Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 05.07.2005, Az.: L 8 AS 71/05 ER

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
05.07.2005
Aktenzeichen
L 8 AS 71/05 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 42593
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2005:0705.L8AS71.05ER.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Braunschweig - 14.03.2005 - AZ: S 17 AS 12/05 ER

In dem Rechtsstreit

...

hat der 8. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen am 5. Juli 2005 in Celle

durch die Richter Scheider - Vorsitzender -, Wimmer und die Richterin de Groot

beschlossen:

Tenor:

  1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Braunschweig vom 14. März 2005 aufgehoben.

  2. Der Antragsgegner wird im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes verpflichtet, der Antragstellerin ab 28. Januar 2005 bis zum 01. Juli 2005 monatlich 235,58 € und vom 02. Juli bis zum 31. Juli 2005 monatlich 45,58 € Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu gewähren. Die Zahlungen erfolgen unter dem Vorbehalt der Rückforderung und sind nicht über den Zeitpunkt hinaus zu gewähren, in dem über den Widerspruch, bzw. die Klage hinsichtlich des Bescheides der Agentur für Arbeit D. vom 09. Dezember 2004 rechtskräftig entschieden worden ist. Im Übrigen wird der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zurückgewiesen.

  3. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin deren notwendige außergerichtliche Kosten zu erstatten.

  4. Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens unter Beiordnung von Rechtsanwalt E., bewilligt. Ratenzahlung wird nicht angeordnet.

GRÜNDE

1

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von monatlich 345,00 €. Streitig ist insbesondere, welche Ausgaben bzw. Beträge bei der Ermittlung des Bedarfs und des Einkommens der Bedarfsgemeinschaft zu berücksichtigen sind.

2

Die im Jahre 1953 geborene Antragstellerin ist mit dem im Jahre 1947 geborenen Herrn G. (im Folgenden: L.) verheiratet. Beide wohnen mit ihrer im Jahre 1988 geborenen Tochter, die noch zur Schule geht, in ihrer 81,03 qm großen Eigentumswohnung.

3

Als monatliches Einkommen steht der Familie die Erwerbsunfähigkeitsrente des L. in Höhe von 1 078,45 € netto, dessen Werksrente in Höhe von 151,76 € netto sowie das für die Tochter gewährte Kindergeld von 154,00 € zur Verfügung. Diesem monatlichen Einkommen in Höhe von insgesamt 1 384,21 € stehen feste Ausgaben in Höhe von 979,45 € pro Monat (Pkw-Leasingrate von 232,17 € + 35,79 € Kosten für Garagenmiete + 7,67 € Kontoführungsgebühr + 26,00 € Versicherungsbeiträge + 100,00 € Darlehensrate für die Anschaffung eines TV-Gerätes + 236,08 € Rate für die Abzahlung der Eigentumswohnung, davon 71,08 € Schuldzinszahlung, + 35,04 € Erbpacht an die Gemeinde H. + 220,00 € Hausgeld an die I. GmbH + 68,00 € Strom und 18,70 € Grundsteuer an die Gemeinde) gegenüber.

4

Bis zum 2. Juli 2004 hat die Antragstellerin nach eigenen Angaben Arbeitslosengeld (Alg) in Höhe von 134,96 € pro Woche bezogen. Im Anschluss lebte sie bis Ende 2004 von Arbeitslosenhilfe (Alhi) in Höhe von 345,00 € im Monat.

5

Ihren Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II vom 26. Oktober 2004 lehnte die Agentur für Arbeit D. mit Bescheid vom 9. Dezember 2004 ab,weil die Antragstellerin nicht hilfebedürftig iS des § 7 Abs 1 Nr 3 SGB II sei. Die Antragstellerin könne mit den von ihr nachgewiesenen Einkommensverhältnissen ihren eigenen Lebensunterhalt und den der mit ihr in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen sichern.

6

Hiergegen hat die Antragstellerin am 10. Januar 2005 Widerspruch erhoben. Parallel hierzu hat sie am 28. Januar 2005 beim Sozialgericht (SG) Braunschweig den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Sie ist der Ansicht, dass alle in der Bedarfsgemeinschaft anfallenden monatlichen Ausgaben bei der Errechnung des Bedarfs zu berücksichtigen sind. Darüber hinaus sei für die Antragstellerin und L. ein Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung in Höhe von insgesamt 250,00 € anzuerkennen, weil beide an Diabetes mellitus Typ II erkrankt seien.

7

Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durch Beschluss vom 14. März 2005 abgelehnt. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, dass die Antragstellerin keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht habe. Denn das der Bedarfsgemeinschaft, bestehend aus der Antragstellerin, L. und der gemeinsamen Tochter, zur Verfügung stehende Einkommen von monatlich 1 230,21 € sei höher als deren zu berücksichtigender Bedarf. Es verbleibe sogar ein den Bedarf überschießendes Einkommen von 76,75 €. Dabei sei im Rahmen der Berechnung der Kosten für die Unterkunft und Heizung zwar das Hausgeld und die Kosten für Heizung zu berücksichtigen. Allerdings sei hier der Anteil der Kosten für Warmwasser abzurechnen, so dass monatlich lediglich 186,99 € anerkannt werden könnten. Im Hinblick auf die geltend gemachten monatlichen Raten von 236,08 € für die Abzahlung der Kosten der erworbenen Eigentumswohnung sei lediglich der für die Bedienung der Schuldzinsen gezahlte Betrag von 71,08 € berücksichtigungsfähig. Die monatlichen Leasingraten für den angeschafften Pkw könnten keine Berücksichtigung finden, weil Leistungen nach dem SGB II nicht der Vermögensschaffung dienten. Die geltend gemachten Kosten für die Anmietung einer Garage seien nicht anzuerkennen, weil sie nicht notwendig seien. Mehrkosten für aus medizinischen Gründen erforderliche kostenaufwendige Ernährung (§ 21 Abs 5 SGB II) seien nicht anzuerkennen, weil für den bei der Antragstellerin und L. bestehenden Diabetes mellitus Typ II nach der ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte kein Mehrbedarf im og Sinne gegeben ist.

8

Die Antragstellerin hat gegen den ihr am 16. März 2005 zugestellten Beschluss am 4. April 2005 Beschwerde eingelegt. Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen, sondern sie dem Landessozialgericht (LSG) zur Entscheidung vorgelegt.

Gründe

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II.

Die Beschwerde der Antragstellerin ist statthaft und auch ansonsten zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Insbesondere ist nicht die Bundesagentur für Arbeit, sondern - wie das SG zutreffend seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat - die für die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II ab 1. Januar 2005 zuständige kommunale Gebietskörperschaft richtiger Antragsgegner. Das ist der Landkreis Peine als zugelassener Träger iS des § 6a SGB II. Dieser hat zwar nicht den beanstandeten Ablehnungsbescheid vom 9. Dezember 2004 erlassen, gegen den sich der Widerspruch der Antragstellerin richtet. Aus § 65a Abs. 1 Satz 3 SGB II ergibt sich jedoch, dass die Bundesagentur für Arbeit den Bescheid erlassen durfte, ohne hierdurch zuständiger Leistungsträger zu werden. Mit dieser Lösung wollte der Gesetzgeber vermeiden, dass Leistungsansprüche ab 1. Januar 2005 nur deshalb nicht befriedigt werden, weil die erforderlichen Organisationsstrukturen noch nicht vorhanden sind. Die Rechte und Pflichten aus dem Ausgangsbescheid treffen ab 1. Januar 2005 den materiell-rechtlich zuständigen Träger (Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II-Kommentar, § 65a Rdnr 6), hier also den Landkreis D..

10

Die Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Der Beschluss des SG vom 14. März 2005 war aufzuheben. Die Antragstellerin kann verlangen, dass ihr im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zugesprochen werden.

11

Gemäß § 86b Abs 2 Satz 2 SGG ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis nur zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die einstweilige Anordnung dient lediglich der Sicherung von Rechten eines Antragstellers, nicht aber ihrer Befriedigung. Sie darf deshalb grundsätzlich nicht die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen. Etwas anderes gilt ausnahmsweise, wenn ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung ein wirksamer Rechtsschutz nicht erreicht werden kann und dieser Zustand dem Antragsteller unzumutbar ist (Meyer-Ladewig, SGG-Kommentar, 8. Auflage 2005, § 86b Rdnr 30 f.). Sowohl die schützenswerte Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist, als auch die Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen Regelung sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 4 iVm § 920 Abs 2 Zivilprozessordnung - ZPO -).

12

Die Voraussetzungen für eine Regelungsverfügung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG liegen ab Eingang des Antrags beim SG vor. Ohne Erlass der einstweiligen Anordnung muss die Antragstellerin wesentliche Nachteile befürchten (Anordnungsgrund), weil sie über keinerlei finanzielle Mittel verfügt, um den Lebensunterhalt ihrer Bedarfsgemeinschaft zu sichern. Sie hat glaubhaft gemacht, dass sie derzeit nur durch die Aufnahme von Schulden den Lebensunterhalt der Bedarfsgemeinschaft bestreitet, das Sparguthaben der Tochter bereits verbraucht sei. Das Abwarten des Hauptsacheverfahrens ist der Antragstellerin mangels anderer bereiter Mittel nicht möglich.

13

Auch der für den Erlass einer einstweiligen (Regelungs-)Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG erforderliche Anordnungsanspruch ist hier glaubhaft gemacht. Es spricht nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung Überwiegendes dafür, dass der Antragsgegner der Antragstellerin jedenfalls im tenorierten Umfang Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu gewähren hat.

14

Allerdings ist nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner und das SG davon ausgegangen sind, dass die Bedarfsgemeinschaft der Antragstellerin - von dem nach § 24 SGB II zu gewährenden befristeten Zuschlag nach Bezug von Alg abgesehen - ihren Lebensunterhalt durch das ihr zur Verfügung stehende Einkommen decken kann. Denn das ihr zur Verfügung stehende Einkommen von insgesamt 1 354,21 € steht einem Bedarf von insgesamt 1 209,79 € gegenüber. Dabei errechnen sich Einkommen und Bedarf der Bedarfsgemeinschaft der Antragstellerin wie folgt:

15

Einkommen

16

1 078,45 € Erwerbsunfähigenrente L.

17

151,76 € Werksrente L.

18

154,00 € Kindergeld

19

= 1 384,21 €

20

-30,00 € abzügliche Beträge zu privaten Versicherungen iS des § 11 Abs 2 Nr 3 SGB II iVm § 3 Nr 1 der Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) vom 20. Oktober 2004

21

= 1 354.21 €

22

Bedarf:

23

311,00 € Regelsatzleistungen Antragstellerin

24

311,00 € Regelsatzleistungen L.

25

276,00 € Regelsatzleistungen Tochter

26

103,20 € Hausgeld

27

83,80 € Heizkosten abzgl. Warmwasseranteil

28

18,67 € Grundsteuer

29

35,04 € Erbpachtzahlung

30

71.08€ Aufwendungen für Zinsen

31

= 1 209.79 €

32

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin können die Tilgungsleistungen für den für die Eigentumswohnung aufgenommen Kredit nicht berücksichtigt werden. Denn zu den berücksichtigungsfähigen Unterkunftskosten iS des § 22 Abs 1 SGB II gehören im Fall der Antragstellerin nur die Zinszahlungen, nicht die Tilgungsleistungen. Tilgungskosten zählen nach der überwiegend in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassung, die vom erkennenden Senat jedenfalls im einstweiligen Rechtsschutz nicht in Frage gestellt wird, nicht zu den berücksichtigungsfähigen Aufwendungen, da sie der Vermögensbildung dienen (vgl BVerwGE 48, 182, 185 [BVerwG 24.04.1975 - BVerwG V C 61.73] ).

33

Auch die von der Antragstellerin monatlich gezahlte Garagenmiete ist nicht als Aufwendung iS des § 22 Abs 1 SGB II anzuerkennen, da sie nicht angemessen iS der og Vorschrift ist. Dies gilt umso mehr, als auch keine Rechtsgrundlage für die Berücksichtigung der von der Antragstellerin geltend gemachten monatlichen Pkw-Leasingraten ersichtlich ist. § 12 Abs 3 Nr 2 SGB II sieht lediglich vor, ein angemessenes Kfz für jeden in der Bedarfsgemeinschaft lebenden erwerbsfähigen Hilfebedürftigen bei der Ermittlung des Vermögens zu schonen. Der geleaste Pkw steht nicht im Eigentum der Antragstellerin oder des L. Kosten, die - wie bei der Übernahme von Pkw-Leasingraten - der Vermögensschaffung dienen, können - wie bereits ausgeführt - im Rahmen der Gewährung von Leistungen nach dem SGB II nicht berücksichtigt werden. Aus demselben Grund kann auch die monatliche Rate für die Anschaffung eines TV-Gerätes nicht in die Bedarfsberechnung einbezogen werden.

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Die monatlichen Zahlungen für Strom sind ebenso wenig anzurechnen, da sie bereits in den gemäß der §§ 20, 28 SGB II gewährten Regelleistungen enthalten sind. Aus demselben Grund ist auch der Warmwasseranteil aus den Heizungskosten als berücksichtigungsfähige Kosten iS des § 22 SGB II herauszurechnen.

35

Auch kann der von der Antragstellerin für sich und L. wegen ihrer beider Diabetes Erkrankung geltend gemachte Mehrbedarf für Krankenkost gemäß der §§ 21 Abs. 5, 28 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht anerkannt werden. Denn der von der Antragstellerin insoweit geltend gemachte Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung ist nach neueren Erkenntnissen der Deutschen Diabetes-Gesellschaft und des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge jedenfalls bei Diabetes mellitus Typ II b (Übergewicht) - um welchen es sich bei der Antragstellerin und L. handelt - nicht gegeben (vgl Oberverwaltungsgericht - OVG - Nordrhein-Westfalen , Urteil vom 28. September 2001, Az.: 16 A 5644/99 mwN).

36

Entgegen der Auffassung des SG kann die von der Antragstellerin geltend gemachte monatliche Kontoführungsgebühr von 7,67 € nicht gemäß § 11 Abs 2 SGB II vom Einkommen abgesetzt werden. Nach § 42 SGB II werden Geldleistungen nach diesem Buch auf das im Antrag angegebene inländische Konto bei einem Geldinstitut überwiesen. Werden sie an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Berechtigten übermittelt, sind die dadurch veranlassten Kosten abzuziehen. Dies gilt nicht, wenn der Berechtigte nachweist, dass ihm die Einrichtung eines Kontos bei einem Geldinstitut ohne eigenes Verschulden nicht möglich ist. Hieraus ergibt sich, dass der Leistungsempfänger die für die Einrichtung und Unterhaltung seines Kontos erforderlichen Kosten grundsätzlich selbst zu tragen hat.

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Die Antragstellerin hat jedoch zusätzlich zu dem oben errechneten Bedarf einen Anspruch auf den befristeten Zuschlag nach dem Bezug von Alg gemäß § 24 SGB II. Ein solcher Anspruch kommt auch dann in Betracht, wenn dem Antragsteller - wie vorliegend - kein Alg II iS des § 19 Satz 1 Nr 1 SGB II gezahlt wird, weil das seiner Bedarfsgemeinschaft zur Verfügung stehende Einkommen höher als deren Bedarf (ohne Berücksichtigung des Zuschlages nach § 24 SGB II) ist. Denn der befristete Zuschlag nach dem Bezug von Alg ist gemäß § 24 SGB II Bestandteil der Leistung Alg II und daher dem Grundbedarf zuzurechnen. Das ergibt sich unmittelbar aus § 19 Satz 1 SGB II. Danach erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Alg II

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1. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung,

39

2. unter den Voraussetzungen des § 24 einen befristeten Zuschlag.

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Der Zuschlag nach § 24 SGB II ist folglich unerlässliches Element von Alg II iS des § 19 Satz 1 SGB II und nicht nur akzessorisch zum Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Brünner in LPK-SGB II, § 24 Rdnr 6; anderer Ansicht: Müller in Hauck/Noftz, SGB Il-Kommentar, K § 24 Rdnr 25; Rixen in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 24 Rdnr 3). Dieses Ergebnis wird durch die historische Entwicklung dieser Vorschrift sowie durch deren systematische Einordnung in den Regelungsrahmen des SGB II bestätigt. Der befristete Zuschlag nach § 24 SGB II soll finanzielle Härten abfedern, die entstehen können, wenn der Bezug des entgeltbezogenen Alg endet und an seine Stelle das bedarfsorientierte Alg II auf Sozialhilfeniveau tritt. Der befristete Zuschlag berücksichtigt, dass die ehemaligen Alg- Empfänger durch häufig langjährige Erwerbstätigkeit - im Unterschied zu denjenigen Empfängern des Alg II, die nur jeweils kurzfristig bzw. noch nie erwerbstätig waren - vor dem Bezug der neuen Leistung einen Anspruch in der Arbeitslosenversicherung erworben haben. Er soll in vertretbarem Umfang einen Teil der Einkommenseinbußen abfedern, die in der Regel beim Übertritt in die neue Leistung entstehen werden (BT-Drucksache 15/1616, Seite 58).

41

Der befristete Zuschlag nach § 24 SGB II stellt damit einen Sonderbedarf für ehemalige Alg-Bezieher dar. Der Gesetzgeber erkennt typisierend einen erhöhten Kompensationsbedarf an, wenn ein versicherungspflichtiger Arbeitnehmer vom Schutzsystem der Arbeitslosenversicherung in das System der Grundsicherung wechselt. Soweit die gegenteilige Auffassung aus der Formulierung in § 24 Abs 2 Nr 2 SGB II "zu zahlendes Alg II nach § 19 Satz 1 Nr 1" etwas anderes ableiten will, wird verkannt, dass es hierbei nur um die Berechnungsmodalitäten des Zuschlages geht und nicht um dessen Voraussetzungen. Ein anderes Ergebnis ist nicht aus § 23 Abs 3 Satz 3 SGB II zu entnehmen. Danach werden bestimmte Leistungen erbracht, wenn Hilfebedürftige keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung benötigen, den Bedarf jedoch aus eigenen Kräften und Mitteln nicht voll decken können. Der Gesetzgeber hat in diesem Zusammenhang lediglich entschieden, dass für die abweichende Erbringung von Leistungen nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB II nur der Bedarf nach den Leistungen gemäß §§ 20 - 22 SGB II maßgebend ist. Das hat keine weitere Bedeutung für die Frage, ob für die Ermittlung des Grundbedarfs der befristete Zuschlag erhöhend zu berücksichtigen ist. Auch bei der Absenkung und Wegfall des Alg II nach § 31 SGB II hat der Gesetzgeber eine unterschiedliche Regelung einerseits für die Leistungen nach §§ 20 - 22 SGB II und andererseits für den befristeten Zuschlag nach § 24 SGB II getroffen. Entscheidend ist hier allein, dass mit dem Übergang vom Bezug von Alg in den Bezug im Alg II eine Situation entstanden ist, in der nach Maßgabe des § 24 Abs 2 und 3 SGB II ausnahmslos von einem Sonderbedarf auszugehen ist, der durch den befristeten Zuschlag ausgeglichen wird (vgl Beschluss des erkennenden Senats vom 15. Juni 2005, Az.: L 8 AS 99/05 ER ).

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Diese Rechtsauffassung des Senates zugrunde gelegt, hat der Antragsgegner der Antragstellerin für die Zeit vom 28. Januar 2005 (Datum des Eingangs des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim SG) bis zum 01. Juli 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Höhe von monatlich 235,58 € und für die Zeit vom 02. bis 31. Juli 2005 in Höhe von 45,58 € im Monat zu gewähren. Der Senat hat diese Beträge unter Hintenanstellung der diversen Bedenken zu den Berechnungsmodalitäten des § 24 SGB II (vgl hierzu ua Herrmann/Söhngen in SozSich 2004, 411) wie folgt berechnet:

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Zu dem nach § 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II errechneten Bedarf von 1209,79 € ist bis zum 01. Juli 2004 ein Alg-Zuschlag gem. § 24 SGB II in Höhe von  380 €) hinzuzurechnen. Der Zuschlag beträgt 2/3 des bisherigen Alg-Anspruchs von 584,83 € monatlich (= 380,00 €), da Alg II ohne Berücksichtigung des Zuschlages nicht zu zahlen ist, höchstens 380,00 € (320,- € plus 60,- € für die Tochter). Dem Gesamt bedarf von 1 589,79 € ist das monatliche Einkommen von 1354,21 € gegenüberzustellen. Der Differenzbetrag von 235,58 € liegt nicht über der zuletzt durch die Antragstellerin bezogenen monatlichen Alhi von 345,- €, so dass er in voller Höhe zur Auszahlung gelangt.

44

Ab dem 02. Juli 2005 ist der gem. § 24 Abs. 3 SGB II zu bildende Begrenzungsbetrag zu halbieren (vgl. § 24 Abs. 1 Satz 2 SGB II), so dass vorliegend ein Zuschlag von maximal 190,- € (380,- € gem. § 24 Abs. 3 Nrn. 2 und 3 SGB II ./. 2) zu gewähren ist, der hier in Höhe von 45,58 € (Bedarf von 1209,79 € plus 190.- € Zuschlag gem. § 24 SGB II abzgl. Einkommen der Bedarfsgemeinschaft von 1354,21 €) zu zahlen ist.

45

Bei der Dauer der einstweiligen Anordnung legt der Senat den Rechtsgedanken des § 41 Abs. 1 Satz 3 SGB II zugrunde, wonach Leistungen für jeweils sechs Monate bewilligt werden sollen. Gerechnet ab Ende Januar 2005 endet dieser Zeitraum am 31. Juli 2005.

46

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG. Da die Antragstellerin den Rechtsstreit im Wesentlichen gewonnen hat, hat der Antragsgegner ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

47

Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe - PKH - (§ 73a SGG - iVm § 114 Zivilprozessordnung - ZPO -) liegen vor. Bei den von der Antragstellerin angegebenen Einkünften haben Ratenzahlungen nicht zu erfolgen (§ 115 ZPO).

48

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet auch hinreichende Aussicht auf Erfolg iS des § 114 ZPO und erscheint nicht mutwillig, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt.

49

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

Scheider
Wimmer
de Groot