Landgericht Verden
Beschl. v. 05.07.2012, Az.: 1 Qs 109/12

Erstattung von Auslagen eines Verteidigers vor Begründung der eingelegten Revision durch die Staatsanwaltschaft im Falle ihrer Rücknahme der Revision

Bibliographie

Gericht
LG Verden
Datum
05.07.2012
Aktenzeichen
1 Qs 109/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 19191
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGVERDN:2012:0705.1QS109.12.0A

Fundstellen

  • StRR 2012, 323
  • VRR 2012, 323
  • ZAP 2012, 997
  • ZAP EN-Nr. 572/2012

Amtlicher Leitsatz

Bei einer allein von der Staatsanwaltschaft eingelegten Revision besteht für den Angeklagten so lange kein rechtliche Notwendigkeit für die Einschaltung eines Verteidigers im Revisionsverfahren, wie die Staatsanwaltschaft ihre Revision nicht begründet hat. Beauftragt der Angeklagte früher einen Verteidiger, sind die dadurch entstehenden Auslagen nicht "notwendig" und werden im Fall der Rücknahme nicht erstattet.

In der Kostensache pp.
- Verteidiger: Rechtsanwalt Bernd Brüntrup, Minden
- wegen gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr
wird auf die sofortige Beschwerde des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Verden vom 21. März 2012 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Nienburg (Weser) vom 15. März 2012 der angefochtene Beschluss aufgehoben.

Tenor:

Der Antrag des Angeklagten vom 14. Oktober 2011, seine ihm aus der Landeskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen für das Revisionsverfahren auf 321,30 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz festzusetzen, wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und seine diesbezüglichen notwendigen Auslagen trägt der Angeklagte.

Die Entscheidung unterliegt keiner weiteren Anfechtung (§ 310 Abs. 2 StPO).

Gründe

1

1.

Der Angeklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts Nienburg (Weser) vom 29. März 2011 (vgl. BI. 20 ff. Bd. II d.A.) in der Fassung des Berufungsurteils des Landgerichts Verden vom 6. Juli 2011 (Az. 12 Ns 64/11, vgl. BI. 70 ff. Bd. II d.A.), rechtskräftig seit dem 16. September 2011, wegen fahrlässigen Eingriffs in den Bahnverkehr verwarnt; die Verurteilung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 40,00 EUR blieb vorbehalten. Zudem wurden dem Angeklagten die Kosten des Verfahrens einschließlich des Berufungsverfahrens und seine notwendigen Auslagen auferlegt. Gegen das Berufungsurteil des Landgerichts Verden vom 6.Juli 2011 legte die Staatsanwaltschaft Verden mit Schreiben vom 7. Juli 2011 am 8. Juli 2011 form- und fristgerecht das Rechtsmittel der Revision ein (vgl. Bl. 59 Bd. II d.A.). Das schriftlich abgefasste Urteil ging mit den Gründen am 8. August 2011 auf der Geschäftsstelle des Landgerichts Verden ein (vgl. BL 70 Bd. II d.A.). Mit Verfügung vom selben Tage ordnete der Vorsitzende Richter am Landgericht Stünker die Zustellung des Urteils an die Staats-anwaltschaft Verden an (vgl. BI. 76 Bd. II d.A.), bei der es mit den Akten am 18. August 2011 einging (ebda.). Zugleich wurde eine Urteilsausfertigung formlos und jeweils mit dem Zusatz, dass die Staatsanwaltschaft gegen das Urteil Revision eingelegt habe, an den Angeklagten und den Verteidiger übersandt (ebda.). Mit Schriftsatz vom 19. August 2011 (vgl. Bl. 86 Bd. II d.A.) zeigte der Verteidiger gegen-über dem Landgericht Verden an, dass er den Angeklagten auch in der Revisions-instanz verteidigen werde, und beantragte, die Revision der Staatsanwaltschaft als unbegründet zu verwerfen. Mit Beschluss des Landgerichts Verden vom 6. Oktober 2011 (vgl. BI. 90 Bd. II d.A.) wurden der Landeskasse die Kosten der zurückgenommenen Revision auferlegt. Die in diesem Beschluss zunächst unterbliebene Anordnung, dass die Landeskasse auch die diesbezüglichen notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen hat, wurde auf Antrag des Angeklagten vom 25. Mai 2012 (vgl. Bl. 121 f. Bd. II d.A.) durch Beschluss der 12. kleinen Strafkammer des Landgerichts Verden vom 5. Juni 2012 gemäß § 33a S. 1 StPO nachgeholt (vgl. Bl. 126 f. Bd. II d.A.), wodurch sich der zugleich gestellte weitere Antrag des Angeklagten vom 25. Mai 2012 (vgl. BI. 122 Bd. II d.A.) auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erledigt hat.

2

Bereits mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 14. Oktober 2011 (vgl. BI. 95 f. Bd. II d.A.) hatte der Angeklagte beantragt, gegen die Landeskasse an ihn für die Revisionsinstanz zu erstattende notwendige Auslagen in Höhe von insgesamt 321,30 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz festzusetzen. Diesem Antrag ist der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Verden mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2011 (vgl. BI. 100 Bd. II d.A.) vollumfänglich entgegengetreten. Zur Be-gründung führte er sinngemäß aus, dass zum Einen keine Kostengrundentscheidung vorliege, auf die der Auslagenerstattungsanspruch des Angeklagten gestützt werden könne, und dass zum Anderen die Auslagen eines Angeklagten in einem Revisions-verfahren, das allein von der Staatsanwaltschaft betrieben werde, bis zum Vorliegen der schriftlichen Begründung des Rechtsmittels keine erstattungsfähigen "notwendigen" Auslagen seien. Wegen der Einzelheiten wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Schriftsatz des Bezirksrevisors vom 31. Oktober 2011 sowie dessen weitere Stellungnahmen vom 24. Januar 2011 (vgl. Bl. 108 Bd. II d.A.) und 21. März 2012 (vgl. BL 117 Bd. II d.A.) Bezug genommen. Mit dem von dem Bezirksrevisor angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 15. März 2012 hat das Amtsgericht Nienburg (Weser) — Rechtspflegerin — die dem Angeklagten aus der Landeskasse für die Revisionsinstanz zu erstattenden notwendigen Auslagen antragsgemäß auf 321,30 EUR nebst Zinsen festgesetzt (vgl. BI. 112 f. Bd. II d.A.). Wegen der Begründung wird wiederum auf die Gründe des Beschlusses Bezug genommen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde des Bezirksrevisors, wobei der Bezirksrevisor zur Begründung auf seinen früheren Vortrag verweist.

3

II.

1.

Die sofortige Beschwerde des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Verden vom 21. März 2012 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Nienburg (Weser) vom 15. März 2012 ist statthaft (vgl. § 464b S. 3 StPO i.V.m. §§ 103 Abs. 2 S. 1, 104 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1 ZPO, 11 Abs. 1, 21 Nr. 1 RPfIG) und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 464b S. 3 i.V.m. §§ 304, 311 Abs. 2 StPO, vgl. OLG Celle, Rpfleger 2001, 97 [OLG Celle 10.07.2000 - 3 Ws 122/00]), und der Wert des Beschwerdegegenstandes (321,30 EUR nebst Zinsen) übersteigt die Grenze von 200,00 EUR (§ 464b S. 3 i.V.m. § 304 Abs. 3 StPO). Zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde ist sodann nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammer des Landgerichts Verden nicht gemäß § 568 S. 1 ZPO der Einzelrichter, sondern gemäß §§ 73 Abs. 1, 76 Abs. 1 GVG die Strafkammer berufen (vgl. LG Verden, Beschl. v. 29. Juni 2009, Az..1 Qs 98/09; ebenso z.B. OLG Koblenz, NJW 2005, 917 (917); Beschl. v. 26. März 2007, Az. 1 Ws 153/07, <[...]> Rdnr. 18; OLG Düsseldorf (2. Strafsenat), Rpfleger 2004, 120 [OLG Düsseldorf 29.09.2003 - 2 Ws 213/03] (120 f.); Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., 2012, § 464b Rdnr. 7).

4

2.

Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Das Amtsgericht Nienburg (Weser) hat in dem angefochtenen Beschluss zu Unrecht die dem Angeklagten aus der Landeskasse für das Revisionsverfahren zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 321,30 EUR nebst Zinsen festgesetzt. Im Zeitpunkt der Entscheidung des Amtsgerichts fehlte es bereits an einer Kostengrundentscheidung, auf die der Angeklagte seinen Auslagenerstattungsanspruch hätte stützen können. Der Kostenbeschluss der 12. kleinen Strafkammer des Landgerichts Verden vom 6. Oktober 2011 hat nämlich der Landeskasse lediglich die "Kosten" der Revision (also die Gebühren und die Auslagen der Staatskasse,§ 464a Abs. 1 S. 1 StPO), nicht aber auch die diesbezüglichen notwendigen Auslagen des Angeklagten (§ 464a Abs. 2 StPO) auferlegt. Die zunächst fehlende Auslagenentscheidung ist indes auf Antrag des Angeklagten nach § 33a S. 1 StPO von der 12. kleinen Strafkammer des Landgerichts Verden zwischenzeitlich durch den weiteren Beschluss vom 5. Juni 2012, auf dessen zutreffen- de Gründe Bezug genommen wird, rechtswirksam nachgeholt worden, sodass nach der für die Entscheidung der Beschwerdekammer maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nunmehr eine taugliche Kostengrundentscheidung vorhanden ist. Jedoch sind die vorliegend von dem Angeklagten für seine anwaltliche Vertretung in der Revisionsinstanz geltend gemachten Auslagen keine "notwendigen" im Sinne des§ 464a Abs. 2 StPO, sodass sein Kostenfestset- zungsantrag vom 14. Oktober 2011 auch aus diesem noch fortbestehenden Grunde vollumfänglich hätte zurückgewiesen werden müssen.

5

a.)

Nach Ziff. 4130 W-RVG kann ein Rechtsanwalt für seine Tätigkeit im Revisionsverfahren eine Verfahrensgebühr beanspruchen. Die Gebühr entsteht, wenn der Rechtsanwalt (bei Vorliegen eines entsprechenden Auftrags durch den Mandanten) erstmals für den Mandanten im Revisionsverfahren tätig wird. Dies muss nicht zwangsläufig eine nach außen erkennbare Tätigkeit sein; vielmehr genügt bereits die (interne) Beratung des Mandanten über den weiteren Gang des Verfahrens (vgl. Burhoff in: Gerold/Schmidt, RVG, 20. Aufl., 2012, VV 4130, 4131 Rdnrn. 4 u. 6). Umstritten ist allerdings, von welchem Zeitpunkt an bei einem lediglich formularmäßig und möglicherweise nur zum Zwecke der Fristwahrung von der Staatsanwaltschaft eingelegten Rechtsmittel die durch die Tätigkeit des Rechtsanwalts ausgelöste Verfahrensgebühr als "notwendige" und somit durch die Landeskasse erstattungsfähige Auslage im Sinne des § 464a Abs. 2 Nr, 2 StPO i.V.m. § 91 Abs. 2 ZPO anzusehen ist:

6

aa.)

Die obergerichtliche Rechtsprechung vertritt insoweit für das Rechtsmittel der Revision mehrheitlich die Auffassung, dass bei einem alleinigen Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft solange keine rechtliche Notwendigkeit für die Einschaltung eines Verteidigers im Revisionsverfahren bestehe, wie die Staatsanwaltschaft ihre Revision nicht begründet habe. Zwar möge ein Angeklagter ein Interesse daran haben, schon gleich nach Einlegung der Revision der Staatsanwaltschaft etwas über deren mögliche Erfolgsaussichten zu erfahren. Vor Zustellung des Urteils und der - zwingend erforderlichen - Begründung des Rechtsmittels beschränke sich dieses Interesse jedoch auf ein rein subjektives Beratungsbedürfnis. Objektiv sei hingegen eine rechtliche Beratung vor diesem Zeitpunkt weder sachgerecht noch zweckdienlich, weil über die Erfolgsaussichten der staatsanwaltschaftlichen Revision vor deren Begründung verteidigerseitig schlechterdings keine auch nur halbwegs seriösen Aussagen getroffen werden könnten. Erst wenn Ziel und Gegenstand der Revision anhand der ausgeführten Rügen feststehe, sei es möglich und mache es für den Angeklagten Sinn, sich mit seinem Verteidiger über deren Erfolgsaussichten und über das mögliche weitere Vorgehen zu beraten (vgl. OLG Rostock, Beschl. v. 13. Juli 2009, Az. 1 Ws 192/09, <[...]> Rdnrn. 4 f.; ebenso z.B. OLG Koblenz, Beschl. v. 3. Juli 2006, Az. 2 Ws 424/06, <[...]> Rdnr. 3; OLG Oldenburg, Beschl. v. 21. Dezember 2001, Az. 1 Ws 647/01, <[...]> Rdnr. 1; OLG Celle, NdsRpfl. 1995, 167 f.).

7

bb.)

Demgegenüber werden von Teilen der Rechtsprechung und von der Mehrzahl der Stimmen im Schrifttum die Kosten eines vor der Revisionsbegründung durch die Staatsanwaltschaft konsultierten Verteidigers sehr wohl für "notwendig" und deshalb erstattungsfähig erachtet. Der Angeklagte brauche die Rechtsmittelbegründung nicht abzuwarten, denn er dürfe und müsse angesichts der die Staatsanwaltschaft verwaltungsintern bindenden Vorschrift der Ziff. 148 Abs. 1 S. 1 RiStBV, derzufolge die Staatsanwaltschaft ein Rechtsmittel "nur ausnahmsweise" lediglich vorsorglich einlegen solle, grundsätzlich davon ausgehen, dass die Staatsanwaltschaft ein von ihr eingelegtes Rechtsmittel sodann auch durchführe. Der Grundsatz der "Waffengleichheit" im Strafprozess verlange, dass sich der Angeklagte in jeder Lage des Verfahrens eines Verteidigers bedienen dürfe (vgl. Hilger in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 6, 25. Aufl., 2001, § 464a Rdnrn. 35 u. 37; Meyer-Goßner, a.a.O.., § 464a Rdnr. 10; Gieg.. in: Hannich (Hrsg.), Karlsruher Komm. zur StPO, 6. Aufl., 2008, § 464a Rdnr. 10; OLG Stuttgart, Beschl. v. 2. April 1998, Az. 3 Ws 102/95 u.a., <[...]> Rdnrn. 13 f.).

8

cc.)

Die Kammer schließt sich für das Rechtsmittel der Revision (demgegenüber differenzierend für das Rechtsmittel der Berufung der Beschl. des Landgerichts Verden vom 15. April 2010, Az. 1 Qs 311/09) der erstgenannten Auffassung an. Bei einer Revision ist es dem Angeklagten zuzumuten, vor der Beauftragung eines Verteidigers mit seiner Vertretung in der Rechtsmittelinstanz zunächst den Ablauf der einmonatigen Begründungsfrist aus § 345 Abs. 1 S. 1 StPO abzuwarten, bei deren Ablauf sodann feststeht, ob das Rechtsmittel von der Staatsanwaltschaft durchgeführt werden wird oder nicht. Dies gilt umso mehr, als dass § 347 Abs. 1 S. 3 StPO dem Angeklagten für den Fall einer rechtzeitigen Revisionsbegründung von Gesetzes wegen nach deren Zustellung eine einwöchige (und zudem keine Ausschlussfrist darstellende!, vgl. Meyer-Goßner, a.a.O.., § 347 Rdnr. 2) Frist zur Gegenerklärung einräumt, sodass die sachgerechte Verteidigung des Angeklagten in der Revisionsinstanz keine frühere Beauftragung eines Verteidigers erfordert.

9

b.)

Von diesem Rechtsstandpunkt aus sind hier die Auslagen, die dem Angeklagten in der Revisionsinstanz vor der Rücknahme des Rechtsmittels durch die Staatsanwaltschaft Verden und vor der Begründung des Rechtsmittels durch die Staatsanwaltschaft infolge der Hinzuziehung seines Verteidigers entstanden sind, nicht als "notwendig" anzusehen, sodass eine Erstattung dieser Auslagen aus der Landeskasse nicht in Betracht kommt.

10

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 Abs. 1 S. 1 StPO. Hat ein von der Staatsanwaltschaft (bzw. hier statt derer von dem Bezirksrevisor) eingelegtes Rechtsmittel Erfolg, so gehören die Rechtsmittelkosten zu den allgemeinen Verfahrenskosten, die der Angeklagte auf der Grundlage des Urteils des Amtsgerichts Nienburg (Weser) vom 29. März 2011 nach § 465 StPO zu tragen hat. Auch von seinen notwendigen Auslagen in der Rechtsmittelinstanz wird der Angeklagte nicht entlastet (vgl. Meyer-Goßner, aa0. § 473 Rdnr. 15).