Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 17.04.1979, Az.: 18 UF 2/79
Widerspruch gegen die Durchführung des Versorgungsausgleichs; Begriff der groben Unbilligkeit im Sinne von § 1587 c Nr. 1 BGB; Zweck des Versorgungsausgleichs und Einschränkung der Disposotionfreiheit über den Versorgungsausgleich durch den Gesetzgeber
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 17.04.1979
- Aktenzeichen
- 18 UF 2/79
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1979, 16089
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1979:0417.18UF2.79.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Buxtehude - 01.12.1978 - AZ: 8 F 33/78
Rechtsgrundlagen
- § 621 e ZPO
- § 629 a Abs. 2 ZPO
- § 1587 c Nr. 1 BGB
Fundstelle
- NJW 1979, 1659-1660 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Regelung des Versorgungsausgleichs
In der Familiensache
hat der 18. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 27. März 1979
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird die im Urteil des Amtsgerichts Buxtehude vom 1. Dezember 1978 unter Ziffer 2. des Urteilsausspruchs enthaltene Entscheidung zum Versorgungsausgleich geändert.
Ein Versorgungsausgleich zwischen den Parteien findet nicht statt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Beschwerdewert: 1.149,60 DM.
Die weitere Beschwerde gegen diesen Beschluß wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Parteien haben am 15.5.1964 geheiratet. Ihre Ehe ist kinderlos geblieben. Seit dem 1.4.1975 leben die Parteien getrennt. Die Antragstellerin hat die eheliche Wohnung verlassen und ist nach ... verzogen. Ihr Ehescheidungsantrag wurde dem Antragsgegner am 7.3.1978 zugestellt.
Während der Ehe waren beide Parteien voll berufstätig. Die 36 Jahre alte Antragstellerin ist kaufmännische Angestellte. Nach der Auskunft der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte betrug die monatliche Rentenanwartschaft der Antragstellerin am Ende der nach § 1587 II BGB berechneten Ehezeit (28.2.1978) 535 DM. Davon entfallen auf die Ehezeit 374,60 DM. Der Antragsgegner ist 40 Jahre alt und von Beruf Werkzeugmacher. Für ihn besteht eine gesetzliche Rentenanwartschaft bei der Landesversicherungsanstalt ..., die am Ende der Ehezeit 811 DM betrug. Davon entfallen auf die Ehezeit 566,20 DM. Die Differenz der in der Ehezeit erworbenen Anwartschaften beträgt somit 191,60 DM.
Die Parteien haben während der Ehe gemeinsam ein Reihenhaus in ... erworben. Später haben sie auf einem Grundstück in ... ein Einfamilien-Wohnhaus errichtet, das sie im Jahre 1971 bezogen haben, das aber erst in den folgenden Jahren ganz fertiggestellt wurde. Bei der Trennung im Jahre 1975 haben die Parteien sich dahingehend geeinigt, daß die Antragstellerin das Reihenhaus in ... und der Antragsgegner das Einfamilienhaus in ... zu Alleineigentum erhalten sollten. Dem ... gemäß hat der Antragsgegner der Antragstellerin durch notariellen Vertrag vom 25.3.1975 (UR Nr. 173/1975 des Notars ... in ...) seinen Miteigentumsanteil an dem Reihenhausgrundstück übertragen. Ebenso hat die Antragstellerin ihren Miteigentumsanteil an dem Grundstück in ... auf den Antragsgegner übertragen. Weiter haben die Parteien am 26.3.1975 eine schriftliche Vereinbarung getroffen, in der der Antragsgegner der Antragstellerin das Ansparguthaben aus einem Bausparvertrag in Höhe von 12.000 DM abgetreten hat. Nach Zahlung dieses Betrages sollte die Antragstellerin abgefunden sein und keine weiteren Ansprüche stellen können; die Wohnungseinrichtung in ... sollte dem Antragsgegner verbleiben. Der Betrag von 12.000 DM ist inzwischen vom Antragsgegner an die Antragstellerin gezahlt worden.
Der Antragsgegner ist dem Scheidungsbegehren der Antragstellerin nicht entgegengetreten. Er hat jedoch der Durchführung des Versorgungsausgleichs widersprochen.
Das Amtsgericht hat durch das am 1.12.1978 verkündete Urteil, auf das Bezug genommen wird, die Ehe der Parteien geschieden und vom Versicherungskonto des Antragsgegners bei der LVA ... Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich 95,80 DM, gezogen auf den 28.2.1978, auf das Versicherungskonto der Antragstellerin bei der BfA übertragen.
Gegen die Regelung des Versorgungsausgleichs wendet der Antragsgegner sich mit seiner Beschwerde. Er beruft sich darauf, daß die Durchführung des Versorgungsausgleichs grob unbillig wäre. Er habe sich bei der Trennung mit der Antragstellerin über alle vermögensrechtlichen Fragen geeinigt. Die Antragstellerin, die während der Ehe stets berufstätig gewesen sei und keine ehebedingten Versorgungsnachteile erlitten habe, wünsche selbst keinen Versorgungsausgleich. Dessen zwangsweise Durchführung gegen den Willen beider Parteien würde hier gegen den Sinn und Zweck des Versorgungsausgleichs verstoßen und mit den Grundrechten der Verfassung nicht vereinbar sein.
Der Antragsgegner beantragt,
unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils auszusprechen, daß ein Versorgungsausgleich zwischen den Parteien nicht stattfindet.
Die Antragstellerin hat sich in der Beschwerdeinstanz nicht anwaltlich vertreten lassen. Bei ihrer Anhörung durch den Senat hat sie erklärt, daß sie die Durchführung des Versorgungsausgleichs ablehne und mit Rücksicht auf die erfolgte Vermögensregelung als unbillig empfinden würde.
II.
Die Beschwerde ist nach den §§ 629 a II, 621 e ZPO zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden.
Die Beschwerde hat auch Erfolg. Unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils war auszusprechen, daß zwischen den Parteien ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet. Angesichts der besonderen Umstände des vorliegenden Falles würde die Durchführung des Versorgungsausgleichs grob unbillig sein (§ 1587 c Nr. 1 BGB).
1.
Der Begriff der groben Unbilligkeit im Sinne von § 1587 c Nr. 1 BGB wird teilweise sehr eng interpretiert. Ein Ausgleich der Versorgungsanwartschaften soll danach nur dann als grob unbillig angesehen werden können, wenn er im konkreten Fall dem Gerechtigkeitsempfinden in unerträglicher Weise widerspräche (vgl. MünchKomm/Maier, § 1587 c BGB, Rz. 13; OLG Stuttgart, NJW 1979, 316 [OLG Stuttgart 27.09.1978 - 17 UF 160/78]; OLG München, FamRZ 1979, 310; vgl. auch OLG Celle, NJW 1978, 1333 [OLG Celle 19.04.1978 - 10 UF 200/77]). Diese Formulierung erscheint jedoch zu eng. Dagegen hat sich auch der 1. Deutsche Familiengerichtstag ausgesprochen (FamRZ 1978, 846; vgl. auch AmtsG Düsseldorf, NJW 1978, 2039; Müller, NJW 1978, 2273, 2277).
Auszugehen ist von dem Zweck des Versorgungsausgleichs, durch einen Ausgleich der in der Ehe erworbenen Versorgungsanwartschaften zu einer eigenständigen sozialen Sicherung beider geschiedenen Eheleute beizutragen. Die Annahme einer groben Unbilligkeit kann dort in Betracht kommen, wo dieser Zweck nicht erreicht werden kann oder in anderer Weise bereits erreicht worden ist. Dabei sind die gesamten Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, und zwar nach dem Wortlaut der Vorschrift insbesondere der beiderseitige Vermögenserwerb während der Ehe oder im Zusammenhang mit der Scheidung, daneben auch u.a. das Alter sowie die derzeitige und voraussichtliche künftige Berufstätigkeit (vgl. Palandt-Diederichsen, § 1587 c BGB, Anm. 2).
2.
Hier ist zunächst zu berücksichtigen, daß die Antragstellerin, zu deren Gunsten ein Versorgungsausgleich in Betracht käme, während der Ehe stets voll berufstätig war. Sie hat in gleicher Weise für ihre Alterssicherung gesorgt, wie sie es auch ohne die Eheschließung getan hätte. Ehebedingte Nachteile sind ihr nicht entstanden. Entgegen einer in Rechtsprechung und Schrifttum mehrfach vertretenen Ansicht (AmtsG München, NJW 1978, 1111 [BGH 27.01.1978 - I ZR 97/76]; Müller, NJW 1978, 2278) reicht dieser Gesichtspunkt jedoch nicht aus, um die grobe Unbilligkeit zu begründen. Die durch den Gesetzgeber getroffene Regelung des Versorgungsausgleichs zeigt deutlich, daß es nicht darauf abgestellt werden kann, ob und inwieweit bei einem Ehegatten während der Ehe ein Versorgungsdefizit entstanden ist. Vielmehr liegt dem Versorgungsausgleich ebenso wie dem Zugewinnausgleich der Gedanke zugrunde, daß die während der Ehe geschaffenen Vermögenswerte gleichmäßig aufgeteilt werden sollen. Dem entspricht es auch, daß das Maß des nachehelichen Unterhalts sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen bestimmt (§ 1578 I S. 1 BGB). Dadurch soll erreicht werden, daß auch nach der Ehescheidung für beide Ehegatten - soweit möglich - der bisherige Lebenszuschnitt erhalten bleiben kann; und zwar gilt das auch dann, wenn einer der Ehegatten durch die Eheschließung eine bedeutend bessere wirtschaftliche Situation erlangt hatte. Es kann daher bei der Anwendung von § 1587 c Nr. 1 BGB nicht die Ansicht vertreten werden, es sei nicht einzusehen, warum der Ehegatte, der infolge besserer, höher qualifizierter oder vermehrter Leistungen ein höheres Einkommen erzielt habe, dem anderen Ehegatten einen Teil seiner Versorgungsanwartschaften übertragen müsse (so AmtsG München, a.a.O.; Müller, a.a.O.). Dabei wird übersehen, daß die grundsätzliche finanzielle Gleichstellung beider Ehepartner, soweit es den Erwerb in der Ehe betrifft, dem System unseres Familienrechts entspricht. Das Fehlen ehebedingter Versorgungsnachteile ist daher im Rahmen von § 1587 c Nr. 1 BGB zwar zu beachten. Es müssen aber weitere Umstände hinzukommen, um eine grobe Unbilligkeit bejahen zu können, etwa eine nur geringfügige Einkommensdifferenz beider Ehegatten (vgl. AmtsG Düsseldorf, NJW 1978, 2039). Von einer geringfügigen Differenz des Einkommens und der während der Ehe erworbenen Versorgungsanwartschaften kann hier aber nicht gesprochen werden, da der Versorgungsausgleich immerhin zu einer Übertragung von Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich 95,80 DM, bezogen auf den 28.2.1978, führen würde.
3.
Wesentlich ist hier aber, daß die Parteien während der Ehe relativ hohe Anteile ihres Einkommens dazu verwendet haben, sich Vermögenswerte aufzubauen, die nach ihren Vorstellungen, wie sie bei ihrer Anhörung deutlich gemacht haben, mit zu ihrer Alterssicherung beitragen sollten. Bei ihrer Trennung im Jahre 1975 haben sich die Parteien über eine gleichmäßige Verteilung ihres Einkommens geeinigt. Dabei hat die Antragstellerin das Grundstück in ... erhalten, das zwar einen etwas niedrigeren Verkehrswert hatte, dafür aber auch geringer belastet war. Hinzu kam der vereinbarte Betrag von 12.000 DM.
Diese Vermögensauseinandersetzung geschah unter Berücksichtigung der Regelung des Zugewinnausgleichs. Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Antragstellerin dabei mehr erhalten hat, als ihr nach den güterrechtlichen Vorschriften zugestanden hätte. Dafür hat auch die Anhörung der Parteien keinen Anhaltspunkt ergeben. Im Hinblick auf die während der Ehezeit erworbenen unterschiedlichen Versorgungsanwartschaften ist daher eine Vermögensübertragung oder Ausgleichszahlung nicht erfolgt.
Im Rahmen des § 1587 c Nr. 1 BGB muß aber auch folgendes berücksichtigt werden: Der Antragsgegner hat während der Ehe ein deutlich höheres Einkommen erzielt als die Antragstellerin. Er hat daher auch in stärkerem Maße zu der Vermögensbildung, die mit zur Alterssicherung dienen sollte, beigetragen. Durch die gleichmäßige Aufteilung des Vermögens hat die Antragstellerin daher indirekt bereits von dem höheren Einkommen des Antragsgegners profitiert. Bei ihrer Anhörung hat die Antragstellerin erklärt, daß sie gerade aus diesem Grunde eine Übertragung von Versorgungsanwartschaften des Antragsgegners ablehne und als ungerecht betrachten würde. Die Antragstellerin ist der Ansicht, daß sie sich durch ihre eigene Arbeit eine hinreichende Alterssicherung aufgebaut habe bzw. noch aufbauen werde und daß sie durch das Reihenhausgrundstück, das einen Verkehrswert von etwa 170.000 DM habe und nur noch mit etwa 40.000 DM belastet sei, zusätzlich gesichert sei.
4.
Unter Berücksichtigung dieser Umstände würde es hier eine grobe Unbilligkeit bedeuten, wenn entgegen dem ausdrücklich erklärten und wohl überlegten Willen beider Parteien ein Versorgungsausgleich durchgeführt werden müsse. Der Gesetzgeber hat zwar eine Disposition der Parteien über den Versorgungsausgleich nur unter erheblichen Einschränkungen zugelassen. Das schließt es jedoch nicht aus, daß die Vorstellungen der Parteien, die beide übereinstimmend die Durchführung des Versorgungsausgleichs als grob unbillig betrachten würden, mit berücksichtigt werden.
Demgemäß war unter Abänderung des angefochtenen Urteils der Versorgungsausgleich auszuschließen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 93 a ZPO.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat der Senat die weitere Beschwerde zugelassen (§§ 621 e II S. 1, 546 I ZPO).
Streitwertbeschluss:
Beschwerdewert: 1.149,60 DM.