Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 22.07.1992, Az.: III 311/89
Rückgängigmachung eines Grundstückkaufvertrags bei Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs; Nichterhebung der Grunderwerbsteuer bei Rückgängigmachung des Vertrags auf Grund eines Rechtsanspruchs; Voraussetzungen für die Sachmängelhaftung des Verkäufers; Wahlrecht des Käufers auf Geltendmachung von Schadensersatz oder Wandelung bzw. Minderung; Wandelung und durch gerichtlichen Vergleich abgeschlossener Aufhebungsvertrag als "Rückgängigmachung" nach dem Grunderwerbsteuergesetz
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 22.07.1992
- Aktenzeichen
- III 311/89
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1992, 15663
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1992:0722.III311.89.0A
Rechtsgrundlagen
- § 16 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG
- § 16 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG
- § 462 BGB
- § 459 BGB
- § 460 BGB
- § 465 BGB
Fundstellen
- EFG 1993, 246-247 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW-RR 1993, 910-911 (Volltext mit amtl. LS)
- UVR 1993, 151 (amtl. Leitsatz)
Verfahrensgegenstand
Grunderwerbsteuer
Amtlicher Leitsatz
Rückgängigmachung eines Grundstückskaufvertrags bei Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs und Abschluss eines Aufhebungsvertrags nach vorangegangenem gerichtlichen Vergleich.
Eine Rückgängigmachung i.S. des § 16 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG kann auch dann in Betracht kommen, wenn die Vertragsbeteiligten die Gewährleistungsansprüche im Kaufvertrag auf ein Minderungsrecht des Käufers beschränkt haben, der Veräußerer aber --nach vorangegangener Klage des Käufers auf Schadensersatz wegen erheblicher Baumängel-- einem gerichtlichen Vergleich zustimmt und die Beteiligten sodann einen Aufhebungsvertrag schließen.
In dem Rechtsstreit
hat der III. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 22. Juli 1992,
an der mitgewirkt haben:
1. Vorsitzender Richter am Finanzgericht ...
2. Richter am Finanzgericht ...
3. Richter am Finanzgericht ...
4. ehrenamtlicher Richter ...
5. ehrenamtlicher Richter ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 13. Januar 1998 und des Einspruchsbescheids vom 19. April 1998 werden die Grunderwerbsteuerbescheide vom 24. April aufgehoiben.
Der Beklagte trägt die Kosten
Tatbestand
Streitig ist, ob ein Grundstückskaufvertrag i.S. des§ 16 Abs. 2 Grunderwerbsteuergesetz 1983 (GrEStG) rückgängig gemacht wurde mit der Folge, dass keine Grunderwerbsteuer zu erheben ist.
Mit notariellem Vertrag vom 23. März 1984 (Vertrag I) erwarben die Kläger je zur ideellen Hälfte von der Firma ... (Firma A) eine in der Gemarkung N belegene Doppelhaushälfte. Hierbei handelte es sich um ein Musterhaus der Firma A. Der Kaufpreis betrug 125.000,00 DM. Die Vertragsparteien erklärten zugleich die Auflassung. In Ziff. II. des Vertrages war die Frage der Gewährleistung wie folgt geregelt:"Ist eine Nachbesserung nicht möglich oder schlägt sie fehl, so beschränkt sich der Anspruch des Käufers unter Ausschluss des Rechts auf Wandlung oder Rücktritt vom Vertrag auf einen Minderungsanspruch. Die Verkäuferin verliert das Recht auf Nachbesserung und ist verpflichtet, dem Käufer den Aufwand zur Mängelbeseitigung zu erstatten, wenn sie die Nachbesserung innerhalb einer angemessenen Frist nicht vorgenommen hat". Das beklagte Finanzamt (FA) setzte hierfür mit Bescheid vom 24. April 1984 Grunderwerbsteuer in Höhe von 1.250,00 DM gegen jeden der Kläger fest.
Am 4. November 1988 schlossen die Vertragsbeteiligten einen Aufhebungsvertrag (Vertrag II). Hierin heißt es u.a.:"Wegen verschiedener Mängel an dem Grundstück ist zum Aktenzeichen ... des Landgerichts G zwischen uns ein Rechtsstreit anhängig. Die Beteiligten haben sich deshalb geeinigt, den Kaufvertrag rückgängig zu machen. Wir heben daher den Kaufvertrag vom 23. März 1984 auf und vereinbaren für die Rückabwicklung folgendes ..". Im Folgenden verpflichtete sich die Firma A, den Kaufpreis von 125.000,00 DM an die Kläger zurückzuzahlen sowie weitere 30.000,00 DM für von den Klägern zwischenzeitlich eingebaute Zubehörteile zu zahlen. Im Gegenzug verpflichteten sich die Kläger, die vor dem Landgericht G anhängige Klage zurückzunehmen. Sodann erklärten die Parteien die Auflassung.
Mit Schreiben vom 22. Dezember 1988 stellte der Kläger beim FA einen Antrag auf Rückzahlung der bereits entrichteten Grunderwerbsteuer. Hierbei verwies er auf den Vertrag II. Das FA lehnte den Antrag mit der Begründung ab, eine Aufhebung der Grunderwerbsteuerfestsetzung gemäß § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG komme nicht in Betracht, da der Rückerwerb nicht innerhalb von zwei Jahren seit Entstehung der Steuer vorgenommen worden sei. Die Voraussetzungen einer Aufhebung nach § 16 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG seien ebenfalls nicht erfüllt, da der Vertrag I nicht nichtig gewesen sei. Schließlich sei auch § 16 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG nicht einschlägig, da die Parteien ein Recht auf Rückgängigmachung des Kaufs oder Rücktritt vom Vertrag wegen eventueller Mängel im Vertrag I ausdrücklich ausgeschlossen hätten.
Hiergegen richtet sich die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage, zu deren Begründung die Kläger Folgendes vortragen: Nach Abschluss des Vertrages I sei es zu Differenzen mit der Veräußerin gekommen, weil das Anwesen ganz erhebliche bauliche Mängel aufgewiesen und die Verkäuferin ihre Verpflichtungen aus dem Kaufvertrag insoweit nicht erfüllt habe. Nach Durchführung eines Beweissicherungsverfahrens hätten die Kläger dann gegen die Verkäuferin wegen eines Teilbetrages des zur Beseitigung der Mängel notwendigen Aufwandes in Höhe von 30.000,00 DM Zahlungsklage erhoben. Das zuständige Landgericht G habe in dem Rechtsstreit bezüglich eines Teils der Mängel Beweis durch Sachverständigengutachten erhoben. Der Sachverständige habe bereits für diesen Teilbereich der insgesamt bestehenden Mängel einen Aufwand ermittelt, der den gerichtlich geltend gemachten Betrag nahezu erreichte. Es sei dann auf Grund einer Anregung des Gerichts zu außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen gekommen, die dazu führten, dass die Kläger sich mit der Verkäuferin auf Rückabwicklung des Vertrages geeinigt hätten, wobei sich die Verkäuferin verpflichtete, als Ersatz für die Aufwendungen der Kläger zusätzlich zu dem zurückzugewährenden Kaufpreis weitere 30.000,00 DM zu zahlen. Entgegen der Auffassung des FA wären sie - die Kläger - auf Grund der arglistigen Täuschung seitens der Veräußerin zu einer Anfechtung des Kaufvertrages berechtigt gewesen, sodass der Vertrag I als von Anfang an nichtig anzusehen sei. Zu einer Anfechtung sei es nur deshalb nicht gekommen, weil sich die Veräußerin zur Rückabwicklung bereit erklärt habe. Es könne nicht Sinn des Gesetzes sein, Vergleiche zur einvernehmlichen Rückabwicklung zu verhindern oder zu erschweren. Darüber hinaus seien aber auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 16 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG erfüllt. Denn die Veräußerin habe die Vertragsbedingungen eindeutig nicht erfüllt. Angesichts der gravierenden Bauschäden am Haus wäre die Rückabwicklung nach der zivilrechtlichen Rechtsprechung auch gegen den Widerstand der Veräußerin durchzusetzen gewesen. Dies sei auch der Grund gewesen, warum sich die Veräußerin schließlich auf den Abschluss eines Vergleichs eingelassen habe.
Die Kläger beantragen,
die Grunderwerbsteuerbescheide vom 24. April 1984 aufzuheben.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es ist der Auffassung, dass sich die Kläger nicht auf eine nicht gegebene Rechtsgestaltung berufen könnten, um hieraus etwaige mögliche Besteuerungsfolgen abzuleiten. Denn unstreitig hätten sie den Vertrag I nicht wegen Nichtigkeit angefochten. Selbst wenn die vorliegenden Sachmängel tatsächlich so gravierend gewesen sein sollten, wie von den Klägern behauptet, so hätten sie gleichwohl unter diesem Gesichtspunkt keinen Rechtsanspruch auf Rückgängigmachung des ursprünglichen Kaufvertrages ableiten können, da auf diesen Anspruch seinerzeit ausdrücklich vertraglich verzichtet worden sei. Die jetzt vorgenommene einvernehmliche Rückübertragung beruhe daher kausal nicht auf einer bestehenden, sondern einer neu geschaffenen Rechtsposition.
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger erklärt, dass der entscheidende Mangel, nämlich das vollständige Fehlen einer Fußbodenisolierung, erst während des Zivilprozesses bekannt geworden sei. Erst der vom Gericht eingesetzte Sachverständige habe beim Aufnehmen des Fußbodens diesen Mangel erkannt. Daraufhin habe das Gericht den Abschluss des Vergleichs angeregt.
Wegen des Weiteren Vorbringens der Beteiligten verweist der Senat auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze, auf die beim FA geführten Grunderwerbsteuerakten (Aktenzeichen ...) sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Die Steuer für den Vertrag I ist gemäß § 16 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG nicht zu erheben.
Nach dieser Vorschrift ist die Grunderwerbsteuer für einen Rückerwerb durch den Veräußerer auf Antrag dann nicht zu erheben, wenn die Vertragsbedingungen - gemeint: Vertragsbestimmungen (BFH-Urteil vom 23. Februar 1956 II 286/55, BStBl III 1956, 131) - des Rechtsgeschäfts, das den Anspruch auf Übereignung begründet hat, nicht erfüllt werden und das Rechtsgeschäft deshalb auf Grund eines Rechtsanspruchs rückgängig gemacht wird. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.
Zu den Vertragsbestimmungen in diesem Sinne gehören nicht nur die vertraglich geschuldeten Hauptpflichten (vgl. BFH-Urteil vom 10. Juni 1969 II 41/65, BStBl II 1969, 559) oder fehlende zugesicherte Eigenschaften (§ 463 BGB - s. BFH-Urteil vom 5. August 1969 II R 11-12/67, BStBl II 1969, 689), sondern - wie die Regelung in § 16 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG für die Fälle der Minderung (§ 462 BGB) zeigt - auch Sachmängel gemäß § 459 BGB, die der Verkäufer infolge Schlechterfüllung des Vertrages zu vertreten hat (§ 460 BGB - s. BFH-Urteil vom 15. Februar 1978 II R 177/75, BStBl II 1978, 379).
Nach diesen Grundsätzen führt die Sachmängelhaftung des Verkäufers zu einem Rechtsanspruch auf Rückgängigmachung des Kaufs, sofern sie den Anspruch des Käufers auf Wandelung begründet (§§ 462, 467 BGB). Der"vorausgegangene Rechtsvorgang"ist i.S. dieser Vorschrift "rückgängig gemacht", wenn sich der Verkäufer auf Verlangen des Käufers mit ihr einverstanden erklärt hat (§ 465 BGB) und das in Erfüllung der Wandelung an den Verkäufer aufgelassene Grundstück im Grundbuch auf den Namen des Verkäufers eingetragen worden ist (s. BFH-Urteil vom 9. Oktober 1974 II R 67/68, BStBl II 1975, 245).
Dabei ist es unerheblich, ob der Käufer zunächst einen Schadensersatzanspruch gemäß § 463 BGB geltend macht und erst nachträglich zur Wandlung übergeht, solange das dem Käufer zustehende Wahlrecht noch nicht erloschen ist (vgl. BFH-Urteil II R 177/75, a.a.O.). Dies ist erst der Fall, wenn entweder das Urteil Rechtskraft erlangt hat oder die Wandelung bzw. Minderung im Einvernehmen mit dem Verkäufer vollzogen ist (s. Palandt, Kommentar zum BGB, 51. Aufl.,§ 463, Anm. 4).
Im Streitfall haben die Kläger gegen die Veräußerin zunächst eine Schadensersatzklage erhoben und hierbei die Veräußerin auf Ersatz des Schadens verklagt, der ihnen durch die mangelhafte Lieferung des Hauses entstanden ist. Da dieses Verfahren nicht rechtskräftig abgeschlossen worden ist, stand es ihnen jederzeit frei, wahlweise statt Schadensersatz Wandelung zu verlangen. Dieser Anspruch hätte ihnen nur dann verloren gehen können, wenn sie der Veräußerin gegenüber auf das Recht der Wandelung verzichtet oder sie das Recht verwirkt hätten. Zwar haben die Vertragsbeteiligten im Vertrag I vereinbart, dass den Klägern bei fehlender Nachbesserung nur das Recht auf Minderung zustehen, ein Wandelungsrecht hingegen ausgeschlossen sein sollte; dies schließt die Anwendung des § 16 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG nach Auffassung des erkennenden Senats gleichwohl dann nicht aus, wenn die Vertragsparteien - wie hier - diese Klausel stillschweigend dadurch abbedungen haben, dass die Veräußerin den Anspruch auf Wandelung den Klägern gegenüber vergleichsweise anerkannt hat. Denn der Vergleich ist ein gewichtiges Indiz dafür, dass den Klägern tatsächlich ein Rechtsanspruch auf Rückgängigmachung zustand. Demgemäß fasst der Senat das Tatbestandsmerkmal "auf Grund eines Rechtsanspruchs" in dem Sinne auf, dass hierunter auch ein Vergleich fallen kann.
Diesem Ergebnis steht das BFH-Urteil vom 21. Dezember 1960 II 194/57 U, BStBl III 1961, 163, nicht entgegen. Zwar hat der BFH dort ausgeführt, ein Anwendungsfall des § 17 Abs. 2 Ziff. 3 GrEStG (= § 16 Abs. 2 Ziff. 3 GrEStG in der heutigen Fassung) sei nicht gegeben, wenn das Recht zur Rückgängigmachung nur vergleichsweise anerkannt wird. Erforderlich sei, dass das Rücktrittsrecht vor Abschluss eines Vertrages über die Rückgängigmachung unbestritten feststehe. Aus den Entscheidungsgründen des Urteils ergibt sich jedoch, dass der BFH die Voraussetzungen für eine Nichterhebung immer dann als erfüllt ansieht, wenn in einem Vertrag eine ausdrücklich erklärte oder aus den Umständen zu entnehmende Anerkennung des Rechts zur Rückgängigmachung des Vertrages wegen Verletzung der Vertragsbestimmungen zu erblicken ist.
Als Begründung führt er in diesem Zusammenhang an, dass andernfalls der Steuerumgehung Tür und Tor geöffnet sei. Abgesehen davon, dass eine Steuerumgehungsabsicht im Streitfall nicht erkennbar ist, kommt es in diesem Zusammenhang nach Auffassung des erkennenden Senats auch darauf an, aus welchen Gründen die Veräußerin einem Aufhebungsvertrag zugestimmt hat. Hierzu dürfte die Veräußerin nicht zuletzt deshalb bereit gewesen sein, weil sich - wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung glaubhaft bekundet hat - erst im Laufe des Zivilprozesses besonders gravierende - den Klägern vorher nicht bekannt gewesene - Baumängel herausgestellt haben. Wenn die Veräußerin unter diesen Umständen einen Vergleich mit den Klägern abgeschlossen hat, so dürfte sie sich hierbei von der Erwägung habe leiten lassen, dass den Klägern ohnehin ein Recht auf Rückgängigmachung des Vertrages I zustand, sie also mit dem Vergleich nur einer entsprechenden Vorverteilung entgehen wollte. Der Senat sieht hierin die stillschweigende Anerkennung eines Wandelungsrechts der Kläger. Dies genügt i.S. des BFH-Urteils II 194/57 U, um eine Rückgängigmachung gemäß § 16 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG bejahen zu können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.