Amtsgericht Holzminden
Beschl. v. 22.03.1998, Az.: 12 F 315/97

Regelung der elterlichen Sorge nach der Trennung der Eltern; Voraussetzung der Nichteignung zur Sorgepflichtsausübung; Gemeinsame elterliche Sorge in Zweifelsfällen

Bibliographie

Gericht
AG Holzminden
Datum
22.03.1998
Aktenzeichen
12 F 315/97
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1998, 30520
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGHOLZM:1998:0322.12F315.97.0A

Fundstelle

  • FamRZ 1998, 977-979 (Volltext mit red. LS)

Tenor:

  1. I.

    Der Antrag der Kindesmutter vom 7.10.1997, ihr für die Dauer des Getrenntlebens der Eltern die elterliche Sorge für ..., zu übertragen, wird zurückgewiesen.

  2. II.

    Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Gegenstandswert: 5.000,- DM.

Gründe

1

1.

Die Eltern des Kindes ..., haben am 28.2.1992 die Ehe miteinander geschlossen. Schon seit dem 15.10.1990 hatten sie zusammengelebt (siehe notarielle Erklärung vom 20.3.1992 im Verfahren 4 XVI 9/92). Seit dem 27.7.1997 leben sie getrennt. Die Kindesmutter, die als Krankenschwester tätig ist, ist zunächst mit ... nach Bodenwerder gezogen. Seit kurzem leben Mutter und Kind zusammen mit dem neuen Lebensgefährten der Mutter in Wegensen, also wieder in der Nähe des früheren Wohnortes Halle, wo der Kindesvater nach wie vor wohnt.

2

Die Kindesmutter möchte die elterliche Sorge alleine ausüben.

3

Hierzu trägt sie unter anderem vor, der Kindesvater bestimme, daß ... bei ihm bleiben solle, wenn sie Nachtdienst habe. Er habe gefordert, daß das Kind wechselweise 14 Tage bei ihm und bei ihr leben solle. Bei fehlendem Einverständnis wolle er ihr das Kind entziehen. Er fange das Kind während der Schulzeit in den Pausen ab. Eine gemeinsame Sorgerechtsausübung sei nicht möglich, weil sie in verschiedenen Punkten mit dem Kindesvater keine Einigkeit erzielen könne. Der Kindesvater stelle beispielsweise eigene Bestimmungen als Vereinbarungen aller Beteiligten dar, was nicht stimme. Freie Vereinbarungen kämen nicht zustande. Der Kindesvater habe versucht, die Verwandtschaft der Kindesmutter gegen diese aufzubringen, was Christina mitbekommen habe.

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Der Kindesvater ist der Auffassung, es solle bei der gemeinsamen Sorgerechtsausübung bleiben, hat aber auch einen eigenen Sorgerechtsantrag gestellt. Über Fragen des Schulbesuchs und der Freizeitgestaltung der Tochter habe es keine Probleme gegeben, alles sei einvemehmlich zwischen den Eltern geregelt worden. Gegen die Wohnverhältnisse im Haushalt der Kindesmutter habe er nichts einzuwenden. Er begrüße den vorgesehenen (Anmerkung: und inzwischen vollzogenen) Umzug der Kindesmutter in eine Doppelhaushälfte. Die bisherigen Aufenthalte des Kindes in den jeweiligen Haushalten seien einverständlich geregelt worden. Er wolle der Mutter das Kind nicht entziehen. Er habe nicht versucht, die Verwandten der Kindesmutter gegen diese einzunehmen. Er bemühe sich vielmehr, die Beziehungen des Kindes zu den Verwandten mütterlicherseits aufrechtzuerhalten.

5

Das zuständige Jugendamt des Landkreises Holzminden hat Stellung genommen. Aus dem Schreiben vom 9.12.1979 ist unter Bezugnahme auf den Inhalt im übrigen hervorzuheben: "Wenn man sich ... Situation vergegenwärtigt, so müßte man eigentlich davon ausgehen, daß ihre Eltern, die die Bedürfnisse des Mädchens bei der tatsächlichen Lebensgestaltung berücksichtigen, gute Voraussetzungen bieten, um längerfristig gemeinsam die elterliche Sorge auch auszuüben .... Die Situation Brummer stellt sich für mich so dar, daß beide Elternteile ihre Tochter lieben und jeder im Bereich seiner Möglichkeiten die Betreuung und Erziehung übernimmt. Sicher gibt es derzeit noch verständliche Probleme zwischen den Eltern. Vielleicht ist es ihnen jedoch längerfristig möglich, wieder vertrauensvoller miteinander umzugehen und im Interesse Christinas zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen."

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Beide Eltern sind einzeln richterlich angehört worden, desgleichen ... Auch die Großmutter mütterlicherseits wurde kurz gesprochen. Auf die Anhörungsvermerke vom 8.1., 15.1. und 3.3.1998 wird Bezug genommen.

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2.

Nach derzeit -noch- geltendem Recht ist in der Regel eine Sorgerechtsentscheidung für die Dauer des Getrenntlebens gem. § 1672 BGB zu treffen, wenn die Eltern dauernd getrennt leben und ein Elternteil einen entsprechenden Antrag stellt. Nach der (vom erkennenden Gericht nicht geteilten) bislang herrschenden Meinung kam es nicht in Betracht, die elterliche Sorge beiden Eltern zu belassen, wenn kein einvernehmlicher Vorschlag der Eltern hierüber vorlag (vgl. die Darstellung bei Oelkers, FamRZ 97, 779/782; differenzierend OLG Hamm FamRZ 97, 48 und OLG Bamberg FamRZ 97, 48 f).

8

Die Frage der elterlichen Sorge nach der Trennung der Eltern ist künftig in § 1671 BGB n.F. geregelt. Die Regelung wird am 1.7.1998 in Kraft treten. Die künftige Regelung wird schon jetzt berücksichtigt werden müssen. Aus verfahrensökonomischen Gründen hat sich das erkennende Gericht, wenn es nicht gelingen konnte, die Eltern zu einigen, der herrschenden Auffassung angeschlossen. Die sich daraus ergebende faktische Geltung der herrschenden Meinung wird im Lichte des künftigen Rechts jedoch zu relativieren sein. § 1672 BGB in der geltenden Fassung ist neu zu lesen. Da sich Sorgerechtsentscheidungen am Kindeswohl zu orientieren haben, ist im Vorgriff zu fragen, welche Vorstellungen über das Kindeswohl dem neuen Kindschaftsrecht entnommen werden können.

9

Unrichtig wäre es, aus der Herausnahme des Sorgerechtskomplexes aus dem Zwangsverbund ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zu folgern (vgl. den Regierungsentwurf BT-Drs. 13/4899 S. 61 ff., abgedruckt bei Mühlens/Kirchmeier/Greßmann, Das neue Kindschaftsrecht, Köln 1998, S. 41). Das Antragserfordernis für die Alleinsorge macht die gemeinsame elterliche Sorge nicht zum Regelfall (Greßmann, Neues Kindschaftsrecht, FamRZ-Buch 6, S. 97). Zur Verdeutlichung: Ob Unterhalt geschuldet wird, ist im Falle von Trennung und Scheidung zu prüfen. Der Regelfall ergibt sich nicht aus dem Gesetz, sondern aus der Statistik, die im Falle minderjähriger Kinder einen Regelfall belegen dürfte, im Falle der Ehegatten mit entsprechender Deutlichkeit wohl nicht.

10

Der bloße Umstand der Antragstellung indiziert mit Rücksicht auf die sich aus der Neuregelung des Kindschaftsrechts abzeichnenden Vorstellungen nach allem nicht mehr ein Regelungsbedürfnis und hat nicht mehr oder weniger automatisch zur Folge, daß die elterliche Sorge dann einem Elternteil zuzuweisen wäre. Denn nach der neuen Rechtslage ist ein auf die alleinige Sorgerechtsausübung abzielender Antrag zu begründen. Die Begründung ergibt sich gem. § 1671 II BGB in der neuen Fassung unter anderem daraus, daß das Kindeswohl nach den verschiedenen Optionen positiv festzustellen ist. Wenn das nicht gelingt, bleibt es bei der gemeinsamen Sorgerechtsausübung. Ob sich die Eltern dann über Details zanken, ist solange unerheblich, als die Belange des Kindes nicht tangiert werden. Bei einem non liquet bleiben auch zankende Eltern miteinander vereint (Schwab/Wagenitz, Familienrechtliche Gesetze, Bielefeld 1997, S. 10).

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3.

Daß es den Belangen ... in höherem Maße dient, wenn ein Elternteil die elterliche Sorge alleine ausübt, ist nach den Ermittlungen nicht erwiesen. Die elterliche Sorge umfaßt nach § 1626 BGB in der neuen Fassung erstens die Pflicht und zweitens das Recht der Eltern, für das Kind zu sorgen. Die Akzente haben sich durch die Gesetzesänderung verschoben. Zur Zeit heißt es noch: "Der Vater und die Mutter haben das Recht und die Pflicht, für das minderjährige Kind zu sorgen (Elterliche Sorge)." Mithin steht die Pflicht künftig im Vordergrund. Die Auflösung der Sorgegemeinschaft bedeutet dann in erster Linie immer auch, einen Elternteil aus der Pflicht zu entlassen (notabene bei Fortbestehen der elterlichen Verantwortung, siehe § 52 I FGG n.F.). Grundsätzlich ist es demnach von Vorteil, wenn sich zwei zur Verfügung stehende Eltern die Pflicht, die es zu bewältigen gilt, teilen. Im konkreten Fall ist es bedeutsam, daß der Kindesvater in besonderem Maße die elterlichen Aufgaben wahrgenommen hat, die in den Zusammenhang mit dem Schulbesuch des Kindes fallen. Der Kindesvater ist Elternsprecher. Zudem kümmert er sich um die Aufrechterhaltung der Beziehung ... zu ihrer Verwandtschaft mütterlicherseits. Das Gericht erachtet es für wichtig, wenn ein Kind ungestört im Zuge seiner Entwicklung auch den Teil des sozialen Kontexts erfahren kann, der auf Verwandtschaft beruht. Mit der Großmutter mütterlicherseits des Kindes ist die Kindesmutter indessen zerstritten, so daß derzeit die Vermittlung des Kindesvaters gebraucht wird. Eine Entlassung aus seinen Pflichten könnte bedeuten, daß der Kindesvater sich aus den eben erwähnten Betreuungsfeldern zurückzieht. Das Gericht möchte das vermeiden.

12

Wenn es in der "heißen Phase" der Krise und Trennung einer Familie zu Unausgewogenheiten kommt, genügt dies nicht, um daraus Anhaltspunkte für die Eignung oder Nichteignung zur Sorgepflichtsausübung entnehmen zu können. Die Handlungsweisen der Akteure ändern sich in der Regel, wenn die Familie die Transition überstanden und einen neuen Ort gefunden hat, sowie ihre Mitglieder ihre Beziehungen zueinander neu definiert haben. Das Gericht ist davon überzeugt, daß dann ein ebenso funktionsfähiges Modell auf einer anderen Ebene errichtet werden kann, wie vor der Krise. Diese Überzeugung wird von der Einschätzung der erfahrenen Mitarbeiterin des Jugendamtes gestützt. Diese Überzeugung ergibt sich auch daraus, daß die Verhältnisse vor der Krise beanstandungsfrei geregelt wurden, wie der Kindesvater unwidersprochen vorgetragen hat und wie es der in einem anderen Zusammenhang erstellte Jugendamtsbericht vom 10.6.1992 belegt (vgl. Bl. 33 in der BA 4 XVI 9/92).

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Im Verlaufe des Verfahrens ist die Frage mit Hilfe des Jugendamtes geklärt worden, wann sich ... bei welchem Elternteil aufhält. Die Regelung wird seit längerem praktiziert. Insbesondere wird vom Kindesvater respektiert, daß Christina ihren Lebensmittelpunkt bei der Kindesmutter hat, so daß hier nicht die einen Eingriff in die elterliche Autonomie rechtfertigende Gefahr wechselseitiger Eigenmächtigkeiten besteht.

14

Die Uneinigkeit in verschiedenen Punkten, wie sie von der Kindesmutter vorgebracht wird, ist nicht hinreichend plastisch geworden. Zum einen ist gegen diese Argumentation einzuwenden, wie oben erwähnt, daß Streitigkeiten zwischen den Eltern nicht zwangsläufig eine Auflösung der Sorgepflichtsgemeinschaft rechtfertigen, solange sie sich nicht in unerträglicher und nicht hinnehmbarer Weise auf das Kind auswirken.

15

Eine Episode, die von den Eltern im wesentlichen übereinstimmend geschildert wurde, läßt zwar eine gewisse Gedankenlosigkeit des Kindesvaters erkennen, nämlich als er kurz vor Weihnachten ... einen Super-Nintendo beiläufig überließ, wie ihn sich das Kind seit langem gewünscht hatte, obwohl er wußte, daß die Kindesmutter einen ebensolchen Gegenstand als Weihnachtsgeschenk beschafft hatte und hätte wissen können, daß damit das Maß der Freude und Überraschung des Kindes über das Geschenk der Mutter am Heiligabend verhältnismäßig begrenzt sein würde. Das verdient Kritik, rechtfertigt aber nicht eine so weitreichende Maßnahme wie die Übertragung der Alleinsorge auf einen Elternteil.

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Die Gefahr einer permanenten einseitigen Einflußnahme durch den Kindesvater in die Entscheidungsfreiheit der anderen Beteiligten sieht das Gericht nicht, weil zum einen § 1687 BGB in der neuen Fassung vorsieht: "Der Elternteil, bei dem sich das Kind mit Einwilligung des anderen Elternteils oder aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung gewöhntlich aufhält, hat die Befugnis zur alleinigen Entscheidung in Angelegenheiten des täglichen Lebens." Zum anderen sind, nachdem die Fragen des Lebensmittelpunktes bei der Mutter und der Aufenthaltszeiten beim Vater geklärt sind, die Anlässe, sich Machtpositionen zu erarbeiten, weitgehend reduziert.

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Nicht zuletzt ist für diese Entscheidung maßgebend, daß ..., wie die Anhörung des Kindes ergeben hat, sich mit der derzeitigen Situation arrangiert hat. Sie ist beiden Eltern gleichermaßen zugetan. Aversionen oder Präferenzen traten bei der Anhörung nicht zutage. Von ihren Dissonanzen haben beide Eltern das Kind offensichtlich abgeschirmt, so daß auch insoweit ein richterlicher Eingriff nicht geboten ist.

18

Über den als Hilfsantrag aufzufassenden Wunsch des Kindesvaters, ihm die elterliche Sorge allein zu übertragen, war nicht zu befinden, nachdem die elterliche Sorge beiden Eltern belassen wurde. Der Wunsch war zudem mit der irrtümlich bei dem Kindesvater entstandenen Vorstellung zu sehen, die Kindesmutter wolle nach Cuxhaven umziehen. Dergleichen hatte sie nie vor.

19

4.

...

Streitwertbeschluss:

Gegenstandswert: 5.000,- DM.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 13 a FGG.