Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 26.10.1973, Az.: III A 72/73
Anforderungen an das Vorliegen eines Anspruchs auf Befreiung von dem förmlichen Nachweis der berufs- und arbeitspädagogischen Kenntnisse i.S.d. Verordnung über die berufs- und arbeitspädagogische Eignung für die Berufsausbildung in der gewerblichen Wirtschaft ; Ausgestaltung des sachlichen Anwendungsbereichs von § 21 Berufsbildungsgesetz vom 14. August 1969 (BBiG)
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 26.10.1973
- Aktenzeichen
- III A 72/73
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1973, 15303
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:1973:1026.III.A72.73.0A
Rechtsgrundlagen
- § 2 AEVO
- § 3 AEVO
- § 7 Abs. 1 AEVO
- § 21 BBiG
- § 111 Abs. 2 BBiG
- § 76 BBiG
Verfahrensgegenstand
Befreiung von der Ausbilder-Eignungsverordnung
Die III. Kammer Braunschweig des Verwaltungsgerichts Braunschweig hat
ohne mündliche Verhandlung
am 26. Oktober 1973
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Dr. Osterloh,
die Richter am Verwaltungsgericht Dr. König und Radke sowie
die ehrenamtlichen Richter Kemper und Köhrich
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Bescheide der Beklagten vom 22. Februar und 28. März 1973 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger von dem nach den §§ 2 und 3 der Ausbilder-Eignungsverordnung erforderlichen Nachweis zu befreien.
Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Gründe
I.
Der im Jahre 1917 geborene Kläger begehrt die Befreiung von dem förmlichen Nachweis der berufs- und arbeitspädagogischen Kenntnisse im Sinne der Verordnung über die berufs- und arbeitspädagogische Eignung für die Berufsausbildung in der gewerblichen Wirtschaft (Ausbilder-Eignungsverordnung vom 20. April 1972 (BGBl I S. 707) - AEVO -).
Der Kläger durchlief in der Zeit von 1934 bis 1937 eine kaufmännische Lehre in der Eisenhandlung ... war anschließend bis zum 31. März 1939 als Kaufmannsgehilfe tätig und nahm diesen Beruf nach Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft im Jahre 1946 zunächst wieder auf. Von 1951 bis Juli 1956 war er bei der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung beschäftigt und legte dort im Jahre 1954 die erste und im Jahre 1956 die zweite Fachprüfung für Angestellte der Bundesanstalt ab. Seit Juli 1956 ist er Leiter der Buchhaltung der Straßen- und Tiefbaufirma ... in .... Von ihm werden auch alle anderen Arbeiten des kaufmännischen Büros dieser Firma überwacht. Seit Beginn seiner Tätigkeit in diesem Betrieb bildet er erfolgreich kaufmännische Lehrlinge aus.
Die Beklagte lehnte die vom Kläger im September 1972 beantragte Befreiung von dem förmlichen Nachweis der berufs- und arbeitspädagogischen Kenntnisse durch Bescheid vom 22. Februar 1973 und Widerspruchsbescheid vom 28. März 1973 ab.
Mit der am 30. April 1973 erhobenen Klage macht der Kläger geltend, die Anwendung der Ausbilder-Eignungsverordnung bedeute in seinem Fall eine besondere Härte. Da sämtliche Lehrlinge, die er seit Juli 1956 ausgebilde habe, mindestens 15, die Lehrabschlußprüfung bestanden hätten und seine Ausbildertätigkeit keinen Anlaß zu irgendwelchen Beanstandungen ergeben habe, sei erwiesen daß er nicht nur über die erforderlichen fachlichen sondern auch über die pädagogischen Kenntnisse für die Ausbildung von Lehrlingen verfüge. Außerdem vervollständige er sein Wissen stetig durch das Studium einschlägiger Literatur.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide vom 22. Februar und 28. März 1973 zu verpflichte ihn von dem nach den §§ 2 und 3 der Ausbilder-Eignungsverordnung erforderlichen Nachweis zu befreien.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bestreitet die erfolgreiche Tätigkeit des Klägers als Ausbilder in dem von ihm genannten Zeitraum nicht. Sie ist jedoch der Auffassung, der Kläger habe nicht glaubhaft dargetan, daß er Kenntnisse erworben habe, die dem Inhalt von § 2 AEVO entsprechen. Der Kläger müsse deshalb eine Ausbilderprüfung nach § 3 AEVO ablegen oder auf die weitere Ausbildung über den 28. April 1975 hinaus verzichten.
Die Parteien haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen des übrigen Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien und auf den in Kopie der Gerichtsakte beigefügten vorprozessualen Schriftwechsel Bezug genommen.
II.
Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg.
1.
Die Anwendung der auf § 21 des Berufsbildungsgesetzes vom 14. August 1969 (BGBl I S. 112) beruhenden, ordnungsgemäß zustande gekommenen AEVO (Zitat im Tatbestand) wird in den Fällen des § 111 Abs. 2 des Berufsbildungsgesetzes nicht ausgeschlossen, weil sich diese Übergangsbestimmung ihrem Sinn nach lediglich auf den Nachweis der beruflichen Fertigkeiten und Kenntnisse i.S. des § 76 Abs. 1 des Berufsbildungsgesetzes bezieht, ohne den Anwendungsbereich durch § 21 bereits in Aussicht genommenen Rechtsverordnung einschränken zu wollen (so auch Rundschreiben des DIHT vom 9. März 1973; a.a.: Herkert, Berufsbildungsgesetz, Stand Mai 1973, Randnummer 20 zu § 20, 6 zu § 21, 10 zu § 111).
Dafür spricht folgendes: Worin im einzelnen die fachliche Eignung (die nach § 20 Abs. 3 BBiG praktisches Können und pädagogische Kenntnisse umfassen muß) bestehen soll, beschreibt das BBiG selbst nur teilweise in seinem katalogartigen sechsten Teil. Dort sind nur bezüglich der Handwerker (§ 73) und des grafischen Gewerbes (§ 77) die Voraussetzungen sowohl für das praktische Können als auch für die pädagogischen Kenntnisse geregelt. Bezüglich aller anderen Wirtschafts- und Berufszweige werden jedoch allein die Voraussetzungen für das praktischen Können normiert (nichthandwerkliches Gewerbe § 76, Landwirtschaft § 80, Anwälte pp. § 88, Wirtschaftsberater pp. § 90, Ärzte pp. § 92, Hauswirtschaft § 94), nicht auch für die pädagogischen Kenntnisse; insoweit soll offenbar die Überwachung nach §§ 23, 24 BBiG - u.a. mittels der durch § 21 BBiG ermöglichten Verordnung - eingreifen. Das bedeutet, daß insoweit das BBiG den bei seinem Inkrafttreten bestehenden Zustand hinsichtlich der pädagogischen Kenntnisse offenbar zunächst (bis zum Wirksamwerden der Überwachung im Einzelfall) tolerieren will (vgl. dazu auch § 111 Abs. 1 und 3 BBiG), denn es kann nicht angenommen werden, daß der Ausbildung beispielsweise durch Ärzte oder Anwälte der rechtliche Böden entzogen werden sollte. Wenn nun § 111 Abs. 2 BBiG fur Ausbilder im nichthandwerklichen Gewerbe, die die Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 BBiG hinsichtlich des praktischen Könnens nicht erfüllen, eine Ausnahme zuläßt, so kann deren Sinn nur sein, einen Ausgleich lediglich für das Fehlen ebendieser Voraussetzungen zu schaffen, also das praktischen Können zu fingieren. Wollte man aber den in § 111 Abs. 2 BBiG verwendeten Ausdruck "fachlich geeignet" im Sinne einer vollen Gesamteignung gem. § 20 Abs. 3 BBiG verstehen, so ergäbe sich, daß bei Vorliegen zehnjähriger erfolgreicher Ausbildungstätigkeit für einen gewerblichen Ausbilder ohne jede Prüfung die volle Gesamteignung bereits endgültig feststünde, während für alle anderen Ausbilder mit jedenfalls berufspraktischer Prüfung (Kaufleute, Landwirte, Anwälte, Wirtschaftsberater, Ärzte, Hauswirte) zunächst nur die oben umrissene Tolerierung gälte. Da sich für eine solche Differenzierung, die eine Schlechterstellung der Letztgenannten bedeutet, ein vernünftiger, aus der Sache ableitbarer oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund (vgl. Leibholz - Rink, Grundgesetz, 4. Aufl., Rdziff. 2 zu Art. 3 und die dort angeführte Rechtsprechung) nicht zeigt, muߧ 111 Abs. 2 BBiG im Hinblick auf Art. 3 GG so verstanden werden, daß er die ungeprüften Ausbilder nur auf die Stufe der berufspraktisch geprüften Ausbilder anheben will, nicht aber darüber hinaus.
2.
Der Kläger hat nach § 7 Abs. 1 AEVO einen Anspruch auf Befreiung von dem nach §§ 2 und 3 der Verordnung erforderlichen Nachweis.
§ 7 Abs. 1 lautet:
"Personen, die in den letzten zehn Jahren vor Inkrafttreten dieser Verordnung ohne wesentliche Unterbrechung ausgebildet haben und durch Vorlage von Zeugnissen oder auf andere Weise glaubhaft dartun, daß sie Kenntnisse erworben haben, die dem Inhalt von § 2 entsprechen, werden von der zuständigen Stelle auf Antrag von dem nach den §§ 2 und 3 erforderlichen Nachweis befreit, es sei denn, daß ihre Ausbildertätigkeit in den letzten zehn Jahren zu nicht unerheblichen Beanstandungen Anlaß gegeben hat."
Die erste Voraussetzung dieser Bestimmung (zehnjährige Ausbildertätigkeit vor Inkrafttreten der Verordnung) ist unstreitig erfüllt. Der Kläger hat aber darüber hinaus auch glaubhaft dargetan, daß er Kenntnisse erworben hat, die dem Inhalt von § 2 AEVO entsprechen. Der Begriff "glaubhaft dartun" bedeutet, daß nach Prüfung des Vorganges die überwiegende Wahrscheinlichkeit für den Erwerb der geforderten Berufs- und arbeitspädagogischen Kenntnisse sprechen muß. Die Vorlage von Zeugnissen ist in diesem Zusammennhang nur beispielhaft angeführt. Die überwiegende Wahrscheinlichkeit kann vielmehr auf jede Weise dargetan werden, auch durch Angaben des Antragstellers selbst. Diese Bestimmung soll also sowohl ihrem Wortlaut als auch ihrem Sinn nach nicht einengend ausgelegt werden, um Personen, die durch eine zehnjährige Ausbildertätigkeit vor Inkrafttreten der Verordnung besondere Erfahrungen im Ausbildungsbereich erworben haben, durch das Verlangen einer zusätzlichen Prüfung nicht von einer weiteren Ausbildungstätigkeit abzuschrecken. Außerdem brauchen die Kenntnisse dieses Personenkreises auf berufs- und arbeitspädagogischem Gebiet nicht den in § 2 im einzelnen aufgezählten Anforderungen zu entsprechen, sondern nur "dem Inhalt von § 2", woraus sich eine weitere Einschränkung der Anforderungen ergibt (vgl. demgegenüber den Wortlaut des § 6 Abs. 2 AEVO).
Nach Überzeugung der Kammer ist es in hohem Maße wahrscheinlich, daß der Kläger hinreichende Kenntnisse über Grundfragen der Berufsbildung, Planung und Durchführung der Ausbildung, über die Stellung des Jugendlichen in der Ausbildung und über die erforderlichen Rechtsgrundlagen besitzt. Ein Indiz dafür sind bereits die Ausbildungserfolge des Klägers (vgl. zu diesem Gesichtspunkt auch Herkert a.a.O. Rd-Nr. 17 zu § 21, Anm. 1 c zu § 7 AEVO), der nach seinem unbestrittenen Vortrag bisher mindestens 15 Lehrlinge mit Erfolg zur Lehrabschlußprüfung geführt hat. Dieser Sachverhalt geht über den Wortlaut des § 7 Abs. 1, letzter Halbsatz, wonach lediglich das Fehlen erheblicher Beanstandungen gefordert wird, erheblich hinaus. Auch die Tatsache, daß der Kläger die geforderte Zehnjahresfrist mit seiner Ausbildungstätigkeit bei weitem überschreitet, muß als positiver Gesichtspunkt gewürdigt werden. Denn der Kläger bildet nicht erst seit dem 29. April 1962 Lehrlinge aus, sondern bereits seit dem Jahre 1956, wie aus der Bescheinigung seines Arbeitgebers hervorgeht. Er verfügt deshalb mit überwiegender Wahrscheinlichkeit über einen reichen Erfahrungsschatz hinsichtlich der Art und Weise der Ausbildung im allgemeinen und der Ausbildung von Jugendlichen im besonderen. Seine Kenntnisse über Rechtsgrundlagen des Arbeitsrechts hat er außerdem durch die beiden Nachprüfungen bei der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung unter Beweis gestellt. Es kann ihm abgenommen werde, daß er sowohl diese Rechtskenntnisse als auch seine pädagogischen Fähigkeiten durch seine Ausbildertätigkeit in der Praxis und durch das Studium entsprechender Fachliteratur vertieft und auf den neuesten Stand gebracht hat, wie er bereits mit Schreiben vom 16. Februar 1973 der Beklagten gegenüber darlegte.
Da nach alledem die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 AEVO als erfüllt anzusehen sind, war der Klage stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 15 Abs. 1 VwGO.
III.
Gegen dieses Urteil ist die Berufung an das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg statthaft. Sie ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils beim Verwaltungsgericht in Braunschweig schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb dieser Frist beim Oberverwaltungsgericht eingeht.