Landgericht Verden
Beschl. v. 03.05.2012, Az.: 1 Qs 36/12
Bibliographie
- Gericht
- LG Verden
- Datum
- 03.05.2012
- Aktenzeichen
- 1 Qs 36/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 44387
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 267 StGB
- § 22 Abs 1 Nr 3 Alt 4 StVG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Das Anbringen eines einzelnen neu für den Pkw zugelassenen Kennzeichenschildes vorn unter Beibehaltung des sich davon unterscheidenden alten nicht mehr zugelassenen, aber noch nicht entstempelten Kennzeichenschildes hinten und die anschließende Teilnahme am Straßenverkehr erfüllt nicht den Tatbestand der Urkundenfälschung gem. § 267 StGB; ein solches Verhalten kann aber nach § 22 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 4 StVG strafbar sein.
Gründe
Aufgrund des Verlustes des vorderen der für seinen Pkw zugelassenen Kennzeichenschilder vorn begab sich der Angeschuldigte am 19. September 2011 für eine Neuzulassung seines Wagens zur zuständigen Zulassungsstelle, wo ihm zwei neue Kennzeichenschilder für sein Fahrzeug ausgehändigt wurden. Das alte Kennzeichen wurde danach Ende September 2011 bereits für ein anderes Fahrzeug wieder vergeben. Der Angeschuldigte montierte am 19. September 2011 noch auf dem Gelände der Zulassungsstelle das neu ausgegebene Kennzeichen vorn, ließ aber das alte noch nicht entstempelte Kennzeichen hinten weiter an seinem Fahrzeug befestigt und tauschte dieses nicht gegen das zweite neue Kennzeichenschild aus. Am 16. November 2011 wurde der Angeschuldigte polizeilich kontrolliert, wie er mit seinem Fahrzeug mit den zwei verschiedenen Kennzeichen am öffentlichen Straßenverkehr teilnahm. Zum Abschluss des daraufhin geführten Ermittlungsverfahrens beantragte die Staatsanwaltschaft Verden beim Amtsgericht Verden (Aller) einen Strafbefehl, der dem Angeschuldigten im Zeitraum vom 19. September bis zum 16. November 2011 eine Urkundenfälschung vorwarf, da er sein Fahrzeug weiterhin mit dem hinten angebrachten nicht mehr gültigen Kennzeichen genutzt hatte, obwohl seit der Neuanmeldung neue Kennzeichen für den Pkw ausgegeben waren und das eine Kennzeichenschild bereits vorn am Fahrzeug angebracht war.
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 30. Januar 2012 den Erlass des Strafbefehls aus rechtlichen Gründen abgelehnt, weil gegen den Angeschuldigten nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens ein hinreichender Tatverdacht, den Straftatbestand der Urkundenfälschung gem. § 267 StGB oder des Kennzeichenmissbrauchs gem. § 22 StVG begangen zu haben, nicht vorliege. Der Angeschuldigte habe im Rahmen des § 267 StGB nicht zur Täuschung im Rechtsverkehr gehandelt, auch scheitere eine Strafbarkeit nach § 22 StVG an der Erfüllung der subjektiven Voraussetzungen der Vorschrift. Gegen diesen Beschluss hat die Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde eingelegt. Das Landgericht Verden- Beschwerdekammer- hat den angefochtenen Beschluss mit Beschluss vom 3. Mai 2012 aufgehoben und die Rechtssache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Aus den Gründen:
(…) 1. […] b.) […] Der Angeschuldigte [ist] vorliegend zwar nicht einer Urkundenfälschung gem. § 267 StGB, aber nach vorläufiger Tatbewertung eines Kennzeichenmissbrauchs gem. § 22 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 4 StVG hinreichend verdächtig.
aa) Ein hinreichender Tatverdacht hinsichtlich der Verwirklichung des Straftatbestandes der Urkundenfälschung gem. § 267 StGB besteht aus rechtlichen Gründen vorliegend nicht, da das Handeln bzw. Unterlassen des Angeschuldigten betreffend der für seinen Pkw […] vormals bzw. aktuell zugelassenen Kennzeichen […] keiner der in § 267 Abs. 1 StGB unter Strafe gestellten Tathandlungen unterfällt. Als Tathandlungen kommen hier zum einen das Anbringen des vorderen neuen Kennzeichens […] durch den Angeschuldigten im Rahmen der Neuzulassung seines Pkw am 29. September 2011 [richtig: 19. September 2011, Anm. d. Verf.] bei der Kraftfahrzeugzulassungsstelle Verden („.. und er ließ das vordere Schild in die Halterung schnappen.“, […]) in Betracht und zum anderen die Tatsache, dass der Angeschuldigte es in der Folgezeit bis zum 16. November 2011 unterlassen hat, das vormalige Kennzeichen […], das seit dem 29. September 2011 bereits für ein anderes Fahrzeug (ein Anhänger, […]) als Kennzeichen zugelassen war, hinten von seinem Pkw abzumontieren und durch das neu ausgegebene Kennzeichen […] zu ersetzen, was er von der Zulassungsstelle erhalten hatte. Das im Rahmen der Prüfung des § 267 StGB in Bezug zu nehmende Verhalten des Angeschuldigten bestimmt sich in Anwendung der ständigen Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit (vgl. BGHSt 6, 59). Vorliegend liegt ein eindeutiges Übergewicht der Vorwerfbarkeit auf dem Umstand, dass der Angeschuldigte das alte Kennzeichen weiterhin hinten an seinem Fahrzeug beließ, obwohl er bereits vorn das neue, auf den Pkw zugelassene Kennzeichen angebracht hatte und damit am öffentlichen Straßenverkehr teilnahm. Denn durch das alleinige Auswechseln des Kennzeichens vorn handelte er isoliert betrachtet in nicht vorwerfbarer Weise, da er rechtmäßig das ihm von der Zulassungsstelle ausgegebene neue Kennzeichen mit dem richtigen Zuordnungsobjekt, seinem Pkw, wie vorgesehen verbunden hat. Damit ist hier die strafrechtliche Einordnung des Unterlassens der Auswechslung des alten Kennzeichens […] für die Verwirklichung der Urkundenfälschung gem. § 267 StGB entscheidend. Die Tathandlungen des Herstellens einer unechten Urkunde und des Verfälschens einer echten Urkunde sind durch ein Unterlassen regelmäßig nicht zu verwirklichen (vgl. Cramer/ Heine in Schönke/ Schröder (Hrsg.), StGB, 28. Auflage, 2010, § 267 Rdnr. 63; Gribbohm in Jähnke/ Laufhütte/ Odersky (Hrsg.), Leipziger Kommentar StGB, 11. Auflage, § 267 Rdnr. 184 und 213), so dass das Verhalten des Angeschuldigten hier nicht Anknüpfungspunkt einer Strafbarkeit nach § 267 StGB sein kann.
Hilfsweise ist an dieser Stelle anzumerken, dass selbst wenn man vorliegend das Anbringen des neuen Kennzeichens vorn als relevante Tathandlung ansehen würde, man auch nicht zu einem strafbewehrten Verhalten im Sinne einer Urkundenfälschung käme. Denn durch das Anbringen des neuen, seinem Pkw zugeordneten Kennzeichens würde der Angeschuldigte nicht über die Identität des Ausstellers- also der Kraftfahrzeugzulassungsstelle- täuschen, da ja gerade dieser die Gedankenerklärung nach dem Urkundeninhalt zuzurechnen wäre, er würde also weder eine unechte Urkunde herstellen noch eine echte Urkunde verfälschen, da auch der nunmehr geänderte Gedankeninhalt des Pkw mit den unterschiedlichen Kennzeichen als zusammengesetzte Urkunde, vielleicht in Bezug auf das hintere Kennzeichen nunmehr inhaltlich unrichtig, aber immer noch von demselben Aussteller herrühren würde.
In der Tatsache, dass der Angeschuldigte mit seinem Pkw […], ausgestattet mit einem zugelassenen neuen Kennzeichen vorn und einem alten nicht mehr gültigen Kennzeichen hinten am öffentlichen Straßenverkehr teilnahm, kann kein Gebrauchen einer tatbestandsrelevanten Urkunde im Sinne des § 267 Abs. 1 Alt. 3 StGB gesehen werden, da der Angeschuldigte durch das Unterlassen keine unechte Urkunde hergestellt noch eine echte Urkunde verfälscht hat- wie soeben dargelegt- und nur ein Gebrauchen des Produktes einer Handlung nach der ersten oder zweiten Alternative des § 267 Abs. 1 StGB unter diese Vorschrift fällt. (…)
bb) Durch die von dem Angeschuldigten unterlassene Abmontierung des alten Kennzeichens […] hinten in dem Wissen, dass er vorn am 19. September 2011 bereits das nunmehr neu zugelassene und damit allein gültige Kennzeichen […] für seinen Pkw angebracht hatte und in der Absicht, durch das verbotswidrige Gebrauchen seines Pkw in diesem Zustand mit zwei unterschiedlichen Kennzeichen falschen Beweis zu erbringen, da man nur bei Ablesen des hinteren Kennzeichens sein Fahrzeug und damit die Halter- und Führereigenschaft diesem aufgrund erloschener behördlicher Zuordnung nicht zuordnen konnte, hat sich der Angeschuldigte aber eines Kennzeichenmissbrauchs nach § 22 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 4 StVG hinreichend verdächtig gemacht. Nach vorbezeichneter Vorschrift macht sich strafbar, wer in rechtswidriger Absicht das an einem Kraftfahrzeug angebrachte amtliche Kennzeichen sonst in seiner Erkennbarkeit beeinträchtigt. Es bedarf zunächst wiederum der Entscheidung, welchem Verhalten des Angeschuldigten der strafrechtliche Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit zuzuschreiben ist. In Anlehnung an die Beurteilung des Sachverhalts im Rahmen des § 267 StGB ist auch hier die strafrechtliche Relevanz auf das Beibehalten des alten Kennzeichens […] hinten am Fahrzeug konzentriert. Nähme man das - zwar noch nicht entstempelte- aber dennoch bereits für einen anderen Anhänger ausgegebene hintere Kennzeichen als angebrachtes amtliches Kennzeichen und damit als Ausgangspunkt der Betrachtung, welches durch das Anbringen des neuen Kennzeichens […] vorn in seiner Erkennbarkeit beeinträchtigt sein könnte, so würde dies dem Schutzzweck der Norm zuwiderlaufen. Denn von § 22 StVG sind nur von der Zulassungsbehörde zugeteilte amtliche Kennzeichen geschützt (vgl. König in Hentschel/ König/ Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Auflage, 2011, § 22 StVG Rdnr. 1), so dass das alte Kennzeichen mangels aktueller Zuordnung zu dem Fahrzeug des Angeschuldigten nicht von dieser Strafvorschrift geschützt wird. Durch das Belassen des nicht mehr für das Kraftfahrzeug zugelassenen Kennzeichens hinten hat der Angeschuldigte die Feststellung und Erkennbarkeit des Kraftfahrzeuges und des für jenes zugelassene Kennzeichen […] vorn erschwert und damit nach vorläufiger rechtlicher Bewertung die vierte Alternative des § 22 Abs. 1 Nr. 3 StVG erfüllt. Dabei kann auch ein Unterlassen tatbestandsmäßig sein (vgl. OLG Stuttgart, DAR 2011, 542ff.). Ferner ist bei allen Tatbestandsalternativen des § 22 Abs.1 Nr.3 StVG gerade nicht Voraussetzung, dass die Beeinträchtigung des Kennzeichens auf eine unmittelbare Manipulation desselben zurückgehen muss (vgl. OLG Stuttgart, aaO; BayObLG, DAR 81, 242; Hentschel/ König/ Dauer- König, aaO, § 22 StVG, Rdnr. 4 und 5; aA: Janker in Burmann/ Heß/ Jahnke (Hrsg.), Straßenverkehrsrecht, 22. Auflage, 2012, § 22 StVG Rdnr. 5 m.w.N.), so dass auch durch das Beibehalten zweier unterschiedlicher Kennzeichen das angebrachte zugelassene Kennzeichen allein durch das weitere Vorhandensein des nicht mehr amtlich zugeteilten Kennzeichens in seiner Erkennbarkeit beeinträchtigt sein kann. Denn Erkennbarkeit bedeutet in diesem Fall, die richtige Zuordnung des amtlich zugelassenen Kennzeichens für das betreffende Kraftfahrzeug zu ermöglichen, was vorliegend erschwert bzw. beeinträchtigt war. Denn für Verkehrsteilnehmer, die sich hinter dem Pkw des Angeschuldigten im öffentlichen Straßenverkehr bewegt haben, war das Kraftfahrzeug nicht dem amtlich zugelassenen Kennzeichen und damit auch dem richtigen eingetragenen Halter zuzuordnen. Die für ein tatbestandsmäßiges Unterlassen erforderliche Garantenpflicht des Angeschuldigten ergibt sich aus dem Gesetz. Denn nach § 10 Abs. 5 FZV müssen (zugelassene) Kennzeichen an der Vorder- und Rückseite des Kraftfahrzeuges vorhanden und fest angebracht sein. Eine Garantenstellung der Mitarbeiter der Kfz- Zulassungsstelle statuiert die Fahrzeug- Zulassungsverordnung gerade nicht, vielmehr ist derjenige, der die amtliche Zulassung seines Fahrzeuges beantragt (§ 6 FZV) und dem durch die Zulassungsbehörde sodann ein Kennzeichen zugeteilt wird (§ 8 FZV), für die ordnungsgemäße Anbringung der Kennzeichen an seinem Fahrzeug selbst verantwortlich. (…)
cc) Darüber hinaus ist durch das nicht ordnungsgemäße Anbringen der neuen amtlich zugelassenen Kennzeichen auch ein hinreichender Tatverdacht hinsichtlich eines Verstoßes gegen eine Ordnungswidrigkeit gem. § 24 StVG i.V.m. § 48 Nr. 1b), § 10 Abs. 12 i.V.m. § 10 Abs. 5 Satz 1 FZV ersichtlich, der aber hinter der hinreichend wahrscheinlichen Verwirklichung eines Straftatbestandes zurücktritt. (…)