Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 07.02.2017, Az.: 1 Ss 1/17

Verletzung des Verschlechterungsverbots durch Verhängung derselben Strafe in der Berufungungsinstanz trotz Durchführung eines Härteausgleichs

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
07.02.2017
Aktenzeichen
1 Ss 1/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 14593
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2017:0207.1SS1.17.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Braunschweig - 31.10.2016 - AZ: 7 Ns 175/16

Amtlicher Leitsatz

1. Das Verschlechterungsverbot des § 331 StPO hat allein die Funktion, dass ein Angeklagter bei seiner Entscheidung darüber, ob er von einem ihm zustehenden Rechtsmittel Gebrauch machen will, nicht durch die Besorgnis beeinträchtigt werden soll, es könne ihm dadurch ein Nachteil in Gestalt härterer Bestrafung entstehen.

2. Deshalb bindet das Verschlechterungsverbot das Berufungsgericht zwar an die Strafobergrenze aus dem Ersturteil, nicht jedoch an bestimmte Auffassungen und Wertungen des Erstrichters.

3. Da das Berufungsgericht somit - innerhalb der durch § 331 StPO gezogenen Grenze - frei entscheiden kann, welche Strafe es für angemessen hält, ist das Verschlechterungsverbot nicht verletzt, wenn die Strafkammer trotz des erstmalig vorgenommenen Härteausgleichs auf eine Gesamtfreiheitsstrafe in derselben Höhe wie das Amtsgericht erkennt.

Tenor:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 31. Oktober 2016 wird auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft und nach Anhörung der Verteidigerin auf seine Kosten gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Braunschweig hat den Angeklagten mit Urteil vom 24.06.2014 wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt.

Gegen dieses Urteil hat (nur) der Angeklagte rechtzeitig Berufung eingelegt, die er in der Berufungshauptverhandlung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf das Strafmaß beschränkt hat. Durch das angefochtene Urteil vom 31.10.2016 hat das Landgericht Braunschweig die Berufung verworfen und den Tenor des amtsgerichtlichen Urteils dahingehend berichtigt, dass die Aufnahme der gemeinschaftlichen Begehungsweise entfällt. Im Rahmen der Strafzumessung hat die Kammer bei der Bildung der Gesamtstrafe zugunsten des Angeklagten einen Härteausgleich vorgenommen, da eine nachträglich aus an sich gesamtstrafenfähigen Entscheidungen gebildete Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten bereits vollständig vollstreckt worden war. Gleichwohl hat die Kammer - wie bereits das Amtsgericht, das diesen Härteausgleich indes noch nicht vorgenommen hatte - eine Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten für tat- und schuldangemessen gehalten.

Mit seiner rechtzeitig eingelegten und begründeten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Insbesondere sei die Strafzumessung lückenhaft und zum Teil widersprüchlich. Er beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer zurückzuverweisen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt wie erkannt.

II.

Die Revision ist auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft und nach Anhörung der Verteidigerin als unbegründet i.S.d. § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

Das Verfahren gibt dem Senat jedoch Anlass zu folgendem Bemerken:

Der Rechtsfolgenausspruch der Kammer weist auch im Hinblick auf den vorgenommenen Härteausgleich keinen Rechtsfehler auf. Insbesondere sieht der Senat das Verschlechterungsverbot des § 331 StPO nicht dadurch verletzt, dass die Kammer trotz des erstmalig vorgenommenen Härteausgleichs auf eine Gesamtfreiheitsstrafe in derselben Höhe wie das Amtsgericht erkannt hat.

Soweit das Oberlandesgericht München in seinem Beschluss vom 07.02.2006 vertreten hat, dass das Berufungsgericht für ein solches Ergebnis (fiktiv) von einer höheren Strafe als das Amtsgericht ausgegangen sein müsse, worin ein Verstoß gegen § 331 StPO liege (NJW 2006, 1302 [OLG München 07.02.2006 - 4 St RR 7/06], [OLG München 07.02.2006 - 4 St RR 7/06] so auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl. 2016, § 331, Rn. 20a), teilt der Senat diese Auffassung nicht. Er schließt sich vielmehr den Ausführungen des Oberlandesgerichts Hamm in dessen Urteil vom 01.04.2008 an (NJW 2008, 2358 [OLG Hamm 01.04.2008 - 3 Ss 43/08]; ebenso Quentin im Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2016, § 331, Rn. 46 und Gössel in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 331, Rn. 40; vgl. auch BGH, NJW 2000, 748 [BGH 10.11.1999 - 3 StR 361/99] zur Vorschrift des für das Revisionsverfahren identischen § 358 Abs. 2 S. 1 StPO):

Ein Härteausgleich kann sowohl durch die Minderung einer zunächst fiktiv zu bildenden Gesamtstrafe um die vollstreckte Strafe als auch durch eine unmittelbare Berücksichtigung des Nachteils bei der Festsetzung der neuen Strafe vorgenommen werden. Bei der Bildung zeitiger Freiheitsstrafen erfolgt der Härteausgleich stets durch Berücksichtigung auf der Strafzumessungsebene, dabei bei der Aburteilung mehrerer Taten (nur) auf der Gesamtstrafenebene (Fischer, StGB, 64 Aufl. 2017, § 55, Rn. 22 f. m.wN.). Da es sich bei dem Härteausgleich mithin um einen Strafzumessungsgesichtspunkt handelt, ist das Berufungsgericht frei darin, diesen im Rahmen seiner konkreten Einordnung der Tat innerhalb des Strafrahmens zu berücksichtigen und zu gewichten, ebenso wie dies auch für andere Strafzumessungserwägungen gilt, die das Amtsgericht zuvor nicht berücksichtigt hatte, mögen sie dem Angeklagten auch nachteilig sein. Das Verschlechterungsverbot des § 331 StPO steht dem nicht entgegen, denn dessen Bedeutung erschöpft sich darin, dass ein Angeklagter bei seiner Entscheidung darüber, ob er von einem ihm zustehenden Rechtsmittel Gebrauch machen will, nicht durch die Besorgnis beeinträchtigt werden soll, es könne ihm dadurch ein Nachteil in Gestalt härterer Bestrafung entstehen. Infolgedessen bindet das Verschlechterungsverbot das Berufungsgericht zwar an die Strafobergrenze aus dem Ersturteil, nicht jedoch an bestimmte Auffassungen und Wertungen des Erstrichters. Es kann somit frei entscheiden, welche Strafe es - auch unter Berücksichtigung eines Härteausgleichs - für angemessen hält, solange nur die erstinstanzlich verhängte Strafe im Ergebnis nicht erhöht wird.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.