Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 04.07.2005, Az.: L 8 B 26/05 SO
Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges bei Anspruch auf Leistungen nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG); Leistungen nach dem GSiG als Angelegenheiten der Sozialhilfe
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 04.07.2005
- Aktenzeichen
- L 8 B 26/05 SO
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 16488
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2005:0704.L8B26.05SO.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 09.05.2005 - AZ: S 51 SO 161/05
Rechtsgrundlagen
- § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG
- § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO
Redaktioneller Leitsatz
Für Klagen über Ansprüche nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG) ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten (und nicht zu den Sozialgerichten) zulässig. Diese Rechtswegzuständigkeit hat sich zum 1. Januar 2005 geändert. Ab diesem Tag ist das GSiG als Viertes Kapitel in das SGB XII integriert. Für Ansprüche nach diesem Gesetz sind nunmehr die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zuständig.
Tenor:
Die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 9. Mai 2005 wird zurückgewiesen
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die weitere Beschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beklagte wendet sich gegen einen Beschluss des Sozialgerichts (SG) Hannover vom 9. Mai 2005, durch den der Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht E. verwiesen worden ist. In der Sache geht es um Ansprüche nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG). Der Kläger hatte am 15. März 2005 beim SG Hannover Klage erhoben und Leistungen nach dem GSiG unter Aufhebung des Bescheides der Stadt F. vom 29. April 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 21. Februar 2005 begehrt.
Mit Beschluss vom 9. Mai 2005 hat das SG Hannover den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht E. verwiesen. Die Zuständigkeit nach § 51 Abs. 1 Nr. 6a Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei nur in Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes von den Verwaltungsgerichten auf die Sozialgerichte übergegangen. Leistungen nach dem GSiG seien jedoch in § 51 SGG nicht genannt und stellten auch keine Sozialhilfe dar. Insoweit handele es sich zwar um eine beitragsunabhängige, jedoch eigenständige bedarfsorientierte Sozialleistung. Damit sei nach wie vor der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gegeben.
Hiergegen hat die Beklagte am 25. Mai 2005 Beschwerde eingelegt. Für die Zuständigkeit sei es ohne Belang, dass es sich hier nicht um eine Streitigkeit aus dem Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII) handele. Der Gesetzgeber habe seit dem 1. Januar 2005 die Zuständigkeit der Sozialgerichte nicht für Streitigkeiten nach dem SGB XII, sondern für Angelegenheiten der Sozialhilfe begründet. Der Begriff der Sozialhilfe sei weit auszulegen. Zwar sei das GSiG selbstständig geregelt, müsse jedoch als Teil des Sachgebietes der Sozialhilfe angesehen werden. Da das vorliegende Klageverfahren erst 2005 anhängig gemacht wurde, sei der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben. Auch das Verwaltungsgericht Hannover gehe in zahlreichen Entscheidungen davon aus, dass für Verfahren, die erst nach dem 1. Januar 2005 anhängig werden, die Zuständigkeit der Sozialgerichte gegeben ist.
Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die gemäß § 202 SGG i.V.m. § 17a Abs. 4 Satz 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) statthafte Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet. Für die vorliegende Klage ist das Verwaltungsgericht E. örtlich und sachlich zuständig.
Welcher Rechtsweg zulässig ist, ergibt sich aus den jeweiligen Prozessordnungen. Der Verwaltungsrechtsweg ist gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), insoweit seit 1977 unverändert, in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG in der Fassung des 7. SGG-Änderungsgesetzes vom 9. Dezember 2004 (BGBl I S 3302) entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit in Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes. Entsprechende Regelungen gab es vor dem 1. Januar 2005 nicht. Weder das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) noch das GSiG, beide aufgehoben durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch (EinordnungsG) vom 27. Dezember 2003 (BGBl I S 3022, 3077) zum 31. Dezember 2004, enthielten Rechtswegbestimmungen, desgleichen nicht § 51 SGG in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung. Für die vor dem 1. Januar 2005 rechtshängig gewordenen Verfahren nach dem BSHG oder dem GSiG ist deshalb mangels ausdrücklicher anderweitiger Rechtswegzuweisung der Verwaltungsrechtsweg gegeben.
Da der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Änderung des § 51 SGG zum 1. Januar 2005 oder der Aufhebung des BSHG und des GSiG keine Übergangsbestimmungen getroffen hat, bleiben diese Verfahren bei den Verwaltungsgerichten anhängig bzw. sind an diese zu verweisen (vgl § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG: "Die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtsweges wird durch eine nach Rechtshängigkeit eintretende Veränderung der sie begründenden Umstände nicht berührt"). Insoweit besteht, soweit ersichtlich, Einigkeit in Rechtsprechung und Schrifttum (OVG Lüneburg Beschluss vom 18. Januar 2005 - 4 ME 541/04 -, juris-Länderrechtsprechung; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 9. März 2005 - L 16 B 2/05 SF -, nv; allgemein zum Grundsatz der "perpetuatio fori" Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, ZPO-Kommentar 63. Auflage 2005 § 17 GVG RdNr. 3 m.w.N.).
Für die nach dem 31. Dezember 2004 rechtshängig gewordenen Verfahren nach dem BSHG und dem Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII), im Wesentlichen am 1. Januar 2005 in Kraft getreten (Art 1 EinordnungsG) ist auf Grund der ab dem 1. Januar 2005 geltenden Bestimmungen der Sozialrechtsweg gegeben. Beide Rechtsmaterien sind eindeutig den "Angelegenheiten der Sozialhilfe" im Sinne des § 51 Nr. 6a SGG zuzurechnen. Die vorher im GSiG geregelte Rechtsmaterie ist mit Wirkung zum 1. Januar 2005 als Viertes Kapitel in das SGB XII aufgenommen worden; auch insoweit sind für ab diesem Zeitpunkt rechtshängig werdende Verfahren die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zuständig.
In dem hier zu entscheidenden Fall richtet sich der geltend gemachte Anspruch nicht nach dem SGB XII, sondern nach dem vom 1. Januar 2003 bis zum 31. Dezember 2004 geltenden GSiG. Der Kläger hatte am 4. März 2004 bei der Stadt F. einen Antrag nach dem GSiG gestellt, der mit Bescheid vom 29. April 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 21. Februar 2005 abgelehnt wurde. Damit verbleibt es, wie das SG zutreffend entschieden hat, bei dem bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Rechtsweg zu den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn es sich bei den Angelegenheiten nach dem GSiG um solche der Sozialhilfe im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG handeln würde. Das ist jedoch nicht der Fall.
Das Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG) ist als Art 12 des Altersvermögensgesetzes am 26. Juni 2001 (BGBl I S 1310, 1335) erlassen worden. Ursprünglich war vorgesehen, das Sozialhilferecht für hilfebedürftige 65-Jährige und Ältere sowie Volljährige, die aus medizinischen Gründen dauerhaft voll erwerbsgemindert sind, durch einen Verzicht auf den Unterhaltsrückgriff gegenüber Kindern und Eltern der Hilfeempfänger sowie durch eine Pauschalierung von einmaligen Leistungen fortzuentwickeln (Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen zum Altersvermögensgesetz, BT-Drs 14/4595 S 39). Die Geltendmachung bestehender Rechte für ältere Menschen sollte zur Vermeidung von Altersarmut im Rahmen der Sozialhilfe erleichtert werden (Gesetzentwurf S 38). Hierzu sollte das BSHG u.a. um die §§ 17a, 21 Abs. 1b und 91 Abs. 1 ergänzt werden.
Im Rahmen der Ausschussberatungen wurden die Regelungen zur Verhinderung verschämter Armut im Alter und bei Erwerbsminderung aus dem BSHG herausgenommen und in ein neues eigenständiges Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung eingestellt (Bericht des BT-Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drs 14/5140 S 48). Der Zweck dieses Gesetzes sollte darin bestehen, für alte und für dauerhaft voll erwerbsgeminderte Menschen eine eigenständige soziale Leistung vorzusehen, die den grundlegenden Bedarf für den Lebensunterhalt sicherstellt. Durch die Leistung sollte im Regelfall die Notwendigkeit für die Gewährung von Sozialhilfe vermieden werden (BT-Drs 14/5140 S 48). Gerade der letzte Hinweis macht deutlich, dass es sich bei dem so konzipierten GSiG nicht um eine Sozialhilfe im engeren Sinne handeln sollte.
Die Einfügung der Bestimmungen des GSiG in das SGB XII führt nicht dazu, dass das bis zum 31. Dezember 2004 geltende Gesetz nachträglich zu einer "Angelegenheit der Sozialhilfe" wird. Im ursprünglichen Gesetzentwurf (BT-Drs 15/1514) war eine Eingliederung ebenso wenig vorgesehen wie nach den Beratungen im Bundesrat (BR-Drs 732/03). Erst nach Beratungen im Vermittlungsausschuss am 16. Dezember 2003 wurden die §§ 41 ff SGB XII in das SGB XII eingefügt und das GSiG aufgehoben. Eine Begründung enthält die BT-Drs 15/2260 nicht.
Entgegen der Rechtsansicht der Beschwerdeführerin folgt aus der Gerichtskostenfreiheit der Angelegenheiten nach dem GSiG nicht die Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit. Nach § 188 VwGO in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung sollten die Sachgebiete der Sozialhilfe, der Jugendhilfe, der Kriegsopferfürsorge, der Schwerbehindertenfürsorge sowie der Ausbildungsförderung in einer Kammer oder in einem Senat zusammengefasst werden (Satz 1), Gerichtskosten wurden in den Verfahren dieser Art nicht erhoben (Satz 2). In Kenntnis der zum 1. Januar 2005 eingetretenen Gesetzesänderungen hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) mit Beschluss vom 10. Dezember 2004 (BeckRS 2005 22331) entschieden, dass die Grundsicherung nach dem GSiG, bei der es sich um "eine gegenüber der Sozialhilfe eigenständige und vorrangige Leistung" handelt, "unter dem für die Gerichtskostenfreiheit maßgebenden Gesichtspunkt der Fürsorge zum Sachgebiet der Sozialhilfe im weiten Sinne des § 188 VwGO" gehört. Angelegenheiten der Grundsicherung nach dem GSiG sind demnach nicht dem Sachgebiet der Sozialhilfe zuzurechnen, sondern wie die Angelegenheiten nach den übrigen in § 188 Satz 1 VwGO genannten Sachgebieten gerichtskostenfrei, also vergleichbar beispielsweise mit Angelegenheiten nach dem SGB VIII (Jugendhilfe). Für diese Rechtsgebiete sind auch nach dem 31. Dezember 2004 die Verwaltungsgerichte zuständig. Für das GSiG kann danach nichts anderes gelten.
Die gegenteilige Auffassung des OVG Lüneburg (Beschluss vom 8. Juni 2005 - 4 OB 165/05 -) überzeugt nicht. Aus der gleichzeitigen Eingliederung des GSiG in das SGB XII und der Übertragung der gerichtlichen Zuständigkeit für Angelegenheiten der Sozialhilfe ab dem 1. Januar 2005 auf die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit (Entscheidungen des Vermittlungsausschusses vom 16. Dezember 2003, BT-Drs 15/2260) kann nicht geschlossen werden, dass damit rückwirkend die Zuständigkeit der Sozialgerichte für das zum 31. Dezember 2004 aufgehobene GSiG begründet werden sollte.
Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das LSG Nordrhein-Westfalen in seinem Beschluss vom 9. März 2005 keine andere Rechtsauffassung vertreten hat. In dem dort zu entscheidenden Fall war der Rechtsweg zu den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit bereits deshalb gegeben, weil die Klage noch am 31. Dezember 2004 beim Sozialgericht eingegangen war. Über die hier streitige Frage hatte das LSG Nordrhein-Westfalen nicht zu entscheiden.
III.
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 193 SGG. Die Kostenentscheidung für das Klageverfahren bleibt der Entscheidung in der Hauptsache vorbehalten.
Der Senat hat die weitere Beschwerde gemäß § 17a Abs. 4 Sätze 4 und 5 GVG zugelassen, weil hier über eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden ist. Die entscheidungserhebliche Frage ist von Gerichten der Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit unterschiedlich beantwortet worden, so dass eine höchstrichterliche Klärung angebracht ist.