Amtsgericht Papenburg
Urt. v. 21.03.2007, Az.: 4 C 928/06 (IV)
Bibliographie
- Gericht
- AG Papenburg
- Datum
- 21.03.2007
- Aktenzeichen
- 4 C 928/06 (IV)
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 62832
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGPAPBG:2007:0321.4C928.06IV.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- LG Osnabrück - 29.06.2007 - AZ: 9 S 187/07
In dem Rechtsstreit
...
hat das Amtsgericht Papenburg auf die mündliche Verhandlung vom 28.02.2007 durch den Richter am Amtsgericht ...
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.)
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von der Verbindlichkeit aus der Angelegenheit zum Az. 06/0438 seiner Prozessbevollmächtigten in Höhe von 163,47 Euro freizustellen.
- 2.)
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 44 % und die Beklagte zu 56 %.
- 3.)
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
- 4.)
Die Berufung gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Erstattung von Rechtsanwaltsgebühren aus einer bestehenden Rechtsschutzversicherung.
Der Kläger unterhält bei der Beklagten einen Rechtsschutzversicherungsvertrag.
Ein solcher Vertrag ist zwischen den Parteien unstreitig bereits vor dem Jahre 1983 über den damaligen Versicherungsvertreter der Beklagten U... S... in Papenburg zu Stande gekommen. In späterer Zeit, als dieser Versicherungsvertreter S... seine Agentur bereits nach Vollen im Amtsgerichts Bezirk Leer verlegt hatte, ist dieser Versicherungsvertrag erneuert bzw. geändert worden, worüber die Parteien für die Frage der örtlichen Zuständigkeit des Gerichts nach § 48 VVG ebenfalls streiten.
Unstreitig sind die jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers für diesen auftragsgemäß in einer strafrechtlichen Angelegenheit gegenüber der Staatsanwaltschaft Aurich tätig geworden. Die Beklagte hatte mit Schreiben vom 26.05.2006 (Bl. 8 d.A.) im Rahmen der bestehenden Rechtschutzversicherung eine Deckungszusage erteilt.
Nachdem die Staatsanwaltschaft Aurich aufgrund einer Einlassung des Klägers über seine Prozessbevollmächtigten das strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingestellt hatte und die Angelegenheit zur Prüfung von Ordnungswidrigkeiten an die zuständige Verwaltungsbehörde abgegeben hatte, erteilten die Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 30.10.2006 gegenüber der Beklagten eine Kostenaufstellung für das Strafverfahren (Bl. 13 d.A.). Diese wurde von der Beklagten bis auf einen Betrag in Höhe von 290,01 Euro reguliert.
Die Parteien streiten vorliegend insbesondere über die Berechtigung einer angesetzten Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG über 250,00 Euro nebst MwSt., welche die Beklagte aus der Gebührenabrechnung nicht reguliert hat.
Die Klägerseite vertritt die Auffassung, dass diese Gebühr auch anfalle, wenn - wie vorliegend - die Staatsanwaltschaft das strafrechtliche Ermittlungsverfahren nach § 170 StPO einstelle und zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten das Verfahren an die Bußgeldbehörde abgebe. Dies folge insbesondere aus § 17 Nr. 10 RVG, wonach ausdrücklich bestimmt ist, dass das strafrechtliche Ermittlungsverfahren und ein sich nach dessen Einstellung anschließendes Bußgeldverfahren gebührenrechtlich verschiedene Angelegenheiten sind.
Im Hinblick auf Abs. 3 Satz 2 zu Nr. 4141 VV RVG hat die Klägerseite die zunächst geltend gemachte Freistellung in Höhe von 290,01 Euro unter Ansatz einer Gebühr in Höhe der Rahmenmitte auf nun 163,47 Euro reduziert und im Übrigen die Klage zurückgenommen.
Der Kläger beantragt daher nunmehr,
wie erkannt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie rügt die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Papenburg. Aus § 48 VVG lasse sich eine solche örtliche Zuständigkeit nicht herleiten. Zwar sei der Versicherungsvertreter U... S... in früheren Jahren, als auch der Kläger erstmals eine Rechtschutzversicherung über diesen Vertreter bei der Beklagten abgeschlossen habe, in Papenburg geschäftsansässig gewesen. Diese Agentur habe er jedoch bereits vor Jahren nach Vollen in den Amtsgerichtsbezirk Leer verlegt. Mit einem Antrag vom 17.10.2000 habe der Kläger seinerzeit einen neuen Rechtschutzversicherungsvertrag abgeschlossen, weil der ursprüngliche Vertrag für ein landwirtschaftlich geführtes Anwesen abgeschlossen war und der Kläger nun ein Einzelhandelsunternehmen betrieben habe. Dieser Neuabschluss sei dann über die Agentur des Versicherungsvertreters U... S... in Vollen erfolgt.
Darüber hinaus vertritt die Beklagte die Ansicht, dass die geltend gemachte Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG nicht zum Tragen komme, wenn sich an das strafrechtliche Ermittlungsverfahren ein Bußgeldverfahren anschließe, weil dann keine endgültige Einstellung im Sinne dieser Gebührenvorschrift vorliege.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und - soweit sie nicht teilweise zurückgenommen ist - auch begründet.
Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Papenburg ergibt aus § 48 VVG.
Unstreitig ist der ursprüngliche Rechtschutzversicherungsvertrag über den Versicherungsvertreter U... S... abgeschlossen worden, als dieser seine Versicherungsagentur noch in Papenburg betrieben hatte. Nach § 48 VVG ist dann das Gericht des Ortes zuständig, wo der Agent zurzeit der Vermittlung oder Schließung seine gewerbliche Niederlassung hatte. Dies war Papenburg.
Soweit die Klägerin behauptet, es sei später ein Neuabschluss des hier maßgeblichen Versicherungsvertrages erfolgt, kann dies aus den überreichten Unterlagen hierzu nicht gefolgert werden. Der vorgelegte Antrag vom 17.10.2000 (Bl. 116, 117 d.A.) ist insoweit in der obersten Zeile eben nicht in der dort angeführten Rubrik "Neuantrag" angekreuzt, sondern gegenteilig in der Alternativrubrik "Änderungsantrag". Auch in den weiteren Eintragungen findet sich sodann die Vertragsnummer 3135272 des bestehenden Rechtschutzvertrages und ein Vermerk unter der Rubrik "wurde der Rechtschutzvertrag von der Gesellschaft gekündigt?" mit der Ankreuzung "nein". Zwar ist in der nachfolgenden Rubrik "von den bisherigen DAS-Verträgen sollen erlöschen" die Vertragsnummer 3135242 eingetragen, jedoch mit dem Zusatz "außer Risiko Nr. 07". Ein komplettes Erlöschen des früheren Vertrages war somit nicht gewollt.
Dies hat auch die Beklagte in ihrem Anschreiben vom 26.10.2000 an den Kläger (Bl. 113 und 114 d.A.) so bestätigt. Dort ist zwar die bisherige Versicherungschein-Nr. 315242 genannt und darunter als neue Nummer: 0676208. Es wird sodann jedoch ausgeführt: "Wie gewünscht führen wir den Firmen-Vertrags-Rechtschutz unverändert weiter." Auch hieraus wird dokumentiert, dass keine Vertragsbeendigung sondern nur eine Vertragsänderung gegeben war.
Wenn die Beklagte nun mit Schriftsatz vom 12.03.2007 eine alte Versicherungs-Nr. 1491050 und eine neue Vertrags-Nr. 1657649 benennt, so sind diese Versicherungsnummern aus den eingereichten Vertragsunterlagen nicht zu entnehmen. Auch die Deckungszusage vom 26.05.2006 (Bl. 8 d.A.) hat die Beklagte unter der Vertrags-Nr. "RSS 000676208-00008" erteilt. Dies ist gemäß Schreiben der Beklagten vom 26.10.2000 die neue Versicherungs-Nr. zu dem bereits früher unter der Nr. 3135242 geführten Rechtschutzversicherungsvertrag. Allein die Vergabe einer neuen Vertrags-Nr. begründet jedoch keinen Neuabschluss, wenn doch ausdrücklich ein Änderungsantrag gestellt und so angenommen worden ist.
Es verbleibt daher gemäß § 48 VVG bei der Zuständigkeit des Amtsgerichts Papenburg.
Die Klage ist auch im Hinblick auf die geltend gemachte zusätzliche Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG begründet. Durch die anwaltliche Mitwirkung ist nämlich eine Hauptverhandlung in dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren als nach § 17 Nr. 10 RVG eigenständige gebührenrechtliche Angelegenheit entbehrlich geworden, weil das strafrechtliche Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist.
Wird - wie vorliegend - ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft eingestellt und zur Bearbeitung als Ordnungswidrigkeit an die zuständige Bußgeldbehörde abgegeben, so fällt bei dem Rechtsanwalt, der an der Einstellung mitgewirkt hat, auch die Befriedigungsgebühr der Nr. 4141 VV RVG an. (ebenso: Amtsgericht Hannover, Urteil vom 26.07.2005, Az. 550 C 7701/05 veröffentlicht in AGS 2006, 235; Amtsgericht Regensburg, Entscheidung vom 28.11.2005, 5 C 3474/05 veröffentl. in AGS 2006, 125; Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar 17. Auflage 2006 zu VV 5115, 5116 Rnr. 5; Hartmann, Kostengesetze 36. Auflage 2006 RVG Anhang nach VV 5115 Rnr. 3; M. Burmann/R. Hess, Die anwaltliche Vergütung in Verkehrsstrafverfahren und Bußgeldverfahren nach dem RVG in NJW-Spezial 2004 Seite 159, 160; Norbert Schneider, Gebühren nach dem RVG in verkehrsrechtlichen Straf- und Bußgeldsachen in ZfS 2004 Seite 495-500)
Die gegenteilige Ansicht der Beklagten und die hierzu angeführten Argumente und Fundstellen überzeugen nicht. Die frühere Rechtsprechung und Kommentierung zu § 84 Abs. 2 BRAGO kann vorliegend nicht mehr herangezogen werden. Durch das neue RVG ist dort in § 17 Nr. 10 ausdrücklich bestimmt, dass das strafrechtliche Ermittlungsverfahren und ein nach dessen Einstellung sich anschließendes Bußgeldverfahren verschiedene gebührenrechtliche Angelegenheiten sind.
Deswegen kann es auch zu einer endgültigen Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahren im Sinne von Nr. 4141 VV RVG kommen, wenn sich noch ein ordnungsbehördliches Bußgeldverfahren als weitere gebührenrechtliche Angelegenheit daran anschließt.
Es handelt sich dann um eine endgültige Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, weil nämlich unter strafrechtlichen Aspekten eine endgültige Einstellung erfolgt ist und eine strafrechtliche Hauptverhandlung nicht mehr erfolgt. Die gebührenrechtliche Angelegenheit "strafrechtliches Ermittlungsverfahren" ist damit ohne Hauptverhandlung endgültig eingestellt.
Hätte der Gesetzgeber hier eine andere Deutung im Sinne der Ausführungen der Beklagten gewollt, so hätte es für ihn im Hinblick auf die bereits früher zurzeit der Geltung der BRAGO bestehenden Streitpunkte hierzu nahegelegen, dies durch eine entsprechende Anmerkung auch deutlich zu machen, zumal die Regelung in § 17 Nr. 10 RVG für die hier vertretene Auslegung spricht. Entgegen der in dem Beklagtenschriftsatz vom 03.01.2007 auf Seite 7 im 2. Absatz (Bl. 24 d.A.) geäußerten Ansicht kann es daher nun nicht Aufgabe der Gerichte sein, einen zu § 17 Nr. 10 RVG konträren Standpunkt einzunehmen.
Die Klage war daher mit der herrschenden Rechtsprechung und Kommentierung in dem noch geltend gemachten Umfange begründet.
Der Höhe nach ist diese Restforderung von 163,47 Euro auch nach der Berechnung der Beklagten selbst in ihrem Schriftsatz vom 06.02.2007 so berechtigt.
Es war daher antragsgemäß zu erkennen.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 269 Abs. 3, 708 Nr. 11, 713 ZPO.
Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erschien es gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 4 Nr. 1 ZPO geboten, die Berufung zuzulassen.