Sozialgericht Aurich
Beschl. v. 06.10.2006, Az.: S 15 AS 394/06 ER
Aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs gegen einen Sanktionsbescheid wegen absichtlicher Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit; Absichtliche Absenkung des Vermögens zur Erfüllung der Voraussetzungen für eine Weitergewährung des Arbeitslosengeldes II
Bibliographie
- Gericht
- SG Aurich
- Datum
- 06.10.2006
- Aktenzeichen
- S 15 AS 394/06 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 47413
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGAURIC:2006:1006.S15AS394.06ER.0A
Rechtsgrundlagen
- § 31 SGB II
- § 39 Nr. 1 SGB II
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 19.09.2006 gegen den Bescheid der Gemeinde D. vom 29.08.2006 wird angeordnet.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt E. bewilligt.
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten ist die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs gegen einen Sanktionsbescheid wegen absichtlicher Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit streitig.
Der Antragsteller steht bei der im Auftrag des Antragsgegners handelnden Gemeinde D. seit dem 01.01.2005 im Leistungsbezug SGB II. Auf den Fortzahlungsantrag vom 09.06.2006 hin bewilligte die Gemeinde D. dem Antragsteller mit Bescheid vom 19.06.2006 für den Zeitraum 01.07. bis 31.12.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Höhe von monatlich 479,00 EUR. Mit Schreiben vom 19.07.2006 forderte die Gemeinde D. den Antragsteller auf, den Jahreskontoauszug 2005 eines Bausparvertrages bei der F., einen aktuellen Auszug des Sparkontos und einen aktuellen Kontoauszug des laufenden Kontos vorzulegen. Der Antragsteller reichte die Unterlagen fristgerecht ein. Aus diesen Unterlagen ergab sich, dass der Antragsteller ein Sparguthaben in Höhe von 8664,56 EUR zum 20.10.2006 gekündigt hatte und den Betrag zur Sicherung eines Darlehens in Höhe von 8200,00 EUR, das am 20.10.2006 durch die Auszahlung des Sparguthabens zurückgezahlt werden soll, verpfändet hatte. Am 24.07.2006 wurden von dem Darlehensbetrag 8000.- EUR dem Girokonto des Antragstellers gutgeschrieben, worauf hin er am Abend des 24. 07.2006 1000,00 EUR und am 25.07.2006 1500,00 EUR von dem Konto abhob.
Nach vorheriger Anhörung erließ die Gemeinde D. den Änderungsbescheid vom 29.08.2006, mit dem die bewilligte Leistung für den Zeitraum 01.10. bis 31.12.2006 auf 376,00 EUR abgesenkt wurde. Zur Begründung führte sie aus, der Antragsteller habe sein Vermögen in der Absicht gemindert die Voraussetzungen für die Weitergewährung des Arbeitslosengeldes II herbeizuführen. Der Antragsteller legte dagegen Widerspruch ein und trug vor, er habe nicht in der Absicht gehandelt die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung des Arbeitslosengeldes II herbeizuführen, da zu dem Zeitpunkt, als er über das Vermögen verfügt habe, bereits eine bindende Bewilligung für die zweite Jahreshälfte 2006 vorgelegen habe. Im Übrigen ist er der Auffassung, er dürfe über das geschützte Vermögen frei und nach Belieben verfügen, zumal er vom Leistungsträger nicht gegenteilig informiert worden sei. Über den Widerspruch wurde bislang noch nicht entschieden.
Mit Schriftsatz vom 19.09.2006 beantragt der Antragsteller unter Wiederholung seines Vorbringens im Widerspruchsverfahren sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 19.09.2006 gegen den Änderungsbescheid der Gemeinde D. vom 29.08.2006 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er ist der Auffassung, der Antragsteller habe zielgerichtet im Hinblick auf die Absenkung der Freibeträge zum 01.08.2006 sein Vermögen gemindert um die Hilfebedürftigkeit aufrecht zu erhalten und habe damit die Voraussetzungen für das Eintreten einer Sanktion erfüllt.
Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Gemeinde D. beigezogen und bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt.
II.
Der Antrag ist zulässig, inhaltlich ist er auch begründet.
Widerspruch und Klage gegen einen Sanktionsbescheid entfalten gem. § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung.
Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen (§ 86 b Abs. 1 Ziffer 2 SGG). Der Antrag ist schon vor Klageerhebung zulässig (§ 86 b Abs. 3 SGG).
Die Entscheidung des Gerichts erfolgt nach Ermessen und aufgrund einer Interessenabwägung, wobei auch die Erfolgsaussichten zu berücksichtigen sind. Das öffentliche Interesse an der Vollziehung und das private Interesse des belasteten Adressaten an einer Aussetzung sind gegeneinander abzuwägen. Dabei ist die gesetzgeberische Grundentscheidung, dass in den Fällen des § 86a Abs. 2 SGG grundsätzlich eine sofortige Vollziehung stattfindet, zu beachten. Davon abzuweichen besteht nur Anlass, wenn ein überwiegendes Interesse des durch den Verwaltungsakt Belasteten festzustellen ist (vgl. Meyer-Ladewig, Rn 12 zu § 86b SGG). Dieses Suspensivinteresse überwiegt, wenn der Sofortvollzug eine besondere, den Regelfall des Sofortvollzuges übersteigende Härte für den Betroffenen mit sich bringt. Ansonsten hat es bei der gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts zu verbleiben. Das Gericht kann seine Entscheidung auch allein auf eine Vorausbeurteilung der Erfolgsaussichten von Widerspruch und Klage stützen, wenn es sich bereits ohne wesentliche verbleibende Zweifel von der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes zu überzeugen vermag. Bestehen demgegenüber durchgehende Zweifel an der Rechtmäßigkeit des zu vollziehenden Verwaltungsaktes oder stellt er sich bereits mit Gewissheit als rechtswidrig dar, so überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse des Betroffenen, da kein öffentliches Interesse am Vollzug rechtswidriger Verwaltungsakte besteht.
Vorliegend bestehen Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Sanktion. Dabei lässt das Gericht im Rahmen des Eilverfahrens ausdrücklich offen, ob der Sanktionstatbestand auch die Aufrechterhaltung einer bereits erfolgten Leistungsbewilligung erfasst. Jedenfalls steht die im Gesetz als Voraussetzung für den Eintritt einer Absenkung geforderte Absicht, die Voraussetzungen für die Gewährung des Arbeitslosengeldes II herbeizuführen, nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen nicht zur Überzeugung des Gerichts fest.
Das Arbeitslosengeld II wird unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 in einer ersten Stufe um 30 v. H. der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn dieser nach Vollendung des 18. Lebensjahres sein Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert hat, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung des Arbeitslosengeldes II herbeizuführen (§ 31 Abs. 4 Ziff. 1 iVm. Abs. 1 Satz 1 SGB II).
Die Verminderung des Vermögens muss subjektiv und absichtlich erfolgt sein, womit der direkte Vorsatz im Sinne des so genannten dolus directus ersten Grades gemeint ist. Erforderlich ist also das zielgerichtete Wollen, der Hilfebedürftige muss die Gewährung oder Erhöhung bewusst bezwecken, wobei es nicht schadet, wenn er dabei noch andere Ziele verfolgt (vgl. A. Loose in Gemeinschaftskommentar zum Asylbewerberleistungsgesetz Rn. 84 zu § 31 SGB II; Rixen in Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, Rn. 28 zu § 38). Weder reicht ein objektiv unwirtschaftliches Verhalten des Hilfebedürftigen angesichts bevorstehender Bedürftigkeit (Loose a.a.O.) noch reicht ein einfach vorsätzliches Verhalten, bei dem sich der Hilfebedürftige zwar über den Minderungseffekt im Klaren war, diesen aber nicht zielgerichtet im Sinne einen alles andere dominierenden Ziels anstrebte (Rixen a.a.O.). Letztendlich entscheidend ist eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Umstände.
Unter Berücksichtigung der Besonderheiten eines Eilverfahrens und nach dem derzeitigen Ermittlungsstand ist dem Antragsteller eine entsprechende Absicht nicht zu beweisen. Die objektive Beweislast für die Tatbestandvoraussetzungen eines Sanktionstatbestandes trägt die Behörde. Zwar spricht sowohl der nahe zeitliche Zusammenhang zwischen der Aufnahme des Darlehens unter Verpfändung der Spareinlage mit der Absenkung der Vermögensfreibeträge ab 01.08.2006, als auch die Inkaufnahme eines Zinsverlustes durch die Inanspruchnahme eines Darlehens dafür, dass dem Antragsteller die notwendigen Informationen über die Gesetzesänderung über die Auswirkungen seines Verhaltens bekannt waren. Daraus lässt sich indes noch nicht der Schluss ziehen, dass es ihm auf die Vermögensminderung in erster Linie ankam, er diese also zielgerichtet im Sinne eines alles andere dominierenden Zieles anstrebte. Der Antragsteller hat sich in seiner Anhörung im Verwaltungsverfahren dahingehend eingelassen, dass er Erhaltungsaufwendungen an seinem geschützten Einfamilienhaus zu tätigen gehabt habe und die dafür an sich vorgesehene Bausparsumme für ihn nicht verfügbar gewesen sei, sodass er im Ergebnis die Spareinlage habe beleihen müssen. Die Richtigkeit dieser Einlassung unterstellt wäre die Erhaltung des geschützten Hauses das vorrangige Ziel des Antragstellers gewesen, was grundsätzlich nicht zu beanstanden wäre. Die Minderung des Vermögens unterhalb der (neuen) Freibeträge wäre dann nur ein bedingt vorsätzlich in Kauf genommener Nebeneffekt. Dies ist im Eilverfahren nicht abschließend aufzuklären. Weitere Ermittlungen sind dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs war daher anzuordnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.