Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 28.05.1979, Az.: 12 UF 28/79

Voraussetzungen einer einstweiligen Verfügung auf Zahlung von Unterhalt aufgrund Scheidung; Entscheidender Verfahrenszeitpunkt in Bezug auf Beginn von Unterhaltszahlungen bei eintsweiligen Verfügung; Frage der Berücksichtigung von vergangenen Zeiträumen bei Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen in der einstweiligen Leistungsverfügung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
28.05.1979
Aktenzeichen
12 UF 28/79
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1979, 10209
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1979:0528.12UF28.79.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Göttingen - 12.01.1979 - AZ: 44 F 617/78

Prozessführer

XXX

Prozessgegner

YYY

In der Familiensache
hat der 12. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 10. Mai 1979
durch
die Richter ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Verfügungsklägers gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengerichts - Göttingen vom 12. Januar 1979 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Parteien sind seit 1972 verheiratet. Aus der Ehe ist ein jetzt vierjähriges Kind hervor gegangen. Der Verfügungskläger, der 1943 geboren ist, lebt seit 1967 in der Bundesrepublik. Er betätigt sich als Journalist, Schriftsteller und gelegentlich als Portraitmaler. Die 1944 geborene Verfügungsbeklagte ist Dozentin am ... in .... Sie hat ein monatliches Nettoeinkommen von 2.727,80 DM. Im August 1978 ist sie mit dem gemeinschaftlichen Kind aus der ehelichen Wohnung ausgezogen.

2

Am 7. November 1978 hat der Verfügungskläger eine einstweilige Verfügung erwirkt, mit der die Verfügungsbeklagte zur Zahlung von Unterhalt für die Monate November und Dezember 1978 in Höhe von je 500,00 DM an den Verfügungskläger verurteilt worden ist. Sie zahlt gegenwärtig die Kosten für die bisherige Ehewohnung in Höhe von 420,00 DM zuzüglich 80,00 DM Heizungskostenabschlag sowie Telefongrundgebühr, Rundfunk- und Stromabschlag, insgesamt monatlich 617,00 DM. Darüber hinaus zahlt sie monatlich 340,00 DM Krankenversicherung; die Krankenversicherung ist auch zugunsten des Verfügungsklägers abgeschlossen. Die Verfügungsbeklagte wohnt zur Zeit mit dem ehelichen Kind in einem Zimmer, für das sie monatlich 150,00 DM zahlt.

3

Mit Antrag vom 27. Dezember 1978 hat der Verfügungskläger beantragt,

die Verfügungsbeklagte zu verurteilen, ihm für Januar 1979 und Februar 1979 je 500,00 DM Unterhalt zu zahlen.

4

Die Verfügungsbeklagte hat die Zurückweisung des Antrags auf einstweilige Verfügung beantragt und vorgetragen, der Verfügungskläger sei in der Lage, sich selbst zu unterhalten; er bemühe sich nicht ernsthaft und intensiv um Arbeit.

5

Durch Urteil vom 12. Januar 1979 hat das Amtsgericht - Familiengericht - Göttingen den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, daß der Verfügungskläger seinen Unterhalt durch Erwerbstätigkeit selbst verdienen könne.

6

Mit der gegen dieses Urteil gerichteten Berufung macht der Verfügungskläger geltend, er habe bisher trotz intensiver Bemühungen eine Beschäftigung in seiner bisherigen Berufstätigkeit oder auch auf anderem Gebiet nicht erlangen können.

7

Er beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und der Verfügungsbeklagten im Wege einstweiliger Verfügung aufzugeben, dem Verfügungskläger für Januar, Februar, März und April 1979 hilfsweise für die Monate Mai bis August 1979 je 500,00 DM Unterhalt zu zahlen.

8

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

9

Sie meint, der Verfügungskläger habe keinen Unterhaltsanspruch gegen sie; im übrigen bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis, da er bisher Klage zur Hauptsache nicht erhoben habe.

Entscheidungsgründe

10

Die Berufung hat keinen Erfolg.

11

Eine einstweilige Verfügung kann hier schon deswegen nicht ergehen, weil es an einem Verfügungsgrund fehlt; es liegt keine dringende Notlage vor, die nur durch eine einstweilige Verfügung beseitigt werden könnte.

12

1.

Der Verfügungskläger begehrt den Erlaß einer einstweiligen Verfügung, mit der nicht ein einstweiliger Zustand vorübergehend gesichert, sondern mit der bereits ein etwaiger Unterhaltsanspruch teilweise befriedigt werden soll. Eine solche Leistungsverfügung ist nach § 940 ZPO zulässig, sofern sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Als Verfügungsgrund kommt hier nur in Betracht, daß eine einstweilige Verfügung zur Abwendung wesentlicher Nachteile erforderlich sein könnte. Nach der ständigen Rechtsprechung kann eine solche einstweilige Verfügung nur zur Vermeidung einer dringenden Notlage ergehen, d. h. nur zur Sicherung des notwendigen Lebensunterhaltes (Thomas-Putzo, 10. Aufl., § 940 Anm. 4).

13

a)

Die Kommentare und die Rechtsprechung sind sich darüber einig, daß eine Leistungsverfügung nicht für Rückstände ergehen kann (Baumbach-Lauterbach, 37. Aufl., § 940 Anm. 3 B; Stein-Jonas-Grunsky, 19. Aufl., vor § 935 Anm. IV 2 d; OLG Düsseldorf FamRZ 1972, 48; LG München NJW 1960, 828; LG Karlsruhe FamRZ 1969, 41, 42). Umstritten ist allerdings, ob im Wege der einstweiligen Verfügung wenigstens die ab dem Tage des Eingangs des Gesuchs auf einstweilige Verfügung entstandenen Rückstände in die einstweilige Verfügung einbezogen werden können. Das OLG Karlsruhe hat in einer Entscheidung vom 1. Dezember 1915 (OLGZ 33, 134, 135) darauf hingewiesen, daß eine weit verbreitete Übung erst den Tag, an dem die einstweilige Verfügung erlassen werde, als entscheidend ansehe. Eine solche Einschränkung soll nach Ansicht des OLG Karlsruhe aber unbillig sein, da der Antragsteller auf den mehr oder minder schleunigen Gang des Verfahrens keinen Einfluß habe. So stellt auch das Landgericht Karlsruhe in FamRZ 69, 41, 42 auf den Eingang des Gesuchs ab; ebenso wohl auch OLG Düsseldorf in FamRZ 72, 48. Das LG München nennt in NJW 1960, 828 den Tag der Einreichung des Gesuchs als den frühest möglichen Zeitpunkt. Diese neueren Entscheidungen enthalten keine Begründung, warum der Tag des Eingangs des Gesuches maßgebend sein soll. Bei den Entscheidungen ging es auch nicht darum, daß eine einstweilige Verfügung zurückgewiesen worden war, vielmehr war sie vom Vorgericht erlassen worden, so daß es für die Entscheidung des Berufungsgerichts in den genannten Fällen nicht darauf ankam, ob eine einstweilige Verfügung rückwirkend ab Antragstellung bewilligt werden kann.

14

Eine einstweilige Verfügung auf Zahlung von Unterhalt kann in der Regel nicht für einen Zeitraum bewilligt werden, der bereits vergangen ist. Die Begründung, der Antragsteller habe auf den Gang des Gerichtsverfahrens keinen Einfluß und deswegen sei es sachlich gerechtfertigt, die einstweilige Verfügung ab Einreichung des Gesuches zu gewähren, vermag nicht zu überzeugen. Grundsätzlich gewährt das Gesetz bei einem Anspruch auf Geldleistung nur eine Sicherstellung durch Arrest, da eine Befriedigung die Gefahr in sich birgt, daß Schadensersatzansprüche desjenigen, der bereits geleistet hat, möglicherweise nicht verwirklicht werden können, wenn sich beim Prozeß der Hauptsache herausstellen sollte, daß kein Unterhaltsanspruch besteht. Dies gilt in besonders hohem Maße, wenn einem Verfügungskläger Unterhalt gewährt wird, da er in der Regel nicht in der Lage ist, die erhaltenen Leistungen zurückzuzahlen (sonst würde er sich wohl kaum in einer Notlage befunden haben). Die Leistungsverfügung auf Zahlung von Unterhalt ist also nur deswegen zulässig, weil anderenfalls künftig eine Notlage besteht, die nur über die Fürsorge abgewendet werden kann. Ist aber eine solche Notlage nicht mehr gegeben, weil der Unterhaltsgläubiger den entsprechenden Zeitraum bereits gelebt hat, ohne daß daraus - etwa durch Aufnahme von Darlehen - Belastungen für die unmittelbar bevorstehende Zeit entstanden sind, so ist der Vorrang der Leistungsverfügung und die Inkaufnahme, daß der Leistende möglicherweise später sein Geld nicht zurückbekommen kann, nicht mehr gerechtfertigt.

15

Wie Gaul (FamRZ 1958, 161) ausgeführt hat, ergibt sich aus dem Zweck der einstweiligen Verfügung zur Befriedigung notwendiger Lebensbedürfnisse zwangsläufig, daß eine Unterhaltsregelung nur für die Zukunft und nicht hinsichtlich der bereits aufgelaufenen Rückstände zulässig ist. Schon in der Fassung des § 940 ZPO, nach weicher die Verfügung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig sein müsse, komme hinlänglich zum Ausdruck, daß nur künftigen Nachteilen begegnet werden solle. Dieser Zweck des § 940 ZPO läßt es nicht zu, eine einstweilige Verfügung zu erlassen, mit der der Verfügungsbeklagten aufgegeben wird, für zurückliegende Monate Unterhalt zu zahlen, obgleich der Verfügungskläger die Leistung nicht zur Befriedigung seiner Lebensbedürfnisse der vergangenen Zeit benötigt. Im Wege der einstweiligen Verfügung kann nicht mehr als der zur Behebung der Notlage erforderliche Unterhalt verlangt werden (Senatsurteil vom 21.2.78 - 12 UF 147/78 -). Zur Behebung der Notlage ist hier eine Unterhaltsleistung für die zurückliegenden Monate aber nicht mehr erforderlich. Zwar beseitigt die Tatsache, daß der Verfügungskläger Sozialhilfe bezieht, grundsätzlich nicht den Verfügungsgrund, da die Sozialhilfe nur subsidiär ist (Senatsurteil vom 7.12.78 - 12 UF 135/78); hat der Verfügungskläger mit Hilfe der Sozialunterstützung in der Vergangenheit gelebt, so besteht für die zurückliegende Zeit kein Verfügungsgrund, Rückstände können im Wege der einstweiligen Verfügung nur ganz ausnahmsweise verlangt, werden, etwa wenn die Rückstände sich dahin auswirken, daß der laufende Unterhalt erheblich gefährdet ist (Köhler, Handbuch des Unterhaltsrechts S. 188). Ein Verfügungsgrund ist nicht gegeben, wenn dem Antragsteller - wie hier - auch mit einer späteren Realisierung seines Rechts gedient ist (Stein-Jonas-Grunsky, 19. Aufl., § 940 Anm. III 1).

16

Für dieses Ergebnis spricht auch § 929 Abs. 2 i.V.m. § 936 ZPO. Danach ist die Vollziehung einer einstweiligen Verfügung unstatthaft, wenn seit der Zustellung mehr als 1 Monat verstrichen ist, d. h. für die davor liegenden Monate kann dann nicht mehr vollstreckt werden. Auch hier kommt die Tendenz zum Ausdruck, den Verfügungsgrund nachträglich zu verneinen, wenn im Vollstreckungsverfahren nicht zügig vorgegangen wird.

17

Der Verfügungskläger kann, wenn er einen Unterhaltsanspruch zu haben meint, diesen für die vergangenen Monate im Wege der ordentlichen Klage geltend machen. Dabei kann abschließend geklärt werden, ob ihm ein solcher Anspruch zusteht. Es würde mit dem Schutz der Verfügungsbeklagten nicht zu vereinbaren sein, ihr aufgrund einer pauschalen Prüfung eine Zahlungsverpflichtung aufzuerlegen, obwohl dafür keine dringende Notwendigkeit mehr besteht. Diese gebotene Sicherung des Schuldners verlangt, daß einstweilige Verfügungen nur mit größter Vorsicht und unter strengster Beachtung ihrer Voraussetzungen erlassen werden (OLG Bamberg OLGZ 71, 438).

18

b)

Durch eine solche Verweigerung der einstweiligen Verfügung wird dem Verfügungskläger auch nicht etwa ein bisher gegebener Anspruch versagt. Hat er einen Unterhaltsanspruch, so behält er diesen weiter und kann ihn im Hauptprozeß verfolgen. Darüberhinaus sprechen hier auch noch folgende Gesichtspunkte gegen das Bestehen einer Notlage:

19

Das Amtsgericht hat den Erlaß einer einstweiligen Verfügung durch Urteil vom 12.1., das am 19.01.1979 zugestellt wurde, abgelehnt. Wenn der Verfügungskläger sich in einer Notlage befunden hätte, so hätte er umgehend das Armenrecht für eine Berufung beantragt. Der Schriftsatz, mit dem das Armenrecht beantragt worden ist, stammt vom 9. Februar 1979, die diesem beigefügte eidesstattliche Versicherung vom 12. Februar 1979. Der Verfügungskläger hat also mehrere Wochen gewartet, bevor er sich zur Berufung bzw. zur Beantragung des Armenrechts entschloß. Grundsätzlich muß eine Partei ihren Unterhaltsanspruch im Wege der ordentlichen Klage geltend machen. Die einstweilige Verfügung soll ihr für die Zwischenzeit, bis sie ein entsprechendes Urteil erhält, eine Überbrückung geben. Deswegen wird die einstweilige Verfügung in der Regel auch auf 6 Monate befristet. Die Monate November und Dezember 1978 hat der Verfügungskläger nicht dazu benutzt, eine Unterhaltsklage einzureichen, er hat bis heute keine derartige Klage erhoben.

20

Die Verfügungsbeklagte bringt monatlich bereits 617,00 DM für die Lebensbedürfnisse ihres Ehemannes auf, indem sie die Kosten der Wohnung nebst Nebenkosten zahlt. Sie wäre - wie der von dem Verfügungskläger widerrufene Vergleich zeigt - bereit gewesen, ihn auch dann zu unterstützen, wenn er aus der Wohnung auszieht. Das Begehren des Verfügungsklägers auf Zahlung weiterer 500,00 DM monatlich würde zu einem Betrag von monatlich 1.117,00 DM führen. Daß dies nicht zur Behebung eines Notbedarfs erforderlich ist, bedarf keiner weiteren Darlegungen.

21

2.

Die Berufung vermag auch mit dem Hilfsbegehren keinen Erfolg zu haben.

22

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob unter Berücksichtigung von § 264 ZPO überhaupt eine Klageänderung vorliegt; eine solche wäre jedenfalls als sachdienlich zuzulassen. Gleichwohl hat der Hilfsantrag keinen Erfolg, weil es auch dafür an einem Verfügungsgrund fehlt. Der Verfügungskläger hatte ausreichend Zeit, sich in der Vergangenheit einen Titel auf Zahlung von Unterhalt zu besorgen oder wenigstens eine entsprechende Klage einzureichen. Er hatte auch hinreichende Möglichkeiten, sich eine andere Wohnung zu suchen mit dem Ergebnis, daß er einen Teil des von der Verfügungsbeklagten bisher gezahlten Betrages von 620,00 DM zum Lebensunterhalt hätte verwenden können.

23

Nach alledem kann die Berufung keinen Erfolg haben.

24

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.