen und hätte den Mund nicht öffnen müssen. Demzufolge sei der Beamte auch nicht berechtigt gewesen, das Öffnen des Mundes zu erzwingen oder Schluckbewegungen zu unterbinden. Im übrigen hätte der Beamte wegen der mit dem Griff an den Hals verbundenen Verletzungsgefahr den erheblichen Eingriff in seine, des Angeklagten, körperliche Unversehrtheit nicht vornehmen dürfen, allenfalls ein Arzt. Deshalb habe er, der Angeklagte, sich entsprechend § 113 Abs. 3 StGB nicht eines Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte schuldig gemacht.
II.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und ist auch im Hinblick auf § 313 StPO (Annahmeberufung) zulässig. Diese Vorschrift steht der Zulässigkeit der Sprungrevision gegen das auf nur 15 Tagessätze erkennende Urteil nicht entgegen. Denn der Begriff "zulässig" in § 335 Abs. 1 StPO hat eine andere Bedeutung als in § 313 Abs. 1 StPO; er bezeichnet in § 335 Abs. 1 StPO die Statthaftigkeit des Rechtsmittels (vgl. Beschluß des hiesigen 2. Strafsenats vom 28. Juli 1993 - 2 Ss 203/93 -; BayObLG StV 1993, 572; OLG Düsseldorf MDR 1995, 406 ... a.A. mit nicht überzeugender Begründung: Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 42. Aufl., Rdnr. 21 zu§ 335).
Die Revision ist aber offensichtlich unbegründet.
Die beanstandungsfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch. Der Rechtsfolgenausspruch begegnet ebenfalls keinen durchgreifenden Bedenken.
1.
Der Angeklagte hat mit Gewalt Widerstand i.S. des § 113 Abs. 1 StGB geleistet, indem er dem Polizeibeamten mehrfach auf den rechten Arm schlug und versuchte, sich dessen Griff zu entziehen, und sich unter Einsatz seines ganzen Körpers loszureißen versuchte.
Zwar hat das Amtsgericht keine Ausführungen zur inneren Tatseite gemacht. Indes waren diese aufgrund der eindeutigen objektiven Sachlage entbehrlich. Der Polizeibeamte hat sich Anfangs als solcher zu erkennen gegeben. Der Angeklagte hat dies auch erkannt und deshalb mit Schluckbewegungen darauf reagiert. Nach den Gesamtumständen kann nur davon ausgegangen werden, daß er sich der polizeilichen Durchsuchung entziehen wollte und zu diesem Zwecke auch die Gewalt eingesetzt hat. Die Abwehrreaktion auf den Zugriff des Polizeibeamten war auch willentlich gesteuert und keine nur schreckhafte Reflexhandlung auf einen unvermuteten Angriff. Denn nach seinen Schluckbewegungen hat der Angeklagte damit rechnen müssen, daß der Polizeibeamte diese unterbinden würde. Davon, daß der Angeklagte dies auch tatsächlich getan hat, kann nach den Urteilsfeststellungen ausgegangen werden.
2.
Die Strafbarkeit der Abwehr des Angeklagten entfällt auch nicht gemäß § 113 Abs. 3 StGB. Denn die Diensthandlung des Polizeibeamten, gegen die der Angeklagte Widerstand geleistet hat, war formell wie materiell rechtmäßig. Auf die von der Verteidigung und der Generalstaatsanwaltschaft erörterte Frage, welchem Rechtmäßigkeitsbegriff im Rahmen des § 113 Abs. 3 StPO der Vorzug zu geben ist, kommt es deshalb für den zu entscheidenden Fall nicht an.
2.1.
Der einschreitende Polizeibeamte hat entgegen der Auffassung des Angeklagten nicht lediglich aufgrund einer Vermutung, sondern aufgrund eines Anfangsverdachts gehandelt, der ihm das Recht - und die Verpflichtung - zum Einschreiten gab.
Als Diensthandlung ist in diesem Zusammenhang allerdings nicht auf das Hinzutreten des Polizeibeamten und seine an den Angeklagten gerichtete Aufforderung, den Mund zu öffnen, abzustellen. Dies schon deshalb nicht, weil der Angeklagte gegen dieses Vorgehen, des Polizeibeamten keinen Widerstand geleistet hat; die Widerstandshandlung begann erst, als und weil der Polizeibeamte den Angeklagten am Schlucken hindern wollte. Es kommt also vielmehr wesentlich auf den Zugriff des Polizeibeamten an den Hals des Angeklagten an. Zu diesem Zeitpunkt aber mußte sich für den Polizeibeamten aufgrund der Schluckbewegungen des Angeklagten und unter Berücksichtigung der Gesamtumstände der Verdacht geradezu aufgedrängt haben, daß der Angeklagte Rauschgift im Mund hatte, das er zum Zwecke der Beweismittelbeseitigung verschlucken wollte. Das Vorliegen eines Anfangsverdachts für ein Vergehen nach dem BtMG war also spätestens in dem Moment gegeben, als der Angeklagte Schluckbewegungen machte. Erst daraufhin erfolgte der Zugriff des Beamten auf den Hals - also die Diensthandlung, auf die es ankam, weil der Angeklagte sich gerade ihr widersetzte.
Ob auch bereits das Herantreten des Polizeibeamten an den Angeklagten und die Aufforderung, den Mund zu öffnen, auf einem Tatverdacht beruhte und damit eine rechtmäßige Diensthandlung darstellte, gegen die der Angeklagte keinen Widerstand leisten durfte, brauchte unter diesen Umständen nicht abschließend geprüft werden.
Die nicht ausschließbar ohne Tatverdacht erfolgte Aufforderung des Polizeibeamten an den Angeklagten, seinen Mund zu öffnen, hat keinen Einfluß auf die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der sich nach den Schluckbewegungen des Angeklagten anschließenden Diensthandlung des Beamten. Denn das Einschreiten dieses Polizeibeamten, der im Anschluß an die Flucht mehrerer Schwarzafrikaner bei derÜberprüfung nach einer Observation eines der Hauptdrogenumschlagsplätze in Niedersachsen nach pflichtgemäßer Prüfung zur Vermutung gelangte, der sich in der Nähe des "Cafe Connection" aufhaltende Angeklagte würde Betäubungsmittel im Mund aufbewahren, stellt jedenfalls nach den insoweit knappen Urteilsfeststellungen zumindest keine willkürliche Amtsausübung dar und kann schon deshalb zu keiner anderen Beurteilung der anschließenden Diensthandlung führen. Bereits die anfängliche Annahme des Beamten dürfte sich unter Berücksichtigung der erkennbaren Umstände sowie seiner Erfahrung vielmehr sogar objektiv im Rahmen des Vertretbaren bewegt haben.
2.2.
Unter den gegebenen Umständen war der als Hilfsbeamter der Staatsanwaltschaft eingesetzte Polizeibeamte zur Anordnung einer Durchsuchung der Person des Angeklagten gemäß §§ 102, 105 Abs. 1 StPO genau so berechtigt wie zur Anwendung körperlichen Zwanges.
Der Polizeibeamte durfte ohne Hinzuziehung eines Arztes zur Auffindung von Beweismitteln den Körper des Angeklagten einschließlich seines Mundes in Augenschein nehmen. Denn die Suche nach Gegenständen am Körper sollte erkennbar nur in einem Umfang vorgenommen werden, für den der Einsatz medizinischer Mittel nicht erforderlich ist (vgl. AK-Amelung, Rdnr. 23 zu § 102 StPO; LR-Schäfer, Rdnr. 34 zu § 102 StPO).
Die wesentlichen Förmlichkeiten (Vorstellen als Polizeibeamter) sind im übrigen eingehalten worden. Die Eröffnung des Tatvorwurfs war nicht erforderlich, zumal der Grund der Kontrolle auf der Hand lag.
Als der Angeklagte Schluckbewegungen machte, ist der Beamte auch zur sofortigen Anwendung einfachen körperlichen Zwangs befugt gewesen, um den Durchsuchungszweck zu erreichen. Der Griff an den Hals ist an sich die geeignete Maßnahme gewesen, um ein Hinunterschlucken des vermeintlichen Betäubungsmittels zu verhindern, und hat die körperliche Integrität des Angeklagten nicht unangemessen beeinträchtigt. Darüber hinaus war dem Polizeibeamten nicht nur die Besichtigung des Mundraumes des Angeklagten gestattet, die dieser zu dulden hatte, sondern war er auch befugt, im Weigerungsfalle das Öffnen des Mundes und Ausspucken des gesuchten Gegenstandes durch einfache körperliche Gewalt zu erzwingen. Hierdurch wird ebensowenig die - verbotene - Mitwirkung des Angeklagten an seiner eigenen Überführung erzwungen wie beim gewaltsamen öffnen einer Faust, in der ein Gegenstand vor den Strafverfolgungsbehörden verborgen gehalten werden soll.
3.
Das Urteil enthält, indem es sich nicht zu § 113 Abs. 4 StGB verhält, keine Lücke. Denn nach den Gesamtumständen sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß der Angeklagte sich in einem Irrtum über die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung befunden haben könnte.
4.
Auch der knapp begründete Rechtsfolgenausspruch begegnet keinen durchgreifenden Bedenken, zumal sich die verhängte Strafe am untersten Bereich, des Strafrahmens orientiert.