Arbeitsgericht Hannover
Beschl. v. 25.07.1995, Az.: 6 BV 4/95

Inhalt der sog, "Compliance-Richtlinie"; Unterlassung einer mitbestimmungswidrigen Maßnahme; Verkauf von Pfandbriefen an Privatkunden im Wege eines Tafelgeschäftes ; Umsetzung europarechtlicher Richtlinien über den Handel mit Wertpapieren durch den nationalen Gesetzgeber

Bibliographie

Gericht
ArbG Hannover
Datum
25.07.1995
Aktenzeichen
6 BV 4/95
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1995, 10003
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:ARBGHAN:1995:0725.6BV4.95.0A

Fundstelle

  • EWiR 1996, 293-294 (Volltext mit red. LS u. Anm.)

Verfahrensgegenstand

Unterlassung

In dem Beschlußverfahren

hat das Arbeitsgericht in Hannover
auf die mündliche Anhörung der Beteiligten vom 25. Juli 1995
durch
den Richter am Arbeitsgericht als Vorsitzenden und
die ehrenamtlichen Richter als Beisitzer

beschlossen:

Tenor:

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Tatbestand

1

I.

Die Beteiligten streiten um Mitbestimmungsrechte des Beteiligten zu 1) bei der Einführung sogenannter "Compliance-Richtlinien" sowie der Einführung von "Leitsätzen für Mitarbeitergeschäfte" im Betrieb der Beteiligten zu 2). Ferner begehrt der Beteiligte zu 1) die Unterlassung, Arbeitnehmern durch Unterschriftsleistung die Anerkennung dieser Richtlinien und Leitsätze als verbindlich abzufordern, solange er sein Mitbestimmungsrecht nicht ausgeübt hat.

2

Die Beteiligte zu 2) betreibt in Hannover ein Hypothekenbankgeschäft. Im Zuge dessen verkauft sie im Wege des Tafelgeschäftes eigene Pfandbriefe an Privatkunden, kauft diese vor Fälligkeit zurück und verkauft sie weiter.

3

Der Beteiligte zu 1) ist der im Betrieb der Beteiligten zu 2) gebildete Betriebsrat. Die Beteiligte zu 2) beschäftigt ca. 160 Arbeitnehmer.

4

Am 30. Dezember 1993 erließ das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen eine Verlautbarung über Anforderungen an Regelungen der Kreditinstitute für Mitarbeitergeschäfte, wegen deren Einzelheiten auf Blatt 57 bis 65 der Akten Bezug genommen wird.

5

Am 11. Oktober 1994 fand im Betrieb der Beteiligten zu 2) eine Informationsveranstaltung für Abteilungsleiter und den Beteiligten zu 1) über Compliances und die geplante Einführung bei der Beteiligten zu 2) statt. Am 14. Oktober 1994 versandte die Beteiligte zu 2) ein Informationsschreiben an alle Mitarbeiter der Beteiligten zu 2) über die neuen gesetzlichen Vorschriften. Eine Stellungnahme dazu gab der Beteiligte zu 1) nicht ab. Im November/Dezember 1994 fanden verschiedene Gespräche mit dem Beteiligten zu 1) statt, deren Gegenstand insbesondere die Festlegung des compliance-relevanten Mitarbeiterkreises war. Eine Einigung kam aber nicht zustande. Am 05. April 1995 veranstaltete die Beteiligte zu 2) ein Informationstreffen über die Einführung der Compliance-Richtlinien, zu der alle Arbeitnehmer der Beteiligten zu 2) eingeladen wurden. Die Beteiligte zu 2) sprach in der Folgezeit einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an und fragte sie, ob sie das ihnen vorgelegte Anerkennungsschreiben, das die Verbindlichkeit der Compliance-Richtlinien und der Mitarbeiterleitsätze vorsahen, unterzeichnen wollten oder ob dagegen grundsätzliche Bedenken bestehen würden. Wegen der Einzelheiten der Compliance-Richtlinien und der Mitarbeiterleitsätze wird auf die Anlage zur Antragsschrift (Bl. 8-24 d.A.) verwiesen.

6

Mit seiner am 13. April 1995 eingegangenen Antragsschrift vom 11. April 1995 begehrt der Beteiligte zu 1) zum einen die Unterlassung, daß die Compliance-Richtlinie und die Leitsätze für Mitarbeitergeschäfte angewendet werden, solange der Beteiligte zu 1) seine Zustimmung hierzu nicht erteilt hat bzw. diese durch einen Beschluß der Einigungsstelle ersetzt worden ist und will ferner unterlassen wissen, daß die Beteiligte zu 2) Arbeitnehmer durch Unterschriftsleistung zur Anerkennung der Compliance-Richtlinie und der Leitsätze für Mitarbeitergeschäfte veranlaßt.

7

Der Beteiligte zu 1) meint, es bestehe ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 I Nr. 1 BetrVG. Dessen Verletzung löse seinen - des Beteiligten zu 1) - Unterlassungsanspruch aus.

8

Der Beteiligte zu 1) ist der Meinung, die Beteiligte zu 2) sei kein Wertpapierdienstleistungsunternehmen im Sinne des Wertpapierhandelsgesetzes und dementsprechend nicht kraft Gesetzes verpflichtet, Compliance-Richtlinien einzuführen. Es existiere ein Mitbestimmungsrecht, dessen Beachtung er einfordere. Der Beteiligte zu 1) behauptet, die Beteiligte zu 2) habe Arbeitnehmern mit dem Ausspruch einer Kündigung für den Fall der Nichtanerkennung der Compliance-Richtlinien einschließlich der Leitsätze für Mitarbeitergeschäfte gedroht.

9

Der Beteiligte zu 1) beantragt,

  1. 1.

    der Antragsgegnerin wird aufgegeben, es zu unterlassen, die Richtlinien "Compliance-Richtlinie" und "Leitsätze für Mitarbeitergeschäfte" anzuwenden, solange der Antragsteller seine Zustimmung hierzu nicht erteilt hat bzw. die Zustimmung durch den Beschluß einer Einigungsstelle ersetzt worden ist;

  2. 2.

    der Antragsgegnerin wird aufgegeben, es zu unterlassen, die Arbeitnehmer nach § 5 Abs. 1 BetrVG ihres Unternehmens dazu zu verpflichten, für sich die Geltung der Richtlinien "Compliance-Richtlinie" und "Leitsätze für Mitarbeitergeschäfte" per Unterschriftsleistung anerkennen zu lassen.

10

Die Beteiligte zu 2) beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

11

Die Beteiligte zu 2) bestreitet, daß der Betriebsrat einen wirksamen Beschluß gefaßt hat das vorliegende Verfahren durchzuführen.

12

Die Beteiligte zu 2) ist der Auffassung, der Betriebsrat habe kein Mitbestimmungsrecht, weil der Tatbestand des § 87 I Nr. 1 BetrVG nicht erfüllt sei. Im übrigen stünde einem etwaigen Mitbestimmungsrecht § 87 I Eingangssatz BetrVG entgegen, weil die Verlautbarung des Bundesamtes für das Kreditwesen vom 30. Dezember 1993, die der Beteiligten zu 2) detaillierte Vorgaben mache, in der Wirkung einer gesetzlichen Regelung im Sinne des § 87 I Eingangssatz BetrVG gleichkomme.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den vorgetragenen Inhalt der zu den Akten gelangten Schriftsätze, deren Anlagen sowie der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Gründe

14

II.

Die im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren zulässigen Anträge sind nicht begründet.

15

Der Erfolg des Unterlassungsbegehrens des Beteiligten zu 1) scheitert schon an dem fehlenden Nachweis, daß dem vorliegenden Verfahren und seiner Einleitung ein wirksamer Beschluß des Beteiligten zu 1) zugrunde liegt. Auf das Bestreiten der Beteiligten zu 2) hat der Beteiligte zu 1) Einzelheiten zur Beschlußfassung nicht mitgeteilt, obwohl dies gerade wegen des zulässigen Bestreitens mit Nichtwissens durch die Beteiligte zu 2) nahegelegen haben würde. Zwar ist die Kammer im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren wegen des dort herrschenden Amtsermittlungsprinzips von Amts wegen gehalten, diesem rechtlichen Gesichtspunkt nachzugehen. Das enthebt den Beteiligten zu 1) aber auch im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren nicht der ihn treffenden Beibringungslast, denn nur er - der Beteiligte zu 1) - hat es in der Hand durch entsprechenden Tatsachenvortrag die Grundlage für eine zuverlässige Rechtsprüfung zu liefern. Dem nicht genügt zu haben, zieht bereits die Erfolglosigkeit des Unterlassungsbegehren nach sich.

16

Aber auch davon unabhängig bleibt das Verlangen des Beteiligten zu 1) auf Unterlassung der Anwendung der Compliance-Richtlinie und der Leitsätze für Mitarbeitergeschäfte ebenso ohne Erfolg wie das Begehren auf Versagung des Abverlangens von Unterschriftsleistungen von Arbeitnehmern unter diese Richtlinie bzw. Leitsätze. Mit dem Bundesarbeitsgericht (Beschluß vom 03.05.94 - 1 ABR 24/93) geht die Kammer davon aus, daß dem Betriebsrat bei Verletzung seiner Mitbestimmungsrechte aus § 87 BetrVG 1972 grundsätzlich ein Anspruch auf Unterlassung der mitbestimmungswidrigen Maßnahme zusteht.

17

§ 87 I Eingangssatz BetrVG sperrt - jedenfalls für die Beteiligte zu 2) - Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates bei der Einführung von Compliance-Richtlinien und Leitsätze für Mitarbeitergeschäfte. Denn die Beteiligte zu 2) unterfällt dem Wertpapierhandelsgesetz und ist verpflichtet, die Verlautbarung des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen über Anforderungen an Regelungen der Kreditinstitute für Mitarbeitergeschäfte anzuwenden. Nach § 2 IV Wertpapierhandelsgesetz sind alle Kreditinstitute, zu der auch die Beteiligte zu 2) gehört, Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die Wertpapierdienstleistungen erbringen. Als solche werden in § 2 III Wertpapierhandelsgesetz u. a. die Anschaffung und die Veräußerung von Wertpapieren oder Derivaten für andere sowie die Anschaffung und die Veräußerung von Wertpapieren und Derivaten im Wege des Eigenhandels für andere verstanden. Dem genügt die Beteiligte zu 2), da sie im Wege des Tafelgeschäftes eigene Pfandbriefe an Privatkunden verkauft und diese gegebenenfalls auch vor Fälligkeit zurück- und weiterverkauft. Sie erbringt damit Wertpapierdienstleistungen im Sinne des Wertpapierhandelsgesetzes und ist dementsprechend verpflichtet, die für sie geltenden Regelungen aus dem Wertpapierhandelsgesetz umzusetzen. Das sperrt faktisch die Mitbestimmungsrechte des Beteiligten zu 1), denn sowohl die Compliance-Richtlinie, die mit der Normierung des Wertpapierhandelsgesetzes die EG-Richtlinie über Wertpapierdienstleistungen vom 10. Mai 1993 (Richtlinie 93/22/EWG) in nationales Recht umsetzt als auch die Verlautbarung des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen über Anforderungen an Regelungen der Kreditinstitute für Mitarbeitergeschäfte vom 30. Dezember 1993, die anzuwenden die Beteiligte zu 2) ebenfalls verpflichtet ist, auch wenn ihnen zur Zeit die normative Kraft noch fehlt, enthalten eine Vielzahl detailgenauer Einzelregelungen, die Raum für eigene Regelungen und einen Gestaltungsspielraum der Betriebspartner nicht (mehr) lassen.

18

Jedenfalls kommt der Verlautbarung des Bundesaufsichtsamtes die Qualität eines Verwaltungsaktes in der Form der Allgemeinverfügung zu, die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates ausschließen. Soweit nämlich der Arbeitgeber aufgrund eines ihm gegenüber bindend gewordenen Verwaltungsaktes verpflichtet ist, konkrete, näher bezeichnete, bestimmte Maßnahmen vorzunehmen, kann der Betriebsrat nicht unter Berufung auf Mitbestimmungsrechte eine davon abweichende Regelung verlangen (vgl. BAG, AP Nr. 14 zu § 87 BetrVG Ordnung des Betriebs, EzA, Nr. 16 zu § 87 BetrVG Betriebliche Ordnung; vgl. dazu auch Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 22.08.1994 - 1 BVR 1767/91).

19

Fehlt es aber an jedwedem Regelungsrahmen und jedweder Regelungskompetenz, dann scheidet ein Mitbestimmungsrecht, dessen Verletzung einen Unterlassungsanspruch auslösen könnte, aus.

20

Auch auf § 23 III BetrVG kann der Beteiligte zu 1) seinen Unterlassungsanspruch nicht stützen, denn jedenfalls von einer groben Pflichtverletzung des Beteiligten zu 2) im Sinne der Vorschrift kann nicht ausgegangen werden. Eine grobe Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn der Arbeitgeber in einer schwierigen und ungeklärten Rechtsfrage eine bestimmte Rechtsansicht verteidigt (vgl. BAG, AP Nr. 18 zu § 95 BetrVG 1972 m.w.N.).

21

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.